Erinnerung verpflichtet zu Wachsamkeit und Solidarität

Am 22. Oktober 1940 wurden die letzten Homburger Juden, 17 Menschen, die sich als Bürger unserer Stadt gefühlt hatten, in das Lager Gurs in Südfrankreich deportiert. Mit diesem Datum errang der damalige Gau Saarpfalz, zusammen mit Baden, in den Augen der Machthaber den Vorzug, als erstes Gebiet in Deutschland "judenfrei" geworden zu sein. Für uns ist dies ein Datum der Schande.

Von den im Jahr 1933 registrierten 163 jüdischen Einwohnern Homburgs wurden 29 ermordet, davon 16 in Auschwitz. Nach dem Krieg kehrten nur wenige Überlebende in diese Stadt zurück, eine Synagogengemeinde existiert hier nicht mehr.

Indem wir als politische und als christliche Gemeinde an das Unrecht erinnern, das jüdischen Bürgern unserer Stadt damals angetan worden ist, wollen wir ihnen einen kleinen Teil der geraubten Würde zurückgeben. An die Judenverfolgung der NS-Zeit zu erinnern, sich Name und Lebensumstände der damals Erniedrigten und Ausgestoßenen bewusst zu machen, gehört zum menschlichen und politischen Anstand. Damit darf es aber kein Bewenden haben.

Die Erinnerung verpflichtet uns, auf allen Gebieten wachsam zu sein, wenn Humanität bedroht ist. Eines besonderen Augenmerks bedarf jedoch das Ergehen des jüdischen Volkes, dessen Tradition Europa viele seiner kulturellen Grundlagen - bis hin zu den Menschenrechten - verdankt. Denn die wenigen Jüdinnen und Juden, deren Familien nach 1945 zurückkehrten oder erst in den Neunziger Jahren aus der früheren Sowjetunion zu uns gekommen sind, leben in unserem Land unter erschwerenden Ausnahmebedingungen, auch wenn der Verfolgungsdruck heute nicht vom Staat ausgeht. Jüdische Einrichtungen müssen ständig unter Polizeischutz stehen. Es gibt Gebiete in deutschen Großstädten, in denen es für Juden lebensgefährlich ist, sich als Juden zu erkennen zu geben. So musste in Berlin kürzlich ein jüdisches Mädchen die Schule wechseln, weil es von Mitschülern gemobbt wurde. In Frankfurt am Main wurde vor zwei Jahren ein als orthodoxer Jude erkennbarer Passant auf der Straße niedergestochen.

Die Ermordung der Juden ab 1940 war in diesem Umfang möglich, weil damals kein Staat jüdischen Flüchtlingen freizügig die Einreise gewährte. Vielfach wird heute der Staat Israel, in dem viele der Überlebenden eine Heimat fanden und der allen Juden ein sicherer Fluchtort ist, in einer Weise kritisiert und verzerrend dargestellt, die an die hetzerische Propaganda der Nationalsozialisten erinnert. Der auf Vernichtung zielende Hass vieler Kräfte im Umfeld Israels knüpft nahtlos an die nationalsozialistische Ideologie an. Selbstverständlich darf die Politik Israels kritisiert werden, auch in Deutschland. Ebenso selbstverständlich muss dabei aber die Fairness gewahrt bleiben. Gerade am 70. Jahrestag der Deportation der Homburger Juden erklären wir unsere Solidarität mit den heute lebenden Juden in Israel und überall auf der Erde. Wir sind dankbar, dass es in kleinem Umfang heute wieder jüdisches Leben im Saarland und in Homburg gibt.

Homburg, zum 22. Oktober 2010


Karlheinz Schöner, Oberbürgermeister

Dr. Klaus Beckmann, Pfarrer und Vorsitzender der ACK Homburg