Nein zur Judenmission - Ja zum Dialog zwischen Juden und Christen

Erklärung des Gesprächskreises "Juden und Christen"

beim Zentralkomitee der deutschen Katholiken 9. März 2009

Nein zur Judenmission - Ja zum Dialog zwischen Juden und Christen

I. Einführung

Eine fällige Stellungnahme

Für den Gesprächskreis "Juden und Christen" beim Zentralkomitee der deutschen Katholiken ist der konkrete Anlass zur erneuten Beschäftigung mit dem Thema der "Judenmission" die von Papst Benedikt XVI. am 5. Februar 2008 veröffentlichte Fassung der Karfreitagsfürbitte für die außerordentliche Form des römischen Messritus. Sie wurde von manchen Kreisen so verstanden, dass die katholische Kirche Judenmission für möglich hält. Wir hingegen betonen mit der Kirche des Zweiten Vatikanischen Konzils, dass der Bund Gottes mit dem jüdischen Volk einen Heilsweg zu Gott darstellt – auch ohne Anerkennung Jesu Christi und ohne das Sakrament der Taufe.

Es ist der Ertrag jüdisch-christlichen Gesprächs, dass Juden respektieren können, wenn Christen das Erlösungshandeln Gottes durch Jesus als grundlegend für ihre Weltsicht bezeugen. Christen vertreten heute gemeinsam mit Juden, dass das ethische Handeln aller Menschen einen Weg zu Gott eröffnet, jenseits der Glaubensunterschiede. Die Grenzlinie zwischen Juden und Christen liegt in der Vorstellung von der Menschwerdung des Sohnes Gottes und in der Trinitätslehre. Wann, wie und ob sich Juden und Christen auf ihrem Weg zum "Reich Gottes" begegnen, bleibt Gottes Geheimnis.

Freilich beobachten wir, dass heute immer noch christliche Gruppierungen in manchen Ländern, z. B. in den USA und in Israel, intensive Judenmission betreiben.

In dieser Situation sieht es der Gesprächskreis aus zwei Gründen als seine besondere Aufgabe an, nach seiner Erklärung vom 13. April 2005 (www.zdk.de) das Thema erneut aufzugreifen. Wir sind seit Jahrzehnten weltweit das einzige Gremium, in dem Juden und Katholiken in kontinuierlichem Austausch stehen und zu grundlegenden und aktuellen theologischen Themen gemeinsam Stellung nehmen. Hier sind Erfahrungen gemacht worden, die sonst nirgends möglich waren. Zudem wissen sich die christlichen Mitglieder des Gesprächskreises als Katholiken aus Deutschland in besonderer Weise verpflichtet, das Gedächtnis an die Schoa für die ganze Kirche wachzuhalten und die damit verbundenen Probleme zu reflektieren.

Um die Erklärung richtig zu verstehen, sei einleitend erläutert, wie wir die Begriffe "Dialog" und "Mission" verwenden.

Der Begriff Dialog

Dialog ist im Lauf der Geschichte auf verschiedene Weise definiert und verstanden worden.

  • Dialog stellt im griechischen Denken als Dialektik eine Methode der Wahrheitsfindung durch das Gespräch dar, das auch in offene Fragen (Aporien) münden kann. Im Mittelalter sind die Diskurse in Philosophie und Theologie ebenfalls vom wissenschaftlichen Ringen um Wahrheit bestimmt; auch die Auseinandersetzungen auf den Konzilien sind davon geprägt.
  • In der philosophischen "Dialogik" des 20. Jahrhunderts erhält das Wort Dialog – nicht zuletzt durch den Einfluss jüdischer Denker – eine zusätzliche Bedeutung. Das "neue Denken" (Franz Rosenzweig) beruht auf der ethischen Verpflichtung zum Dialog, der die Partner nur in freier Zustimmung nachkommen können. Sie stehen sich dabei entweder gleichrangig gegenüber (Martin Buber) oder sie begegnen einander unter der Devise der Priorität des Anderen, die bei Emanuel Levinas den Inbegriff des gewaltlosen Dialogs darstellt, von dem her auch das Gebot der Nächstenliebe zu verstehen ist.
  • Der Einfluss des dialogischen Denkens auf die christliche Theologie der Gegenwart ist nicht zu unterschätzen. Sowohl das Zweite Vatikanische Konzil als auch die Enzyklika Papst Pauls VI. Ecclesiam suam (1964) haben dem Dialog eine große Bedeutung zugemessen. Deshalb spricht man heute mit Recht vom ökumenischen, jüdisch-christlichen und interreligiösen Dialog Er geht von der Pluralität gelebter Überzeugungen aus, wird auf gleicher Augenhöhe geführt und ist von der gegenseitigen Anerkennung der Partner geprägt, was den Streit über Strittiges keineswegs ausschließt. So schafft der Dialog Raum, vom Anderen her die eigenen Glaubensüberzeugungen zu vertiefen und trotz fortdauernder und keineswegs geringerer Gegensätze jene Gemeinsamkeiten zu entdecken, die das menschliche Zusammenleben und die verantwortliche Mitgestaltung der Gesellschaft ermöglichen. Dabei wird ein nicht zu unterschätzendes Potential des Friedens freigelegt.

