Hermann Maas - Eine Liebe zum Judentum

Von und über Hermann Maas, diese beeindruckende Gestalt, sind bereits früher eine Reihe von Veröffentlichungen erschienen, bisher jedoch noch keine derart umfassende und auf unterschiedlichste Quellen gestützte Biografie.

Anerkennung verdient der ungeheure Fleiß, mit dem sich der Autor im Rahmen seiner Dissertation durch das umfangreiche Material gearbeitet hat. So entsteht vor allem auch über Herkunft und Kindheit dieser großen Persönlichkeit der Evangelischen Landeskirche in Baden ein sehr anschauliches Bild über das hinaus, was spätere Zeitgenossen – zu denen sich auch der Rezensent zählt – aus eigenem Erleben wissen und bestätigen können. Dass sich dabei auch Anekdotisches einschleicht, das sich nicht solide belegen lässt, ist unvermeidbar.

Beeindruckend ist vor allem auch die Anzahl der benutzten offiziellen und privaten Archive, die gegen Ende des Buches aufgeführt sind. Wer selbst schon mit Archivmaterial gearbeitet hat, weiß, welche Mühe hinter dessen Auswertung steht, da es sich oft auch um handschriftliche Dokumente handelt. Geiger hat dabei keine Mühe gescheut, alles Erreichbare zu dokumentieren, nicht nur darauf zu verweisen. So entsteht etwa anhand von Bewerbungsschreiben des jungen Studenten Hermann Maas zur Aufnahme in die Liste der Theologiestudenten oder bei der Meldung zu verschiedenen Examina ein eindrucksvolles Bild über Beweggründe, Neigungen und Studienschwerpunkte des angehenden Theologen, der selbst einer badischen Pfarrfamilie entstammt.

Ein summarischer Überblick über die seit dem ausgehenden 17. Jh. im Mannheim-Heidelberger Raum ansässige Hugenottenfamilie verweist auf dessen geistige Verwurzelung. Unterschiedliche Schulverhältnisse an den Dienstorten des Vaters führten dazu, dass er als Schüler teilweise bei Verwandten in Heidelberg und später in Mannheim wohnte. Dabei spart Geiger auch nicht an Details, etwa über die Konfirmandenzeit oder die Teilnahme an der 500-Jahrfeier der Universität Heidelberg, die er mit seinem Vater als Neunjähriger erlebte.

Diese erschweren teilweise das Lesen, machen aber das Buch zu einer wahren biografischen und zeitgeschichtlichen Fundgrube, da sie zugleich Einblicke in die damaligen Zeitverhältnisse geben. Die Namen der Professoren während seines Studiums in Halle, Straßburg und Heidelberg, sagen den meisten heutigen Lesern vermutlich nicht viel, vermitteln aber denen, die um die Mitte des vergangenen Jahr-hunderts studierten, einen Einblick in die geistige Welt, in der Hermann Maas heranwuchs. So verwundert es nicht, wie sich seine Entwicklung abzeichnete: schlichte Herzensfrömmigkeit gepaart mit liberalem Denken. 1900 legte er mit 23 Jahren seine „theologische Hauptprüfung“ ab, worauf er ordiniert wurde.

Seine Vikarszeit führte ihn u.a. auch nach Weingarten, wo er auch seine spätere Frau Cornelie kennenlernte, die dem bekannten Pfarrersgeschlecht Hesselbacher entstammte. Eine entscheidende Erfahrung machte er während seine Lörracher Vikarszeit, da er, wie er es selbst beschreibt, „scheinbar durch Zufall“ als Besucher zum 6. Zionistenkongress in Basel zugelassen wurde. Dies bestimmte sein späteres, lebenslanges Engagement für das Judentum und nach dessen Gründung für den Staat Israel. Er selbst fasste dieses Erlebnis in die Worte: „Dort wurde ich Zionist“.

