In Vielfalt leben - Gott auf der Spur sein: Mission und Ökumene, Zeugnis und Dialog als zentrale kirchliche Arbeitsfelder

Der Text der Stellungnahme geht auf einen Arbeitsauftrag zurück, den die Kammer für Mission und Ökumene ihrem Ausschuss für Zeugnis und Dialog im Mai 2002 erteilt hatte. Der Ausschuss war gebeten worden, in einer theologischen Stellungnahme das „spannungsvolle und dynamische Verhältnis zwischen Zeugnis und Dialog“ zu klären.

In Vielfalt leben – Gott auf der Spur sein

Mission und Ökumene, Zeugnis und Dialog

als zentrale kirchliche Arbeitsfelder

Eine Stellungnahme der Kammer für Mission und Ökumene der EKHN

Der Text der Stellungnahme geht auf einen Arbeitsauftrag zurück, den die Kammer für Mission und Ökumene ihrem Ausschuss für Zeugnis und Dialog im Mai 2002 erteilt hatte. Der Ausschuss war gebeten worden, in einer theologischen Stellungnahme das „spannungsvolle und dynamische Verhältnis zwischen Zeugnis und Dialog“ zu klären. Dabei sollte insbesondere auch die wieder zunehmende Diskussion um den Missionsauftrag der Kirche berücksichtigt werden. Aus dem diesem Auftrag folgenden regen Diskussionsprozess, bei dem Mitglieder der Kammer, des Auschusses und weitere interessierte Personen beteiligt waren, entstand der nun vorliegende Text, den sich die Kammer bei ihrer Sitzung am 29. Oktober 2003 im Zentrum Ökumene, Frankfurt, zu eigen gemacht hat.

Der Text will einen Beitrag leisten zu der an Gewicht zunehmenden Diskussion, die einerseits der Bedeutung des Missionsauftrags gerecht werden will und die andererseits der wachsenden Herausforderung des interreligiösen Dialogs nicht ausweichen will. Daher wird auch versucht, das Verhältnis der beiden kirchlichen Handlungsfelder „Mission“ und „Dialog“ zueinander in den Blick zu nehmen.

Frankfurt am Main, 4. November 2003

Dr. Bernhard Moltmann, Kammer für Mission und Ökumene der EKHN

Pastor Friedhelm Pieper, Ausschuss für Zeugnis und Dialog der Kammer

1. Vorbemerkung

Angesichts zunehmender Säkularisierung, sinkender Mitgliedszahlen der Gemeinden und einer insgesamt schwächer werdenden Bindung an die Kirche wird heute wieder verstärkt nach dem missionarischen Auftrag der Christen gefragt. Dabei zeigt sich in der gegenwärtigen Diskussion über den missionarischen Auftrag der Kirche, dass verschiedene Vorstellungen von Mission zu unterschiedlichen Zugängen und Schwerpunkten im Verständnis des missionarischen Handelns der Kirche führen.

Zugleich finden sich die Gemeinden im Zuge der Globalisierung in wachsenden interreligiösen und interkulturellen Nachbarschaften wieder. Nicht nur in der weltweiten Ökumenearbeit sondern auch vor Ort nimmt die Begegnung mit anderen Religionen zu und stellt die Mitglieder christlicher Gemeinden vor praktische und theologische Herausforderungen bezüglich ihres Zusammenlebens mit anders Glaubenden im zunehmenden religiösen Pluralismus der gegenwärtigen Gesellschaften.

Es liegt von daher nahe, sowohl in Hinblick auf den kirchlichen Missionsauftrag als auch in Hinblick auf die Klärung der Beziehung zu anderen Religionen über Mission und Dialog als zentrale Arbeitsfelder der Kirche nachzudenken.

2. Der historische Wandel in der Mission

2.1. Handlungsfelder der Mission

Im Verständnis von „Mission“ und der kirchlichen Arbeit in diesem Handlungsfeld ist es in den letzten Jahrzehnten zu weitreichenden Veränderungen gekommen. Dabei wird heute einerseits wieder deutlicher der Zusammenhang der klassischen Arbeitsbereiche „Äußere Mission“, „Volksmission“ und „Innere Mission“ gesehen. Zugleich bringen diese inzwischen weitgehend selbständigen Arbeitsbereiche „Weltmission/Ökumene“, „Verkündigung/Evange-lisation“ sowie „Diakonie/Entwicklungshilfe“ ihre Erfahrungen und Lernprozesse in die aktuelle Diskussion um das Missionsverständnis ein.

