„Israel ist an allem Schuld“

Das neue Buch von Hafner und Schapira, „Israel ist an allem Schuld – Warum der Judenstaat so gehasst wird“ hat mir die Kehle zugeschnürt. Es ist schwer zu glauben, dass 70 Jahre nach der Zerstörung des europäischen Judentums auf den Straßen Deutschlands wieder Parolen gebrüllt werden wie: “Juden ins Gas“.

Ja, es leben wieder Juden in Deutschland und nehmen am politischen gesellschaftlichen und kulturellen Leben teil. In feierlichen Reden wird von einem Geschenk für Deutschland gesprochen, wenn von den Juden in Deutschland die Rede ist. Aber ob diese Menschen sich hier so wohl und als „ein Geschenk für Deutschland“ fühlen? Hafner und Schapira versuchen eine Antwort auf diese Frage zu finden.

Die beiden Journalisten, Empfänger der Buber-Rosenzweig-Medaille des Deutschen Koordinierungsrates der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit, beginnen ihr Buch mit einem jeweils sehr persönlichen Vorwort, in dem sie ihre Herkunft, ihre Beziehung zu dem Thema Israel – Judenfeindschaft darlegen. Gleichfalls machen sie deutlich, dass dieses kein wissenschaftlich, abgewogenes Buch sei, sondern eine Streitschrift, in der sie deutlich Position beziehen, befangen sind. Wir wissen, worauf wir uns einlassen, wenn wir dieses Buch in die Hand nehmen.

In zehn Kapiteln, belegen Hafner und Shapiro „wie tief die Wurzeln des Antisemitismus noch immer reichen und wie sehr das Jüdische in diesem Land das Fremde geworden ist.“ Und sie belegen es mit vielen Beispielen vor allem aus Deutschland aber auch aus Europa und den Vereinten Nationen. Jedem dieser Kapitel folgt ein Treffen mit Experten, die sich aus psychologischer, historischer und politischer Perspektive mit dem Phänomen der Judenfeindschaft in Deutschland persönlich und beruflich auseinandergesetzt haben. Es sind Gespräche mit Juden ganz unterschiedlicher Herkunft und Arbeitsgebieten und einem israelischen Araber, Ahmad Mansour, der seit 11 Jahren in Deutschland lebt. Alle sind ausgewiesene Experten und wohl den meisten Lesern bekannt. Der Journalist Eldad Beck, der Antisemitismusbeauftragte der Jüdischen Gemeinde Berlin, Levi Salomon, oder der Historiker Raphael Gross, Leiter des jüdischen Museums in Frankfurt, sie ergänzen das Bild einer israel-feindlichen Atmosphäre in Deutschland und berufen sich dabei auf ihre eigenen persönlichen oder beruflichen Erfahrungen.

In diesem gut recherchierten Buch haben Esther Schapira und Georg Hafner viele Beispiele für einen versteckten Antisemitismus zusammengetragen da, wo man ihm nicht ohne weiteres vermuten würde. Da war z. Bsp. der Sommer 2014 als der Gaza Krieg tobte und auf Deutschlands Straßen, in Berlin, Köln, Essen, Frankfurt und vielen anderen Städten Demonstrationen gegen Israel nicht nur stattfanden, sondern auch tobten. Dort dröhnten Parolen wie: „Jude, Jude feiges Schwein komm heraus und kämpf allein“ oder „Israel Kindermörder“. Lang ist es her, seit Neonazis sich allein auf diesem Gebiet bewegten. Zu diesen Demonstrationen kamen sie alle vereinigt, die Intellektuellen, die guten Bürger, die Friedensbewegten, Muslime und Kirchenvertreter. Sie alle waren sich einig, wenn Israel aus dem Gaza bombardiert wird, ist das wohl bedauerlich, aber wenn Israel sich wehrt, dann ist es ein Kriegsverbrechen. Das wohl Entlarvenste war die Schlagzeile im Focus Magazin 2007“Israel droht mit Selbstverteidigung“. Seit 2001 liegt die kleine Stadt Sderot unter Dauerbeschuss, aber Israel darf sich in den Augen der friedensliebenden Bürger nicht wehren. Wird Gaza geräumt, so heißt es: „der Abzugsplan wird Gaza in das größte Open-air-Gefängnis der Welt verwandeln – mit 1,3 Millionen palästinensischen Insassen.“ Egal was Israel macht, es ist immer schuld.

Israelkritik gehört inzwischen zum guten Ton und wird fast immer mit dem Satz: man wird doch wohl noch sagen dürfen eingeleitet. Ja man kann sagen, soll sich aber fragen wie und warum. Hafner und Schapira empfehlen da den 3-D Test von Natan Sharansky. Drei Fragen sind zu beantworten: wird Israel dämonisiert, wird Israels Politik und Existenz delegitimiert, und wird Israel mit einem doppelten Standard gemessen? Um diese Fragen zu beantworten helfen die Daten und Fakten, die die beiden Journalisten zusammengetragen haben. Wer Israel als Kindermörder bezeichnet, soll sich doch fragen warum er / sie nicht gegen die Islamisten demonstriert, die täglich Kinder entführen, vergewaltigen, zu Sklaven machen. Warum rufen sie nicht Kindermörder Baku Haram“. Wer Palästina bis zum Sieg schreit, möge sich fragen was das für die Existenz Israels bedeute.

