Ein Christ kann kein Antisemit sein

Die Kirchen als Akteure der Zurückweisung des Antisemitismus.

Im Sommer 2018 wurde die deutsche Öffentlichkeit durch Meldungen aufgeschreckt, die eine auffällige Zunahme antisemitischer Vorfälle[1] beklagten. Man sprach von einer Enthemmung in antisemitischen Aktionen und Hetzen. Waren längere Zeit antijüdische Vorurteile und Hassäußerungen in der Öffentlichkeit nicht wahrzunehmen, so hat sich dies geändert und zwar bis dahin, dass über die Verwendung des Wortes Jude als Schimpfwort auf Schulhöfen berichtet wird. Ein Element von Israel-Bezug schwingt bei vielen Äußerungen mit. Unter den muslimischen Flüchtlingen bzw. Migranten gibt es solche, welche von der Tradition der Ablehnung, ja des Hasses gegenüber Israel in ihren Herkunftsländern geprägt sind.

Dass vor dem Hintergrund der langen Geschichte einer kirchlichen bzw. christlichen Judenfeindschaft nach einer möglichen anhaltenden Wirkung dieser Tradition gefragt wird, ist nicht verwunderlich. So hat ein von der Bundesregierung eingesetzter Expertenkreis Antisemitismus sich damit auseinandergesetzt. In seinem Bericht von 2011 kommt der Expertenkreis nicht nur zu der Feststellung, dass antisemitische Einstellungen »im eindeutigen Widerspruch zu den offiziellen Positionierungen der Kirchen« stehen.

Seit vielen Jahren verurteilen sowohl die katholische wie auch die evangelische Kirche in ihren Veröffentlichungen den Antisemitismus[2], und es setzen sich die Lehrbücher des Religionsunterrichts kritisch mit religiöser Judenfeindschaft und antisemitischen Vorurteilen auseinander. Die jüngst intensivierten kirchlichen Bemühungen der Prävention gegenüber dem Antisemitismus bieten aber noch keine Gewähr, dass »interne Diskussionen frei von solchen Inhalten sind«.[3]

Nun hat jüngst Johannes Heil, Rektor der Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg, in einem Interview, betont: »Es hat da einen wunderbaren Prozess der Annäherung gegeben. Dies wurde zwar unglückseligerweise erst angestoßen nach 1945, als die Kirchen ihre Mitverantwortung an der Schoah, insbesondere deren Vorgeschichte, bekannten. Doch seither gab es eine ausgesprochen positive Entwicklung, die katholischerseits in der Erklärung Nostra Aetate des Zweiten Vatikanischen Konzils gipfelte: über die Haltung der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen. Insgesamt gab es einen unvorstellbaren Fortschritt bei der wechselseitigen Wahrnehmung und Anerkennung «.[4] Dem so nachdrücklich betonten Fortschritt in der Haltung der Kirche gegenüber dem Judentum sei nun etwas nachgegangen.

Die Bedeutung des Zweiten Vatikanischen Konzils und seiner Erklärung über die Haltung zu den nichtchristlichen Religionen, besonders zum Judentum

Dem Fortschritt in der Haltung der Kirche gegenüber dem Judentum und jüdischen Volk nachzugehen, das heißt, nach der Wirkungsgeschichte der Erklärung über die Haltung der Kirche zu den nichtchristlichen ReligionenNostra Aetate (NA) des Zweiten Vatikanischen Konzils vom 28. Oktober 1965 und ihres Artikels 4 zu fragen.

So sehr das christlich-theologische Denken seine Hochform in der wissenschaftlichen Theologie hat, dieses Denken äußert sich darüber hinaus und vor allem im Lehramt und in der Verkündigung, dann aber auch in der Seelsorge und im Glaubenssinn der Gläubigen, in ihrer Spiritualität und in der Unterweisung in Schule und Bildung. Die Rezeption umfasst also eine Auf- und Annahme in unterschiedlichen Lebensfeldern.

An ihr beteiligen sich viele Akteure, die sich zustimmend auf NA beziehen und der Konzilserklärung zu einer positiven Aufnahme und Weiterentwicklung verhelfen oder sich kritisch mit ihr auseinandersetzen.Normale Frauen und Männer sind engagiert; Päpste, Bischöfe, Kommissionen und Synoden haben sich vielfach zu Wort gemeldet; Frauen und Männer der Theologie und Gelehrsamkeit betreiben die notwendige Konzilsrezeption in der wissenschaftlichen Theologie wie auch im christlich-jüdischen Dialog. Die Rezeption ist also ein vieldimensionaler Prozess.[5]

Dieser Prozess kirchlicher bzw. theologischer Wahrnehmung von NA war zunächst beschwerlich. Zu schwer erschien die Last der langen Geschichte zwischen Christentum und Judentum. Und es wurde die Notwendigkeit von Umkehr und Erneuerung in den Kirchen empfunden. Tatsächlich gilt die Erklärung NA mehr als 50 Jahre nach ihrer Promulgation als einer der am intensivsten rezipierten und am meisten in die Zukunft weisenden Texte des gesamten Zweiten Vatikanischen Konzils.[6] Dieses erstaunliche Faktum hängt an einer so nicht erwarteten Beharrlichkeit lehramtlicher Aufnahme und Fortschreibung des konziliaren Impulses; und es zeigt sich in einer nicht einfach zu überschauenden Vielfalt der theologischen Entwicklungen sowie Themen, die im Dialog erörtert und gleichsam in der Binnenkammer der Fachtheologie reflektiert werden.

Das Lehramt als Akteur der Aufnahme und Weiterführung von Nostra Aetate – zur institutionellen Verankerung und Dokumentengeschichte

So sehr nach einem viel zitierten Wort des großen Konzilstheologen Johannes Oesterreicher »das Herz Johannes’ XXIII.« die eigentliche Quelle von NA war, so sehr haben die Nachfolger im päpstlichen Amt die Aufnahme und Weiterführung vollzogen und vorangetrieben.