In den vergangenen Jahrzehnten sind aus den Missionskirchen Partnerkirchen geworden, aus Missionsgebieten wurden Kirchengebiete, in denen selbständige junge Kirchen arbeiten. Missionsgesellschaften arbeiten heute in internationalen ökumenischen Netzwerken zusammen mit den jungen Partnerkirchen und früheren Entsendekirchen aus Europa und Amerika. Die Missionsarbeit in der EKHN geschieht in enger Kooperation mit dem „Evangelischen Missionswerk in Südwestdeutschland“ (EMS) und der „Vereinigten Evangelischen Mission“ (VEM).

2.2. Evangelium und Kultur

In der Aufarbeitung der Geschichte der Mission hat sich gezeigt, dass das Missionsver-ständnis der europäischen und amerikanischen Kirchen vielfach kontextgebunden mit politischen und gesellschaftlichen Vorstellungen der Kolonisation überlagert war. Dies nötigte zu einer kritischen Überprüfung des Verständnisses von Mission. Kirchen und Missionswerke haben dabei gelernt, dass es nicht ihre Aufgabe sein kann, einer Vorrangstellung der westlichen Kultur das Wort zu reden. Das Evangelium kommt heute neu in die Begegnung mit nicht-westlichen Kulturen und durch die jungen Kirchen auch neu und kritisch zurück in den Westen. Der offene Prozess der Begegnung von Evangelium und einer jeweiligen Kultur (Inkulturation) ist von daher auch ein zentrales Thema in der Missionstheologie geworden.

Aktuelle Herausforderungen für eine auch kritische Beziehung zwischen Evangelium und Kultur bieten u.a. die Tendenzen zur Privatisierung der Religion in den europäischen Gesellschaften und dem völlig anders gelagerten öffentliche Gebrauch religiöser Sprache und Motive in der amerikanischen Gesellschaft und Politik (civil religion). Für die Kirchen entsteht hier die Aufgabe, auf der Grundlage des Evangeliums den kirchlichen Beitrag zur Gestaltung der europäischen Zivilgesellschaften herauszuarbeiten, gleichzeitig aber auch z.B. mit Blick auf die USA die Aufnahme christlicher Traditionen in der politischen Meinungsbildung kritisch zu prüfen.

Die Auseinandersetzungen über den Krieg im Irak haben gezeigt, dass der Bezug zur religiösen Tradition einer kontinuierlichen kritischen Reflektion bedarf, wie dies von Vertretern vieler Kirchen und religiöser Gemeinschaften in den USA, in Europa und auch in anderen Regionen eindringlich artikuliert wurde. Wo sind die Grenzen und Kriterien des öffentlichen Gebrauchs religiöser Sprache?

2.3. Missio Dei

In ihren jeweiligen Kontexten lernen Kirchen heute weltweit, ihre Missionsarbeit als Teilhabe an der ‚missio dei’ zu verstehen: als eine in Tat und Wort ganzheitliche Zuwendung zur Welt, die sich als Teil der Weltzuwendung Gottes versteht und sich daher an dieser orientiert.

In den biblischen Schriften wird als Kennzeichen von Gottes gnädiger und barmherziger Weltzuwendung genannt: Gott stützt die Fallenden und richtet Gebeugte auf (Ps 145), er vergibt den Einsichtigen ihre Schuld (Ps 25), hält ewig die Treue, verschafft Recht den Unterdrückten, gibt Brot den Hungernden, befreit die Gefangenen, öffnet Blinden die Augen, beschützt die Fremden, verhilft Waisen und Witwen zu ihrem Recht, liebt die Gerechten und lässt Frevler in die Irre gehen (Ps 146). Aus der Grundbewegung des Befreiens, Heilens und Helfens erfolgt auch Zurechtweisung und Gericht gegenüber menschlichem Hochmut, Lüge und Ungerechtigkeit.

Entsprechend werden auch sozusagen als Grundwerte des christlichen Lebens nach der Bergpredigt Jesu benannt: einer Kultur des Geistes Vorrang gegenüber einer rein materiellen Kultur einräumen, Leidende trösten, Sanftmut, Barmherzigkeit und Aufrichtigkeit leben, sich beharrlich für Gerechtigkeit einsetzen, Frieden stiften, für Versöhnung und Vergebung eintreten (Mt 5 + 6). Ein gemeinschaftlicher christlicher Lebensstil auf der Grundlage dieser Werte ist „Licht“ und „Salz“ (Mt, 13-16); er hat das Potential von erleuchtenden und geschmacksbildenden (also Kriterien bildenden) Wirkungen für das Zusammenleben der Menschen vor Ort und weltweit.