Maas beschränkte sich als Pfarrer in Laufen im Markgräflerland nie nur auf die Grundanforderungen eines Gemeindepfarrers, sondern war immer auch darüber hinaus aktiv, u.a. indem er bei Kriegsbeginn 1914 einen Krankenpflegerkurs absolvierte, vor allem aber schriftstellerisch. Ab 1913 war er Schriftleiter der „Süddeutschen Blätter für Kirche und freies Christentum“, dem Organ der Kirchlich-liberalen Vereinigung. Aus dieser Zeit stammen viele eigene Beiträge über unterschiedliche theologische, aber auch politische Themen. Geiger gibt diese in ihren Grundzügen wieder. Dabei wird auch eine gewisse Zuneigung von Hermann Maas zu mystischem Denken, vor allem Jakob Böhmes deutlich. Dass er schon damals ein Befürworter der Frauenordination war, passt zu seinem Kirchenverständnis ebenso wie sein Einsatz für eine Friedenstheologie, mit der er sich aber bei der Generalsynode nicht durchsetzen konnte. Seinen Beiträgen nach Ausbruch des Krieges, in denen er u.a. nach dem Sinn des Blutvergießens fragt, ist seine Enttäuschung – auch über die Haltung der englischen Bevölkerung – zu entnehmen. Allerdings beeinflusste  „deutsches Pflichtgefühl“ auch Maas und machte ihn offen gegenüber dem „national-romantischen“ Denken intellektueller Eliten. So kam es nach Kriegsausbruch auch in den „Süddeutschen Blättern“ zunächst zu einem „Umschalten“, nach den ersten Kriegswochen jedoch wieder zu einer Rückkehr zur Friedenstheologie. Auch dies dokumentiert Geiger anschaulich an Textauszügen. Kopfschüttelnd liest man allerdings, dass Maas einen theologischen Ehrendoktortitel für Hindenburg rechtfertigte.

1913 hatte Maas als offizieller Delegierter am „Weltkongress für religiösen Fortschritt“ in Paris teilgenommen. Geigers Verdienst ist es, dass er auch darüber eine recht gründliche inhaltliche Zusammenfassung gibt, so dass sich dieses Buch auch für bestimmte Fragestellungen über die speziell biografischen Informationen hinaus als Kompendium der Kirchengeschichte des 20. Jh. verwenden lässt.

Eigenen Wunschvorstellungen dürfte es entsprochen haben, wenn er im Gemeindeblatt der Heidelberger Heiliggeistkirche, wo er seit 1915 Gemeindepfarrer war, über die Landeskirche äußerte: „Zu ihren besonderen Eigenarten gehört neben vielem anderen auch eine gewisse Milde und Versöhnlichkeit gegen die Andersdenkenden und der Versuch, den anderen zu verstehen.“ So sah er sie, und so lebte er sie auch, jedenfalls zu seinem Teil. Ob diese Idealvorstellung heute, nach 100 Jahren, eingelöst ist, mag man mit Recht fragen. Als unaufgebbares Ziel muss sie allerdings erhalten bleiben.

Dies alles sind jedoch Informationen, die den Hintergrund für sein eigentliches lebenslanges Engagement in der Ökumene, vor allem aber für das Volk Israel erhellen.

Engagiert war er im „Weltbund für Freundschaftsarbeit der Kirchen“, wie auch aus der Aufstellung seiner Reisen am Ende des Buches hervorgeht. An der Gründungsversammlung 1914 in Konstanz hat er allerdings, anderslautenden Gerüchten zum Trotz, nicht teilgenommen; dies konnte der Rezensent bereits vor Jahrzehnten anhand der Eintragungen im Gästebuch des Konstanzer Inselhotels nachweisen. Dagegen nahm er erstmals an einer Konferenz in Kopenhagen 1922 und der Weltkirchenkonferenz 1925 in Stockholm danach an vielen ökumenischen Treffen, darunter auch Jugendkonferenzen, teil, und berichtete darüber jeweils seiner Gemeinde, was Geiger ausführlich darstellt. Hierher rührten auch seine Beziehungen zu Bischof Bell in Chichester, die sich u.a. bei der Rettung von Juden während der Nazizeit positiv auswirkten. Seine Behauptung, die Arbeit des Weltbundes sei nicht politisch gewesen, ist wohl eine taktische Aussage.

