Warum die Arche nie gefunden wurde

Im Einleitungskapitel setzt sich der Direktor des Archäologischen Instituts der George Washington Universität mit Methoden ernsthafter historischer und archäologischer Wissenschaft und populärer Hobbywissenschaftler auseinander und formuliert dabei die hohen Maßstäbe, die für eine seriöse Wissenschaft gelten

Auch wenn diese stellenweise etwas arrogant formuliert sind, müssen sie im Interesse der Wahrhaftigkeit ernstgenommen werden. Dabei reißt er auch die Frage aktueller Relevanz althistorischer Forschungsergebnisse an. Auch seine eigenen Grenzen gesteht er, wenn er einräumt: „Ich bin auch kein wirklicher Experte für Textkritik und Textanalyse.“ Inwieweit sich dies bezüglich seiner sieben Beispiele auswirkt, muss sich zeigen; denn er nennt als methodisches Prinzip, er behandle „die Bibel wie jede andere antike literarische Quelle: als einen Text, der geprüft, abgeklopft, verglichen, analysiert und regelrecht ausgewrungen werden muss“. Als Textexperte würde er allerdings nicht fragen, wo z.B. der Garten Eden lag, sondern wo ihn der biblische Verfasser verortet, außerdem würde er die Gattung der Erzählung beachten, die ein Wunderland beschreibt. Dennoch lesen sich seine Ausführungen zur Entwicklung dieser Region – auch über geologische Veränderungen am Persischen Golf – interessant.

Clines Ausführungen zur Problematik der Arche Noahs reproduzieren Sachverhalte, die in der alttestamentlichen Forschung seit über einhundert Jahren be¬kannt sind, ergänzt durch neuere archäologische Erkenntnisse über Flutereignisse im Vorderen Orient und Hinweise auf verschiedene Expeditionen. Was allerdings die Erzählung vom Turm zu Babel mit der Sintfluterzählung zu tun haben soll, wird leider nicht deutlich. Ähnlich verhält es mit dem Kapitel über Sodom und Gomorra. Verschiedene Lokalisierungsversuche werden vorgestellt und mit der Frage verquickt, wann und wo Abraham gelebt habe. Zwar wird erwogen, die Abrahamerzählung könne mit einer älteren kanaanäischen verwoben worden sein, dabei jedoch übersehen, dass die biblische Gesamtkonzeption nicht an solchen archäologischen Details interessiert ist, sondern Überlieferungen nutzt, die im Interesse ihres Gesamtanliegens geeignet erscheinen.

Nicht im Bereich der Bodenarchäologie, sondern der Textvergleiche befinden sich die Überlegungen zu der Überlieferung von der Rettung des Säuglings Mose. Die Bezeichnung als Gründungsmythos ist allerdings unsachgemäß, da es nicht um die Gründung einer Stadt oder eines Staates geht, sondern um das Motiv „Gefährdung und Bewahrung des Retters bzw. Herrschers“. Hier zeigt sich, dass der Verfasser auf diesem Gebiet kein Fachmann ist. Dennoch sind seine Zweifel an den biblischen Datierungen berechtigt. Allerdings geht er recht spät darauf ein, dass sich nach heutigen bibelhistorischen Erkenntnissen die Bildung des Volkes Israel im Land Kanaan über Jahrhunderte hinzog. Insgesamt stellt dieses Kapitel die wesentlichsten Theorien über Art, Umfang und Zeitpunkt des Exodus grob zusammen, ohne sich auf eine festzulegen. Die Möglichkeit, dass verschiedene israelitische Stammestraditionen zusammengeflossen sind und im 7. Jh. zwar nicht erfunden, aber redigiert wurden, wird nicht erwogen.

Auf archäologisch etwas sichererem Boden befindet sich Cline, wenn es um die Zeit Josuas geht. Die biblischen Zeitangaben werden durch die Archäologie für Jericho oder Lachisch allerdings nicht bestätigt; anders scheint es bei Hazor im Norden Israels zu sein, für die Cline vor allem den israelischen Archäologen Ben-Tor anführt. In ihren Grundzügen werden die gängigsten Hypothesen der israelitischen Besiedlung Kanaans skizziert. Cline sieht die Israeliten als Nutznie¬ßer der Invasion der Seevölker und will so „die derzeit verfügbaren archäologischen und textlichen Daten miteinander in Einklang“ bringen. Er klassifiziert damit seine Theorie allerdings als einen Harmonisierungsversuch, für den er ebensowenig wie die Vertreter anderer Hypothesen unmittelbare Belege anführen kann.

