Mein Bund, den ihr bewahren sollt

Dies ist eine hochaktuelle Veröffentlichung, der eine „rabbinische Abschlussarbeit zur Erlangung der Ordination“ an der Universität Potsdam zugrunde liegt. Allgemeine Diskussionen, die von der Rabbinerin und promovierten Medizinerin dabei geführt wurden, haben jedoch bereits vor dem Bekanntwerden des Urteils des Kölner Landgerichts zu dieser Frage gezeigt, „dass das Thema durchaus von allgemeinem Interesse ist“.

Die Autorin geht zunächst der Quellenlage der Beschneidung im Judentum, der Brit Mila, sowie der kontroversen Diskussion darüber nach. In einer Fußnote wird darauf verwiesen, dass diese dem Naziregime als Beweis des Judeseins galt. Die Publikation will nachweisen, dass die Brit Mila „keinen Widerspruch zu ethisch-moralischem Handeln darstellt und auch von medizinischer Seite keineswegs eine Schädigung bedeutet“.

Nach knapper Erläuterung der einzelnen Begriffe und Vorgänge im Zusammenhang mit der Beschneidung wird ausführlich auf medizinische Fragen eingegangen, u.a. auch auf körperliche Fehlbildungen, die bereits im Talmud bedacht werden. Danach folgt eine detaillierte Beschreibung der hauptsächlichsten Aus¬führungsart mittels medizinischer Fachausdrücke; denn „die Art und Weise ihrer Durchführung ist … nicht beliebig“. Auch alle erforderlichen  Nachsorgemaßnahmen werden dabei angesprochen.

Anschließend werden die halachischen Erfordernisse einer korrekten Brit Mila dargestellt – vom Erforderlichen bis zum Üblichen. Bestimmte, bereits im Talmud bezeugte Segenssprüche sind jedoch bei allen Variationen aufgrund unterschiedlicher innerjüdischer Richtungen obligatorisch. Auch die anschließende Namensgebung ist nicht beliebig.

Ein Kapitel widmet sich den biblischen Grundlagen der Beschneidung und deren talmudischen Auslegungen einschließlich Sonderregelungen (sie werden teilweise im Abschnitt über die talmudische Zeit wieder aufgegriffen). Dabei helfen auch die medizinischen Kenntnisse der Autorin, bestimmte Vorschriften sowie talmudisch belegte, sehr differenzierte Fallbeispiele zu verstehen. Nebenbei wird deutlich, dass auch damals schon Entbindungen durch Kaiserschnitt bekannt waren. Die medizinischen Anforderungen an den beschneidenden Mohel werden ebenfalls beschrieben und entsprechend belegt.

Dass die Beschneidung keine israelitische Besonderheit war, zeigen die interessanten Beispiele aus der kulturellen Umwelt des alten Israel. Dabei werden auch antike Statuetten mit medizinischem Fachblick betrachtet und ursprüngliche gesellschaftliche und symbolische Bedeutungen erörtert. Selbst so vertraute Verse wie Ex 6,12, wo Mose sich scheinbar als „ungeschickt zum Reden“ bezeichnet, werden auf ihren hebräischen Wortlaut zurückgeführt, der von „unbeschnittenen Lippen“ spricht und damit ganz andere Assoziationen hervorruft. Bemer¬kenswert sind auch die ausführlichen Betrachtungen, die an die Verlegung der Beschneidung von der Pubertät „ins Neugeborenenalter“ geknüpft werden. Ob hohe Säuglingssterblichkeit der Grund dafür war, kann überlegt, aber nicht definitiv beantwortet werden. Für die talmudische Zeit wird – bei einer Rabbinerin nicht anders zu erwarten – sowohl auf die Rolle der Frau eingegangen, als auf den in römischer Zeit sich einbürgernden „Epispasmus“, eine Methode der „frühen plastischen Chirurgie“, wodurch die Beschneidung unkenntlich gemacht werden sollte.

Interessant ist, dass sich in nachtalmudischer Zeit unterschiedliche Interpretationen der Beschneidung herausbildeten – bis hin zum Vergleich des Beschneidungsblutes mit dem Blut des Passalammes. Auch weitere, heute selbstverständlich erscheinende Bestandteile einer Beschneidungsfeier werden in ihrem Entste¬hungszusammenhang erklärt. Dass sich die Autorin als promovierte Medizinerin in besonderer Weise auch für die Erörterungen des Arztes Maimonides interes¬siert, versteht sich von selbst. Dabei kommen auch Gesichtspunkte zum Tragen, die vom Kölner Gericht anders gewertet wurden. Mit der jüdischen Aufklärung ergaben sich darüber hinaus nicht nur regionale, sondern auch „konfessionelle“ Differenzierungen.

Einen beträchtlichen Teil nimmt das Kapitel „Diskussionen“ ein. Auch der Ab-schnitt über „Probleme zwischen Juden und nicht-jüdischer Umgebung“ ist historisch angelegt – bis hin zur antiken Diskussion im Zusammenhang mit dem Kastrationsverbot. Nicht leicht abgetan werden kann das oft von christlicher Seite vorgebrachte Argument, die Beschneidung schließe Frauen vom Bund aus. Dennoch sind Einwände gegen die rituelle jüdische Beschneidung „nichts anderes als ein Ausdruck der Ablehnung des Judentums“. Auch innerjüdische Diskussionen werden ausführlich dargestellt – bis hin zu einem Gutachten von Leopold Zunz und Bedingungen in kommunistischen Staaten sowie die Diskussion über Einzelheiten im Vollzug sowie zu Fragen der Anästhesie und der Hygiene. Die juristischen Aspekte werden angesprochen, aber nur auf psychologische und medizinische Einwände eingegangen. Schließlich ist die Autorin keine Juristin, sondern Medizinerin; außerdem erschien das Buch vor der Publizierung des Kölner Urteils.

Für theologisch Gebildete sind die gelegentlichen hebräischen Fachausdrücke ohne weiteres lesbar, man hätte seitens des Lektorats allerdings auch an die interessierten theologischen Laien denken sollen, die nicht in der Lage sind hebräische Buchstaben zu lesen (etwa wenn von einer „überlieferten“ Halacha geredet wird, wo der zitierte hebräische Wortlaut bedeutet „Halacha für Mose vom Sinai“); in einer 2. Auflage sollten diese Wörter auch in Umschrift wiedergegeben werden. Die biblischen Bücher werden mit ihren hebräischen Namen zitiert, die für nichtjüdische Leser üblichen Bezeichnungen sind nur z.T. ins Glossar am Ende des Buches aufgenommen.

Antje Yael Deusel:

MEIN BUND, DEN IHR BEWAHREN SOLLT. Religionsgeschichtliche und medizinische Aspekte der Beschneidung.

Verlag Herder, Freiburg 2012

167 S., Euro 19,95

 

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