Der jüdisch-christliche Dialog hat sich seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil (Nostra aetate, 4) als sehr fruchtbar erwiesen. Es zeigt sich immer deutlicher, dass dieser Dialog aufgrund der einen Offenbarung Gottes, von der her sich das Judentum und die christliche Kirche je auf ihre Weise verstehen, die Grundlagen für alle Formen des interreligiösen Dialogs darstellt. Deshalb darf es für Christen keinen interreligiösen Dialog geben, der das einzigartige Verhältnis von Juden und Christen nicht eigens berücksichtigt.

Der Begriff Mission

Auch der Missionsbegriff hat im Lauf der Geschichte eine vertiefende Entwicklung erfahren.

  • Der frühere theologische Missionsbegriff besagt, dass die Kirche in ihrer Mission den Auftrag Jesu wahrnimmt, allen Menschen seine Botschaft zu verkünden und sie zu taufen. So werden sie von Schuld befreit und können ihr endgültiges Heil gewinnen. Dieser Auftrag zur Mission zielt in eine zweifache Richtung. Er gilt außerhalb der Kirche für Nichtchristen, die das Christentum in der Taufe als Glauben und Lebenspraxis annehmen sollen. Er gilt innerhalb der Kirche für alle Getauften, die sich immer neu mit ihrem Glauben und ihrer Lebenspraxis befassen müssen. Das Zweite Vatikanische Konzil hat den allgemeinen Heilswillen Gottes von Neuem nachdrücklich betont und lehrt in Übereinstimmung mit älteren kirchlichen Traditionen, dass auch Menschen ohne Taufe das Heil erlangen können, wenn sie dem Ruf ihres Gewissens Folge leisten.
  • Dieser Missionsbegriff ist auf die Juden nicht anwendbar, weil er dem einzigartigen Verhältniss zwischen Juden und Christen nicht gerecht wird. Denn das Christentum lebt mit dem Judentum in einer besonderen Beziehung, die es so für alle anderen Menschen und für die anderen Religionen nicht gibt. Die Konsequenzen für die Judenmission, die in der Kirche noch nicht hinreichend durchdacht worden sind, will der Gesprächskreis in dieser Erklärung theologisch neu bedenken.
  • Er ist sich dabei bewusst, dass der Verzicht auf die Judenmission sehr wohl zulässt, ja fordert, dass Christen vor Juden und Juden vor Christen von ihrem Glauben Zeugnis geben. Ohne dieses gegenseitige Zeugnis wäre ein religiöser und theologischer Dialog nicht möglich. Ebenso ergeht an Juden und Christen in gleicher Weise der ständige Ruf zur Umkehr (hebräisch: teschuwa; griechisch: metanoia) und zur Befolgung der Gebote, vor allem des Liebesgebotes, das sowohl in Leben und Lehre des Judentums wie in Leben und Lehre Jesu von Nazaret eine zentrale Stelle einnimmt.

II. Das jüdische Nein zur Judenmission

Dem Gedanken der christlichen Mission lag viele Jahrhunderte die Annahme zu Grunde, dass der Mensch mit dem Makel der "Erbsünde" geboren werde, der nur durch die Taufe zu tilgen sei. Deshalb könne der Mensch im ungetauften Zustand das Heil nicht erlangen. Diese Lehre hatte die Formel "Außerhalb der Kirche kein Heil" zur Konsequenz.

1. Das rabbinische Menschenbild

In der jüdischen Tradition stellte sich dieser Sachverhalt schon immer anders dar. Der nicht-jüdische Mensch muss nicht Jude werden, um einen angeborenen, heilsverhindernden Makel abzuwenden und so Anteil an der kommenden Welt zu erlangen.

Gleich zu Beginn der Tora wird der Mensch als die "Krönung der göttlichen Schöpfung" beschrieben. Auf die Frage, welche Bedeutung die Erzählung des ersten Menschen (hebräisch: adam harischon) für uns beinhaltet, antwortet der Talmud: "Um dir zu erklären, dass derjenige, der ein Menschenleben zerstört, eine ganze Welt zerstört, und derjenige, der ein Menschenleben rettet, eine ganze Welt rettet" (Mischna, Sanhedrin IV,5). Eine weitere Deutung lautet: "Und [es ist] wegen des Friedens der Geschöpfe, auf dass nicht ein Mensch zum anderen sagt: Mein Vater ist größer als dein Vater" (ebd.). Nicht nur das Leben selbst ist schützens- und achtenswert, sondern auch die grundsätzliche Gleichheit der Menschen als Geschöpfe Gottes.

Das oft zitierte biblische Gebot "Liebe deinen Nächsten wie dich selbst!" (Lev 19,18) wird in der jüdischen Tradition zunächst durch andere Übersetzungen ausgelegt wie "Liebe deinen Nächsten, denn er ist wie du" (Martin Buber/Franz Rosenzweig). Auch wird dieser Satz meist nur teilweise zitiert; vollständig lautet er "Liebe deinen Nächsten, denn er ist wie du. Ich bin der Ewige." Die Rabbinen fragen sodann nach der Verbindung der beiden Satzteile. Da der Mensch im Ebenbild Gottes geschaffen wurde (Gen 1,26f; 2,7), ergibt sich für sie die Deutung: Liebe deinen Nächsten, denn er ist so wie du: eine Schöpfung Gottes. Weil Gott jeden Menschen geschaffen hat, ist auch dein Nächster eine Schöpfung von dem Einen Höchsten. Deshalb hat er auch ein Anrecht darauf, von dir so geliebt zu werden, wie du Gott selbst liebst. Denn es ist gerade dieses Ebenbild in jedem Menschen, das ihn liebenswert macht.