Ein weiteres Kapitel ist der Bundeslade sowie den spärlichen biblischen und nachbiblischen Hinweisen auf ihr Vorhandensein und ihren Verbleib gewidmet. Die einzelnen darüber kursierenden Theorien werden in Unterkapiteln erörtert.

Ausgangspunkt für eine kritische Beurteilung dieser Theorien müsste allerdings die Frage sein, wann und wo in biblischen Texten von einer realen Funktion der Lade die Rede ist. Dabei scheiden von vornherein Theorien aus, nach denen sie bereits von Salomo unter dem Tempel verborgen worden sei. Für Cline ist es am wahrscheinlichsten, dass die Lade von Nebukadnezars Truppen zerstört worden sei. Angesichts des langen Schweigens in biblischen Texten wäre allerdings zu fragen, ob sie in der Königszeit überhaupt noch eine kultische Rolle spielte oder ihren Ort in der Wüstenzeit und in den Kämpfen der vorstaatlichen Zeit hatte.

Wieso er sich als Archäologe der Frage nach den „zehn verlorenen Stämmen“ widmet, erklärt sich damit, dass er auch außerbiblische historische Texte heranziehen kann (z.B. den „schwarzen Obelisken“}. Mit ihrer Hilfe stellt er kritische Fragen an die Darstellung im 2.Königsbuch. Eine Inschrift Tiglat-Pilesers liefert beispielsweise eine Bestätigung von 2. Kön 18,9ff. Anhand unterschiedlicher Angaben zwischen Bibel und Inschriften Sargons II. wird die Frage erörtert, welche zutreffende sein könnten. Auch Grabungen an historischen Stätten, etwa Megiddo, zeigen, dass nach einer Zerstörung der Stadt im 8. Jh. Paläste in assyrischem Stil gebaut wurden. Mehr noch aber weisen andere Ausgrabungen darauf hin, dass bei der assyrischen Eroberung nur etwa ein Zehntel der Bevölkerung des bisherigen Königreiches Israel deportiert wurde, während gleichzeitig die Bevölkerungszahl Jerusalems und der Umgebung sprunghaft anstieg, so dass ein Großteil der nordisraelitischen Bevölkerung ins Südreich geflohen sein könnte. Insgesamt wird deutlich, dass die verschiedenen assyrischen Herrscher ganz unterschiedlich vorgegangen sind. So kommt Cline zu dem Ergebnis, dass höchstens 20% innerhalb des assyrischen Reichs deportiert wurden, der Rest entweder ins Südreich Juda floh oder im Land blieb und sich mit der neuange¬siedelten Bevölkerung vermischte. Leider enthält dieses Kapitel viele Redundanzen und hätte gestrafft und übersichtlicher angelegt werden können.

Wenn Cline im Epilog schreibt, „ich hoffe aber aufrichtig, dass wir im Verlauf der Suche einiges enthüllen konnten“, so muss dies insofern relativiert werden, als vieles der Fachwelt längst bekannt und vertraut war – und teilweise vom Rezensenten im Israelmuseum oder sogar in situ besichtigt werden konnte. Wichtig sind aber die sechs Grundsätze der „Andrews-Methode“ über Umgang und Auswertung archäologischer Funde, die übrigens auch für den Umgang mit Texten gelten.

Im Nachwort wird noch einmal deutlich, dass sich der Autor eigentlich nicht mit der seriösen Bibelwissenschaft auseinandersetzt, sondern mit „Amateurenthusiasten“, der „Pseudoarchäologie“ und einer „biblischen Hochstapelei“, wie sie uns leider auch in seriös gemeinten Fernsehsendungen begegnet, vom Internet ganz zu schweigen. Einige Meldungen dieser Art, die seit er englischen Erstfassung erschienen sind, enthält das Kapitel „Kurze Aktualisierungen“. In der Warnung vor solchen Pseudoidentifizierungen dürfte der eigentliche Wert dieses Buches liegen. Allen, die sich gerne an solche Meldungen klammern, sei diese Mahnung daher besonders empfohlen.

Eric H. Cline:

Warum die Arche nie gefunden wurde.

Biblische Geschichten archäologisch entschlüsselt.

Theiss-Verlag (WBG)

Darmstadt 2016

308 S., geb., zahlr. sw-Abbildungen

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