Israel - Ein Staat sucht sich selbst

Igal Avidan, ein versierter Journalist, schreibt in flüssiger, gut lesbarer Sprache und zeigt Problematiken des Staates Israel anhand anschaulicher Beispiele und Szenen auf.

Israel - Ein Staat sucht sich selbst

Avidan, Igal. ISRAEL. Ein Staat sucht sich selbst.

Heinrich Hugendubel Verlag, Kreuzlingen/München 2008

Avidan, ein versierter Journalist, schreibt in flüssiger, gut lesbarer Sprache und zeigt Problematiken des Staates Israel anhand anschaulicher Beispiele und Szenen auf. Der Titel des Buches ist vielsagend, bringt er doch zum Ausdruck, dass dieser Staat nach 60 Jahren immer noch nicht zur Ruhe gekommen ist, nicht nur aufgrund äußerer Bedrohungen, sondern auch infolge politischer Entscheidungen in der Vergangenheit und innerer Unsicherheit über den Weg in die Zukunft. Schonungslos, aber nicht einseitig stellt er die Probleme dar. Die einzelnen Kapitel enthalten jeweils Beispiele für bedenkliche, aber auch hoffnungsvolle Entwicklungen und Ansätze.

So hat es zwar auch Vertreibungen arabischer Bevölkerung aus israelischem Gebiet und Zerstörung von Dörfern gegeben, Avidan gibt aber auch den Bericht eines Arabers wieder, der mit seiner Familie 1948 seinen Ort nach Aufrufen arabischer Führer verlassen hatte, “damit die siegreichen arabischen Armeen die Juden ausrotten könnten.“ Mit Staunen liest man, dass ein kämpferisches Lied jener Tage von dem heutigen “Friedensaktivisten“ Uri Avnery stammt – ein Beispiel für Israels Suche nach sich selbst. Recht ausführlich geht Avidan auch auf die Thesen der ›neuen Historiker‹ ein und das Umdenken eines Teils infolge der zweiten Intifada: “Damals kämpften sie, um die israelische Besatzung loszuwerden, jetzt kämpfen sie, um Israel loszuwerden“, zitiert er B. Morris, der nachträglich die Vertreibung arabischer Bevölkerung als tragisch, aber notwendig bezeichnete. Ausführlich wird das Problem der Rückkehr der Flüchtlinge und die verschiedenen Lösungsansätze dargestellt und eine “begrenzte Rückkehr ohne Rückkehrrecht“ als “Zauberformel“ bezeichnet. Auch in dieser Frage ist Israel auf der Suche. Erfreulich ist die Tatsache, dass es gelungen ist, in Israel Schulbücher einzuführen, die auch die Sicht der Palästinenser darstellen, ohne billige Lösungen zu propagieren.

Die unterschiedliche Sicht innerhalb der israelischen Gesellschaft bezüglich der seit 1967 besetzten Gebiete und zur Einigung auf die Grenzen zweier Staaten, machen am Beispiel der “grünen Linie“ zwei Anzeigen deutlich, die am gleichen Tag in israelischen Zeitungen erschienen sind. Überhaupt wird die Problematik der mit den unterschiedlichsten Grenzziehungen verbundenen Schwierigkeiten ausführlich an konkreten Beispielen dargestellt: Räumung von Sinai und Gaza, Zaun und Mauer. Durchweg zeichnet sich das Buch dadurch aus, dass die verschiedenen Fragen nicht theoretisch erörtert, sondern an Einzelschicksalen veranschaulicht werden. Dadurch wird Lebensnähe erreicht, doch stellt sich auch jeweils die Frage, wie exemplarisch diese tatsächlich sind. Am Beispiel geschilderter Schwierigkeiten einer Konversion kennt der Rezensent auch gegenteilige Beispiele.

Erfreulich ist die begriffliche Unterscheidung zwischen Arabern und Palästinensern, erhellend die Darstellung der Schwierigkeiten des Zusammenlebens unterschiedlicher religiöser jüdischer Gruppen etwa in dem Dorf Yavne’el, die eine friedliche Lösung gefunden haben, oder in Jerusalem. Am Beispiel der Personalausweise wird die Problematik der “Volkszugehörigkeit“, die von “Staatsangehörigkeit“ unterschieden wird, deutlich. Avidan berichtet auch von einer bisher erfolglosen Initiative, die Angabe der “Nation“ aus dem Personalausweis zu streichen.

Keine Problematik wird ausgespart, auch nicht die Frage künstlicher Befruchtung. Die Zukunftsperspektive Israels wird sich nach Avidan daran entscheiden, wie Israel “mit den eigenen Minderheiten umgeht“. Kein bequemes, aber zum Nachdenken anregendes Buch, das gerade uns Deutsche vor vorschnellen Antworten und Lösungsvorschlägen bewahren kann.

Editorische Anmerkungen

Quelle: COMPASS-Infodienst

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