Nach dem Konzept der „mission dei“ wird Mission „nicht mehr verstanden als eine besondere Veranstaltung der Kirche in bisher noch nicht missionierten Regionen der Welt ...; Mission ist eine Lebensäußerung der Kirche an allen Orten und zu allen Zeiten“ 1. Als solche ganzheitliche Lebensäußerung gehört Mission zum Kern der Identität der christlichen Kirche.

2.4. Mission in sechs Kontinenten

In der weltweiten ökumenischen Zusammenarbeit lernen die Kirchen sich zunehmend als Teilhaber an einem missionarischen Auftrag in allen sechs Kontinenten zu verstehen. Sie wirken weltweit in ökumenischer Partnerschaft zusammen und wissen, dass ihre größte Herausforderung zugleich zuhause zu finden ist: als authentische christliche Gemeinde in ihrem jeweiligen Kontext zu leben, die ihr in Jesus Christus geschenkte Zuwendung Gottes zu feiern, in das Geheimnis der Beziehung zu Gott tiefer hineinzuwachsen und sich in Wort und Tat den Menschen an ihrem Ort zuzuwenden. Die Förderung des lokalen Gemeindelebens ist genauso missionarischer Ernstfall wie in gelebter Solidarität mit christlichen Gemeinden in der weltweiten Ökumene den Reichtum des Glaubens zu teilen, sich engagiert für die Überwindung von Armut, Ungerechtigkeit, Verfolgung, Not, Krankheiten und medizinischer Unterversorgung einzusetzen und den Beitrag des christlichen Glaubens in die Arbeit zur Förderung von Frieden, Gerechtigkeit und der Bewahrung der Schöpfung einzubringen.

2.5. Evangelium zur Sprache bringen

Im Zuge der fortschreitenden Säkularisierung der europäischen Gesellschaften und der zurückgehenden Mitgliedszahlen der Kirchen stehen die christlichen Gemeinden auch in Europa vor ganz neuen Herausforderungen. Wie können sie dazu beitragen, dass das Evangelium heute vermehrt in die Begegnung mit der entkirchlichten und nach-christlichen Gesellschaft kommt?

Angesichts der schwindenden religiösen Bindung kommt es dabei auch darauf an, für die Mitglieder der christlichen Kirchen vermehrt Möglichkeiten der Einübung in den christlichen Glauben zu schaffen. Je nach eigenem Schwerpunkt und sozialem Umfeld können die Gemeinden kreative Initiativen zur neuen Begegnung mit dem Glauben entwickeln. Dabei gilt es zu entdecken, wo der Glaube heute ansprechend wird und Orientierung ermöglicht: für Frauen und Männer, für die junge und die ältere Generation, für die Krisen und Entwicklungen auf dem Lebensweg sowie für die Auseinandersetzungen in der Politik und Kultur, in der Wirtschaft und in der Wissenschaft.

Zur Förderung eines ganzheitlichen Gemeindelebens können je nach Schwerpunkt in den Gemeinden folgende Aspekte wichtig werden: Angebote für spirituelles Wachstum und für kritische Reflexion, Foren für die Diskussion des Glaubens und gesellschaftlicher Entwicklungen, Wahrnehmung des sozialen Umfeldes und Suche nach geeigneten diakonischen Initiativen, öffentliche Veranstaltungen (z.B. besondere Gottesdienste, Bildungsveranstaltungen, Evangelisationen), Pflege konkreter ökumenischer Beziehungen, Teilnahme am öffentlichen Leben des eigenen Ortes und an den Entwicklungen der eigenen Kirche sowie der Beziehungen zu anderen Kirchen und Religionen.

Wie immer auch Gemeinden hier eigene Schwerpunkte wählen, es sollte im Bewusstsein bleiben, dass die unterschiedlichen Aspekte von Mission zusammengehören: Die Verkündigung der befreienden Zuwendung Gottes, das diakonische und politische Tatzeugnis sowie das weltweite Teilen in ökumenischer Solidarität sind zusammenhängende Aspekte im Handeln der Kirche.