Ein Kapitel ist „Hermann Maas als Heidelberger Stadtpfarrer vor den Herausforderungen der modernen Zeit“ gewidmet. Seine Berufung erfolgte durch den Großherzog, der damals noch als Landesbischof fungierte. Wenn Geiger betont, dass er auf dieser Stelle das doppelte gegenüber Laufen verdiente, muss man wissen, dass damals für Pfarrer noch nicht die Beamtenbesoldungsordnung galt; die Bezahlung orientierte sich an der jeweiligen Gemeinde. Armut und Wohnverhältnisse in Heidelbergs Altstadt, heute unvorstellbar, machen ein Bericht der Enkelin Kornelie sowie ein Visitationsbericht anschaulich, in dem Maas Sozialkritik übt. Als Liberaler war er jedoch Mitglied der linksliberalen Deutschen Demokratischen Partei, nicht der SPD, und wurde so in den Stadtrat gewählt. Durch seine Verbindung mit Hans Ehrenberg, einem Vetter Franz Rosenzweigs, zog er auch den antijüdischen Hass der konservativen Presse auf sich. Einen Ruf an die Bonner Kirchengemeinde lehnte er nach zahlreichen Heidelberger Vertrauensbekundungen ab. Sehr ausführlich und anschaulich wird auch sein Engagement für die Jugend in selbst hergerichteten „Landheimen“ dargestellt, ebenso eine Fülle anderer Aktivitäten bis hin zur Mitgliedschaft in einer Freimaurerloge.

Etwas Außergewöhnliches stellte allerdings die Beerdigung des ersten Reichspräsidenten Friedrich Ebert vor etwa 30.000 Menschen dar. Das Besondere war: Ebert, der aus der Heidelberger Altstadt stammte, war aus der katholischen Kirche ausgetreten, aber nicht Mitglied der evangelischen. Die Familie hatte Maas darum gebeten; er entsprach der Bitte und sprach „Worte des Trostes“, obwohl er damit gegen geltendes Kirchenrecht verstieß. Dadurch wurde er reichsweit bekannt, aber auch vielfach angefeindet. Auch diese Predigt ist zu großen Teilen wiedergegeben. An all diesen Beispielen wird deutlich, um welch großartige Persönlichkeit es sich bei ihm handelte: Bibelverbunden und weltoffen zugleich.

Aus den insgesamt acht Abschnitten zum Thema „Gemeindeleben von Heiliggeist“ sei der Exkurs „Heidelberg unter dem Nationalsozialismus“ herausgegriffen, da er eine unverzichtbare Grundlage für das Kapitel „Der stadtbekannte Judenfreund“ bildet.

Wo war noch Platz für Hermann Maas, wenn der spätere Landesbischof Kühlewein Hitlers Machtergreifung als „Gottes Hand und seinen Gnadenruf an unser Volk“ bezeichnete? Bereits im Mai 1933 kam es, als Maas auf einer Israelreise war, zu einer Hausdurchsuchung. Dass er selbst nach seiner Rückkehr in größte Schwierigkeiten geriet, wird in einem späteren Kapitel ausführlich behandelt und bewertet. Weitere Eingriffe folgten, Gottesdienste wurden überwacht. Kirchenintern setzte sich Maas dafür ein, dass Taufen im Gemeindegottesdienst stattfanden, Trauungen und Beerdigungen wieder gottesdienstlichen Charakter erlangten – heute selbstverständlich. Im Oberkirchenrat kontrollierte eine vom Reichskirchenministerium eingesetzte „Finanzabteilung“ u.a. auch die Pfarrerbesoldung. Das Prädikat „Stadtbekannter Judenfreund“ belegt Geiger mit Beispielen von der Schulzeit bis zum frühen Heidelberger Pfarrdienst von Hermann Maas, der auch im jüdischen Lehrhaus Mannheim Vorträge hielt. Er betonte die Einheit des Alten und Neuen Testaments, wenn auch sein Verheißungs-Erfüllungsschema nicht mehr heutigen theologischen Erkenntnissen entspricht. Sehr ausführlich werden seine Helferinnen bei Judenrettungsmaßnahmen gewürdigt, aber auch seine Aktivitäten in internationalen Netzwerken und sein Einsatz für nichtarische Christen. Seine Vorschläge für deren Rettung und Unterstützung bei Auswanderung, insbesondere durch ein entsprechendes Schul- und Bildungswesen klingen auch angesichts der heutigen Flüchtlingsproblematik noch überlegenswert. Sehr detailliert wird die Auseinandersetzung innerhalb der Bekennenden Kirche dargelegt. Anerkennenswert ist dabei, dass Geiger im Zusammenhang mit mangelndem kirchlichem Widerstand präziser als üblich nicht von „Luthers Zwei-Reiche-Lehre“, sondern von der „protestantische(n) Staatslehre, wie sie in der 2. Hälfte des 19.Jh.s als neulutherische Theologie entwickelt wurde“, spricht. Geigers Versuch einer theologischen Würdigung zeigt die bleibend offenen Fragen.

