Ökumenische Erwägungen zum Dialog und zu den Beziehungen mit Menschen anderer Religionen

30 Jahre Dialog und überarbeitete Leitlinien

Ökumenischer Rat der Kirchen

Ökumenische Erwägungen

zum Dialog und zu den Beziehungen mit Menschen anderer Religionen

30 Jahre Dialog und überarbeitete Leitlinien

Einleitung

1. Von Anbeginn hat die Kirche bekannt, dass Gott die Welt mit sich selbst durch Jesus Christus versöhnt. Im Laufe ihrer Geschichte hat die Kirche immer versucht, die Grundlagen ihres Glaubens auszulegen und auf ihre konkreten Lebenssituationen anzuwenden. Als die Urgemeinde sich von einem Teil der jüdischen Tradition zu einer Kirche der Juden und Heiden entwickelte und aus ihren griechisch-römischen Wurzeln in andere Kulturen und Regionen der Welt hineinwuchs, musste sie immer wieder neu über ihr Selbstverständnis nachdenken. Heute ist die Kirche ständig aufgerufen, ihre Glieder zu befähigen, Beziehungen zu Menschen mit anderen Glaubenstraditionen einzugehen und als Zeugen mit diesen anderen Menschen zusammenzuleben.

2. Getreu dieser Vision hat der Ökumenische Rat der Kirchen in Chiang Mai in Thailand im Jahr 1979 die „Leitlinien zum Dialog mit Menschen verschiedener Religionen und Ideologien” entwickelt. Wir bekräftigen den Wert dieser Leitlinien, die von den Kirchen weit verbreitet und umfassend kommentiert worden sind. Wir können allerdings mittlerweile auf dreißig Jahre Erfahrung mit interreligiösen Beziehungen und Dialog zurückblicken und sind daher in der Lage, auf der Grundlage des Erreichten bzw. Versuchten weitere Fortschritte zu erzielen. Seit der Herausgabe der Leitlinien im Jahr 1979, hat die ökumenische Bewegung viel unternommen, um die Beziehungen und den Dialog zwischen den Religionen zu erleichtern; andererseits sind aber auch die Erwartungen an die Ergebnisse unserer Anstrengungen gestiege.


3. In den letzten Jahren haben die Mitgliedskirchen neue, dem heutigen Kontext entsprechende Leitlinien zu den Beziehungen und zum Dialog zwischen den Religionen verlangt. Mehr als je zuvor wächst unser Bedürfnis nicht nur nach Dialog mit Menschen anderen Glaubens, sondern auch nach echten Beziehungen zu ihnen. Das zunehmende Bewusstsein für die religiöse Pluralität, die Rolle, die die Religion bei Konflikten spielen kann, und ihre zunehmende Bedeutung im öffentlichen Leben stellen dringende Herausforderungen dar, die ein größeres gegenseitiges Verständnis und intensivere Zusammenarbeit unter den Menschen verschiedenen Glaubens erfordern.


4. Aus einer globalen Sichtweise heraus sprechen wir als Christen aus unterschiedlichen Traditionen zu den Mitgliedskirchen. Wir hoffen, dass die lokalen Kirchen diese ökumenischen Erwägungen studieren, diskutieren und an ihre eigenen Kontexte anpassen werden. Dabei sollten die Christen versuchen, weitere Schritte zu tun, um in Zusammenarbeit mit den Nächsten anderer religiöser Traditionen gemeinsame Leitlinien für die Beziehungen und den Dialog zu entwerfen, die von allen als erhellend und weiterführend empfunden werden und es ihnen erlauben, sich auf den Weg des Vertrauens und des Aufbaus von Gemeinschaft zu begeben.