2.6. Begegnung mit anderen Konfessionen und Religionen

Bei öffentlichen Veranstaltungen und Evangelisationen zeigt sich, inwiefern ökumenische Lernprozesse und Erfahrungen im interreligiösen Dialog bereits aufgenommen wurden. Die Kirchengemeinden und die verfasste Kirche sind keine Inseln in einem Meer von „Heiden“. Außerhalb der Kirchengemeinden begegnen die Gemeindemitglieder auch Christen anderer Konfessionen und Traditionen. Öffentliche Veranstaltungen sollten daher in ökumenischer Verantwortung und Zusammenarbeit vorbereitet und durchgeführt werden, um jedem Abwerben von Mitgliedern anderer Kirchen entgegenzuwirken 2.

Die Gemeindemitglieder begegnen auch zunehmend Menschen aus anderen Religionen. Das Gestalten eines guten Zusammenlebens mit anders glaubenden Nachbarn und Lernprozesse im interreligiösen Dialog gewinnen dabei zunehmend an Gewicht. Ein verantwortliches und ganzheitliches Verständnis von Mission wird sich den Herausforderungen und Einsichten des interreligiösen Dialogs stellen.

3. Die neue Sicht der Religionen

 

3.1. Kirchliche Lernprozesse

Die Kirchen befinden sich heute in einem weltweiten Lernprozess bezüglich der Klärung ihrer Beziehungen zu den anderen Religionen in der Welt. Sie haben gelernt, dass sie anderen Religionen eine Erkenntnis Gottes nicht prinzipiell absprechen können. Dadurch sind die Kirchen heute vor die Aufgabe gestellt, ihr Verhältnis zu anderen Religionen zu klären und die Mitglieder ihrer Gemeinden zu einem fruchtbaren Zusammenleben mit Menschen anderen Glaubens anzuleiten.

Die besondere Nähe des christlichen Glaubens zum Judentum und auch, wenn auch anders geprägt, zum Islam spielt hierbei eine ganz spezifische Rolle. Mit keiner anderen Religion teilt das Christentum gemeinsame Heilige Schriften (Judentum) bzw. gemeinsame Erzähltraditionen (Islam). Was bedeutet diese Nähe für unsere Beziehungen zum Judentum und zum Islam?

3.2. Neue Beziehungen zum Judentum

Im christlich-jüdischen Dialog wurde in den letzten Jahrzehnten gelernt, dass das Christentum von Anfang an in ein besonderes Verhältnis zum Judentum gestellt ist. Innerhalb der EKHN wurde dieser besonderen Beziehung in einer Änderung des Grundartikels durch Einfügung folgender Sätze Ausdruck verliehen: "Aus Blindheit und Schuld zur Umkehr gerufen, bezeugt die Kirche neu die bleibende Erwählung der Juden und Gottes Bund mit ihnen. Das Bekenntnis zu Jesus Christus schließt dieses Zeugnis ein." Damit wird der theologische Grund für die besonderen Beziehungen der Kirchen zum Judentum festgehalten: die Anerkennung der bleibenden Erwählung der Juden auf der Grundlage des ungekündigten Sinai Bundes. Wenn Gott, den Christen als Vater Jesu Christi bekennen, seinen Bund mit der jüdischen Gemeinschaft aufrechterhält, dann steht die christliche Gemeinschaft in ihrer Beziehung zu Gott nicht allein im Raum, sie steht neben der jüdischen Schwesterreligion. Es gibt Kirche nur in Nachbarschaft zum Judentum. Die Einübung in diese besondere Nachbarschaft sollte als zentrale kirchliche Aufgabe angenommen werden in der Pflege guter Beziehungen zu den jüdischen Gemeinden, in der Förderung des gegenseitigen Verstehens, im gemeinsamen Engagement gegen alle Formen des Antisemitismus und in der Teilnahme am christlich-jüdischen Dialog.

3.3. Absage an die Judenmission

Nach der Erklärung „Kirche und Israel“ der Leuenberger Kirchengemeinschaft aus dem Jahr 2001 schließt die Anerkennung der bleibenden Erwählung der jüdischen Gemeinschaft ein, dass die Kirche keinen Auftrag hat, Juden zu bewegen, zum Christentum überzutreten: „Die Gemeinsamkeit des Zeugnisses von dem Gott Israels und das Bekenntnis zum souveränen Erwählungshandeln dieses Einen Gottes ist ein gewichtiges Argument dafür, dass sich die Kirchen jeglicher gezielt auf die Bekehrung von Juden zum Christentum gerichteten Aktivitäten enthalten“ 3.