Des Weiteren muss man sich fragen, wer denn der Nächste sei: Bezieht sich dieser Satz nur auf die Volksgenossen, auf meine Religionsangehörigen oder gar nur auf die Allernächsten, die eigene Familie? Darauf antworten die Weisen, dem sei nicht so, denn es gibt einen Parallelsatz: "Gleich dem Einheimischen unter euch sei euch der Fremde, der bei euch weilt, und du sollst ihn lieben wie dich selbst; denn ihr seid selbst Fremde in Ägypten gewesen. Ich bin der Ewige, euer Gott" (Lev 19,34). Genauso wie du deinen Nächsten lieben sollst, der im Abbild Gottes geschaffen wurde, sollst du aus dem selben Grund auch den Fremden, den also, der nicht zu deiner Gruppe und nicht zu deinen engsten Vertrauten gehört, lieben und achten. Daraus folgt nach rabbinischer Lehre, dass der Mensch ohne Fehler geboren wird. Gleichwohl ist jeder Mensch sowohl mit dem guten als auch dem bösen Trieb ausgestattet. Aber er hat die Möglichkeit, sich des bösen Triebes zu erwehren. Und für den Fall, dass er sündigt, hat er die Möglichkeit, durch den Prozess der Umkehr (hebräisch: teschuwa) zu Gott zurückzukehren, ohne dafür einen Erlöser zu benötigen.

2. Zeugnis für den Willen Gottes ohne Werbung für das Judentum

Aus jüdischer Sicht gibt es keinen Grund, andere zum Judentum zu bekehren. Um zu den "Frommen unter den Völkern" gezählt zu werden und Anteil an der kommenden Welt zu erhalten, reicht es, dass die Menschen sich an den Bund halten, den Gott nach der Flut mit Noach und seinen Söhnen, also den Ahnen der gesamten überlebenden Menschheit, geschlossen hat (Gen 9,8-17). In der rabbinischen Literatur (Babylonischer Talmud, Awoda Sara 64b; Sanhedrin 56b) wird dieser Bund so verstanden, dass Gott der Menschheit sieben Gebote auferlegte: die Pflicht, Gerichtshöfe einzurichten, sowie das Verbot von Mord, Unzucht, Blasphemie, Raub und Brutalität gegen Tiere. Von diesen Noachidischen Geboten sollen die Juden vor aller Welt Zeugnis ablegen. Denn sie wissen sich von Gott beauftragt, "ein Licht für die Völker" (hebräisch Or laGojim; Jes 49,6) zu sein. Zu diesem Auftrag gehört auch das Zeugnis für die Hoffnung, dass alle Menschen den Ewigen als Gott anerkennen, wie es in dem Aleinu-Gebet, einem Hauptgebet der Synagoge, zum Ausdruck kommt.

3. Positive Einschätzung des Zweiten Vatikanischen Konzils

Es ist unbestritten und wird auch von jüdischer Seite wahrgenommen, dass sich die Haltung der katholischen Kirche zu den Juden seit dem Zweiten Vatikanum grundlegend geändert hat. Die für Juden selbstverständliche Überzeugung, dass der Bund Gottes mit seinem Volk Israel nicht gekündigt ist und nie gekündigt wird, hat sich in der Konsequenz der Konzilserklärung Nostra aetate auch das päpstliche Lehramt unter Johannes Paul II. zu eigen gemacht. Damit hat die Kirche in der Mitte des 20. Jahrhunderts mit einer Jahrhunderte langen Tradition gebrochen, deren schlimme Konsequenzen bekannt sind. Seitdem gibt es auch keine organisierte Judenmission mehr und es darf sie auch nicht geben.

4. Neue Befürchtungen

Allerdings hat sich die Situation nach der erweiterten Wiederzulassung der außerordentlichen Form des römischen Ritus mit der von Papst Benedikt XVI. revidierten Karfreitagsfürbitte verändert. Konnte man zuvor davon ausgehen, dass das Judentum seit dem Konzil in seiner Heilsrelevanz anerkannt werde, erscheint dieses nach der vom Papst verfügten Fürbitte nicht mehr so eindeutig.

Aus jüdischer Sicht gibt es zwei Interpretationsmöglichkeiten dieser neuen Fürbitte mit jeweils eigenen Konsequenzen für den Dialog:

  • Falls die Fürbitte so zu interpretieren ist, dass wir Juden schon im Hier und Heute Jesus als Messias anerkennen sollen, dann ist die Basis für den katholisch-jüdischen Dialog zerstört. Das würde uns um Jahrzehnte vor das Zweite Vatikanum zurückwerfen.
  • Wenn die Kirche diese Hoffnung auf das Ende der Zeiten verschiebt und mit einer klaren Absage an die Judenmission verbindet, wie der für die Beziehungen zum Judentum zuständige Kurienkardinal Walter Kasper in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 20. März 2008 die neue Fürbitte interpretiert hat, bedeutet das eine wesentliche Entspannung. Dennoch bliebe der Eindruck, das Judentum sei kein vollgültiger Heilsweg. Durch diese Befürchtung wären die Voraussetzungen des Dialogs und die Unbefangenheit im Dialog gefährdet.

Die einzige aus jüdischer Sicht akzeptable Form der Karfreitagsfürbitte ist deshalb die von 1970, wonach die Entscheidung, wie und wann Gott ganz Israel endgültig rettet, allein bei Gott liegt. Hier wird ja die Bitte ausgesprochen, Gott möge die Juden bewahren "in der Treue zu seinem Bund und in der Liebe zu seinem Namen, damit sie das Ziel erreichen, zu dem sein Ratschluss sie führen will".