Interreligiöse Beziehungen und Dialog heute

5. Mit dem Bewusstsein für die religiöse Pluralität ist auch die Notwendigkeit gewachsen, die Beziehungen und den Dialog unter den Menschen verschiedenen Glaubens zu verbessern. Größere Mobilität, massive Flüchtlingsbewegungen und Migration aus wirtschaftlichen Gründen haben dazu geführt, dass heute mehr Menschen unterschiedlichen Glaubens als je zuvor Seite an Seite leben. Wenn Möglichkeiten für Dialog und Begegnung existieren, gibt es auch Chancen, das Wissen und das Bewusstsein unter den Menschen verschiedener Religionen zu fördern. Leider wird eine Vertiefung der Beziehungen zwischen den Gemeinschaften manchmal durch Spannungen und Angst beeinträchtigt. Viele Gemeinschaften sehen diese Spannungen als Bestätigung dafür, dass ihre eigene Identität und Unterschiedlichkeit geschützt werden muss. Manchmal verschwimmen die Unterschiede zwischen legitimer Suche nach Identität und Feindseligkeit gegenüber Nachbarn anderer Glaubensrichtungen und Kulturen. Überall auf der Welt lässt sich unter den Gläubigen der großen religiösen Traditionen eine zunehmende Einflussnahme von Bewegungen und Anführern beobachten, die ihre Anhänger im Namen der Bewahrung einer bestimmten Identität mobilisieren, die als bedroht wahrgenommen wird. Häufig wird ein solches Identitätsverständnis zur exklusiven Grundlage für die Schaffung einer neuen Gesellschafts-ordnung gemacht, die bestimmt wird von einer selektiven Auswahl von Lehr- und Glaubensaussagen sowie religiöser Praktiken aus einer sakralisierten Vergangenheit.


6. Wo religiöse Vielfalt Anlass zu Spannungen zwischen Gemeinschaften gibt, können religiöse Empfindungen auch missbraucht werden. Religion ist oft Ausdruck der tiefsten Gefühle und Empfindsamkeiten von Menschen und Gemeinschaften; sie ist Träger tief verwurzelter historischer Erinnerungen und kann an eine unkritische konfessionelle Solidarität appellieren. Religion gilt manchmal als Ursache von Konflikten, aber tatsächlich dürfte es eher so sein, dass sie bestehende Konflikte verschärft. Interreligiöse Beziehungen und Dialog sollen dazu beitragen, die Religion von dieser Art des Missbrauchs zu befreien, und religiösen Menschen die Möglichkeit bieten, gemeinsam für Heilung und Versöhnung zu wirken.


7. Nur allzu oft werden religiöse Identitäten in Konflikte und Gewalt hineingezogen. In einigen Teilen der Welt wird Religion immer stärker mit Ethnizität gleichgesetzt, wodurch ethnische Konflikte religiöse Komponenten erhalten. In anderen Situationen ist die Beziehung zwischen der religiösen Identität und der Macht so eng, dass Gemeinschaften, die keine Macht besitzen oder die diskriminiert werden, die Religion als eine Kraft betrachten, mit der sie ihren Dissens und Protest mobilisieren können. Diese Konflikte können wie Konflikte zwischen religiösen Gemeinschaften aussehen bzw. als solche dargestellt werden und damit die Situation polarisieren. Religiöse Gemeinschaften sind oft Erben tiefer Spaltungen, von Hass und von Feindschaft, die meist von Generation zu Generation weitergegeben werden. Wenn die Gemeinschaften sich selbst ausschließlich über ihre Religion identifizieren oder von anderen über die Religion identifiziert werden, kann die Situation explosiv werden und sogar Gemeinschaften auseinander reißen, die seit Jahrhunderten in Frieden miteinander gelebt haben. Interreligiöse Beziehungen und Dialog haben die Aufgabe, verhindern zu helfen, dass die Religion zur Verwerfungslinie zwischen Gemeinschaften wird.


