An den Polnischen Rat der Juden und Christen, Warschau

Liebe Teilnehmende am Gebetsweg am ehemaligen Warschauer Getto aus Anlass des 70. Jahrestages des Getto-Aufstandes!

Der Aufstand im Warschauer Getto im Angesicht des sicheren Todes ist heute für die ganze Welt zu einem Zeichen der Menschenwürde im Kampf gegen ein unmenschliches Terrorsystem geworden. Für diesen Widerstand gegen die deutsche Unrechtsherrschaft sind wir heute dankbar. Die Erinnerung daran ist wichtig für das Jüdische Volk, sie ist wichtig für Polen, sie ist auch und vielleicht ganz besonders wichtig für uns Deutsche.

Ich danke Ihnen für das gemeinsame Glaubens-Zeugnis von polnischen Juden und Christen beim Gebetsweg auf dem Gelände des ehemaligen Gettos. Im Gebet auf den Spuren des Aufstandes kommt unsere Verantwortung vor Gott und den Menschen zum Ausdruck. In Erinnerung an die schmerzhafte Geschichte christlich-jüdischer Beziehungen ist dieses gemeinsame Zeugnis sehr wichtig.

Ich bin dankbar dafür, dass Sie Deutsche an diesem Gebetsweg teilhaben lassen. Ich bin mir bewusst, dass die Geschichte der christlich-jüdischen Beziehungen in Polen und in Deutschland sehr verschieden ist.

Deutsche haben im Namen des Deutschen Volkes Polen unter ein Terrorsystem gebracht, das Getto in Warschau gebaut, den Getto-Aufstand niedergeschlagen, die Bewohner ermordet, und später ganz Warschau zerstört. Die meisten von ihnen waren Christen, auch wenn die nazistische Ideologie selber es nicht mehr war.

Die Erinnerung an das unendliche Leid, das durch unser Volk über andere Menschen gebracht wurde, über das jüdische Volk, über das polnische Volk und viele andere, ist für uns Deutsche schwierig, sie beschämt uns. Sie bleibt eine erschütternde Mahnung auch für die katholische Kirche in Deutschland, die uns verpflichtet, uns für eine gemeinsame Welt gegenseitiger Achtung einzusetzen.

Die Würde des Menschen wurzelt in Gott. Deshalb kann die menschliche Würde letztlich auch nicht ermordet werden. Nicht die Mörder haben das letzte Wort bei Gott. Das ist unsere Hoffnung für die Opfer.

Das ist aber auch unsere Hoffnung für die Lebenden. Es ist möglich und es ist unsere Verantwortung, eine Welt zu gestalten, in der wir uns als Brüder und Schwestern begegnen und gemeinsam Probleme überwinden. Ich möchte Ihnen versichern, dass die Kommission für die religiösen Beziehungen zu den Juden der Deutschen Bischofskonferenz bereit ist, ihren Teil dazu beizutragen.

Ihnen heute im Gedenken und im Gebet solidarisch nahe.

April 2013

Heinrich Mussinghoff

Bischof von Aachen,

Vorsitzender der Kommission für die Beziehungen zu den Juden der Deutschen Bischofskonferenz