Paul VI. eröffnete die institutionell verankerte Konzilsrezeption. Er errichtete bereits am Pfingstsonntag 1964 ein »Sekretariat für die Nichtchristen «, das später – nämlich 1988 – in den Päpstlichen Rat für den interreligiösen Dialog umbenannt wurde.[7] Unter ihm wurde dem »Sekretariat für die Förderung der Einheit der Christen«, das 1960 von Johannes XXIII. zur Konzilsvorbereitung gegründet worden war, 1966 ein Büro für katholisch-jüdische Beziehungen zugeordnet. Zu seinen Aufgaben gehörte u. a. die Vorbereitung eines offiziellen Dokumentes, das die An- und Aufnahme von NA fördern und erleichtern sollte.[8]

Aus internen Expertentreffen gingen Überlegungen hervor, deren Fortschreibung zu den »Richtlinien und Hinweise für die Durchführung der Konzilserklärung ›Nostra aetate‹, Artikel 4 vom 1. Dezember 1974 führte.[9]

Verantwortlich für dieses erste Dokument der Rezeption von NA war die vatikanische Kommission für die religiösen Beziehungen mit den Juden, die am 22. Oktober 1974 gebildet wurde und dem inzwischen so benannten Rat für die Einheit der Christen zugeordnet blieb.

Mit dieser Zuordnung wird der Singularität der Beziehung der Kirche zum Judentum im Kontext interreligiöser Beziehungen Rechnung getragen. Die Kommission akzentuiert in der Präambel ihres ersten Dokuments eine Blickwende von einer antijüdischen Haltung weg und hin zu einer neuen Beziehung zum Judentum. Über die biblische Vorgabe hinaus ist das Judentum in seinem Selbstverständnis wahrzunehmen:

»Konkret bedeutet dies im besonderen, dass Christen danach streben, die grundlegenden Komponenten der religiösen Tradition des Judentums besser zu verstehen, und dass sie lernen, welche Grundzüge für die gelebte religiöse Wirklichkeit der Juden nach ihrem eigenen Verständnis wesentlich sind« (49).

Für die Überwindung negativer Einstellungen in Kirche und Christentum gegenüber dem Judentum ist etwas notwendig, was die Kommission nüchtern als Erfordernis herausstellt, nämlich dass »nun ein wirklicher Dialog entsteht« (49). Das Zeugnis für Jesus Christus müsse frei vom »Anschein einer Aggression« gegenüber Juden sein. Katholiken werden gemahnt, »die Schwierigkeiten zu verstehen, die die jüdische Seele« gerade wegen ihres tiefen Sinns für Gottes Erhabenheit »gegenüber dem Geheimnis des fleischgewordenen Wortes empfindet« (49).

Die Fachleute werden zu Zusammenkünften des Studiums der Probleme in den »grundlegenden Überzeugungen des Judentums und des Christentums« ermutigt (50).

Als Schwerpunkte praktischer Durchführung von NA werden die Liturgie, die Lehre und Erziehung sowie die soziale und gemeinschaftliche Aktion bedacht.

Die »gemeinsamen Elemente des liturgischen Lebens« stehen für »die Kontinuität unseres Glaubens mit dem des Alten Bundes«. Eine »gerechte Auslegung« biblischer Texte ist durch die Predigt zu geben. Die Übersetzung der Sprache des Neuen Testaments ist durch beauftragte Kommissionen zu leisten. Diese haben auf die Gefahr tendenziöser Missverständnisse zu achten – etwa beim Ausdruck die Juden im Johannesevangelium oder beim Wort »Pharisäer« (50f.).

In der Lehre und Erziehung sind zu beachten: Derselbe Gott spricht im Alten und Neuen Bund; die Geschichte des Judentums geht mit der Zerstörung Jerusalems nicht zu Ende, sondern entwickelt eine »an religiösen Werten« reiche Tradition. Zu diesen und weiteren Aspekten – weit abseits antijüdischer Einstellungen – ist in der Ausbildung und Forschung weiter zu arbeiten (51f.).

Im sozialen und gemeinschaftlichen Handeln zugunsten der Menschen wird die »Liebe zu demselben Gott“ praktiziert (52).

Die Schlussbemerkung kommt zu einer Feststellung, die nicht selten wie ein theologischer Spitzensatz gelesen worden ist: »Das Problem der Beziehungen zwischen Juden und Christen ist ein Anliegen der Kirche als solcher, denn sie begegnet dem Mysterium Israels bei ihrer ›Besinnung auf ihr eigenes Geheimnis‹. Es ist also von bleibender Bedeutung« (53). Hier ist eine theologische Grundlage für die Zurückweisung antisemitischer Einstellung gegeben.

Die Kommission fordert schließlich die Bischöfe zur Ergreifung pastoraler Initiativen und zur Gründung von Kommissionen bzw. Sekretariaten auf nationaler oder regionaler Ebene auf, um die konziliaren Weisungen und die in den Richtlinien vorgelegten Anregungen für die Praxis zu verwirklichen (53).

Die Richtlinien sind nicht lediglich eine Wiederholung von NA. Sie nehmen sie auf und schreiben sie fort.11 Sie machen das dort implizit Bleibende ausdrücklich und lenken den Blick über das Alte Testament hinaus zur »an religiösen Werten« reichen, nachbiblischen jüdischen Tradition. An der Stelle negativ geprägter Haltung ist eine christliche Hochschätzung des Judentums der Gegenwart und seiner Selbstdefinition zum Ausdruck zu bringen. So widerlegen die »Richtlinien « den Eindruck, dass Rom bald nach dem Konzil damit begonnen habe, wieder hinter das Konzil zurückzugehen.[11]

Die Vatikanische Kommission hat 20 Jahre nach dem Konzil ein weiteres Dokument zur Rezeption und Weiterführung von NA vorgelegt. Sie bekräftigt in ihren Hinweise(n) für eine richtige Darstellung von Juden und Judentum in der Predigt und in der Katechese der katholischen Kirche vom 24. Juni 1985[12] ihre Hochschätzung gegenüber der »bleibende(n) Wirklichkeit des jüdischen Volkes«, auf die Papst Johannes Paul II. in seiner Ansprache an Repräsentanten der jüdischen Gemeinschaft Deutschlands vom 17. November 1980 in Mainz abgehoben hatte. Sehr nüchtern weist der Text auf die Gefahr antisemitischer Einstellungen hin: »Dass es dringend und wichtig ist, unseren Gläubigen genau, objektiv und in strengem Streben nach Richtigkeit über das Judentum zu unterrichten, ergibt sich auch aus der Gefahr eines Antisemitismus, der stets daran ist, unter verschiedenen Gesichtern wieder zu erscheinen« (95).

Zur Nüchternheit der Kommission gehört auch ihre Einschätzung: »Es geht nicht nur darum, in unseren Gläubigen die Reste von Antisemitismus, die man noch hie und da findet, auszurotten, sondern viel eher darum, … in ihnen eine richtige Kenntnis des völlig einzigartigen ›Bandes‹ … zu erwecken, das uns als Kirche an die Juden und das Judentum bindet« (95).