III. Das christliche Nein zur Judenmission

1. Gründe für die frühere Praxis der Judenmission

Für das neue jüdisch-christliche Verhältnis wurde seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil die Formel "Dialog ohne Mission" geprägt. Sie steht im Gegensatz zu der jahrhundertelangen Geschichte, in der Christen den Juden gegenüber "Mission ohne Dialog" betrieben. Sie steht auch im Gegensatz zu einer Mission mit Dialog. Für ein vertieftes theologisches Nachdenken über diesen Sachverhalt sind zunächst die Argumente zu analysieren, auf die sich die Judenmission stützt. Neben dem kirchlichen Interesse, die Zahl der Christen zu mehren, bezog sich die Kirche in früheren Jahrhunderten vor allem auf die theologische Lehre von der Heilsnotwendigkeit der Taufe. Deren heutige Verteidiger berufen sich vor allem auf bestimmte Stellen im Neuen Testament. Ihre wichtigsten Gründe lauten:

  • Jesus selbst habe (fast) nur unter Juden gewirkt und nur zu Juden gesprochen. Darum sei die Verkündigung seiner Botschaft vor Juden immer unverzichtbar.
  • Der sogenannte Misssionsbefehl (Mt 28,19f) gelte auch für die Mission an den Juden. Jesus fordere seine Jünger auf, "zu allen Völkern" zu gehen und sie zu taufen.
  • Paulus sei nach dem Zeugnis der Apostelgeschichte auf seinen Reisen in der Regel zuerst in die Synagoge gegangen, um Juden die Heilsbotschaft von Jesus Christus zu verkünden. Was für Paulus richtig gewesen sei, könne für die spätere Kirche nicht falsch sein.
  • Jesus habe vor seinem jüdischen Jüngerkreis den Glauben an seine Person gefordert und sich selbst als "den Weg, die Wahrheit und das Leben" (Joh 14,6) bezeichnet. Im Blick auf jüdische Zuhörer habe er gesagt, dass, wer nicht an ihn glaube, verloren gehe und gerichtet sei (Joh 12,37-50, besonders 12,48).
  • Die Lehre der Kirche, Jesus Christus sei der Erlöser der ganzen Welt, stehe im Widerspruch zu einem Verzicht auf die Judenmission, weil von seiner universalen Heilsbedeutung nicht gesprochen werden könne, wenn die Juden ausgenommen würden.
  • Weil es außerhalb der Kirche kein Heil gebe, müssten Juden missioniert und getauft werden.

Diese Argumente sind weder historisch noch theologisch überzeugend.

2. Historische Gründe gegen die Judenmission

  • Die Judenmission hat den Juden schreckliches und leidvolles Unrecht getan. Sie war – im Widerspruch zum Evangelium und zum biblischen Hauptgebot der Nächstenliebe – allzu oft mit physischen, psychischen und kulturellen Zwängen verbunden. Zwangspredigten für Juden im Kirchenstaat, die heimliche Taufe von jüdischen Kindern durch christliche Ammen, ihre Trennung von den Eltern und die Verbringung in Klöster haben Spuren hinterlassen. Verständlicherweise können die Juden diese Wunden nicht vergessen und haben traumatische Angst vor einem Wiederaufleben der unseligen Praxis wie etwa im Frankreich der Nachkriegszeit, als Kirchenangehörige zwei während der Verfolgung versteckte jüdische Kinder ihrer Familie bis 1953 nicht mehr zurückgaben. Erst recht verbietet sich Judenmission nach dem Genozid der nationalsozialistischen Zeit, weil die Judenmission lange Jahrhunderte auch Ausdruck der Geringschätzung des Judentums war und deshalb den Boden für den Antisemitismus des Nationalsozialismus bereitete.
  • Mit der Judenmission hatte die Kirche nicht nur keinen Erfolg bei den Juden, sondern sie hat auch sich selbst schweren Schaden zugefügt. Zwangsbekehrungen und Zwangstaufen haben ihre Theologie in Misskredit gebracht, das Sakrament der Taufe missbraucht und das Bild der Kirche verdunkelt. So wurde ihre Glaubwürdigkeit bei Christen und Nichtchristen erheblich gemindert.

3. Theologische Gründe gegen die Judenmission

So einsichtig und unabweisbar auch diese historischen Gründe sind, sie müssen durch theologische Gründe gestützt und ergänzt werden, weil historische Gründe allein nicht für die christliche Theologie maßgeblich sein können.

