Gelassen bleiben

Als Glaubender hat man es zurzeit nicht leicht: Beschneidungsdebatte, Muhammad-Video, Karikaturen zum Papst und zu Muhammad, eine Theateraufführung mit einem betrunkenen Jesus beim Abendmahl. Religion bietet schnell eine Projektionsfläche für Menschen, die Religion als „ewig gestrig“ oder als fundamentalistisch einordnen – frei nach dem Motto: „Denkst du schon oder glaubst du noch?“

 Gleichzeitig spielt die Werbung mit religiösen Symbolen, verspricht das Paradies oder gar die Erlösung. Natürlich: Toleranz ist in aller Munde und zur Freiheit in der Demokratie gehört es, auch das auszuhalten, was für einen selbst unangenehm ist. Ebenso gilt: Es gibt Formen von Religiosität, die abschrecken und Angst machen, radikale Kräfte, die intolerant nur ihre Interessen durchsetzen wollen.

Die Religionsgemeinschaften sind gefragt, deutlich zu machen, wie sie mit den Provokationen umgehen und wie sie sich von den Radikalen in ihren eigenen Reihen abgrenzen. Es steht an, dass sich gerade die deutlicher gegen jeden Missbrauch ihrer Religion zu Wort melden, die in den Synagogen, Kirchen und Moscheen einfach ihren Glauben leben möchten. Es ist nötig, auf den spirituellen Reichtum der Religionen neu aufmerksam zu machen. Muslime wissen sich durch den Koran dazu aufgerufen, Gutes zu tun „um die Wette“ (Sure 5,48) und in der Verantwortung vor Gott zu leben (Sure 2,62).

Juden und Christen haben das „Doppelgebot der Liebe“ als Grundlage (5. Mose 6, 4–6, Markusevangelium 12, 29–31). Glaubende wissen sich von Gott getragen. Alles Menschliche ist vorläufig. Auch die dümmste Provokation. Daraus erwächst eine spirituelle Haltung der Gelassenheit. Oder wie es in der Sehitlik-Moschee hieß: „Wir reagieren auf die Beleidigung, indem wir für den Frieden und das Gemeinwohl beten.“

Vom Missbrauch auf das Wesen einer Sache zu schließen, ist unvernünftig. Differenzierung tut not. So geht es heute nicht mehr um die alte Grenzziehung zwischen Glaubenden und Nichtglaubenden. Beide können sehr selbstzufrieden in ihrer Position erstarren. Wichtiger ist, dass Gläubige wie Atheisten ihre Selbstzufriedenheit und Überheblichkeit aufgeben und eine Kultur des Respekts und der Achtung entwickeln. Dazu gehört auch, religiöse Gefühle anderer nicht zu verletzen.

Denn der Umgang miteinander ist Erweis unserer Demokratiefähigkeit. Jede Einschränkung der Religionsfreiheit trifft genau die Freiheit, die unsere Demokratie stark macht. Radikalen Kräften dabei Grenzen zu setzen, ist Teil eines Toleranzverständnisses, das gerade nicht in milder Zulassung einfach alles für gleich-gültig erklärt.

Gottvertrauen steht nicht gegen die Vernunft. Beide eröffnen lebensnotwendige Zugänge zur Wirklichkeit des ganzen Lebens, dem wir Sinn und Richtung geben möchten. Dafür steht ein Religionsverständnis, für das Glauben und Denken zwei Seiten der einen Medaille sind. Die Religionen bieten genügend Potenzial, diesen Schatz zu heben.

Ender Cetin, Vorstandsvorsitzender der DITIB Sehitlik Moschee zu Neukölln e.V.

Andreas Goetze, Landespfarrer der EKBO für den interreligiösen Dialog

Cadir Sanci, islamischer Religionswissenschaftler

Christopher Jage-Bowler, Pfarrer der anglikanischen Kirche

Editorische Anmerkungen

Die gemeinsame Erklärung erschien am 30. September 2012 auf der Titelseite von "die Kirche - Evangelische Wochenzeitung".