8. Polarisierungen zwischen religiösen Gemeinschaften weltweit zu verhindern ist wichtiger als je zuvor. Aufgrund der medialen Vermittlung neigen die Menschen dazu, einen Konflikt an einem Ort als Teil eines Konfliktes an einem anderen wahrzunehmen, was dazu führt, dass Feindschaften in einer Region auf andere Regionen übergreifen. Ein Akt der Gewalt an einem Ort wird benutzt, um das Klischee des „Feindes“ an einem anderen Ort zu bestätigen oder sogar Racheakte anderswo in der Welt zu provozieren. Die Konfliktsituationen müssen daher ent-globalisiert und jeder Konflikt in seinem eigenen Kontext analysiert werden. Die Betonung der Besonderheit jedes Kontextes sollte gläubige Menschen in anderen Teilen der Welt nicht davon abhalten, sich betroffen zu fühlen oder einzumischen. Interreligiöses Engagement an einem Ort kann tatsächlich ein wichtiger Beitrag zur Friedensstiftung und Versöhnung an einem anderen Ort sein.


9. In vielen Ländern spielt die Religion im öffentlichen Leben eine immer wichtigere Rolle; das erfordert ein größeres Verständnis und intensivere Zusammenarbeit zwischen den Religionen. Religiöse Führer werden von staatlichen und nicht-staatlichen Organisationen aufgerufen, sich öffentlichen Fragen der Moral und der Ethik zu stellen. Aber um kollektiv und mit moralischer Autorität sprechen zu können, müssen die religiösen Gemeinschaften ihre gemeinsamen Werte identifizieren, entscheiden, inwieweit sie mit einer Stimme sprechen können, und darüber diskutieren, wie sie verhindern können, dass sie von politischen Kräften manipuliert werden.

Auf dem Weg zur religiösen Pluralität

10. Bei ihren Begegnungen mit Nachbarn anderer religiöser Traditionen haben viele Christen die Bedeutung des „gemeinsamen Menschseins“ vor Gott erfahren können. Diese Erfahrung wurzelt in der biblischen Aussage, dass Gott der Schöpfer und Bewahrer der gesamten Schöpfung ist. „Die Erde ist des Herrn und was darinnen ist, der Erdkreis und die darauf wohnen“ (Ps 24.1). Gott hat das Volk Israel zu Zeugen vor allen Völkern gerufen und dabei gleichzeitig bekräftigt, dass Gott der Gott aller Völker ist (2. Mose 19,5-6). Die eschatologischen Visionen in der Bibel nehmen vorweg, dass alle Völker zusammenkommen werden und dass die Schöpfung in der Fülle, die Gott für alle will, wiederhergestellt wird. Diese Überzeugung findet ihren Niederschlag in der Aussage, dass Gott sich selbst vor keinem Volk und zu keiner Zeit unbezeugt gelassen hat (Apg 14,17).


11. Wenn Christen in Beziehung zu Menschen mit anderen Glaubensüberzeugungen treten, müssen sie sich der Ambiguität religiöser Ausdrucksformen bewusst sein. In den religiösen Traditionen spiegeln sich zwar Weisheit, Liebe, Mitleid und das Leben der Heiligen wider, doch sind sie keinesfalls immun gegenüber Torheit, Boshaftigkeit und Sünde. Religiöse Traditionen und Institutionen unterstützen manchmal Systeme der Unterdrückung und der Ausgrenzung oder stellen sogar selbst solche Systeme dar. Will man religiöse Traditionen angemessen beurteilen, muss man sich auch mit deren Unfähigkeit beschäftigen, in Einklang mit ihren höchsten Idealen zu leben. Wir Christen müssen uns in besonderem Maße bewusst sein, dass – wie die Geschichte bezeugt - unsere eigene religiöse Tradition manchmal missbraucht worden ist, um die Bedeutung des Evangeliums, das wir verkünden sollen, zu verzerren.


12. Als Zeugen treten wir in interreligiöse Beziehungen und interreligiösen Dialog in treuem Festhalten an unseren Glauben ein. Der Kern des christlichen Glaubens ist der Glaube an den dreieinigen Gott. Wir bekräftigen, dass Gott, der Vater, der Schöpfer und Bewahrer der gesamten Schöpfung ist. Wir glauben, dass das Leben, der Tod und die Auferstehung Jesu Christi das Zentrum von Gottes Erlösungswerk für uns und für die Welt ist. Der Heilige Geist bestätigt uns in diesem Glauben, erneuert unser Leben und führt uns in alle Wahrheit.