  • Das Zweite Vatikanische Konzil bekennt in seiner Erklärung Nostra aetate, dass die Kirche "mit dem Stamm Abrahams geistlich verbunden" ist. Das ist ein deutlicher Hinweis auf die geistliche Verwandtschaft der Kirche mit dem bis heute fortdauernden Judentum. Trotz der Ablehnung des christlichen Evangeliums stellt das Konzil fest: "Nichtsdestoweniger sind die Juden nach dem Zeugnis der Apostel immer noch von Gott geliebt um der Väter willen; sind doch seine Gnadengaben und seine Berufung unwiderruflich (vgl. Röm 11,28f)."
  • Diese neue kirchliche Wertschätzung verbindet das Judentum – im Unterschied zu allen anderen Religionen – in theologisch einzigartiger Weise mit der Kirche. Es ist durch die Entstehung der Kirche keineswegs hinfällig geworden, sondern hat seine eigene bleibende Heilsbedeutung.
  • Mit dem Konzil hat die Kirche die Kapitel 9-11 im Römerbrief des Paulus neu zu lesen begonnen. Thesenartig heißt es zu Beginn des Textes: "Sie sind Israeliten; ihnen gehören die Sohnschaft, die Herrlichkeit, die Bundesschlüsse; ihnen ist die Tora gegeben, der Gottesdienst und die Verheißungen; ihnen gehören die Väter" (9,4-5a). Das Nein "einiger" Juden (3,3) zu Jesus hat Gottes Ja zu den Juden nicht aufgehoben: "Es ist keineswegs so, dass Gottes Wort hinfällig geworden ist" (9,6). Die Frage "Hat Gott sein Volk verstoßen?" beantwortet Paulus eindeutig mit "Keineswegs!" (11,1) Die Heiden(christen) sind wie neue Zweige in den alten Ölbaum eingepfropft worden, um Anteil an der Kraft der jüdischen Wurzel zu erhalten. Sie dürfen sich daher nicht über die Juden erheben (11,13-24). Für die Zukunft Israels gilt, dass sie allein in Gottes Hand liegt (11,25.33-36). In Kapitel 11,25-27 spricht Paulus von der Vollzahl der Völker, die hineingehen in das Reich Gottes, und davon, "dass ganz Israel gerettet wird".
  • Vor allem auf solche Aussagen des Paulus stützt sich das erneuerte kirchliche Verständnis des Judentums. Zwar war Paulus zeit seines Lebens stolz auf sein Jude-Sein und Pharisäer-Sein, aber er hat sich auch mehrfach abfällig und polemisch geäußert, etwa über Juden, die sich seiner Verkündigung des Evangeliums entgegenstellten (1 Thess 2,15), über seinen früheren Eifer für die Sinai-Tora (Phil 3,7f) oder über das strenge pharisäische Judentum als Sklavenreligion (Gal 4,21-26). Diese polemischen Aussagen sind aber nicht als allgemein gültiges Urteil über die nicht an Jesus glaubenden Juden zu verstehen, sondern aus der damaligen Situation heraus: Enttäuschung über die Juden, die das Evangelium nicht annahmen oder Angst vor Verfolgung durch andere Juden. Im Römerbrief jedoch – und das ist einzigartig im ganzen Neuen Testament – ändert Paulus die Perspektive ins Grundsätzliche: Wer wäre Gott, wenn er die Treue zu seinem erwählten Volk Israel aufkündigte, weil die meisten dem Evangelium nicht glauben? Wegen dieser radikalen Fragestellung, die sich vor Gott verantwortet, muss Röm 9-11 als Kronzeuge für die Berufung Israels gelten. Durch diesen sind widersprechende biblische Urteile zu relativieren, etwa der Hebräerbrief, der den durch Jesu Tod heraufgeführten Neuen Bund (Jer 31,31-34) dem älteren Bund als vergehende Größe gegenüberstellt (Hebr 8,1-13; 8,7.13). Er stammt – nach der Zerstörung des Jerusalemer Tempels – aus einem anderen sprachlichen Umfeld und philosophischen Kontext.
  • Mit dem Römerbrief des Paulus gibt es einen weitgehenden theologischen Konsens: "Unwiderruflich sind die Gnaden(gaben) und die Berufung Gottes" (11,29). Papst Johannes Paul II. prägte die in die kirchliche Sprache eingegangene Wendung vom "niemals gekündigten Alten Bund". Im großen kirchlichen Schuldbekenntnis vom Jahre 2000 hat er das Judentum als "Volk des Bundes" bezeichnet. Wäre das anders, könnten wir Christen nicht mehr an die Treue Gottes glauben, weil er nicht mehr zu seinen früheren Verheißungen stünde. Damit täte sich ein unüberbrückbarer Gegensatz zum biblischen Gottesglauben auf, in dessen Zentrum die Botschaft von der Liebe und Treue Gottes steht (Ex 34,6f). Menschen können den Bund übertreten und brechen, aber nicht zerstören, weil er in Gott selbst gründet.
  • Das biblische Wort Bund bezeichnet eine voraussetzungslose Selbstbindung Gottes, durch die er ein bleibendes Bundesverhältnis stiftet. In den Bundessetzungen für sein Volk Israel verheißt und gibt er diesem die Bundesgaben des Landes, der fortwährenden Nachkommenschaft und der Tora als Lebensgestalt des Bundes (Gen 15; 17; Ex 19-34). Dieser vielfach gesetzte und erneuerte Bund, der Israel in eine besondere Gottesnähe ruft und der gemäß Jer 31,31-34 eine endzeitliche Vollendung finden wird, erhält, nicht zuletzt angesichts der Leiderfahrungen des Exils, die Näherbestimmung "ewiger Bund" (Gen 17,7.13 u. ö.). Der im Neuen Testament bezeugte Bund (vgl. besonders die Abendmahlsüberlieferungen Mk 14,24 par Mt 26,28 sowie Lk 22,20 par 1 Kor 11,25) deutet den Tod Jesu als gottgewirktes Geschehen der universalen Sündenvergebung. Dieser Bund ersetzt nicht den Israelbund, vielmehr eröffnet er die Heilsgeschichte Gottes mit allen Völkern neu und bekräftigt sie. Israel und Kirche sind gemeinsam und auf je spezifische Weise Werkzeuge Gottes für das Kommen seiner universalen Königsherrschaft.