In einer Presseerklärung vom 8.9.1998 bekräftigt der Rat der EKD nach einem Gespräch mit dem Zentralrat der Juden in Deutschland, dass alle 24 Mitgliedskirchen der EKD "eine auf Bekehrung" der Juden zielende Judenmission "aus theologischen und historischen Gründen" ablehnen.

3.4. Modelle der christlich-jüdischen Beziehungen

Aus der Anerkennung der bleibenden Gültigkeit des Bundes und aus der daraus folgenden Ablehnung der Judenmission ergibt sich, dass die Kirche aufgerufen ist, neue Modelle für die Beziehung zum Judentum zu entwickeln, die diesen Einsichten Rechnung trägt. So sieht z.B. die Leuenberger Erklärung zu „Kirche und Israel“ Christen und Juden als Partner, die „Seite an Seite“ Verantwortung wahrnehmen im Eintreten für „Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung“ 4.

Die sich auch in solchen Modellen abzeichnende grundlegende Erneuerung der Beziehungen zwischen Juden und Christen ist in konkreten Projekten der Begegnung und der Zusammenarbeit zu bewähren.

Die Erfahrungen in der Gestaltung der besonderen Beziehung zum Judentum können einen positiven Lerneffekt für die Einübung in die Nachbarschaftsfähigkeit auch zu anderen Religionen haben. Dabei sind die Gemeinden heute insbesondere auch darin herausgefordert, ihre Beziehungen zur muslimischen Gemeinschaft zu klären. In Deutschland finden heute die meisten interreligiösen Kontakte mit Muslimen statt.

3.5. Beziehungen zum Islam

In einer Handreichung zum „Zusammenleben mit Muslimen in Deutschland“ ruft der Rat der EKD dazu auf, die „Aufgabe christlicher Neuorientierung“ im Verhältnis zu den Muslimen anzunehmen 5. Ohne die tiefgehenden Unterschiede zwischen Islam und Christentum zu verdrängen, können Christen doch die Entdeckung von „Spuren“ göttlicher Wahrheit und Wirklichkeit sowie „Spuren des Geisteswirkens auch bei Muslimen“ „dankbar wahrnehmen“ 6.

In der Erklärung „Nostra Aetate“ des zweiten Vatikanischen Konzils tritt die katholische Kirche im Verhältnis zu den Muslimen dafür ein, „sich aufrichtig um gegenseitiges Verstehen zu bemühen“ und „gemeinsam .. für Schutz und Förderung der sozialen Gerechtigkeit, der sittlichen Güter und nicht zuletzt des Friedens und der Freiheit für alle Menschen“ Sorge zu tragen. Mit tief empfundenen Respekt erklärt das Konzil: „ Mit Hochachtung betrachtet die Kirche auch die Muslime, die den alleinigen Gott anbeten, den lebendigen und in sich seienden, barmherzigen und allmächtigen, den Schöpfer Himmels und der Erde“.

Neben der Klärung der vielen praktischen Fragen bezüglich des Zusammenlebens mit Muslimen in unseren Städten und Gemeinden, gilt es auch das Verständnis des Islam und der christlich-islamischen Beziehungen zu fördern. Da sich der Islam über Ismael auf Abraham bezieht entsteht dabei die Frage, ob der biblische bezeugte göttliche Segen für Ismael (Gen 16,10ff; 17,20; 21,18) einen Ansatzpunkt für die Klärung des Verhältnisses des Christentums zum Islam bilden kann. Eine entscheidende Herausforderung im Dialog zwischen Kirche und Mosche wird sicherlich darin bestehen, ob es gelingen kann, für die Widersprüche zwischen christlicher und islamischer Tradition eine gemeinsame Sprache zu finden, die sich bemüht, beiden Glaubenstraditionen gerecht zu werden.

3.6. Interreligiöser Dialog

Der interreligiöse Dialog steht noch sehr am Anfang. Der christlich-jüdische und der christlich-islamische Dialog sollten daher mit Nachdruck weiterentwickelt werden. Ebenfalls gilt es, die trilaterale Begegnung zwischen Juden, Christen und Muslimen zu fördern und das Verstehen auch der anderen Religionen zu vertiefen.

Dabei kann im interreligiösen Verhältnis eine vergleichbare Verständigung wie innerhalb der kirchlichen Ökumene über den unter 2. genannten „missio dei“- Begriff nicht vorausgesetzt werden. Es ist derzeit noch nicht erkennbar, ob im interreligiösen Dialog im Konsens ein vergleichbarer Begriff gefunden werden kann. Die Kirchen haben die Aufgabe als Vertreter des christlichen Glaubens sich bei der Suche nach einer theologisch verantwortbaren gemeinsamen Basis für den interreligiösen Dialog und das interreligiöse Zusammenleben zu beteiligen.

