Gemeinsame Erklärung: Reflexionen über das Millennium

Konsultation des Nationalen Synagogalen Rates und des Ausschusses der Bischöfe für ökumenische und interreligiöse Angelegenheiten der Nationalen Konferenz katholischer Bischöfe

Gemeinsame jüdisch-katholische Erklärung:

Reflexionen über das Millennium

WASHINGTON, 5. Mai 1998 -- Der Nationale Rat der Synagogen [USA] und der Ausschuß für ökumenische und interreligiöse Angelegenheiten der Nationalen Konferenz der katholischen Bischöfe [USA] haben eine gemeinsame Erklärung herausgegeben, das sich „Reflexionen über das Millennium“ nennt.


Die Erklärung wurde während einer Sitzung der Konsultation des nationalen synagogalen Rates und dem bischöflichen Ausschuß, die vom 4.-5. Mai in Baltimore stattfand, entwickelt. Die gemeinsamen Vorsitzenden der Konsultation sind Kardinal William Keeler von Baltimore und Rabbiner Mordecai Waxman, Präsident des Nationalen Rats der Synagogen (NC). Die beiden Männer begannen die Konsultation im Jahr 1987 als Fortsetzung der Begegnung zwischen Papst Johannes Paul II. und Führern der amerikanischen Judenheit in Miami, Florida.


Dr. Eugen Fisher, Direktor für die katholisch-jüdischen Beziehungen des Ausschusses der Bischöfe für ökumenische und interreligiöse Angelegenheiten, sagte, es bestehe „die Hoffnung, daß die vorliegende Erklärung helfen wird, in lokalen Gemeinschaften überall im Land verantwortliche Kreativität für das Bemühen auszulösen, den Übergang vom 20. Jahrhundert in einer Weise zu begehen, die für die katholisch-jüdischen Beziehungen der Erinnerung wert ist und für die nächsten tausend Jahre eine hellere Zukunft sichert.“


Die den Nationalen Rat der Synagogen bildenden Körperschaften sind die „Zentrale Konferenz amerikanischer Rabbiner“, die „Rabbinische Versammlung“, die „Union der amerikanischen hebräischen Gemeinden“ und die „Vereinigte Synagoge des konservativen Judentums“.


Die katholisch-jüdische Konsultation versammelt sich zweimal jährlich. Die bisherigen gemeinsamen Erklärungen der Konsultation beschäftigten sich mit Themen wie „Moralische Werte in der öffentlichen Bildung“ (1990), „Das Übel der Pornographie“ (1993) und „Verurteilung der Leugnung des Holocaust“ (1994). Die Versammlung in Baltimore behandelte eine Reihe von gesellschaftlichen Problemen, die von gemeinsamem Interesse sind. Sie nahm auch die jüngste Erklärung des Heiligen Stuhls auf, „Wir erinnern: Eine Reflexion über die Shoah“, und diskutierte Möglichkeiten, wie der Auftrag [des Dokuments], gemeinsame historische Studien und Holocaustprogramme in katholischer Bildung zu schaffen, am besten durchgeführt werden kann sowohl auf nationaler wie auf lokaler Ebene der Diözesen. (98-095)


Reflexionen über das Millennium

Eine Erklärung des Nationalen Rats der Synagogen

und des Ausschusses der Bischöfe für ökumenische und interreligiöse Angelegenheiten der Nationalen Konferenz katholischer Bischöfe

Baltimore, Maryland, 5. Mai 1998

Die Jahrtausendwende wird zunehmend zum Brennpunkt gesellschaftlicher und religiöser Strömungen in praktisch jedem Aspekt zeitgenössischer Kultur. Vom Sekulärsten bis zum religiös Ernsthaftesten werden Themen angeschnitten, die Selbstbeobachtung, Aussöhnung von Gruppen und idealistische Bemühungen um Frieden, Gerechtigkeit und Umweltschutz offenbaren und [darum] gefördert werden sollten.

Wir sprechen als Juden und Christen, die durch den Dialog gewonnen haben, der die letzten dreißig Jahre seit dem zweiten vatikanischen Konzil gekennzeichnet hat. Wir sprechen am Ende eines Jahrhunderts, das der Papst Johannes Paul II. „das Jahrhundert der Shoah“ nannte. Weil wir das Gespräch führen und uns verpflichtet haben, es weiterzuführen, können wir dem nächsten Jahrhundert mit größerer Hoffnung und größerem Vertrauen entgegensehen, als das noch vor nur einer Generation möglich gewesen wäre.

Wir sprechen als religiöse Verantwortliche unserer Gemeinschaften, Rabbiner, Bischöfe, Kleriker und leitende Laien, die sich dem Weg der Aussöhnung zwischen unseren Gemeinschaften verpflichtet haben. Wir nehmen die Bekundungen von teshuva (Reue, Umkehr), die von vielen Konferenzen katholischer Bischöfe in Europa hinsichtlich des Holocaust und der zu oft tragischen Jahrhunderte, die ihm vorangingen, zur Kenntnis, ebenso auch die vor kurzem veröffentlichte Erklärung des heiligen Stuhls, „Wir erinnern. Eine Reflexion über die Shoah.

