Hirtenschreiben "Gerechter Friede"

27. September 2000. Kap. III (Aufgaben der Kirche) Punkt 3 (Bewährungsfelder kirchlichen Handelns für den Frieden) Verhältnis der katholischen Kirche zum Judentum. Hier die Absätze 184-186).

Gerechter Friede

Am 27. September 2000 veröffentlichten die deutschen katholischen Bischöfe das Hirtenschreiben „Gerechter Friede". Das Dokument ist eine Weiterführung des im Jahre 1983 herausgegebenen Hirtenwortes „Gerechtigkeit schafft Frieden". In Kap. III (Aufgaben der Kirche) Punkt 3 (Bewährungsfelder kirchlichen Handelns für den Frieden) behandelt das neue Hirtenwort das Verhältnis der katholischen Kirche zum Judentum. Wir geben die entsprechenden Absätze (184-186) im vollen Wortlaut wieder.

Christen – Juden

(184) Unsere Friedensfähigkeit als Christen muß sich vor allem in unserem Verhältnis zu den Juden bewähren. Wir stehen von Gott her in einer einzigartigen Verbindung zu ihnen. Unsere Heiligen Schriften enthalten die jüdische Bibel als ihren ersten großen Teil. So hören wir auf das gleiche Wort Gottes und kommen aus dem gleichen Ursprung. Papst Johannes Paul II. hat 1980 in Mainz im Blick auf den Dialog mit dem Judentum bemerkt: „Die erste Dimension dieses Dialogs, nämlich die Begegnung zwischen dem Gottesvolk des von Gott nie gekündigten Alten Bundes und dem des Neuen Bundes, ist zugleich ein Dialog innerhalb unserer Kirche, gleichsam zwischen dem ersten und zweiten Teil ihrer Bibel." 1986 sagte er in der Synagoge von Rom: „Ihr seid unsere bevorzugten Brüder und, so könnte man gewissermaßen sagen, unsere älteren Brüder." Das bleibt so – trotz des Auseinanderbrechens von Kirche und Synagoge am Anfang unserer christlichen Geschichte. Dieser Bruch ist unsere erste und größte Wunde, noch vor allen späteren Spaltungen innerhalb der Christenheit. Sie ist bis heute noch nicht geheilt. Unsere Bindung an das Judentum ist unaufhebbar bis zum Ende der Zeit. Die Jünger Christi aus den Völkern sind, wie Paulus im Römerbrief sagt, wilde Zweige, die in den alten Ölbaum Israel eingepfropft wurden. Nur an diesem Baum können sie leben. Nicht der Zweig trägt die Wurzel, sondern die Wurzel den Zweig (Röm 11,18). Wir müssen daher den geschichtlichen Weg des Judentums als ein Stück unserer eigenen Geschichte mit Gott begreifen. Wir sollten über diesen Weg in unseren Gemeinden nachdenken und uns fragen, wie wir von ihm her auch selbst Orientierung gewinnen können.

Probleme der Geschichte

(185) Die frühe Kirche setzte sich aus Juden und Heiden zusammen. Durch die immer größere Distanz zwischen der Christenheit und der überwiegenden Mehrheit des jüdischen Volkes, die Jesus nicht als Christus anerkennen konnte, wurde das Judenchristentum immer mehr an den Rand gedrängt und starb mit der Zeit aus. So gab es schließlich nur noch ein der Christenheit gegenüberstehendes Judentum. Zumindest im Abendland waren die Christen bald die Mächtigeren. Im Kreuz Christi sahen Juden deshalb nicht ein Zeichen der Versöhnung, sondern der Bedrohung. Theologischer Antijudaismus wirkte mit bereits bekanntem Sozialneid und Furcht vor dem Anderen zusammen. Juden konnten nur selten spüren, daß sie von Christen als Geschwister im Glauben geachtet wurden. Der neuzeitliche, auf naturwissenschaftlichen Hypothesen aufbauende rassistische Antisemitismus führte oft zu einer Verschmelzung mit verschiedenen bereits bekannten Aspekten der Judenfeindschaft. Christen sind ihr erlegen und trugen dazu bei, daß die nationalsozialistische Judenverfolgung und der Mord an Millionen Juden (Schoa) möglich wurde. Zu wenige – wie der selige Dompfarrer Bernhard Lichtenberg und Gertrud Luckner – widerstanden. Zu wenige waren nach dem Ende der Schreckensherrschaft stark genug, ihre Verstrickung zu erkennen, Schuld zu benennen und ein neues Verhältnis zu den Juden zu suchen.

Neues Vertrauen

(186) Wir sind dankbar, daß sich Juden mit Christen in Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit zusammenfinden. Gemeinsam mit jüdischen Partnern stellen sich einzelne Christen wie auch kirchliche Einrichtungen und Gruppen dem Dialog. Wir sehen mit Freude, daß sich im „Land der Täter" nach der Schoa wieder jüdische Gemeinden gebildet haben. Nach 1989 haben zudem Juden aus osteuropäischen Ländern ihre Heimat in Deutschland gesucht. Die Zahl der jüdischen Gemeinden und ihrer Mitglieder ist dadurch beträchtlich gestiegen und stellt sie vor große Herausforderungen. Kirchen und Christen sind dazu aufgerufen, aus dem Geist der Geschwisterlichkeit heraus alles zu tun, daß jüdische Menschen Deutschland als ein Land erfahren, in dem sie willkommen sind, ihre jüdische Identität ohne Bedrängnis leben können und ihre innere Verbindung zum Land Israel ohne Infragestellung ihres Bürgerseins in Deutschland respektiert wird. Jede judenfeindliche Äußerung und Handlung sollte unseren Einspruch und Protest erfahren. Auch wir selbst müssen immer wieder prüfen, inwieweit wir in unseren Äußerungen gefangen sind in den über Jahrhunderte hinweg wirkenden antijüdischen Einstellungen. Im Einsatz für die Verwirklichung der Menschenrechte ist an die Geschichte des Antijudaismus und des Antisemitismus zu erinnern. Von daher gilt es, „alle Verfolgungen gegen irgendwelche Menschen" und „alle Haßausbrüche" zu verwerfen (Nostra aetate, Nr. 4) und statt dessen für einen gerechten Frieden mit den in der eigenen Gesellschaft lebenden Anderen zu arbeiten. Wir sehen es als dringlich an, die Geschichte des Judentums, speziell die Leidensgeschichte des jüdischen Volkes, stärker als bisher in der theologischen Ausbildung, im Religionsunterricht und in der kirchlichen Erwachsenenbildung zur Sprache zu bringen. Sie ist, gerade auch in ihren dunklen Phasen, ein Stück unserer eigenen Kirchengeschichte. Ihre Präsenz im christlichen Bewußtsein kann wesentlich dazu beitragen, daß das christlich-jüdische Gespräch voranschreitet und der Weg zur Versöhnung gegangen wird. Wir legen allen, die in der Pastoral, in Erziehung und Bildung tätig sind, nahe, die bereits vorhandenen Materialien über Geschichte und Gegenwart des Judentums sowie über das christlich-jüdische Verhältnis zu nutzen.