Erklärung gegen den Antisemitismus

Januar 1960; Angesichts der Welle antisemitischer Aktionen, die unser Volk mit neuer Schuld bedrohen, erinnern wir uns und die Gemeinden noch einmal mit allem Ernst an die Verpflichtungen, die wir auf uns genommen haben mit dem Stuttgarter Schuldbekenntnis und mit der Erklärung der EKiD-Synode in Weißensee vom 27. April 1950.

Provinzialsynode der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg

Erklärung gegen den Antisemitismus vom Januar 1960

Die Synode der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg vom 24. bis 29. Januar 1960 erinnert in ihrer Erklärung gegen den Antisemitismus an die Erklärung der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland in Berlin-Weißensee (E. III-12) und betont dabei „die biblische Erkenntnis, daß unsere Rettung von der Erwählung Israels nicht zu trennen ist". Zum Verhältnis zu den jüdischen Mitbürgern heißt es, „daß wir um Jesu willen ihre Brüder und Schwestern sind".

Angesichts der Welle antisemitischer Aktionen, die unser Volk mit neuer Schuld bedrohen, erinnern wir uns und die Gemeinden noch einmal mit allem Ernst an die Verpflichtungen, die wir auf uns genommen haben mit dem Stuttgarter Schuldbekenntnis und mit der Erklärung der EKiD-Synode in Weißensee vom 27. April 1950. Diese Synode hat einstimmig erklärt:

„Wir glauben an den Herrn und Heiland, der als Mensch aus dem Volk Israel stammt.

Wir bekennen uns zur Kirche, die aus Judenchristen und Heidenchristen zu einem Leib zusammengefügt ist und deren Friede Jesus Christus ist. Wir glauben, daß Gottes Verheißung über dem von ihm erwählten Volk Israel auch nach der Kreuzigung Jesu Christi in Kraft geblieben ist.

Wir sprechen es aus, daß wir durch Unterlassen und Schweigen vor dem Gott der Barmherzigkeit mitschuldig geworden sind an dem Frevel, der durch Menschen unseres Volkes an den Juden begangen worden ist.

Wir warnen alle Christen, das, was über uns Deutsche als Gericht Gottes gekommen ist, aufrechnen zu wollen gegen das, was wir an den Juden getan haben; denn im Gericht sucht Gottes Gnade den Bußfertigen."

Wir müssen heute bekennen, daß wir diesen Verpflichtungen nur unzureichend nachgekommen sind. Wir sind vor allem schuldig geworden an der Jugend, der gegenüber wir es an der nötigen Belehrung und dem verpflichtenden Zeugnis haben fehlen lassen. Daher ist es nicht zu verwundern, dass der Ungeist auch in Kreisen der Jugendlichen sich immer wieder aufs neue breitmacht. Demgegenüber müssen wir uns erneut klarmachen und es bezeugen: Der immer wieder durchbrechende Judenhaß ist offenkundige Gottlosigkeit.

Darum erarbeitet euch die biblische Erkenntnis, daß unsere Rettung von der Erwählung Israels nicht zu trennen ist. Macht Gebrauch von den Hilfsmitteln, die euch zur Verfügung gestellt werden, damit ihr in der Predigt, in gemeinsamer Arbeit der Gemeindegruppen und in der Unterweisung der jungen Menschen Gottes Willen mit Israel erkennt.

Darum brecht als Eltern und Erzieher das weitverbreitete peinliche Schweigen in unserem Land über unsere Mitverantwortung am Schicksal der Juden und widersteht dem, dass die junge Generation zur Judenfeindschaft verführt wird.

Darum sucht die Begegnung mit den überlebenden jüdischen Mitbürgern, solange sie unter uns wohnen wollen, und zeigt euch dankbar dafür, daß wir um Jesu willen ihre Brüder und Schwestern sind.

Darum tretet ein für die Wiedergutmachungsleistungen. Bedenkt aber, dass Gesinnungswandlung wesentlicher ist als eine Renten- und Kapitalabfindung, die wenig bedeuten kann für Menschen, welche den größten Teil ihrer Angehörigen durch Gewaltmaßnahmen verloren haben.

Darum laßt alles Rechten. Zeigt euren jüdischen Brüdern und Schwestern, daß ihr aus der Vergebung lebt, damit auch sie vergeben können.

Darum betet um den Frieden Gottes mi Israel. Betet um den Frieden Israels unter den Nationen, an den Grenzen seines Staates und in unserer Mitte.

Editorische Anmerkungen

Wortlaut in: Verhandlungsbuch der Berlin-Brandenburgischen Provinzialsynode vom 24.-29. Januar 1960, Berlin 1960,181f.; vgl. Freiburger Rundbrief 13 (1961) 41.