3.7. Dialog und Mission

Die bewusste Annahme dieser Aufgabe wird auch dadurch verstärkt, dass kirchliche Werke und Arbeitsbereiche, die sich im Dialog engagieren, anstelle des in der interreligiösen Begegnung geschichtlich belasteten und erklärungsbedürftigen Begriffs „Mission“ auch andere Bezeichnungen suchen, um das neu zu lernende Verhältnis des Christentums zu anderen Religionen zu bezeichnen 7. Dort wo der Begriff „Mission“ beibehalten wird, muss in der Begegnung mit Menschen anderer Religionen deutlich werden, dass sie als Partner im Dialog ernst genommen und nicht zu Objekten kirchlichen Handelns gemacht werden.

4. Die heutige Aufgabe: Zeugnis und Dialog in der Gegenwart der anderen

4.1. Bezeugen und Hören

Aus dem bisherigen ergibt sich, dass der christliche Glaube heute zu lernen hat, seine Erkenntnis und seine Glaubenserfahrungen in der Gegenwart anderer Überzeugungen zum Ausdruck zu bringen. Dabei muss ein grundsätzlicher Respekt vor anderen Glaubensweisen erkennbar werden.

Nach biblischer Tradition sollen die Christen „Zeugen“ Jesu Christi sein an ihrem Wohnort und weltweit: „In Jerusalem, in ganz Judäa und Samarien und bis ans Ende der Welt“ (Apg 1,8). Schon zu Beginn war dies mit einem Lernprozess der jungen Gemeinde verbunden, wenn etwa der Apostel Petrus in Begegnung mit einem römischen Hauptmann, der bereits vor seiner Aufnahme in die christliche Kirche eine Gottesbeziehung hatte, bekennt: „Wahrlich, jetzt begreife ich, dass Gott die Person nicht ansieht; sondern wer ihn fürchtet und recht tut, der ist ihm angenehm, gleich welchem Volk er angehört“ (Apg 10,34f).

Wenn Christen lernen, in Wort und Tat vor Ort und weltweit ihren Glauben zu bezeugen und dabei auch in Respekt auf andere Überzeugungen zu hören, dann werden sie Nähe und Distanz zu anderen Religionsgemeinschaften wahrnehmen. Diese unterschiedlich nahen und fernen Beziehungen zu anderen sind im Dialog zu bearbeiten und zu vertiefen, um sie genauer zu verstehen. Der Dialog hilft so, die Grundlagen für die Begegnung und das Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Religionen zu schaffen. Er hilft den Mitgliedern Kirchen, sich in die in diesem Zusammenleben dringend notwendig gewordene Nachbarschaftsfähigkeit einzuüben.

4.2. Den eigenen Glauben kommunizieren, anderen Glauben respektieren

Jeder Dialog lebt von selbst eingenommenen Standpunkten und Überzeugungen. Angesichts der schwindenden religiösen Bindung gilt es – s. oben unter 2., - für die Mitglieder der Kirchen vermehrt Möglichkeiten der Einübung in den christlichen Glauben, des geistlichen Wachstums und der Vertiefung der Sprachwelt des Glaubens in seiner Beziehung zu den Facetten gegenwärtigen menschlichen Lebens zu schaffen. Die Mitglieder der christlichen Kirchen sind dabei auch darin zu fördern, die heute notwendige Kompetenz für das interreligiöse Gespräch und die interreligiöse Begegnung zu entwickeln. Die Erfahrung im interreligiösen Dialog zeigt, dass die Begegnung mit anderen Glaubenstraditionen einen stimulieren Impuls für das Fragen nach der eigenen religiösen Identität geben kann.

Es ist heute nicht nur wichtig, den christlichen Glauben mit Hilfe der christlichen Tradition bekennen zu können, sondern seine Erkenntnis vor dem andersglaubenden Gegenüber ausdrücken zu lernen, ohne dessen Glaubensüberzeugung zu entwerten.