Ausführlich wird das aktive Eintreten von Hermann Maas für Juden an verschiedenen Beispielen geschildert, vom Anbringen einer Mesusa an seiner Haustür als Zeichen, „dass hinter dieser Tür einer auf sie warte, der sie liebt und helfen wolle“, bis hin zum Kohlentragen für den mit einer Jüdin verheirateten Karl Jaspers. Vor allem aber war er über Heidelberg hinaus für die Verfolgten aktiv nach der Pogromnacht 1938 und bei der Massendeportation der badischen und pfälzischen Juden nach Gurs 1940. Dokumente über Angriffe gegen Maas schon vor der Machtergreifung zeigen den Geist, aus dem dies erfolgte. Vieles, was in groben Zügen bekannt ist, wird hier anschaulich und ausführlich dokumentiert. Geiger bescheinigt ihm Mut, List und Phantasie. Ausführlich dargestellte Querelen führten schließlich dazu, dass er sich 1943 in den Ruhestand versetzen ließ. Erschütternd zu lesen sind dabei seine Schutzbehauptungen zur Verteidigung. Sie sind ein weiterer Beleg für die damalige Drucksituation. 1944 wurde er noch zu Zwangsarbeit verpflichtet.

Lesenswert ist auch, was Geiger über den Neuanfang 1945 zusammengetragen hat, vor allem auch das Memorandum an den Ökumenischen Rat. Maas hatte bereits im Mai 1945 vor dem offiziellen Kriegsende wieder Predigterlaubnis erhalten. Lesenswert, was sich im Hintergrund der Brettener Synode im November 1945 abspielte, bei der Maas schließlich nicht gewählt wurde. Schließlich wurde er Kreisdekan bis diese Amtsbezeichnung durch den früheren Titel „Prälat“ ersetzt wurde. Beschreibungen der Funktion, die er ebenso mit Begeisterung und Leidenschaft ausübte, besondere Ereignisse dieser Zeit, Privates, sein Engagement für Juden und den Staat Israel – auch als erster deutscher Staatsgast Israels – und ein Überblick über seine zahlreichen Ehrungen runden diesen Band ab. Den Bewertungen einiger seiner Predigthörer möchte der Rezensent hinzufügen, was er als Konfirmand bei dessen Predigten empfand: So stelle ich mir die Propheten des Alten Testaments vor.

Fazit: Wer sich nicht nur ein Bild dieses (dem Rezensenten seit Jugendtagen bekannten) Predigers mit Pathos ohne Pathetik machen möchte, sondern auch von der Zeit, in der er bis ins hohe Alter wirkte, sollte zu diesem Buch greifen – und sich vielleicht ein persönliches Stichwortregister anlegen; denn ein solches fehlt leider wie heute in vielen Veröffentlichungen, die sich auch als Nachschlagewerk eignen.

Markus Geiger:

Hermann Maas - Eine Liebe zum Judentum.

Leben und Wirken des Heidelberger Heiliggeistpfarrers und badischen Prälaten.

472 S., zahlr. Abbildungen, gebunden.

Edition Guderjahn im Verlag Regionalkultur, Heidelberg 2016

Euro 26,80

 

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