13. Wir sind überzeugt, dass wir berufen sind, Gottes heilendes und versöhnendes Werk in Christus in der Welt zu bezeugen. Wir tun dies, indem wir demütig bekennen, dass wir die Wege, auf denen Gottes Erlösungswerk zur Vollendung gebracht wird, nicht genau kennen. Wir sehen jetzt durch einen Spiegel ein dunkles Bild, denn wir erkennen nur stückweise und wissen nicht genau, was Gott für uns bereithält (siehe 1. Kor 13,12-13).


14. Viele Christen finden es schwierig, die Realität anderer religiöser Traditionen zu verstehen oder kreativ darauf zu reagieren. Dennoch glauben wir als Christen, dass der Geist Gottes auf eine Art und Weise, die wir nicht begreifen können, am Werk ist (siehe Joh 3,8). Das Wirken des Geistes entzieht sich unseren Definitionen, Beschreibungen und Grenzen. Wir sollten uns bemühen, die Gegenwart des Geistes zu erkennen, wo es „Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut, Keuschheit“ gibt (Gal 5,22-23). Der Geist Gottes seufzt mit unserem Geist. Der Geist ist am Werk, um die Erlösung der gesamten geschaffenen Ordnung zu vollbringen (Röm 8,18-27).


15. Wir sind Zeugen in einer Welt, in der Gott nicht abwesend ist, und vor Menschen, die etwas über Gott zu sagen haben. Wir treffen mit Menschen zusammen, die bereits aus einem Glauben heraus leben, welcher ihr Leben bestimmt und in dem sie sich zu Hause fühlen. Wir legen vor ihnen Zeugnis ab in einem Geist und einer Spiritualität, die durch unseren christlichen Glauben geprägt ist. Christen müssen sich für das Zeugnis anderer öffnen, das nicht nur in Worten, sondern auch in gläubigen Taten abgelegt wird, in Hingabe an Gott, in selbstlosem Dienst und in der Verpflichtung zu Liebe und Gewaltlosigkeit.


16. Unser Zeugnis ist geprägt von Buße, Demut, Integrität und Hoffnung. Wir wissen, wie leicht wir Gottes Offenbarung in Jesus Christus missverstehen und sie in unseren Handlungen und dadurch, dass wir als Besitzer von Gottes Wahrheit statt als unwürdige Empfänger seiner Gnade auftreten, verraten können. Die Spiritualität, die Hingabe, das Mitleid und die Weisheit, die wir bei anderen sehen, lassen uns wenig Raum, unsere eigene moralische Überlegenheit zu behaupten. Während wir sehnsüchtig auf die Freiheit warten, die Gott für die gesamte Schöpfung will (Röm 8,19-21), können wir nicht anders, als andere an unserer Erfahrung und unserem Zeugnis teilhaben zu lassen und ihnen gleichzeitig zuzuhören, wenn sie ihren tiefsten Überzeugungen und Einsichten Ausdruck verleihen.


17. Im Dialog und in den Beziehungen zu Menschen mit anderem Glauben sind wir zu der Erkenntnis gelangt, dass das Geheimnis von Gottes Erlösung sich nicht in unseren theologischen Aussagen erschöpft.

Die Erlösung gehört Gott. Wir wagen es daher nicht, andere zu verurteilen. Während wir unseren eigenen Glauben bezeugen, versuchen wir zu verstehen, auf welchen Wegen Gott sein Werk vollenden will.

Die Erlösung gehört Gott. Wir fühlen uns daher in der Lage, unseren Dialogpartnern zu versichern, dass wir wir den aufrichtigen Wunsch haben, den Weg zur Fülle der Wahrheit gemeinsam mit ihnen zu gehen.

Die Erlösung gehört Gott. Wir bekennen uns daher mit Zuversicht zu dieser Hoffnung und wir sind allzeit bereit, Rechenschaft über diese Hoffnung abzulegen in unserem gemeinsamen Engagement und Wirken mit anderen in einer Welt, die durch Rivalitäten und Krieg, soziale Unterschiede und wirtschaftliche Ungleichheit zerrissen ist.