4.3. Notwendige Abgrenzungen

Auch der Dialog ist kein grenzenlos offenes Geschehen. Es gilt zuweilen auch unüberwindbare Dissonanzen festzustellen. Nicht alle Kulte sind unterschiedslos als Partner im Dialog anzuerkennen. Nach sorgfältiger Prüfung wird es auch zu klaren Abgrenzungen z.B. gegenüber destruktiven, menschenverachtenden und gewaltverherrlichenden Haltungen und Handlungen kommen, auch innerhalb der „klassischen“ Religionen. Die Kriterien dafür sind genau zu erarbeiten und im Dialog mit anderen Glaubensgemeinschaften ständig zu überprüfen.

4.4. Der Beitrag der Christen zu den Problemen unserer Zeit

Die Menschheit steht heute vor steigenden Risiken im Bereich der Ökologie, der Ökonomie, der Gen-Technik, gewalthaltiger Konflikte, des Terrorismus und der wachsenden Armut. Die Zusammenarbeit der Religionen, die Entwicklung gemeinsamer Standpunkte und gemeinsamer Projekte zur Begegnung dieser Gefahren sind heute dringend gefordert. Die Kirchen benötigen Kompetenz in dieser zentralen Herausforderung der Gegenwart. Welchen wesentlichen Beitrag können und wollen Christen heute in der multireligiösen und multikulturellen Gesellschaft für menschenwürdiges Leben in Frieden, Gerechtigkeit und in der Bewahrung der Schöpfung leisten?

4.5. Beziehung zwischen Mission und Dialog

Vor diesem Hintergrund bleiben Mission und Dialog zentrale Aufgaben kirchlicher Arbeit. Mission und Dialog sind „zwei Dimensionen des einen christlichen Zeugnisses“ 8. Mission verkörpert die Dimension der Weitergabe des Evangeliums 9 als das durch Jesus Christus geschenkte Angebot zur Umkehr, zur Vergebung, zur Befreiung und zur Heilung inmitten der Widersprüche, der Konflikte und der wachsenden Gefahren in dieser Welt. Der Missionsauftrag erinnert die Gemeinden daran, auch im Dialog in einer der Begegnung anderer Religionen angemessenen Sprache Rechenschaft über den Grund christlicher Hoffnung (1. Petr. 3, 15) abgeben zu können.

Der Dialog verkörpert die Dimension des Fremdverstehens 10 und lässt die Einsicht zu, dass von Gott geschenkte Umkehr, Vergebung, Befreiung und Heilung auch außerhalb der Kirche begegnen 11. Der Dialog erinnert die Gemeinden daran, auch in der Mission sich des ungekündigten Bundes Gottes mit der Menschheit (Noachitischer Bund), des ungekündigten Bundes mit Israel und des Segens für Ismael bewusst zu bleiben. In der konkreten Gestaltung der Beziehungen zu anderen Religionen lernen die Gemeinden, in welcher dieser Beziehungen ihnen Partner als „Zeugen Gottes“ in dieser Welt erwachsen.

5. Theologische Leitvorstellungen

5.1. Gottes Verhältnis zur Welt

Die Bibel setzt Gottes Beziehung zur Welt und zur Menschheit vor den Noah Bund und vor die Erwählung Israels und den in Israel begonnenen „Neuen Bund“ in Jesus Christus, als Angebot für alle Völker. Theologisch gesehen heißt dies, dass Gott seinen Weg nicht allein über die Kirche zur Menschheit nimmt. Gott unterhält in seiner Freiheit Beziehungen zur Menschheit und innerhalb dessen auch zur Kirche. Erkenntnis Gottes und Erfahrungen seiner Gegenwart sind daher prinzipiell auch außerhalb der Kirche möglich 12. Die Kirche muss damit rechnen, dem Geist Gottes, der weht wo er will, auch dort zu begegnen, wo sie ihn nicht vermuten würde. Im Vertrauen auf Gott und auf der Grundlage der ihr geschenkten Offenbarung Gottes in Jesus Christus kann sich die Kirche solchen Begegnungen öffnen.

5.2. Die Sendung der Gemeinde

Im sogenannten Sendungsbefehl Jesu (Mt. 28, 19f) ruft Jesus seine Anhänger auf, alle Völker zu „Schülern“ zu machen. Es entsteht die Vision einer weltweiten Lerngemeinschaft, deren Grundlage die Worte Jesu sind. Christen haben die Aufgabe, den Reichtum der durch Christus vermittelten und mit der ganzen biblischen Tradition verbundenen Erkenntnis in die Gespräche, Debatten, Konflikte und Lösungsanstrengungen unserer Zeit einzubringen. Das christliche Zeugnis benötigt kommunikative Kompetenz, um die rettenden, heilenden und helfenden Aspekte des christlichen Glaubens vermitteln zu können. Solche Vermittlung ist immer auch Einladung zur Teilnahme an der durch Jesus gegründeten Lerngemeinschaft.