IV. Zum neuen Verständnis neutestamentlicher Aussagen

1. Verbindliche Glaubensaussagen und situationsbedingte Äußerungen

Das Zweite Vatikanische Konzil fordert in der Dogmatischen Konstitution über die göttliche Offenbarung, die Bibel aus der Situation der biblischen Schriftsteller und den Bedingungen ihrer Zeit zu verstehen. Durch diese Weisung fällt ein neues Licht auf die neutestamentlichen Aussagen, die in der kirchlichen Tradition judenfeindlich gelesen wurden und zur Begründung der Judenmission herhalten mussten.

Sie erklären sich meist aus der Enttäuschung der jüdischen Christengemeinden über die vielgestaltigen jüdischen Richtungen, die aus unterschiedlichen Gründen nicht an Gottes Handeln in Jesus Christus glaubten. Mit ihrem Nein zu Jesus wahrten diese ihre bisherige jüdische Identität, indem sie am Glauben an ihren jüdischen Heilsweg gemäß den Weisungen Gottes festhielten. Die Enttäuschung der christusgläubigen Juden wurde nicht selten zur heftigen Polemik, wobei festzuhalten ist, dass diese Polemik nicht antijüdisch von außen kam, sondern von Juden, die an Jesus als den Messias glaubten; sie war gegen andere jüdische, vornehmlich pharisäische Gruppierungen gerichtet.

Es war ein Verhängnis, dass diese ursprünglich innerjüdischen Polemiken in der kirchlichen Tradition zu christlichen Vorwürfen gegen "die Juden" wurden und später sogar zur zwangsweisen Judenmission führten. Doch es kann nicht länger angehen, aus zeitbedingten polemischen Äußerungen im Neuen Testament zeitlos gültige Glaubensaussagen zu machen. Nach der Offenbarungskonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils "ist von den Büchern der Schrift zu bekennen, dass sie sicher, getreu und ohne Irrtum die Wahrheit lehren, die Gott um unseres Heiles willen in heiligen Schriften aufgezeichnet haben wollte" (Dei Verbum 11). Das Hören auf Gottes Wort in der Schrift verlangt nicht blinden Gehorsam, sondern die kluge Unterscheidung zwischen Gottes verbindlicher Heilsbotschaft und situationsbedingten Äußerungen, die nur ein zeitbedingtes Menschenwort sind.

2. Das Lukasevangelium und die Apostelgeschichte

Wenn der Jude Paulus gemäß der Apostelgeschichte auf seinen Reisen zunächst in die Synagogen geht, um Juden der Diaspora vom Evangelium Zeugnis zu geben, ist damit nicht die Auffassung verbunden, Juden könnten ohne den Glauben an Jesus Christus nicht zum Heil kommen. Wie in Röm 9,4f heißt es auch bei Lukas präsentisch: "Ihr seid die Söhne der Propheten und des Bundes, den Gott mit euren Vätern geschlossen hat" (Apg 3,25). Auch nach Lukas haben die Juden einen heilsgeschichtlichen Vorrang; für sie hat Gott "zuerst" an und durch Jesus gehandelt. Hinter dem Lukasevangelium und der Apostelgeschichte steht ein biblisches Konzept vom Volk Gottes, wonach "Gott selbst eingegriffen hat, um aus den Heiden ein Volk für seinen Namen zu gewinnen" (Apg 15,14). Lukas sieht das Wort der Propheten (Am 9,11f Septuaginta; Jer 12,15; Jes 45,20f) in Erfüllung gehen: Nach ihm ist es der Wille Gottes, "die zerfallene Hütte Davids wieder aufzurichten, ... damit die übrigen Menschen den Herrn suchen, auch alle Völker" (Apg 15,16f). Das heißt: Neben dem Bundesvolk Israel steht das Volk Gottes aus den Völkern. Lukas erzählt, wie es zur Kirche aus Juden und Heiden kam.

Konflikte bleiben nicht aus. Sie prägen sowohl die Geschichte Jesu im Evangelium (4,29; 6,22; 12,11; 23,1) als auch die seiner Verkündiger in der Apostelgeschichte (4,3; 5,18.40; 7,58; 9,23; 13,45.50; 14,2.5.19; 17,6f; 18,12f). Wie es innerchristliche Konflikte zwischen aramäisch und griechisch sprechenden Jesusanhängern in Jerusalem gibt (Apg 6-8), so auch Konflikte zwischen diesen und Juden, die nicht an das Handeln Gottes in Jesus glauben. Noch ist es ein innerjüdischer Streit: Er geht um das partikulare oder universale Konzept des Volkes Gottes in der Bibel.

Trotz seiner Enttäuschung über die Nichtannahme des Evangeliums sagt der Paulus der Apostelgeschichte nirgends, dass der Bund Gottes mit seinem Volk an sein Ende gekommen sei. Auch am Schluss der Apostelgeschichte besagt das sogenannte Verstockungszitat aus Jes 6,9f nicht, dass Israel das Heil entzogen ist. Gemäß dem biblischen Verständnis geht es nie um die Aufhebung von Erwählung, sondern um Einsicht und Umkehr. Laut 28,24 ließen sich die einen vom Evangelium des Paulus überzeugen, die anderen nicht.