Leitsätze

18. Dialog muss ein Prozess gegenseitiger Befähigung sein, nicht eine Verhandlung zwischen Parteien, die gegensätzliche Interessen und Ansprüche vertreten. Die Dialogpartner sollten nicht durch Zwänge und Machtverhältnisse gebunden sein, sondern befähigt werden, sich gemeinsam für Gerechtigkeit, Frieden und konstruktives Handeln zum Wohle aller Menschen zu engagieren.


19. Im Dialog wachsen wir im Glauben. Für uns Christen führt die Beteiligung am Dialog zu einer ständigen Neubewertung unseres Verständnisses der biblischen und theologischen Tradition. Dialog bringt alle Gemeinschaften dazu, selbstkritisch zu sein und die Art und Weise, wie sie ihre Glaubenstradition interpretieren, neu zu überdenken. Dialog führt zu einer veränderten Glaubenserfahrung und hilft den Menschen, ihren Glauben zu vertiefen und in ihm auf unerwartete Weise zu wachsen.


20. Im Dialog bekräftigen wir die Hoffnung. Inmitten zahlreicher Spaltungen, Konflikte und Situationen der Gewalt gibt es auch die Hoffnung, dass es möglich ist, eine menschliche Gemeinschaft zu schaffen, die in Gerechtigkeit und Frieden lebt. Dialog ist kein Selbstzweck. Er ist ein Mittel, um Brücken zu bauen für gegenseitige Achtung und wechselseitiges Verständnis. Er ist eine freudige Bekräftigung des Lebens für alle.


21. Im Dialog pflegen wir Beziehungen. Beziehungen zu denen aufzubauen, die als „die anderen“ angesehen werden, ist das Ziel jeden Dialogs. Solche Beziehungen lassen sich allerdings nicht leicht und schnell aufbauen. Daher sind für die Praxis des Dialogs Geduld und Beharrlichkeit von entscheidender Bedeutung. Die Hartnäckigkeit, auch dann weiterzumachen, wenn die Früchte nicht gleich zu erkennen sind, ist eine der Grundvoraussetzungen für den Dialog.


22. Im Dialog müssen wir den Kontext beachten. Jeder Dialog findet in einem konkreten Umfeld statt. Das Bewusstsein für Realitäten, wie historische Erfahrung, wirtschaftlicher Hintergrund und politische Ideologien, ist von wesentlicher Bedeutung. Außerdem haben auch Unterschiede in der Kultur, im Geschlecht, in der Generation, Rasse und ethnischen Zugehörigkeit spürbare Auswirkungen auf die Art und den Stil der Interaktion. Wenn der Kontext ernst genommen wird, dann verfolgt der Dialog nicht den Zweck, die bestehenden Unterschiede zu beseitigen oder zu leugnen, sondern Zuversicht und Vertrauen über diese Unterschiede hinweg aufzubauen.


23. Im Dialog streben wir nach gegenseitiger Achtung. Die Dialogpartner haben die Pflicht, die jeweils anderen Partner ihr Verständnis des eigenen Glaubens darlegen zu lassen und ihnen zuzuhören. Vertrauen und Zuversicht entstehen, wenn die Partner sich selbst definieren können, keinen Proselytismus betreiben und die Möglichkeit haben, sich gegenseitig Fragen zu stellen und nötigenfalls gerechtfertigte Kritik zu üben. Diese Praxis fördert ein informiertes Verständnis des anderen, das zur Grundlage aller anderen Beziehungen werden kann.


24. Im Dialog muss die Integrität der religiösen Traditionen in der Vielfalt ihrer Strukturen und Organisationen geachtet werden. Genauso wichtig ist es, die Art und Weise anzuerkennen, in der die Teilnehmenden am Dialog ihre Beziehungen zur Gemeinschaft definieren. Einige bekräftigen ihr Recht und ihre Pflicht, für ihre Gemeinschaft zu sprechen. Andere würden es vorziehen, aus ihrer eigenen Erfahrung heraus zu sprechen.


