Wende-Zeit im Verhältnis von Juden und Christen

Die Herausgeber haben in vier Kapiteln einschlägige Beiträge verschiedener renommierter und am Gespräch von Juden und Christen engagierter Autoren zusammengestellt.

[Hrsg.] Siegfried von Kortzfleisch/Wolfgang Grünberg/Timm Schramm:

WENDE-ZEIT IM VERHÄLTNIS VON JUDEN UND CHRISTEN.

370 S., Paperback, EBVerlag, Berlin 2009, ISBN 978-3-86893-008-5

Die Herausgeber haben in vier Kapiteln einschlägige Beiträge verschiedener renommierter und am Gespräch von Juden und Christen engagierter Autoren zusammengestellt. Eröffnet wird die Sammlung mit einem Aufsatz des mittlerweile verstorbenen katholischen Theologen Erich Zenger über die Bibel Israels als Grundlage des christlich-jüdischen Dialogs. Sehr rasch wird dabei deutlich, dass sie auch unverzichtbare Grundlage des christlichen Glaubens ist. Zenger verweist nochmals auf seinen schon vor Jahren gemachten Vorschlag, vom „Ersten Testament“ zu sprechen. Die Problematik des Begriffs „Testament“ wird damit jedoch nicht umgangen. Ausführlich erörtert er auch die Frage einer sachgerechten christlichen Lektüre der Bibel Israels.

In seinem Aufsatz „Vielfalt von Anfang an“ weist H. Frankemölle wie schon in früheren Veröffentlichungen auf die unterschiedlichen Strömungen im antiken Judentum hin, vor allem auf das hellenistische, das andere Vorstellungen als das rabbinische entwickelt hat, so dass die christliche Mission daran anknüpfen konnte. Besonders bemerkenswert ist auch Christine Gerbers Beitrag über die Trennung von Christen und Juden, in dem vertraute Denkschemata überwunden werden. Michael Wolffsohn reflektiert die unterschiedlichen Existenz- und Entwicklungsbedingungen einer Religion mit und ohne Staat.

Arnulf von Scheliha spricht von der »Tragik an dem nicht erfolgten Dialog zwischen Adolf von Harnack und Leo Baeck«, die sich seiner Meinung nach näher standen, als gemeinhin angenommen wird, jedenfalls was den »modernitätsbezogenen Umgang mit der eigenen religiösen Tradition« betrifft. Dennoch muss er Harnack bescheinigen, dass er mit seinen Urteilen über das Judentum zum »anti-judaistischen Nährboden« beigetragen hat. Walter Homolka blickt umgekehrt von Leo Baeck auf Adolf von Harnack. In der Frage nach dem »Wesen« einer Religion sieht er die Gefahr der Idealisierung der eigenen und der Verunglimpfung der anderen Religion und bescheinigt beiden, dass es ihnen nicht gelang, diese »Klippen zu umschiffen«. Er weist darauf hin, dass »paradoxerweise der jüdische Theologe das Christentum gegen seinen eigenen Ausleger in Schutz« nehme, indem er Jesus als »eine echt jüdische Persönlichkeit« versteht, vor allem auch in seinem 1938 erschienenen Buch »Das Evangelium als Urkunde der jüdischen Glaubensgeschichte«. Homolka hebt als charakteristisch für Baeck den ethischen Monotheismus und die Verflochtenheit von Religion und Leben hervor. Auch Leo Baecks Unterscheidung von klassischer und romantischer Religion ist bedenkenswert. Letzterer rechnet er Paulus zu.

Wenn Wolfdietrich Schmied-Kowarzik sich jüdischen Philosophen widmet, die eine »Herausforderung an die Christen« darstellen, ist ihm bewusst, dass die von ihm ausgewählten, Hermann Cohen, Martin Buber und Franz Rosenzweig, nicht »exegetisch das Judentum auslegen«, dass aber auch das Christentum auf Philosophie angewiesen ist. Helga Kuhlmann reflektiert den Glauben an Gottes Allmacht angesichts der Katastrophe von Auschwitz und Ephraim Meïr das aus dem amerikanischen Judentum stammende Dokument »Dabru Emet« in seiner Rezeption innerhalb verschiedener Richtungen des Judentums und im Licht jüdischer Philosophen. Dieses Dokument wird anschließend in der autorisierten Übersetzung von Christoph Münz abgedruckt. Der emer. Philosophieprof. Kodalle fordert eine Entmoralisierung des Erinnerns. »Hier wird nicht genötigt«, fordert er unter Bezug auf Kierkegards These, Totengedenken sei die reinste Form der Liebe, weil sie nicht auf Gegenseitigkeit beruhe. Fragwürdig wird seine grundsätzlich richtige Auffassung, Wahrheit, die gesetzlich geschützt werden müsse, stehe auf wackligen Füßen, wenn er sie auf die Holocaustleugnung anwendet. Es gibt Verbrechen, die jedes vorstellbare Maß überschreiten und daher auch nicht wie normale Meinungsdifferenzen behandelt werden können. Statt einer Dämonisierung der Täter komme es auf die Klärung der Frage an, wie ganz normale Bürger zu solchen Taten fähig werden konnten, und jungen Menschen die »Ambivalenzen im menschlichen Dasein« bewusst zu machen, und zwar auf Seiten der Täter wie der Retter. Ist dies aber möglich, wo die Tatsache selbst geleugnet oder auf Normalität herabgestuft wird? Trotz vieler bedenkenswerter Feststellungen und Forderungen liest man diesen Beitrag mit gemischten Gefühlen.

Das letzte Kapitel ist überschrieben »Neu aufbrechen«. Hier finden sich eine Auseinandersetzung mit der alt-neuen Karfreitagsbitte, Überlegungen zu Möglichkeiten gemeinsamen Handelns von Juden und Christen angesichts heutiger gesellschaftlicher Herausforderungen und ein Nachwort des Herausgebers, der ausgehend von einer kritischen Forderung Günter Bernd Ginzels eine Wende im Gespräch zwischen Christen und Juden fordert, das nicht mehr nach rückwärts, sondern nach vorwärts gewendet sein solle.

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