Das Band, das die Kirche an das Judentum »bindet«, hat nicht den Charakter einer gleichgewichtigen Wechselseitigkeit. Vielmehr erscheint hier das Judentum wie ein Vorrang. Das oft mit hohem Selbstbewusstsein sich äußernde Lehramt bejaht mit dieser Aussage das Gebundensein der Kirche an Juden und Judentum.

In ihren Ausführungen zu den Beziehungen zwischen Altem und Neuem Testament, zu den jüdischen Wurzeln des Christentums und zur Darstellung der Juden im Neuen Testament setzen die Hinweise einen starken theologisch-exegetischen Akzent. Die Hinweise von 1985 sind ein Dokument kirchlich-katechetischer Selbstkorrektur, wo sie eine nur marginale Erwähnung von Juden und Judentum in der Katechese ebenso kritisieren wie eine bloß an der Vergangenheit orientierte katechetische Darstellung. Sie weisen auf eine Nähe zwischen Jesus und den Pharisäern hin und korrigieren so das polemische Pharisäerbild.

Darüber hinaus nehmen die Hinweise in ihren Ausführungen zum Judentum und Christentum in der Geschichte auch zum Land und Staat Israel Stellung. Die biblisch verwurzelte jüdische Bindung zum »Land der Väter« sei wahrzunehmen. »Die Christen sind dazu aufgefordert, diese religiöse Bindung zu verstehen, die in der biblischen Tradition tief verwurzelt ist. Sie sollten sich jedoch deswegen nicht eine besondere religiöse Interpretation dieser Beziehung zu eigen machen … Was die Existenz und die politischen Entscheidungen des Staates Israel betrifft, so müssen sie in einer Sichtweise betrachtet werden, die nicht in sich selbst religiös ist, sondern sich auf die allgemeinen Grundsätze internationalen Rechts beruft. « Dennoch sei der Fortbestand Israels »eine historische Tatsache« und als »ein Zeichen im Plan Gottes« zu deuten (102).

Damit ist jener judenfeindlichen Einstellung der Boden entzogen, die ihre Abweisung aus der Ablehnung des Staates Israel bezieht.[13]

Nicht nur die Vatikanische Kommission für die religiösen Beziehungen zu den Juden, welche 1998 ein drittes Dokument Wir erinnern: Eine Reflexion über die Schoa der Öffentlichkeit vorlegte und zum 50-jährigen Jubiläum von NA ein Dokument unter dem Titel Denn unwiderruflich sind Gnade und Berufung, die Gott gewährt (Röm 11,29). Reflexionen zu theologischen Fragestellungen in den katholisch-jüdischen Beziehungen folgen ließ,[14] hat der Rezeption und Fortschreibung von NA wichtige Impulse gegeben.

Auch die Päpstliche Bibelkommission hat sich mit der Beziehung der Kirche und Theologie zum jüdischen Volk und Judentum befasst. Das Dokument Das jüdische Volk und seine Heilige Schrift in der christlichen Bibel vom 24. Mai 2001[15] wird von manchen als das exegetisch-theologisch vielleicht wichtigste kirchliche Dokument zum christlich-jüdischen Verhältnis betrachtet.[16] In einem zentralen Teil des Dokumentes Grundthemen der Schrift des jüdischen Volkes und ihre Aufnahme im Glauben an Christus (37-121) geht es um das christliche Verständnis der Beziehungen zwischen Altem und Neuem Testament. Das Alte Testament besitzt »aus sich heraus einen ungeheuren Wert als Wort Gottes« (Nr. 21/43), was für manche judenunfreundliche Haltung, die mit einer Zurückweisung des Alten Testaments als heiliger Schrift einhergeht, eine Provokation sein kann. Die Bibelkommission reflektiert die Heilige Schrift des jüdischen Volkes und die christliche Bibel nicht nur in ihrem historischen Verhältnis zueinander. Die biblischen Texte sind vielmehr solche Texte, die bleibend von den Gläubigen und ihren Gemeinschaften gelesen werden. Sie lesen denselben Text, entdecken aber in ihrem Rückbezug darauf Akzente und Aspekte, welche die anderen so nicht gelesen und verstanden hatten. Zwischen Text und Lesegemeinschaft entsteht eine Dimension von Sinn, der zwischen dem Text und einer anderen Lesegemeinschaft nicht gegenwärtig war. Deshalb geht es dem vatikanischen Dokument auch um das Gegenüber der nachbiblischen jüdischen und christlichen Deutungen, Auslegungen bzw. »Leseweisen« der Bibel – hier die jüdische Auslegung der jüdischen Bibel aus Torah, Propheten und Schriften, dort die christliche der christlichen Bibel aus Altem und Neuem Testament.

So heißt es im Dokument: »… die Christen können und müssen zugeben, dass die jüdische Lesung der Bibel eine mögliche Leseweise darstellt, die sich organisch aus der jüdischen Heiligen Schrift der Zeit des Zweiten Tempels ergibt, in Analogie zur christlichen Leseweise, die sich parallel entwickelte. Jede dieser beiden Leseweisen bleibt der jeweiligen Glaubenssicht treu, deren Frucht und Ausdruck sie ist. So ist die eine nicht auf die andere rückführbar« (Nr. 22, S. 44). Die Bibelkommission teilt die in den Richtlinien von 1974 begegnende Hochschätzung des Judentums der Gegenwart und seiner Auslegungstradition der Bibel Israels.

Nun ist die Konzilserklärung NA nicht nur mit Texten und Dokumenten aufgenommen und fortgeschrieben worden. Augenfälliger und von dorther vielleicht auch wirkungsvoller für die kirchliche Rezeption und Wirkung von NA sind Persönlichkeiten und die von ihnen gesetzten oder benutzten Gesten und Symbole.

Päpstliche Sachwalter der Konzilsrezeption und ihre Zurückweisung von Antisemitismus: von Johannes Paul II. bis Franziskus

Die vergegenwärtigten Dokumente vatikanischer Kommissionen haben deutlich gemacht: Es hat von Seiten Roms beträchtliche Anstrengungen gegeben, NA zu einer bleibenden Wirkung zu verhelfen. Die dort grundgelegte Haltung hat in den Päpsten ihre Sachwalter. In Weiterführung des Vermächtnisses von Johannes XXIII. hat Paul VI. die Aufnahme der Konzilserklärung institutionell verankert. Besonders aber Johannes Paul II. hat die Rezeption von NA zur Reife geführt und der Haltung der Kirche gegenüber dem jüdischen Volk und Judentum eine neue Qualität abseits jeder antijüdischen Einstellung gegeben. Das wurde auch jüdischerseits anerkannt. Nehmen jüdische Frauen und Männer die Welt von Christentum und Kirchen wahr, dann geschieht dies nicht selten in einer doppelten Konzentration der Aufmerksamkeit – zum einen auf die katholische Kirche und zum anderen eben auf die Persönlichkeit und das Wirken des jeweiligen Papstes.