25. Im Dialog müssen alle zusammenarbeiten. Alle Beteiligten müssen von Anfang an in den Planungsprozess einbezogen werden. Der Vorteil einer gemeinsamen Aufstellung der Agenda liegt darin, dass alle Partner diese Agenda akzeptieren und sich für ihre Umsetzung verantwortlich fühlen. Außerdem müssen für die Teilnahme und die regelmäßige Bewertung klare Ziele vorgegeben und Kriterien gemeinsam vereinbart werden.


26. Im Dialog streben wir nach Einbeziehung aller, denn der Dialog kann sich leicht zu einer elitären Aktivität entwickeln und auf bestimmte Gesellschaftsschichten begrenzt bleiben. Es sollte Wert darauf gelegt werden, dass der Dialog auf verschiedenen Ebenen stattfindet, zwischen verschiedenen Gruppen und zu Themen, die das Leben aller Teile der Gemeinschaft betreffen.

Praktische Überlegungen

27. Selbst wenn alle Seiten die besten Absichten haben, kann es sein, dass Einzelpersonen und Gemeinschaften bei interreligiösen Beziehungen und interreligiösem Dialog auf Probleme und Schwierigkeiten stoßen. Manchmal stößt der Aufruf zum Dialog sowohl innerhalb der eigenen Gemeinschaft als auch bei anderen religiösen Gemeinschaften auf Zögern, Misstrauen, Gleichgültigkeit oder Widerstand. Mitunter werden bei den interreligiösen Beziehungen auch Einstellungen vermittelt, die im Widerspruch zu den Werten stehen, die der Kultur und der Ethik des Dialogs innewohnen. In anderen Fällen kann es so aussehen, als würde das mögliche Ergebnis des Dialogs eine Beteiligung eigentlich nicht rechtfertigen. Außerdem sind auch noch andere Probleme genau zu untersuchen, von denen einige sich bei den jüngsten Diskussionen ergeben haben.


28. Oft wird erwartet, dass der Dialog wesentlich zur Lösung von politischen Konflikten oder Konflikten zwischen Gemeinschaften, bei denen die Religion anscheinend eine Rolle spielt, beitragen und den Frieden wiederherstellen kann. In einer Reihe von Ländern ist es Dialogpartnern möglich, über die religiöse Trennmauer hinweg in der konkreten Friedensstiftung zusammenzuarbeiten. In anderen Fällen werden religiöse Persönlichkeiten eingeladen, eine sichtbare Rolle in staatlich geförderten Friedensinitiativen zu spielen. Wer im Zusammenhang mit Konflikten zu hohe Erwartungen an den Dialog stellt, mag angesichts der Ergebnisse enttäuscht sein. Wenn der Dialog den Konflikt nicht zu lösen vermag, wird seine Relevanz für die Friedensstiftung in Frage gestellt. Allerdings ist der interreligiöse Dialog seinem Wesen nach kein Instrument zur Problemlösung in akuten Krisensituationen. Kontakte und Beziehungen, die auf dem durch geduldigen Dialog in Friedenszeiten aufgebauten wertvollen Vertrauen und der Freundschaft zwischen Menschen verschiedener Religionen beruhen, können in Zeiten des Konflikts verhindern, dass die Religion als Waffe benutzt wird. In vielen Fällen können solche Beziehungen den Weg für Schlichtungs- und Versöhnungsinitiativen ebnen. In Zeiten von Spannungen zwischen Gemeinschaften oder auf dem Höhepunkt einer Krise können die Kontakte über die Spaltungen hinweg ihren unschätzbarem Wert für den Aufbau des Friedens erweisen.