Hafner und Schapira analysieren den Antisemitismus der Linken, und den Eiertanz, den die SPD veranstaltet, wenn es um Israel geht. Der „Unterdücker Israel“ bringt die Intellektuellen, hier exemplarisch durch Augstein, Grass und Todenhöfer vertreten, und eben auch immer wieder Vertreter der ev. Kirche schnell dazu, Petitionen gegen Israel zu formulieren und zu unterschreiben, oder zum Boycott israelischer Waren aufzurufen; sie wissen genau, wie Israel seine Probleme zu lösen habe, und dann nicht nur der Frieden im Nahen Osten, sondern in der ganzen Welt hergestellt wäre. Jeder ist eben ein Nahostexperte. Laut einer Umfrage denken ganze 65% der Deutschen, dass Israel den Weltfrieden bedrohe und der Nahost Konflikt wird in Deutschlands Kneipen, Wohnzimmern, auf Spielplätzen oder auf der Straße gelöst.

Kürzlich sprach Amos Oz in einem Interview davon, dass seit dem zweiten Weltkrieg, in dem es keine Nuancen zwischen Unrecht – die Nazis und Recht – die Alliierten gab, der Konflikt zwischen Israels und Palästinensern nach diesem gleichen Schema beurteilt wird – Israel der böse Besatzer und Mörder – Palästina das Opfer, die unschuldig Leidenden. Bis hin zu dem absurden Vergleich, dass Israel mit den Palästinensern umgehe wie die Nazis mit den Juden. Hierfür führen Hafner und Schapira die Aussage des Bischofs von Eichstätt, Gregor Maria Hanke an, der die Situation der Palästinenser in Ramallah mit der der Juden im Waschauer Ghetto verglich, und fragen, ob die Dämonisierung Israels den Dämon des Holocaust entdämonisiert. Inwieweit entlastet die irrationale Israelkritik oder besser das Israel-Bashing das deutsche Schuldgefühl?

In einem letzten Kapitel „Beide Seiten“ machen Hafner und Schapira deutlich, dass sie durchaus die Probleme der Politik Israels sehen und diese keineswegs unterstützen. „Es ist schwer erträglich zu sehen, wie sehr sich der Irrsinn palästinensischer Politiker mit dem Irrsinn israelischer Politiker verbündet, wenn es darum geht, das eigene machtpolitische Überleben dem Überleben der Bevölkerung vorzuziehen.“ In diesem Kapitel zeigen die beiden Journalisten, wie eine faire Israelkritik aussehen kann und betrachten beide Seiten nach dem gleichen Maßstab und nicht wie jene, die ihre Auflistung der Sünden Israels mit dem Satz einleiten „man müsse beide Seiten sehen“.

Die Antwort auf die Frage im Titel des Buches: Warum der Judenstaat so gehasst wird geben Hafner und Schapira nicht. Die Dämonisierung des Staates Israel, um eigene Schuld abzuwälzen, ist sicherlich ein Teil der Antwort, aber eben nur ein Teil davon. Ebenso wie das aus dem 2. Weltkrieg übernommene und vereinfachende Gut-Böse Denken, aber auch das erklärt nicht diesen irrationalen Hass auf ein kleines, seit seiner Gründung bedrohtes, Land. Wahrscheinlich gibt es keine endgültige Antwort auf diese Frage. Mein Eindruck ist, dass die Leser durch diese Frage angeregt werden sollen, über ihre eigene Einstellung nachzudenken. Jeder / Jede dieser „Israel-Hasser“ hat wohl seine eigenen Gründe.

Dieses Buch, dessen ironischer Titel an Friedrich Holländers An allem sind die Juden schuld erinnert und erinnern soll, kommt dem deutsche Antisemitismus auf die Schliche, und hilft dem aufmerksamen Leser Israel besser zu verstehen. Aber ob die friedensbesorgten Nahostexperten den Argumenten zugänglich sind? Ich bin da eher skeptisch und manche Rezensionen, die von einem Machwerk, voller Lügen sprechen, beweisen es. Dennoch verdient dieses wichtige Buch viele Leser, vielleicht gibt es doch den einen, die eine, die wie Ahmad Mansour, genau hinsehen und sich von Argumenten und Fakten überzeugen lassen.

Esther Schapira, Georg M. Hafner:

„Israel ist an allem schuld. Warum der Judenstaat so gehasst wird“

Eichborn Verlag, Köln 2015

317 Seiten, 19,99 Euro

Editorische Anmerkungen

Dr. Eva Schulz-Jander ist die katholische Präsidentin des Deutschen Koordinierungsrates der Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit (DKR).

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