Das gesamte lukanische Werk ist eine Geschichte vom Weg des Heiles mit offenem Ende. Die durch die Verkündigung des Evangeliums gewonnene nichtjüdische Christusanhängerschaft wird als "Volk Gottes" (15,14-19) anerkannt und tritt an die Seite (nicht: an die Stelle) Israels. Israel bleibt "Licht für die Völker" (Lk 2,32). Kein Verfasser der neutestamentlichen Schriften hat die bleibende theologische Notwendigkeit Israels so herausgearbeitet wie Lukas.

3. Das Matthäusevangelium

Die Forderung nach einer Judenmisssion steht in Spannung zu wichtigen Aussagen Jesu im Matthäusevangelium über die Erlangung des endzeitlichen Heils, die nicht an ein Ja zu seiner Person und Sendung gebunden ist. So heißt es zum Beispiel: "Nicht wer zu mir sagt: Herr! Herr!, kommt ins Reich Gottes, sondern wer den Willen meines Vaters im Himmel erfüllt" (7,21). In seiner Rede auf dem Berg sagt Jesus, er sei nicht gekommen, um "die Tora und die Propheten" aufzuheben. Sie sollen im "Reich Gottes" weiter Geltung haben, ohne dass etwas anderes an ihre Stelle gesetzt wird (5,17-20). Dem reichen jungen Mann, der wissen will, wie er das ewige Leben erlangen könne, gibt Jesus den Rat, die Gebote der Tora zu halten (19,16-20), ohne dessen Heil von einem Bekenntnis zu sich und von der Nachfolge als sein Jünger abhängig zu machen. Noch deutlicher wird diese Einstellung in seiner Gerichtsrede, in der ewiges Heil und Unheil allein von Taten der Nächstenliebe abhängig gemacht wird (25,31-46).

Diese Überzeugung wird am Ende des Evangeliums nicht aufgehoben, jedoch im sogenannten Mis-sionsbefehl des auferweckten Jesus in 28,19f auf "alle Völker" ausgedehnt. Mit der Mehrheit der Exegeten verstehen wir unter "allen Völkern" die nichtjüdischen Völker. Demnach fordert Jesus die (jüdischen) Apostel auf, sich den nichtjüdischen Völkern zuzuwenden, um sie in die Nachfolge zu rufen, sie zu taufen und die durch Jesus aktualisierte Tora zu lehren. Es geht dem Evangelisten um die Begründung der Heidenmission durch Jesus. Die Sendung Jesu und der Apostel im Evangelium hat unterschiedliche Ziele bei Heiden und bei Juden. Juden werden aufgefordert, nach der Auslegung der Tora durch Jesus zu handeln (Mt 5,17-19), die Heiden sollen zur Anerkenntnis des Gottes Israels und ebenfalls zur Erfüllung seines Willens geführt werden. Der Missionsbefehl bzw. Taufbefehl kann also nicht als Legitimation für die Mission von Nichtjuden an Juden verstanden werden.

Vom gesamten Evangelium her entscheidend für das Heil ist allein das Tun des Willens Gottes und die praktizierte Nächstenliebe (7,21-23; 25,31-46). Das gilt auch für Israel. Israel ist nicht gerettet, weil es Israel ist, sondern weil es Gottes Willen tut. Die nicht an Gottes Handeln durch Jesus glaubenden Juden bedürfen zwar keiner "Bekehrung", aber doch einer ständigen Umkehr hin zu Gottes Willen genauso wie die Matthäus-Gemeinde (22,11-14). Am Ende des Evangeliums werden alle Adressaten auf die von Jesus vorge-tragene im Judentum wurzelnde Ethik verpflichtet (28,20a). Zugleich wird die besondere Offenbarung Gottes in Jesus als "Immanuel" (1,23; vgl. 28,20b) bzw. als "Sohn" (28,19) Inhalt der Verkündigung "dieses Evangeliums auf der ganzen Welt, damit alle Völker es hören" (24,14; vgl. 26,13). Christen sind an die Praxis und die Lehre des Juden Jesus gebunden. Sie haben durch ihr Tun in der Nachfolge Jesu zu überzeugen, dass sie "auf dem Weg zum Leben" (7,14) sind. Das Tun entscheidet im Gericht, nicht das spezifische Christus-bekenntnis.

Auch aus dem Matthäusevangelium ist ein Auftrag zur Judenmission nicht ableitbar, wohl jedoch das Zeugnis von der Praxis und der Lehre Jesu vor allen Menschen, auch vor Juden.

4. Das Johannesevangelium

Im Johannesevangelium, das am Ende des 1. Jahrhunderts geschrieben wurde, ist die Situation von der Auseinandersetzung der Gemeinde als kleiner Minderheit mit einer größeren pharisäisch-rabbinischen Synagoge geprägt. Aus ihr werden die Anhänger Jesu durch den Synagogenbann ausgeschlossen (9,22; 12,42; 16,2). Sie fühlen sich theologisch und gesellschaftlich stigmatisiert. Glaube steht gegen Glaube. Mit den polemischen Mitteln der damaligen Zeit werden zum einen den Gegnern der wahre Glaube und das Heil abgesprochen (8,44: "Ihr habt den Teufel zum Vater"), zum anderen wird mit einer hohen Christologie, nach der in Jesus gemäß hellenistisch-jüdischer Tradition das ewige Wort Gottes "Fleisch" wurde (1,1-14), der eigene Glaube formuliert. Deshalb ist Jesus als das fleischgewordene Wort Gottes "der Weg, die Wahrheit und das Leben" (14,6). Dies ist die Überzeugung der Johannes-Gemeinde.