29. Zwar ist der Dialog seinem Wesen nach eine direkte Begegnung, aber auf jeder Seite gibt es dabei stets auch gewissermaßen unsichtbare Teilnehmer. Unsere Dialogpartner werden uns immer wieder dafür verantwortlich machen, was unsere Mit-Christen getan oder unterlassen haben, was sie gesagt oder nicht gesagt haben. Das ist in gewisser Weise unvermeidbar und manchmal sogar verständlich, und wir sind uns bewusst, dass es auch innerhalb der Religionen tief reichende Meinungsunterschiede gibt, und wir wissen, dass die Trennungslinien nicht immer zwischen den religiösen Gemeinschaften, sondern oft innerhalb dieser Gemeinschaften verlaufen. Die Differenzen sind nicht immer rein theologischer Art, sondern beziehen sich oft auch auf soziale, politische und moralische Fragen. Wir stehen aus verschiedenen Gründen manchmal im Widerspruch zu Menschen, mit denen wir unseren Glauben gemeinsam haben. Wir haben gelernt, dass religiöse Gemeinschaften sich nicht als monolithische Blöcke gegenüberstehen. Bei der Verteidigung der Interessen (oder der vermeintlichen Interessen) der eigenen Gemeinschaft sollte die Vielfalt der Positionen auf jeder Seite nicht ignoriert oder unterdrückt werden. Engagement für den Glauben bedeutet nicht, dass man sich mit allem identifiziert, was im Namen dieses Glaubens getan oder unterlassen wird. Daher sollten wir nicht defensiv reagieren, sondern zuversichtlich bleiben, dass der Dialog das Potenzial hat, tief verwurzelte Meinungen oder Vorurteile zu verändern.


30. In vielen religiösen Gemeinschaften begegnen wir Menschen, denen es vor allem auf das Wachstum ihrer eigenen Gemeinschaft durch verschiedene Formen der Mission, darunter auch Proselytismus, anzukommen scheint. Sie haben wenig Interesse am Dialog oder benutzen ihn vielleicht für ihre eigenen missionarischen Zwecke. Solche Situationen können für Menschen, die sich am Dialog beteiligen wollen, entmutigend sein. Ihre Enttäuschung lässt sie oft übersehen, dass es durchaus möglich ist, Partner innerhalb ihrer Gemeinschaft zu finden, die dieser Einstellung kritisch gegenüberstehen. Es ist wichtig, dass wir gerade solche Partner suchen und Möglichkeiten erkunden, wie die Glaubwürdigkeit des Dialogs wiederhergestellt werden kann und Menschen mit unterschiedlichen Positionen befähigt werden können, in Beziehungen einzutreten, die von gegenseitiger Achtung und Offenheit bei der Diskussion spaltungsträchtiger Fragen getragen werden.


31. Der Dialog kann verschiedene Ausdrucksformen annehmen, die verschiedene Aspekte des Lebens selbst widerspiegeln. Keine Ausdrucksform ist von vornherein besser als eine andere, und wir sollten beim Dialog nicht ein vorgefertigtes Modell anwenden oder einer vorgegebenen Hierarchie folgen, sondern das tun, was notwendig ist, und das anstreben, was möglich ist. In einigen Kontexten ist es leichter, über „kulturelle“ als über „religiöse“ Unterschiede zu diskutieren, auch wenn dabei durchaus Fragen religiöser Theorie und Praxis zur Sprache kommen können. Ebenso kann in den Fällen, in denen gezögert wird, einen Dialog über theologische Fragen zu beginnen, eine Zusammenarbeit bei „sozialen“ Anliegen möglich sein oder sogar starken Zuspruch finden.