Johannes Paul II.

So verwunderte es nicht, dass viele Juden in Israel und der ganzen Welt an der Trauer um den am 2. April 2005 verstorbenen Papst Johannes Paul II. Anteil genommen haben.

Der Papst blieb bis zu seinem Tod jenen visionären Anliegen treu, die sich schon bald nach seiner Wahl am 16. Oktober 1978 gezeigt hatten. Er erstaunte durch eine Weite des theologischen Horizonts im Blick auf das jüdische Volk und Judentum, zum Beispiel bei seinem ersten Pastoralbesuch in Deutschland im November 1980. In der bereits angesprochenen Mainzer Begegnung mit dem Zentralrat und der Rabbinerkonferenz am 17. November prägte er ein Wort, das eine lange kirchliche Tradition korrigierte, für die der Bund Gottes mit Israel als veraltet, überholt, abgetan oder erledigt galt. Der Papst sprach nämlich von »dem Gottesvolk des von Gott nie gekündigten (vgl. Röm. 11,29) Alten Bundes«.[17] Das Mainzer Wort bildete in den nachfolgenden Jahren des Pontifikates ein Hauptmotiv in seinen Ansprachen zum Verhältnis von Kirche und jüdischem Volk, die man folgendermaßen zusammenfassen kann:

Der mit Mose geschlossene Alte Bund ist von Gott nie gekündigt worden. Das jüdische Volk steht nach wie vor in einer unwiderruflichen Berufung und ist immer noch Erbe jener Erwählung, der Gott treu ist. Es ist geradezu das »Volk des Bundes«. Es hat im Blick auf sein Leiden in der Schoah eine Sendung vor allen Menschen, vor der ganzen Menschheit und auch vor der Kirche. Die Heilige Schrift der Kirche kann nicht getrennt werden von diesem Volk und seiner Geschichte. Die Tatsache, dass Jesus Jude war und sein Milieu die jüdische Welt, ist nicht ein einfacher kultureller Zufall. Wer diese Bindung lösen und durch eine andere religiöse Tradition ersetzen wollte, würde die Wahrheit der Menschwerdung des Sohnes Gottes selbst angreifen. Die jüdische Religion ist für die Kirche nicht etwas Äußerliches, sondern gehört in gewisser Weise zum Inneren der christlichen Religion. Zu ihr haben die Kirche und Christen Beziehungen wie zu keiner anderen Religion. Die Juden sind »unsere bevorzugten Brüder und, so könnte man gewissermaßen sagen, unsere älteren Brüder«. Der Antisemitismus ist eine Sünde gegen Gott und die Menschheit.

Diese Zusammenfassung lässt sich als ein Stenogramm päpstlicher Aufnahme und Fortschreibung von NA verstehen. Ihre Aussagen haben in den großen Gesten von Johannes Paul II. einen eigenen Kommentar erhalten, vor allem mit seinem historischen Besuch der römischen Synagoge vom 13. April 1986 und dem Besuch Israels und Jerusalems vom 21. bis 26. März 2000.

Unmittelbar vor seiner Israelreise hatte Johannes Paul II. dem Großen Jahr 2000 und seiner Reinigung des Gedächtnisses einen Höhepunkt mit dem Schuldbekenntnis und der Vergebungsbitte am Ersten Fastensonntag, dem 12. März 2000, in St. Peter zu Rom gegeben. Dieser päpstliche Akt der Schuldanerkenntnis und Vergebungsbitte bekannte sehr zentral auch das historische Versagen der Christenheit gegenüber dem jüdischen Volk – Johannes Paul II. sprach vom »Volk des Bundes« – und wiederholte dieses Bekenntnis in den Tagen seines Israelbesuches mit der Hinterlegung der Vergebungsbitte an der Westmauer. Die jüdische Öffentlichkeit nahm das Symbol der Gewissenserforschung als Akt der Teschuwa wahr. Dank des Pontifikats von Johannes Paul II. erhielt die katholisch-jüdische Beziehung eine neue Qualität.[18] Dieses Vermächtnis war eine der gewichtigsten Herausforderungen für seinen Nachfolger Benedikt XVI.

Benedikt XVI.

Die Beziehung von Papst Benedikt XVI. zu Juden und Judentum stand unter dem Argwohn, sie sei ambivalent. Unterzieht man diese Beziehung der näheren Analyse, so fällt ein freundlicher Beginn auf. Nach der Wahl von Joseph Kardinal Ratzinger zum Papst am 19. April 2005 äußerten jüdische Dialogpartner eine Zuversicht, die sie auf ihre Kenntnis von Persönlichkeit und Gesten des neu Gewählten stützten.

Seine ersten öffentlichen Gesten setzte Benedikt XVI. mit den Besuchen der Kölner Synagoge vom 19. August 2005 und des Konzentrationslagers Auschwitz am 28. Mai 2006. Und 2007 überraschte der erste Band seines Buchs Jesus von Nazareth mit einem ausgeführten literarischen Dialog mit Rabbiner Jacob Neusner.[19]

Aber es hat sich auf die positiven Zeichen dieser Beziehung mit der Karfreitagsfürbitte 2008[20] und noch mehr mit der Aufhebung des Bannes der vier Bischöfe der Priesterbruderschaft St. Pius X. vom 21. Januar 2009 ein schwerer Rauhreif gelegt. Der Israelbesuch von Benedikt XVI. vom 11. bis 15. Mai 2009 stand unter der Ungunst des Nach-klangs der Kontroverse um die Piusbruderschaft und der Nachwirkung des Gazakrieges von 2008/ 2009 in der Öffentlichkeit Israels. So konnte dieser Besuch für die öffentliche Wahrnehmung die Beziehung nicht aus dem Schatten des Argwohns herausführen. Und doch war dieser Besuch als Symbol Ausdruck der Überzeugung, der Glaube Israels sei das Fundament des christlichen Glaubens. Diese Überzeugung erhielt ihre Bekräftigung in der Geste des Besuchs der jüdischen Gemeinde Roms durch Benedikt am 17. Januar 2010.[21] Bis in die letzte Phase seines Pontifikats hatte für ihn diese Beziehung eine eigene Priorität. Und doch war diese Beziehung Benedikts zum Judentum mit einem bleibenden Argwohn konfrontiert.[22]

Franziskus I.

