Juden und Judentum im neuen Katechismus
der Katholischen Kirche
Auszüge aus einer Stellungnahme des Zentralkomittees
der deutschen Katholiken, veröffentlicht am 29. Januar 1996
Ein Zwischenruf
Der neue „Katechismus der Katholischen Kirche“ (KKK) mag sich in Inhalt und Form, in
Intention und Adressatenkreis von seinen Vorgängern unterscheiden. Aber auch er will
„sichere Norm für die Lehre des Glaubens“ und darüber hinaus „sicherer authentischer
Bezugstext für die Darlegung der katholischen Lehre und in besonderer Weise für die
Ausbildung der örtlichen Katechismen“ sein (Johannes Paul II in der einführenden
Apostolischen Konstitution). Darum ist seine Bedeutung für die Kirche der Gegenwart nicht
zu unterschätzen.
1. Position
Wenn der KKK direkt auf das Judentum zu sprechen kommt, ist anzuerkennen, daß der KKK
nicht hinter die Aussagen des Konzils über die Juden und über das Verhältnis der Kirche
zum Judentum zurückfällt (Nostra aetate). Daß Jesus Jude war und die Tora positiv gewürdigt
hat (423,577), wird klar gesagt. Die Pharisäer und das Verhältnis zu ihnen werden
differenziert dargrestellt (579,595). In dem Abschnitt „Das Verhältnis der Kirche zum jüdischen
Volk“ (839) zitiert der KKK ausdrücklich das Konzil und erwähnt die Unwiderrufbarkeit
der Erwählung Israels (121,839). Vor allem wird eindeutig gesagt: Die Juden sind für den
Tod Jesu nicht kollektiv verantwortlich (597). Gelegentlich wird sogar auf die Bedeutsamkeit
heutigen jüdischen Lebens hingewiesen (1096). — Diese und andere Aussagen sind ein
hoffnungsvolles Zeichen für die Ernsthaftigkeit, mit der die Kirche ihr Verhältnis zum
Judentum erneuern will.
2. Position
Der KKK tut sich offensichtlich schwer, das nachbiblische Judentum als eigenständige
heilsgeschichtliche Größe neben der Kirche und insbesondere als das Volk des von Gott nie
gekündigten Bundes anzuerkennen. Das zeigt sich weniger dort, wo er ausdrücklich vom
Judentum redet, als an den Stellen, wo er von der Kirche so spricht, als gäbe es das
Judentum nicht, obwohl es von der Sache her geboten wäre.
Wenn der KKK auf das Verhältnis von Israel/Judentum einerseits und Kirche andererseits
zu sprechen kommt, wird seine Sprache oft oszillierend und seine Theologie widersprüchlich.
Es gibt Passagen, die der vom Konzil zurückgewiesenen Auffassung, wonach die Kirche, das
„neue“, eigentliche Gottesvolk, an die Stelle des „alten“ Gottesvolkes getreten sei,
nahekommen (674, 761-763). Zwar wird mit dem Neuen Testamet herausgestellt, daß Israels
Berufung unwiderruflich ist (839), aber an anderen Stellen entsteht der Eindruck, daß der
Bund mit Israel doch gebrochen und durch den neuen, ewigen Bund Gottes in der Kirche ersetzt
sei. Auch wie das Kommen des verherrlichten Messias davon abhängig gemacht wird, daß Jesus
von ganz Israel anerkannt wird, über dem „Verstockung“ liegt (Röm 11,25), ist für jüdisches
Selbstverständnis schwer erträglich, weil es den Juden die Verantwortung für den Anbruch
bzw. das Ausbleiben der Endzeit auferlegt (674).
