Eva Auf der Maur
Für Violine solo. Meine Kindheit im Diesseits 1938-1945
Aldo Zagarni, Für Violine solo. Meine Kindheit im Diesseits 1938-1945.
Aus dem Italienischen von Ruth Mader. S. Fischer Verlag, Frankfurt/Main 1998.318 Seiten.
Es brauchte mehr als 50 Jahre, um Kindheitserinnerungen aus der Zeit der
Schreckensherrschaft der Nazis und Faschisten zuzulassen, ohne von ihnen erdrückt zu
werden. Aldo Zagarni schreibt sie für seinen Enkel auf, so wie man eben erzählt,
sprunghaft, hier eine Begebenheit, da eine andere, manchmal lustig, manchmal traurig und
schrecklich. Oft sind die Erzählungen etwas verwirrend, aber immer lebendig und spontan.
Das Buch ist poetisch, geht leichtfüßig über die erlebten Schrecken, Ängste und
Gemeinheiten hinweg, ohne sie je zu banalisieren, eine Haltung, die nur der einnehmen kann,
dem Deportation und Auschwitz erspart geblieben sind.
Die Familie Zagarni, der Vater Bratschist in Turin, die gescheite, lebenskluge Mutter,
Aldo und der fast gleichaltrige Bruder Roberto, gehört zur jüdischen Gemeinde Turins. Als
der Vater seine Stelle im Orchester verliert, versucht er in Basel unterzukommen, aber ein
Deutscher wird ihm vorgezogen. Als die Familie untertauchen muß, werden Aldo und Roberto in
einem Salesianer-Internat aufgenommen, wo sie sich unter weniger kultivierten Bauernkindern
gut katholisch verhalten müssen. Die Geschichte mit der verräterischen Beschneidung
führt zu komischen Situationen. Die Patres tun ihr mögliches, die Buben vor den Faschisten
zu schützen. Als Turin bombardiert wird, flieht die Familie in eine Kleinstadt, aber ihre
Papiere sind schlecht gefälscht, und die Angst, entdeckt zu werden, ist groß. Neben
überzeugten Faschisten treffen sie auf mutige, hilfshereite Menschen, die der Autor mit
viel Witz in ihrer Skurrilität heschreibt. Die Familie zieht weiter in die Berge, mitten
hinein in die “Resistenza”. Der Vater hilft dem Dorfpfarrer an der Orgel beim
Gottesdienst und beim Chorgesang, dafür gibt es Suppe und Unterricht für die Buben.
Schließlich kommen alle heil davon, aber viele ihrer Verwandten gehen in der Schoa unter.
Trotz aller Ängste und Enthehrungen erleben die beiden Buben eine wirkliche Kindheit,
wild und abenteuerlich mit den Bauernkindern und dem einfachen Volk. Was das Buch so
eigenartig anziehend macht, ist die liebevolle Zeichnung der Akteure und die unverhohlene
Liebe zum Vater. Wie viele andere wird sich Aldo Zagarni erst nach der Verfolgung seines
Judentums bewußt und lebt es nun in selbstverständlichem Stolz. So kann er auch dankhar
der Christen gedenken, die ihnen ohne Bekehrungsversuche geholfen haben. Denn nur im Respekt
vor der Überzeugung des andern kann Vertrauen und Hoffnung entstehen.