32. Die Motivation für den Dialog kann manchmal von den Machtverhältnissen zwischen religiösen Gemeinschaften und der objektiven wie subjektiven Bedeutung zahlenmäßiger Unterschiede mitbestimmt werden. In vielen Ländern haben unterschiedliche religiöse Gemeinschaften die gleiche Sprache und oft auch die gleiche Kultur. In vielen Fällen werden ihren Mitgliedern offiziell die gleichen bürgerlichen und politischen Rechte gesetzlich garantiert, gleichzeitig aber diskriminierende Praktiken geübt, die das Misstrauen vergrößern und die Spaltung vertiefen. Die Vermischung von Politik und konfessionellen Identitäten, die in Gemeinschaftstraditionen verwurzelt sind, kann dazu führen, dass Gemeinschaften einander als Bedrohung betrachten. Dies gilt besonders in Zeiten der Unsicherheit oder wenn politische und verfassungsmäßige Veränderungen eintreten, die eine Neudefinition der Beziehungen zwischen Staat und Religion implizieren. Der interreligiöse Dialog darf nicht davor zurückschrecken, die Auswirkungen ungleicher Machtverteilung und die Wirkung der gegenseitigen Wahrnehmung – wie verzerrt diese auch sein mag - anzuerkennen. Die Relevanz der Initiativen zum Dialog hängt in starkem Maße davon ab, ob man sich bewusst und konzentriert bemüht, Angst und Misstrauen bei denen zu zerstreuen, die als Repräsentanten der religiösen Gemeinschaften gelten. Außerdem muss der interreligiöse Dialog die Möglichkeit schaffen, überkonfessionelle Loyalitäten zu stärken, und bei Diskussionen und gemeinsamem Handeln müssen Gemeinwohl und integrative politische Teilhabe immer im Mittelpunkt stehen.


33. Die Teilnahme an multireligiösen Andachten ist für viele Christen immer selbstverständlicher geworden. In konkreten Situationen des täglichen Lebens gibt es immer wieder Gelegenheiten, Menschen mit anderen Religionen zu begegnen. Dazu gehören interreligiöse Ehen, persönliche Freundschaften und das gemeinsame Gebet für einen gemeinsamen Zweck, für Frieden oder in besonderen Krisensituationen. Aber eine solche Gelegenheit kann auch ein nationaler Feiertag sein, ein religiöses Fest, eine Schulversammlung oder andere Versammlungen im Zusammenhang mit interreligiösen Beziehungen und Dialog. Es gibt verschiedene Formen des Gebets, die von Menschen mit verschiedenen Religionen praktiziert werden können. Christen können zu Gottesdiensten an anderen Orten eingeladen werden, wo sie den Praktiken dieser Tradition mit Respekt begegnen sollten. Christen können Gäste anderer Religionen zu einem Gottesdienst einladen und dabei für einen gastfreundlichen Empfang sorgen. Das multireligiöse Gebet stellt die Gebete verschiedener Traditionen nebeneinander. Ein Vorteil dieser Form des Gebets ist, dass die Vielseitigkeit und die Integrität jeder Tradition anerkannt werden und dass wir in Gegenwart des anderen beten. Ein Nachteil kann sein, dass für eine Seite nur die Zuschauerrolle bleibt. Die gemeinsame interreligiöse Andacht bietet die Gelegenheit, dass Menschen verschiedener Religion ein gemeinsames Gebet zusammen planen, vorbereiten und daran teilnehmen. Es gibt allerdings Befürchtungen, dass damit das Gebet auf den kleinsten gemeinsamen Nenner reduziert und die einzigartige Spiritualität des Gebets jeder Religion beeinträchtigt werden könnte. Für andere ist ein solches Gebet ganz unmöglich. Und doch könnte das gemeinsame Gebet für einige eine spirituelle Bereicherung darstellen. Alle diese unterschiedlichen Reaktionen deuten darauf hin, dass ernsthafte Gespräche über diese Frage unter den Christen noch keine Selbstverständlichkeit sind.

Schlussfolgerung

34. In den zahlreichen pluralistischen Gesellschaften, in denen Christen und Menschen anderer Religionen leben, sind sie in einem Dialog des Lebens miteinander verbunden, mit allen Schwierigkeiten, aber auch allen Reichtümern und Verheißungen. Sie gewinnen neue Einsichten in ihren eigenen Glauben und den Glauben der anderen. Sie entdecken wieder Ressourcen, die ihnen helfen, menschlicher zu werden und die Welt zu einem besseren Ort für das Zusammenleben zu machen. Sie lernen, aufgeschlossener zu werden für die Bedürfnisse und die Bestrebungen anderer und gehorsamer gegenüber dem Willen Gottes für die gesamte Schöpfung.