Als nach der überraschenden Ankündigung von Benedikt XVI., zum 28. Februar 2013 auf das päpstliche Amt zu verzichten, der Erzbischof von Buenos Aires, Jorge Mario Kardinal Bergoglio, am 13. März 2013 zum neuen Papst gewählt worden war und dieser sich für den Namen Franziskus entschieden hatte, herrschte bei den am christlich- jüdischen Dialog beteiligten Theologinnen und Theologen nur für einen kurzen Moment eine Unsicherheit darüber, welchen Stellenwert die Beziehung der Kirche zum Judentum im neuen Pontifikat erhalten würde.

Bereits am Tag nach der Wahl wurde bekannt, dass Franziskus als Erzbischof enge Beziehungen zur jüdischen Gemeinschaft Argentiniens hatte. Das betraf nicht nur sein Verhältnis freundschaftlicher Kollegialität zu Rabbiner Abraham Skorka, sondern auch die persönliche Tradition, an der Feier zum jüdischen Neujahrsfest Rosch Ha-Schana oder zum Gedenken der Reichspogromnacht von 1938 teilzunehmen. Die jüdische Gemeinschaft Argentiniens schätzte den Erzbischof von Buenos Aires besonders, weil er nach dem entsetzlichen Terroranschlag mit 85 Toten auf das jüdische Gemeindezentrum von Buenos Aires 1994 als erste Persönlichkeit eine Petition unterzeichnet hatte, die forderte, die Täter zur Verantwortung zu ziehen. So gab es Grund zur Zuversicht, dass im neuen Pontifikat die Rezeption und Weiterführung von NA nicht erlahmen werde.

Dies hat sich in der Zwischenzeit vielfach bestätigt. Noch am Abend seiner Wahl schrieb Franziskus dem Oberrabbiner von Rom, Rabbiner Riccardo di Segni, und äußerte die Hoffnung, zum Fortschritt beitragen zu können, »den die Beziehungen zwischen Juden und Katholiken seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil erlebt haben«.[23]

Und nur wenige Wochen später – am 30. April 2013 – empfing Papst Franziskus den Staatspräsidenten Schimon Peres im Vatikan. Er empfing aber nicht nur Israels Staatspräsidenten, sondern auch jüdische Delegationen. Bei seiner ersten offiziellen Begegnung mit Vertretern jüdischer Organisationen, nämlich des Internationalen jüdischen Komitees für interreligiöse Beziehungen – des zentralen Dialogpartners für die Vatikanische Kommission für die religiösen Beziehungen mit dem Judentum – am 24. Juni 2013 machte er eine Aussage, die als Spitzenaussage des Papstes gilt: »Aufgrund unserer gemeinsamen Wurzeln kann ein Christ nicht antisemitisch sein«.[24] Dass Franziskus mit diesem Satz eine grundsätzliche christliche Zurückweisung des Antisemitismus formulierte, erfuhr eine dankbare jüdische Resonanz. So bekundeten etwa beim Treffen des Internationalen katholisch-jüdischen Verbindungskomitees vom 13. bis 16. Oktober 2013 in Madrid die Mitglieder der jüdischen Delegation ihre Sympathie für Franziskus. Sie würdigten besonders die zitierte Aussage des Papstes: »Aufgrund unserer gemeinsamen Wurzeln kann ein Christ nicht antisemitisch sein!«[25]

Im ersten Pontifikatsjahr setzte er ein weiteres wichtiges Zeichen dafür, dass die Beziehung von Kirche und Israel bei ihm einen zentralen Platz einnimmt. Papst Franziskus veröffentlichte am 24. November 2013 sein Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium (Die Freude des Evangeliums). In ihm widmet er ein eigenes Kapitel der Beziehung der Kirche zum Judentum und beginnt dieses mit folgenden Sätzen: »Ein ganz besonderer Blick ist auf das jüdische Volk gerichtet, dessen Bund mit Gott niemals aufgehoben wurde, denn ›unwiderruflich sind Gnade und Berufung, die Gott gewährt‹ (Röm 11,29). Die Kirche, die mit dem Judentum einen wichtigen Teil der Heiligen Schrift gemeinsam hat, betrachtet das Volk des Bundes und seinen Glauben als eine heilige Wurzel der eigenen christlichen Identität (vgl. Röm 11,16-18). Als Christen können wir das Judentum nicht als eine fremde Religion ansehen« (Nr. 247)[26]

Hier sind Anklänge an die theologische Sicht von Johannes Paul II. unverkennbar. Aber eigene Akzente setzte Franziskus in der Fortsetzung seiner Reflexion: »Gott wirkt weiterhin im Volk des Alten Bundes und lässt einen Weisheitsschatz entstehen, der aus der Begegnung mit dem göttlichen Wort entspringt. Darum ist es auch für die Kirche eine Bereicherung, wenn sie die Werte des Judentums aufnimmt. Obwohl einige christliche Überzeugungen für das Judentum unannehmbar sind und die Kirche nicht darauf verzichten kann, Jesus als den Herrn und Messias zu verkünden, besteht eine reiche Komplementarität, die uns erlaubt, die Texte der hebräischen Bibel gemeinsam zu lesen und uns gegenseitig zu helfen, die Reichtümer des Wortes Gottes zu ergründen sowie viele ethische Überzeugungen und die gemeinsame Sorge um die Gerechtigkeit und die Entwicklung der Völker miteinander zu teilen« (Nr. 249).

Die Betonung des Weiterwirkens Gottes im jüdischen Volk ist – wie Gregor Maria Hoff zutreffend feststellt – ein »Satz von offenbarungstheologischem Rang. Das Präsens gilt grundsätzlich: Gott wirkt weiter in Israel. Seine Gegenwart ist in der Gegenwart des Judentums erfahrbar. Von der Ersetzung durch die Kirche kann seitdem lehramtlich keine Rede mehr sein«.[27]

Nur einige Monate später unternahm Papst Franziskus vom 24. bis 26. Mai 2014 eine Pilgerreise ins Heilige Land. Als Betender bewegte Franziskus die Öffentlichkeit Israels besonders mit seinen Worten der Trauer, der Klage und Meditation über die Abgründe des Menschen in der Holocaustgedenkstätte Yad Vashem.[28] Seiner Meditation folgte in Yad Vashem ein Von-Angesichtzu-Angesicht mit sechs Überlebenden der Schoah. Offenbar mit einem Herzen voll von Scham beugte sich der Papst zu jedem Überlebenden, um ihr bzw. ihm die Hand zu küssen und so eine erhoffte und zugleich beschämte Nähe zum Ausdruck zu bringen. Franziskus erwies sich bei seinem Israel-Besuch als Mann des Gebets.