Der Evangelist Johannes vertritt keine Ablehnung des gesamten Judentums, wie die neben den Jüngern Jesu so positiv gezeichneten anderen jüdischen Personen in seinem Evangelium belegen (3,1-10; 7,1-12.50-52; 12,42; 19,38-42). Als Juden stehen sie Jesus und seinem Anspruch, Retter der Welt zu sein, positiv gegenüber. Der Tempel in Jerusalem ist "das Haus meines Vaters" (2,16), und "das Heil ist aus den Juden" (4,22). Jesus der "Jude" (4,9) ist der "Messias, der Gesalbte" (4,25) und der "Heiland der Welt" (4,42).

Das Johannesevangelium belegt zwar wiederum den innerjüdischen Streit, eine Judenmission der Kirche lässt sich auch aus ihm ebenso wenig wie aus den anderen Schriften des Neuen Testaments begründen.

Im Unterschied zu den Zeiten des Paulus und der Evangelisten besteht die christliche Kirche heute nicht mehr im gleichen Maße aus Juden und Heiden. In den neutestamentlichen Schriften geht es noch um eine innerjüdische theologische Auseinandersetzung. Von Seiten der pharisäisch geprägten Synagogen gibt es nach der Zerstörung des Tempels und der Stadt Jerusalem im Jahre 70 Abgrenzungen, die in den 90er Jahren bis zum Ausschluss aus den Synagogen führen konnten. Durch die zahlenmäßige Zunahme von Nichtjuden in den Gemeinden der Jesusanhänger – nach Apg 11,26 werden sie zum ersten Mal in Antiochien von Außenstehenden "Christen" genannt – werden judenchristliche Gruppen immer mehr an den Rand der Kirche gedrängt. So wurde sie mehr und mehr zu einer heidenchristlichen Kirche, die sich oft vom Judentum besonders klar abzusetzen versuchte. Allmählich sind Judentum und Christentum zwei eigenständige Religionen geworden. Doch gab es immer wieder Phasen intensiver Wechselbeziehungen, in denen beide voneinander lernten und sich gegenseitig korrigierten. Eine Besinnung der Kirche auf ihre jüdischen Wurzeln und eine intensive Erforschung des ursprünglichen Judenchristentums begann – von Vorläufern durch die Jahrhunderte und insbesondere in den 1920er Jahren abgesehen – erst nach der Schoa.

V. Schlussplädoyer

  • Gemeinsam sagen wir im Gesprächskreis Ja zum Dialog zwischen Juden und Christen und Nein zur Judenmission. Das gemeinsame Vertrauen auf die Heilstaten Gottes und seine Heilsherrschaft lassen Juden und Christen aus der Mitte ihrer Existenz, von Glauben zu Glauben, miteinander sprechen. Dieser Austausch führt nach unserer Erfahrung zu gegenseitiger Korrektur, zu neuen Entdeckungen, zu Vertiefung und Bereicherung des eigenen Glaubens und zum Eintreten füreinander. Das gemeinsame Zeugnis für Gott gewinnt in der heutigen Welt mehr und mehr an Bedeutung. Wie der ökumenische hat auch der christlich-jüdische Dialog reiche Frucht gebracht.
  • Die Grenze des Dialogs besteht darin, dass Christen und Juden die Gottesbeziehung ihrer Partner nicht von innen her mitvollziehen, sondern nur durch Einfühlungs- und Vorstellungskraft nachvollziehen können.
  • Weil Gottes Bund Israel bereits das Heil erschlossen hat, braucht die Kirche nicht um das Heil Israels besorgt zu sein, die Juden nicht zum christlichen Glauben zu bekehren und sie nicht um ihres Heiles willen zur Taufe zu veranlassen. Wenn das Zweite Vatikanische Konzil die Hoffnung sogar auf das Heil aller Menschen setzt, dann gilt dies nach unserer Überzeugung in besonderem Maße für die Juden, auch wenn sie nicht getauft sind. Im Letzten schafft Gott Heil auf Wegen, die nur er kennt (Ad gentes 7,1; Gaudium et spes 22,5). Der alte Heilspessimismus, der im bekannten Satz "Außerhalb der Kirche kein Heil" zum Ausdruck kommt, ist überwunden. Die Hoffnung auf das Heil verbindet Juden und Christen in besonderer Weise miteinander.
  • Wann, wie und ob sich Juden und Christen auf ihrem Weg zum "Reich Gottes" begegnen, bleibt ein uns Menschen verborgenes Geheimnis Gottes. Das wusste schon Paulus, der die Rettung ganz Israels nicht an den Glauben an Jesus bindet. Er lässt seine wegweisende Lehre im Römerbrief mit dem Gebet so enden: "O Tiefe des Reichtums, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes! Wie unergründlich sind seine Entscheidungen, wie unerforschlich seine Wege! Denn wer hat die Gedanken des Herrn erkannt? Oder wer ist sein Ratgeber gewesen? Wer hat ihm etwas gegeben, so dass Gott ihm etwas zurückgeben müsste? Denn aus ihm und durch ihn und auf ihn hin ist die ganze Schöpfung. Ihm sei Ehre in Ewigkeit! Amen." (11,33-36)

Editorische Anmerkungen

Die Erklärung wurde vom Gesprächskreis "Juden und Christen" beim Zentralkomitee der deutschen Katholiken am 11. Februar 2009 verabschiedet und vom Präsidium des ZdK zur Veröffentlichung freigegeben.