Wir nehmen ebenfalls die konsequente Belehrung des Heiligen Stuhls seit dem zweiten vatikanischen Konzil zur Kenntnis, daß die fortbestehende Gültigkeit des Bundes Gottes mit dem jüdischen Volk bestätigt. Anstelle früherer Bemühungen der religiösen Gruppen, sich gegenseitig zu proselytieren, achten wir einander in gegenseitigem Respekt vor unseren zwei Glaubenstraditionen von welcher jede in den Worten von Papst Johannes Paul II. „das Echo eines tausendjährigen Suchens nach Gott in sich trägt.“

Wir sind uns einig in unserem Bemühen, die Ausbreitung religiöser Gleichgültigkeit zu überwinden. Sie stellt „eines der hervorragenden Phänomene unserer Zeit dar, besonders in der euro-amerikanischen Kultur. Viele Leute leben, als ob es keinen Gott gäbe.“ Wir bleiben uns der Besonderheit jeder unserer Glaubenstraditionen bewußt. Wir versuchen, den unglaubwürdigen Synkretismus zu vermeiden. Wir wissen uns verpflichtet zusammenzuarbeiten, um der amerikanischen Öffentlichkeit ein positives kollektives Bild religiöser Eingliederung zu bieten. Wir haben diesbezüglich vor, die Darstellungen religiöser Gemeinschaft in den weltlichen Medien und anderen zeitgenössischen Mitteln der Kommunikation neu einzuschätzen.

In diesem Land, das mit einem fortdauernden Dialog zwischen Katholiken und Juden gesegnet ist, der Tiefe und Substanz hat, haben wir die Möglichkeit, unsere institutionellen und akademischen Mittel der Aufgabe zuzuwenden, erneut die lange Geschichte zu betrachten, an der unsere Gemeinschaften Anteil haben, und in gemeinsamen Studien Heilung für die Erinnerung zu suchen, um ein gemeinsames Verständnis zu entwickeln, auf das sich pädagogische Programme für künftige Generationen gründen können. Während in dieser Hinsicht noch viel Arbeit zu tun bleibt, stellen wir aber auch fest, daß seit dem zweiten vatikanischen Konzil ein solider Anfang gemacht worden ist, es bestehen eine Reihe von Errungenschaften, die weitere Schritte zu einem gegenseitigen Verständnis erhoffen lassen.

Am Ende eines Jahrhunderts, das in der Shoah die äußerste Entmenschlichung eines ganzen Volkes erlebte, wollen wir gemeinsam die Heiligkeit der menschlichen Person behaupten und verkünden. Die gemeinsame Reflexion unserer gemeinsamen Heiligen Schrift, insbesondere die Schöpfungsberichte der Genesis, lehren uns, daß die Menschheit nach dem Bild Gottes geschaffen wurde. Diesbezüglich empfehlen wir Gesprächsgruppen im ganzen Land zwei Dokumente, die vom internationalen katholisch-jüdischen Liaisonausschuß veröffentlicht wurden. Diese Dokumente erörtern Themen, die von beiderseitigem Interesse sind und von unserem gemeinsamen Verständnis der Schöpfung ausgehen. Das erste, „Über die Heiligkeit der Ehe und der Familie“, wurde in Jerusalem im Jahr 1994 veröffentlicht. Das zweite, „Umweltschutz: Ein religiöser Akt“, wurde im Jahr 1998 gemeinsam in Rom herausgegeben. Zusammengenommen können diese Erklärungen lokale Veranstaltungen, die auf den Jahrtausendwechsel bezogen sind, befruchten.

Das Jahr 2000 ist von der katholischen Kirche als Halljahr erklärt worden. Die hebräischen Schriften definieren die Bedeutung des Halljahrs in Leviticus 25. Sowohl in diesem Kapitel der Bibel als auch in päpstlichen Reflexionen über dieses Thema kann man eine dreifache Verpflichtung für das Volk Gottes sehen, die eine nationale Reflexion erforderlich macht. Wir glauben, daß diese Verpflichtungen nicht nur für Katholiken und Juden Bedeutung haben, die in gemeinsamen Studien und gemeinsamer Aktion zusammenarbeiten, sondern auch für die Erneuerung unserer amerikanischen Gesellschaft als ganzer.

1. Befreiung von Sklaven -- Menschenbefreiung. Durch die Bearbeitung dieses Themas (Lev. 25,39) können lokale Gemeinschaften an der Konfrontation der unmenschlichen Verhältnisse von Engstirnigkeit, Ausbeutung und Gewalt, die bis heute noch einen Großteil der amerikanischen Bevölkerung versklaven, und an der Planung und Durchführung pädagogischer Programme und gesellschaftlicher Aktivitäten beteiligt werden, die gemeinsam studierte Probleme ansprechen.

2. Rückgabe von Eigentum -- wirtschaftliche Befreiung. Diese Gesetzgebung (Lev. 25,13) war darin revolutionär, daß sie moralische Richtlinien in die Ökonomie einführte. Sie versuchte, die bleibende Anhäufung von Landbesitz in den Händen weniger zu verhindern, Armut zu begrenzen und Menschen eine neue Möglichkeit zu geben, ihre wirtschaftliche Lage zu verbessern. Die ihnen zugrundeliegenden Prinzipien stellen die gegenwärtigen Diskussionen innerhalb unseres Landes hinsichtlich Sozialhilfe, Steuerreform und anderer Probleme in Frage.

3. Ruhe für das Land -- Umweltbefreiung. Achtung vor dem Land (Lev. 25,11) und den Meeren können hier betont werden, ebenso die Rolle der Menschheit als Haushalter (Gen. 2,15), der Gott verantwortlich ist für die Betreuung und Pflege aller Lebensformen.

Indem wir uns dem neuen Jahrtausend nähern, können wir schließlich Wege der Zusammenarbeit schaffen, um unser gemeinsames geistliches Erbe zu bezeugen. Wir stellen den tiefen Problemen unserer Tage nicht nur die Reichtümer unserer zwar getrennten aber doch verwandten Traditionen gegenüber, sondern wir arbeiten zusammen, um den Weg für das Kommen der Herrschaft („des Reiches“) Gottes zu bereiten, für das unsere beiden [Gemeinschaften] beten als einer Aufgabe des Tikkun Olam (des vervollkommnen Machens oder der Wiederherstellung der Welt).