Inmitten der Vielfalt menschlicher Lebensgestaltung hat die Kirche die Aufgabe, ihre Erkenntnis der gnädigen Weltzuwendung Gottes zu feiern und dieser in ihrer Lebens- und Arbeitsgestaltung zu entsprechen.

5.3. Wahrheit als Ereignis

Die Kirche hat aber in ihrem Zeugnis die göttliche Wahrheit nicht als einen Besitz. Die Gemeinschaft der Christen ist als „Schülerschaft“ Jesu in einem kontinuierlichen Lernprozess begriffen. Sie kann in allem darauf vertrauen, dass die Wahrheit sich selber durchsetzt. Dies kann durchaus auch durch nichtchristliche Stimmen geschehen. Die Kirche wird daher auch im Einbringen ihrer Botschaft bereit sein, auch auf die der anderen zu hören und im Dialog klären, welche Bedeutung diese Stimmen für sie haben kann. Sie wird nach sorgfältiger Prüfung zu entscheiden haben, welchen Stimmen sie sich öffnen kann und von welchen sie sich klar abzugrenzen hat.

5.4. Gottes neue Welt

Die Kirche bezeugt das rettende, heilende, helfende und segnende Handeln Gottes nicht als Selbstzweck. Sie bezeugt Gottes Handeln als Erneuerung der Welt und deren Zukunft in der göttlichen Neuschaffung von Himmel und Erde (Apk 21,1). Als Ziel der kirchlichen Arbeit, des christlichen Zeugnisses und kirchlicher Dialogbemühungen werden die Christen vom Neuen Testament daher an das Reich Gottes, an die gnädige Gegenwart Gottes verwiesen. Dass Gott sich dieser Welt gnädig zuwendet bleibt die Grundlage, die Motivation und die zentrale Orientierung der kirchlichen Hinwendung zur Welt, ihres Lebens und ihres Zeugnisses inmitten der pluralen menschlichen Gemeinschaft.

Anmerkungen
  1. Klaus Schäfer, Mission im Zeitalter der Globalisierung, Vortrag in Sankt Augustin, 2. März 2001
  2. vgl. die Erklärung „Auf dem Weg zu einem Zeugnis. Ein Aufruf zu verantwortlichen Beziehungen in der Mission und einer Absage an den Proselytismus“, Ökumenischer Rat der Kirchen, 1997
  3. Kirche und Israel, Ein Beitrag der reformatorischen Kirchen Europas zum Verhältnis von Christen und Juden, Leuenberger Texte, Nr. 6, Frankfurt aM 2001, S. 72
  4. ebd, S. 82. - Vgl auch die Diskussion in den USA über neue Modelle der christlich-jüdischen Beziehungen, in der Begriffe wie „Geschwister“ und „Partner“ eine zentrale Rolle spielen. (u.a. in: John Pawlikowski, Neue Denkansätze für das Verhältnis von Christen und Juden, 2002
  5. Zusammenleben mit Muslimen in Deutschland, Gestaltung der christlichen Begegnung mit Muslimen, Eine Handreichung des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, 2. Aufl., Gütersloh 2000, S. 23
  6. ebd., S 28f
  7. So hat z.B. der ÖRK im Generalsekretariat einen eigenen Arbeitsbereich für „Interreligiöse Beziehungen und Dialog“ eingerichtet. Der Vatikan hat die „Kommission für Religiösen Beziehungen mit den Juden“ beim „Päpstlichen Rat zur Förderung der Einheit der Christen“ angesiedelt, um dadurch die besonderen Beziehungen zwischen Christentum und Judentum, zu unterstreichen. Für den Dialog mit den anderen Religionen ist im Vatikan der „Päpstliche Rat für Interreligiösen Dialog“ zuständig.
  8. Christen und Juden I, Eine Studie des Rates der EKD, Gütersloh 1979 (3. Aufl.), S. 35
  9. Christine Lienemann-Perrin, Mission und interreligiöser Dialog, Bensheimer Hefte 93, Ökumenische Studienhefte 11, Göttingen 1999, S. 177
  10. ebd.
  11. EKD, Zusammenleben mit Muslimen, s. Anm. 4, S. 26: „Gott wirkt auch außerhalb der Kirche“.
  12. ebd.

 

Editorische Anmerkungen

Englischer Text.