Dass seine Wertschätzung gegenüber dem Judentum eine eigene Dimension hat, wurde bei einer weiteren Begegnung deutlich. Aus Anlass des 50-jährigen Jubiläums von NA besuchten den Papst am 30. Juni 2015 Mitglieder des Internationalen Rates der Christen und Juden. Bei dieser Begegnung tat Franziskus seine Überzeugung kund, dass die Beziehung der katholischen Kirche zum jüdischen Volk und Judentum mit NA eine unwiderrufliche Wende zum Positiven genommen hat: »Dieses Dokument stellt ein endgültiges ›Ja‹ zu den jüdischen Wurzeln des Christentums und ein unwiderrufliches ›Nein‹ zum Antisemitismus dar.«.[29]

Franziskus setzte ein weiteres Zeichen der Verbundenheit mit seinem Besuch der Großen Synagoge von Rom am 17. Januar 2016.[30] Bei seiner Ansprache machte er deutlich, dass es bei der katholisch- jüdischen Beziehung nicht um eine bloße Wiederholung der Konzilsaussagen geht, sondern um deren Fortschreibung: »In der Tat verdient die theologische Dimension des jüdisch-katholischen Dialogs stets weitergehende Vertiefung«. Hier deutet sich ein programmatisches Verständnis des Konzils an, das aktuell in der Theologie als ein Charakteristikum des gegenwärtigen Pontifikats verstanden wird: nicht einfache Wiederholung, Re-interpretation und Eingrenzung des Konzils, sondern »ein neuer Beginn« des Konzils, die Erfüllung und Ausdehnung des Zweiten Vatikanums bzw. »Vorangehen« und Weiterent wicklung.[31] In seiner Ansprache an die römische Gemeinde zitierte er ein eigenes Wort über die Entwicklung der Beziehungen seit dem Konzil vom Herbst 2015: »Gleichgültigkeit und Gegnerschaft haben sich in Zusammenarbeit und Wohlwollen verwandelt. Von Feinden und Fremden sind wir zu Freunden und Brüdern geworden«.[32] Diese Feststellung unterstreicht die kirchliche Zurückweisung des Antisemitismus.

Die hier im Stenogramm vergegenwärtigte Wirkungsgeschichte der Konzilserklärung Nostra Aetate, Artikel 4, hat einen vieldimensionalen Prozess der Aufnahme und Weiterführung nachgezeichnet.

Zu dieser Wirkungsgeschichte gehört, dass NA auch in die Kirchen der Reformation hineinwirkte. Diese Feststellung soll jedoch den Einfluss evangelischer Aufbrüche wie etwa des rheinischen Synodalbeschlusses Zur Erneuerung des Verhältnisses von Christen und Juden von 1980[33] auf die katholische Kirche und Theologie in Deutschland nicht leugnen.

Für den deutschen Bereich ist die Pflege der zwischenkirchlichen Nähe in der Beziehung zum jüdischen Volk und Judentum und in der Zurückweisung antisemitischer Einstellungen eine Wirklichkeit und bleibende Aufgabe. Diese Nähe äußert sich etwa darin, dass die Deutschen Evangelischen Kirchentage und die Katholikentage bzw. – neben den theologischen Fakultäten – die evangelischen und katholischen Akademien wichtige Orte des theologischen Nachdenkens über das christlich-jüdische Verhältnis und über Kontroversen und antisemitische Äußerungen sind.

Im internationalen Vergleich drängt sich die Frage auf, ob die in anderen Ländern praktizierte Tradition des Tags des Judentums nicht doch auch von den deutschen Kirchen als ökumenisches Projekt realisiert werden kann. Immerhin ragt beim internationalen Blick eine deutsche Tradition seit 2006 heraus, der zufolge es in der Woche der Brüderlichkeit zu einem jährlichen Treffen von Vertreter/innen des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, der Deutschen Bischofskonferenz und der beiden deutschen Rabbinerkonferenzen kommt. Die Rabbinerkonferenzen erfahren hier eine öffentliche kirchliche Beachtung und Wertschätzung. Die Kirchen stehen mit innerer Überzeugung zu diesen Begegnungen. Bei diesem Forum der Begegnung werden in Freimut und Vertrauen grundlegende wie aktuelle Fragen der christlich-jüdischen Beziehung in Deutschland erörtert und aufkommende Äußerungen eines Antijudaismus bzw. Antisemitismus aufgegriffen.[34] Diese Tradition der Woche der Brüderlichkeit ist ein sprechendes Beispiel für den eingangs zitierten Befund von Johannes Heil:

»Insgesamt gab es einen unvorstellbaren Fortschritt bei der wechselseitigen Wahrnehmung und Anerkennung.«

[1] Der Begriff des Antisemitismus steht im Allgemeinen für eine Vielfalt von Ablehnungen des Judentums. Jüngst hat sich die deutsche Bundesregierung einer internationalen Definition von Antisemitismus angeschlossen, um den Kampf gegen Antisemitismus zu unterstützen. Die Internationale Allianz für Holocaustgedenken (International Holocaust Remembrance Alliance | IHRA) hatte als Definition von Antisemitismus vorgelegt: »Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Juden, die sich als Hass gegenüber Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort oder Tat gegen jüdische oder nichtjüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen. Darüber hinaus kann auch der Staat Israel, der dabei als jüdisches Kollektiv verstanden wird, Ziel solcher Angriffe sein«, so nach: Artikel »Bundesregierung unterstützt internationale Arbeitsdefinition von Antisemitismus – 22.09.2017«, in: https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/ themen/kulturdialog/06-interkulturellerdialog/-/216610 (Zugriff am 08.10.2018).

[2] Didaktisch eindrucksvolle Flyer der Zurückweisung von Antisemitismus kommen aus der evangelischen Kirche, z.B.: Gemeinsamer Ausschuss »Kirche und Judentum« (Hg. im Auftrag der EKD, UEK und VELKD); Broschüre »Antisemitismus – Vorurteile, Ausgrenzungen, Projektionen. Und was wir dagegen tun können«, Hannover – September 2017. Vgl. https://www.ekd.de/ekd_de/ds_doc/2017_ Antisemitismus_WEB.pdf (Zugriff am 11.10.2018).