Vor allem auf drei Feldern gelingt es dem KKK nicht, den Erneuerungswillen der Kirche
umfassend zu realisieren. Hier bleiben Defizite, die es auch schon in früheren Katechismen
gab:
1. Das Verhältnis der beiden Testamente der einen christlichen Bibel erscheint in einem
undeutlichen Zwielicht. Einerseits wird der eigene Offenbarungswert des „Alten
Testamentes“ mehrfach bekräftigt (121-123, 129). Andererseits wird er durchgängig
relativiert. Dies liegt vor allem daran, daß das Alte Testament mit Hilfe der
„typologischen“ Auslegungsmethode entgegen der Bejahung seines Eigenwertes (121,
vorherrschend als unvollkommene Vorform („Typos“) erscheint, die erst im Neuen Testament
ihre Vollkommenheit findet. Nach dieser „Typologie“ ist das, was Gott im Alten Testament
sagt, ganz auf das Neue Testament ausgerichtet und erhält erst hier seine Endgültigkeit
(140. Das zeigt sich z.B. an der Art der Darstellung einiger wichtiger Themen, die hier kurz
aufgelistet werden: Die prophetischen Verheißungen der Liebe sind im neuen und ewigen Bund
in Erfüllung gegangen (2787); die Hinrichtung Jesu kündigt die Zerstörung des Tempels von
Jerusalem an (586); der Wortlaut des alten jüdischen Gesetzes ist „Zuchtmeister“ (Gal
3,24), um Israel Christus entgegenzuführen (708); das Gesetz ist die Vorbereitung auf das
Evangelium; es liefert dem Neuen Testament „Typen“, um das neue Leben nach dem Geist zu
veranschaulichen (1964); das jüdische Exil steht im Schatten des Kreuzes, und der
„heilige Rest“, der aus dem Exil zurückkehrt, ist ein Bild der Kirche (710). Beim
Augustinuswort ‘Das Neue Testament ist im Alten verhüllt, das Alte im Neuen enthüllt"
fehlt eine theologische Reflexion (129, 2763). — Diese Art der Typologie muß
notwendigerweise dazu führen, daß die Hebräische Bibel als unvollkommene Vorform zum
Neuen Testament erscheint. Die Typologie hält die beiden Testamente im KKK zusammen. Damit
ist die Gefahr gegeben, daß die Geschichte des biblischen Israel und die im Judentum
konstitutive Erinnerung an diese Geschichte aufgelöst wird. Darum kann die Typologie, wie
sie hier angewandt wird, eine mildere Form der Enterbung Israels sein, von der die Kirche in
anderen Verlautbarungen längst Abschied genommen hat.
2. Der kirchliche Antijudaismus, der seine Wurzeln in der Ablösung der frühen Kirche
vom Judentum und der dadurch hervorgerufenen antijüdischen Polemik schon im Neuen Testament
hat und der durch einige Vorgänger des KKK in der Kirche große Verbreitung fand, ist nicht
angesprochen. Ein solches Versäumnis ist heute schwer verständlich. Ein Katechismus nach
der Schoa hätte auf die Schuldgeschichte der früheren Katechismen hinweisen, ihre
Auswirkungen benennen und die notwendigen Konsequenzen daraus ziehen müssen.
3. Der KKK versäumt die Chance, das erneuerte Verhältnis von Juden und Christen als
Zeichen der Hoffnung inmitten einer unerlöst scheinenden Welt und als Herausforderung zu
getrennt-gemeinsamer Arbeit für das Kommen des Gottesreiches zu präsentieren.
Zusammenfassend darf an die Erklärung unseres Gesprächskreises von 1988 „Nach 50
Jahren — wie reden von Schuld, Leid und Versöhnung?“ erinnert werden: „Heilung
unserer Wunden kann es nur geben, wenn den ersten Schritten aufeinander zu viele Schritte
miteinander folgen können, miteinander im Prozeß der Trauerarbeit und der Versöhnung und
damit dann auch ausgesöhnt in die Zukunft. Heilung kann es erst geben, wenn wir gemeinsam
auf das Reich Gottes warten, dafür arbeiten und so ,dem Herrn Schulter an Schulter dienen"
(Zef 3,9).“
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