[3] Bundesministerium des Innern (Hg.) (2011): Antisemitismus in Deutschland. Erscheinungsformen, Bedingungen, Präventionsansätze. Bericht eines unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus, Berlin/Rostock, S. 92f. Es wurden Expertisen in Auftrag gegeben, die von kirchlichen Aufklärungsbestrebungen und Präventionsmaßnahmen berichten, zugleich aber darauf hinweisen, dass es keine empirischen Untersuchungen gibt, die Auskunft darüber geben würden, ob die offizielle Lehre auch bis zur Basis der Gemeinden und Gläubigen gelangt ist: Blum, Matthias (2011): Expertise »Katholische Kirche und Antisemitismus« (Manuskript) zur Vorlage beim Bundesministerium des Inneren/Expertenkreis Antisemitismus, Berlin. Und vgl. Scherr, Albert (2011): Expertise »Verbreitung von Stereotypen über Juden und antisemitischer Vorurteile in der evangelischen Kirche« (Manuskript), Freiburg. Beide Expertisen enthalten zahlreiche Literaturhinweise.

[4] Der Judaist Johannes Heil im Interview: Was hilft gegen Antisemitismus? Vgl. https://www.herder.de/cig/cig-ausgaben/ archiv/2018/21-2018/was-hilft-gegen-antisemitismus/ (31. Mai 2018).

[5] Renz, Andreas (2014): Die katholische Kirche und der interreligiöse Dialog. 50 Jahre »Nostra aetate«. Vorgeschichte, Kommentar, Rezeption, Stuttgart, S. 161– 208.

[6] Dies wurde in den Diskussionen und Publikationen etwa zum 40-jährigen Jubiläum von NA festgestellt; vgl. nur Henrix, Hans Hermann (Hg.) (2006): Nostra Aetate – Ein zukunftsweisender Konzilstext. Die Haltung der Kirche zum Judentum 40 Jahre danach, Aachen. Und es wurde bei den theologischen Konferenzen oder Konsultationen zum 50-jährigen Jubiläum von NA bekräftigt, vgl. nur: Boschki, Reinhold; Wohlmuth, Joseph (Hg.) (2015): Nostra Aetate 4. Wendepunkt im Verhältnis von Kirche und Judentum – bleibende Herausforderung für die Theologie, Paderborn. Schreiber, Stefan; Schumacher, Thomas (Hg.) (2015): Antijudaismen in der Exegese? Eine Diskussion 50 Jahre nach »Nostra Aetate«, Freiburg. Böttigheimer, Christoph; Dausner, René (Hg.) (2016): Vaticanum 21. Die bleibenden Aufgaben des Zweiten Vatikanischen Konzils im 21. Jahrhundert, Freiburg. Petschnigg, Edith; Fischer, Irmtraud (Hg.) (2016): Der »jüdisch-christliche« Dialog veränderte die Theologie. Ein Paradigmenwechsel aus ExpertInnensicht, Wien. »Ein neues Klima« – Rezeptionsgeschichte des Zweiten Vatikanischen Konzils in Ost- und Mitteleuropa, in: Kirchliche Zeitgeschichte 29/2. Müller, Chistof; Förster, Guntram (Hg.) (2018): Augustinus – Christentum – Judentum. Ausgewählte Stationen einer Problemgeschichte. Beiträge des 13. Würzburger Augustinus-Studientages vom 12./13. November 2015, Würzburg.

[7] Siebenrock, Roman (2005): Theologischer Kommentar zur Erklärung über die Haltung der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen Nostra aetate, in: Hünermann, Peter; Hilberath, Bernd (Hg.): Herders Theologischer Kommentar zum Zweiten Vatikanischen Konzil 3, Freiburg, S. 591– 693, S. 667.

[8] Sonderheft »To the Memory of Cornelis Adriaan Rijk«, Journal of the Service International de Documentation Judéo- Chrétienne 1979. Sowie Cardinal Jorge Maria Mejía (2007): The Creation and Work of the Commission for Religious Relations with the Jews, in: Cunningham, Philip; Hofmann, Norbert; Sievers, Joseph (Hg.): The Catholic Church and the Jewish People. Recent Reflections from Rome, New York, S. 152 –158, S. 252–254.

[9] Vgl. Rendtorff, Rolf; Henrix, Hans Hermann (Hg.) (2001): Die Kirchen und das Judentum I. Dokumente von 1945 bis 1985, Paderborn/Gütersloh. (im Folgenden: KuJ I), S. 48 –53 (Zitate daraus mit Seitenzahlen in Klammern verifiziert).

[10] Kirchberg, Julia (1991): Theologie in der Anrede als Weg zur Verständigung zwischen Juden und Christen, Innsbruck, S. 32 – 34, und Renz, Andreas, ebd., S. 179.

[11] So mit Wohlmuth, Josef (2006): Vierzig Jahre Nostra Aetate – Versuch einer theologischen Bilanz, in: Hans Hermann Henrix (Hg.): Nostra Aetate – ein zukunftsweisender Konzilstext, Aachen, S. 33 – 57, hier S. 36.

[12] KuJ I, S. 92 –103 (Zitate daraus mit Seitenzahlen in Klammern verifiziert).

[13] Zur weiteren Analyse dieses Dokumentes siehe die Einführung und Analyse des Autors in Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hg.) (24.06.1985): Hinweise für eine richtige Darstellung von Juden und Judentum in der Predigt und in der Katechese der katholischen Kirchen, Arbeitshilfen 44, Bonn, S. 12 – 44.

[14] Text von »Wir erinnern: Eine Reflexion über die Schoa«, in: Henrix; Hans Hermann; Kraus, Wolfgang (Hg.) (2001): Die Kirchen und das Judentum II, Dokumente von 1986 bis 2000, Paderborn/Gütersloh (nachfolgend zitiert: KuJ II), S. 110 –119, und Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hg.) (10.12.2015): Denn unwiderruflich sind Gnade und Berufung, die Gott gewährt (Röm 11,29). Reflexionen zu theologischen Fragestellungen in den katholisch-jüdischen Beziehungen aus Anlass des 50-jährigen Jubiläums von Nostra aetate, Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 203, Bonn.

[15] Päpstliche Bibelkommission (Hg.) (24.05.2001): Das jüdische Volk und seine Heilige Schrift in der christlichen Bibel, Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 152, Bon. Das Dokument wird im fortlaufenden Text mit der jeweiligen Nummer und Seitenzahl zitiert.

[16] Christoph Dohmen (Hg.) (2003): In Gottes Volk eingebunden. Jüdisch-christliche Blickpunkte zum Dokument der Päpstlichen Bibelkommission »Das jüdische Volk und seine Heilige Schrift in der christlichen Bibel«, Stuttgart.

[17] Johannes Paul II.: Ansprache an den Zentralrat der Juden in Deutschland und die Rabbinerkonferenz am 17. November 1980 in Mainz, in: KuJ I, S. 74 –77, S. 75.

[18] Vgl. nur: Dalin, David; Levering, Matthew (Hg.) (2008): John Paul II and the Jewish People. A Jewish-Christian Dialogue, Lanham/Maryland. Henrix, Hans Hermann (2008): Judentum und Christentum: Gemeinschaft wider Willen, Regensburg, S. 69 – 81, S. 101–105. Ders. (2012): Zuspruch aus fremden Quellen. Begegnungen mit Persönlichkeiten aus Judentum und Christentum, Kevelaer, S. 88 –101.

[19] Joseph Kardinal Ratzinger/Benedikt XVI. (2007): Jesus von Nazareth. Erster Teil von der Taufe im Jordan bis zur Verklärung, Freiburg.

[20] Dazu vgl. Homolka, Walter; Zenger, Erich (Hg.) (2008): »…damit sie Jesus Christus erkennen«. Die neue Karfreitagsfürbitte für die Juden, Freiburg. Sowie Henrix, Hans Hermann (2008): The Controversy Surrounding the 2008 Good Friday Prayer in Europe: The Discussion and its Theological Implications, in: Studies on Christian-Jewish Relations III, S. 1–19.

[21] Vgl. die deutsche Übersetzung seiner Ansprache dort in: http://www.vatican.va/holy_father/benedict_xvi/speeches/ 2010/january/documents/hf_ben-xvi_spe_20100117_ sinagoga_ge.html.

[22] Dies beförderte der emeritierte Papst 2018 mit der Veröffentlichung eines Artikels »Gnade und Berufung ohne Reue. Anmerkungen zum Traktat ›De Iudaeis‹«, in: Internationale katholische Zeitschrift Communio 47, S. 316 – 335. Diesem Artikel folgte eine heftige Kontroverse; vgl. dazu: Rutishauser, Christian (2018): Der nie gekündigte Bund. Benedikt XVI./Joseph Ratzinger irritiert den jüdisch-katholischen Dialog, in: Stimmen der Zeit 143, S. 673 – 682.

[23] Franziskus, Schreiben an Dr. Riccardo Di Segni, Oberrabbiner von Rom, vom 13. März 2013, in: http://www.ccjr.us/dialogika-resources/documents-andstatements/ roman-catholic/francis/1206-f2013march13 (03.08.2013).

[24] Franziskus, Ansprache an die Delegation des Internationalen jüdischen Komitees für interreligiöse Beziehungen am 24. Juni 2013, in: https://uni-tuebingen.de/index.php?eID=tx_securedownloads&p=104790&u=0&g=0&t=1539277688&hash=6131baf2e21c8cf37349efce98a65ab6e9f3a03b&file=/fileadmin/Uni_Tuebingen/Fakultaeten/Kath-Theol/Lehrst%C3%BChle/Religionsp%C3%A4dagogik/Nostra_Aetate/Online-Publikation/K.I_Vatikan/K.I._13-06-24.pdf   (03.08.2013).

[25] Vgl.: Joint Statement of the 22nd International Catholic- Jewish Liaison Committee Meeting: http://www.jcrelations.com/Joint_Statement_of_the_22nd_ International_Catholic-Jewish_Liaison_Committee_Meet. 4418.0.html?L=3 (15.11.2017).

[26] Apostolisches Schreiben »Evangelii gaudium« des Heiligen Vaters Papst Franziskus an die Bischöfe, an die Priester und Diakone, an die Personen geweihten Lebens über die Verkündigung des Evangeliums in der Welt von heute – 24.11.2013, Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 194, Bonn, S. 167f.

[27] Hoff, Gregor Maria (2018): Gegen den Uhrzeigersinn. Ekklesiologie kirchlicher Gegenwarten, Paderborn, S. 124.

[28] Franziskus, Worte beim Besuch der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem am 26. Mai, in: http://w2.vatican.va/content/francesco/de/travels/2014/ outside/documents/papa-francesco-terra-santa-2014.html (30.01.2015). Vgl. zum Israelbesuch insgesamt: Henrix, Hans Hermann (2014): Die Reise eines Beters und Friedensmahners. Papst Franziskus im Heiligen Land. Der neue Papst weckt Zuversicht, in: Kirche und Israel 29, S. 150 –162.

[29] Papst Franziskus, Ansprache an die Teilnehmer der internationalen Studientagung des »International Council of Christians and Jews«, in: http://w2.vatican.va/content/francesco/ en/speeches/2015/june/documents/papa-francesco_ 20150630_iccj.html (22.07.2015); eigene Übersetzung.

[30] Vgl. Henrix, Hans Hermann (2016): Ein unauflösliches Band. Zum Besuch von Papst Franziskus in der Großen Synagoge Roms am 17. Januar 2016, in: Kirche und Israel 31, S. 59 – 68.

[31] So Faggioli, Massimo (2016): Francis and the New Beginning of Vatican II – Challenges and Prospects, in: Böttigheimer; Dausner (Hg.): Vaticanum 21, S. 29 – 37, hier S. 30.

[32] Vgl. die Ansprache von Papst Franziskus 2016 in: Kirche und Israel 31, S. 87– 90.

[33] Den Text siehe in: KuJ I, S. 593– 596.

[34] So war das Treffen vom 7. März 2016 in Hannover dem Anliegen eines gemeinsamen Entgegentretens von EKD, Bischofskonferenz und Rabbinerkonferenz gegen antisemitische Vorkommnisse gewidmet: Pressemitteilung vom 7. März 2016, »Juden und Christen wollen gemeinsam Fremdenhass und Antisemitismus entgegentreten«, in: https://www.ekd.de/8509.htm (11.10.2018). Das Treffen vom 12. März 2018 setzte sich zum Beispiel mit den Herausforderungen des Rechtspopulismus auseinander: »›Wenn Populismus populär wird‹. Treffen von Kirchenvertretern und Rabbinern in Recklinghausen«: https://www.ekd.de/treffen-von-kirchenvertretern-inrecklinghausen-33127.htm (04.08.2018). Themen früherer Treffen sind zugänglich unter: http://www.deutscher-koordinierungsrat.de/ dkr-media-texte-bischoefe-rabbiner (04.08.2018).

Editorische Anmerkungen

Quelle: Zeitschrift für christlich-jüdische Begegnung im Kontext (ZfBeg), Nr.3/2018. Mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers.