Heil, Johannes und Rainer Kampling (Hg.) Maria - Tochter Sion?

Johannes Heil; Rainer Kampling (Hg.), Maria - Tochter Sion? Mariologie, Marienfrömmigkeit und Judenfeindschaft. Paderborn: Verlag F.Schöningh, 2001. 271 Seiten.

Herbert Jochum

Maria - Tochter Sion?

Mariologie, Marienfrömmigkeit und Judenfeindschaft

Johannes Heil/Rainer Kampling (Hg.), Maria - Tochter Sion? Mariologie, Marienfrömmigkeit und Judenfeindschaft. Verlag F.Schöningh, Paderborn 2001. 271 Seiten.

Exegetische, kirchen- und theologiegeschichtliche Arbeiten der jüngsten Zeit haben den unabweisbaren Beweis erbracht, daß der kirchliche Antijudaismus nicht eine Begleiterscheinung eher am Rande des Christentums ist, sondern von Anfang an tief im Zentrum der christlichen Lehre verankert wurde und von dort alle Glaubensinhalte und -formen erfaßt. Wer noch gehofft haben sollte, Mariologie und Marienfrömmigkeit hätten sich als eher unpolitische, gesellschaftlich unbedeutende und der individuellen Innerlichkeit dienende Ausdrucksformen vom kirchlichen Antijudaismus freihalten können, wird durch den hier angezeigten umfassenden und interdisziplinär angelegten Sammelband eines Besseren belehrt. R. Kampling zeigt im eröffnenden Beitrag, wie sich spätestens seit dem 5. Jh. die Mariologie im Rahmen der Christologie entwickelt und in die antijüdischen Debatten und Konflikte gerät. Die früh gesehene typologische Beziehung von Maria und der Kirche im Rahmen der sich entwickelnden Ekklesiologie hat die Vereinbarkeit von „inniger Marienverehrung und heftigem Antijudaismus“ begünstigt. Die patristische Exegese zeigt schon deutlich den „vorgeprägten Antijudaismus als Verstehenshorizont biblischer Schriften“ (33), so daß die durchaus gesehene Jüdischkeit Mariens zunehmend nur noch antijüdisch erinnert werden konnte. J. Heil weist in seiner motivgeschichtlichen Studie zu Lk 2,34 f. in der exegetischen und homiletischen Literatur von der Patristik zum Hochmittelalter nach, wie die Jüdin Maria als Mutter Christi und erst recht als mater ecclesiae an die Spitze der Opposition gegen die Juden rückte. Ab dem 12. Jh. läßt sich dann im Aufschwung der Marienfrömmigkeit feststellen, wie in der entstehenden Mariendichtung, zumal in eigenen Marienspielen apokryphe Texte und eigene phantasievolle Gestaltungskunst Einzug halten und die biblischen Texte hinter sich lassen. Diese Judenfeindschaft konstruierte sich im Dienste eines polarisierenden Antagonismus ihr Judenbild als jeweiliges Kontrastbild zum Christentum. Matthias Theodor Kloft zeigt, wie auch in der Theologie des Hochmittelalters Maria als Vollendung der Synagoge diese hinter sich läßt und nur noch zwischen getauften Juden und den Heidenchristen zu vermitteln vermag. Die Kunsthistorikerin Annette Weber widmet ihren Beitrag den antijüdischen Mariendarstellungen in der Kunst des 13. - 15.Jh., wo sich die aufblühende Marienfrömmigkeit in einer außerordentlichen Verbreitung von Marienlegenden mit Wundertaten der Patronin, in den sich daraus entstehenden Mysterienspielen, in illuminierten Handschriften, auf Glasfenstern und in Skulpturen zeigt. Deutlich wird, wie die Entwicklung neuer Bildformen für die Marienverehrung und die gleichzeitige dogmatische Aufwertung Mariens in der Mariologie der Scholastik die dualistische Vorstellung noch vertiefen und nicht nur die Marienfrömmigkeit, sondern auch den Judenhaß steigern. Hans-Martin Kirn weist anhand spätmittelalterlicher lateinischer Predigtwerke und Exempel- Sammlungen ein marianisch legitimiertes antijüdisches Aggressionspotential nach, wobei Maria als Alleinerbin der alttestamentlichen Heilsgüter erscheint, als „geschmähte und entehrte Mutter Israels, deren Barmherzigkeit sich zum Fluch über die sie verleugnenden Kinder wandelt“, eine Auffassung, die gesellschaftliche Toleranz und obrigkeitliche Privilegienpraxis diskreditiert und eine Vertreibungsideologie schürt. Der Frankfurter Germanist Winfried Frey untersucht die „Mutter Jesu in deutschsprachigen Passionsspielen“. Er zeigt, wie die Zuschauenden zu Mitwirkenden des Passionsgeschehens gemacht werden und wie in der compassio Jesu et Mariae eine Vergegenwärtigung erstrebt wird, die dann auch die zeitgenössischen Juden empfindlich trifft. Die Auswirkungen emotionalisierter und aggressiver Sprache im Passionsspiel läßt sich an den Zerstörungen von Synagogen und ihrer Umwandlung in Marienkirchen und -kapellen zu dieser Zeit belegen. Wolfgang Glüber weist an 16 Orten nach, wie dort Maria zu Ehren Judenviertel und Synagogen zerstört und als gerechte Strafe für den jüdischen Gottesmord legitimiert werden und wie die der „schönen Maria“ geweihten Kirchen als Wiedergutmachung für die von den Juden entehrte Mutter des Herrn angesehen werden. Die Kunsthistorikerin Michaela Haibl macht in der Kunst der Nazarener „Chiffren des Antijüdischen“ jenseits der traditionellen antijüdischen Stereotypen aus. Maria wird zum Zeichen einer entjudaisierten Welt. Die Forderung nach einer nationalen deutschen erneuerten Kunst grenzt das Nichtdeutsche aus, was zu einer ikonographischen Verchristlichung auch des Alten Testaments führte. Viktoria Pollmann untersucht Marienkult und Judenfeindschaft in der polnischen katholischen Presse vor 1939 und zeigt, wie bei der integrativen Rolle des polnischen Katholizismus mit zunehmender nationaler Akzentuierung und einem aufblühenden religiösen Bilderkult eine weitgefächerte paraliturgische Ausgestaltung der Marienfrömmigkeit entsteht, bei der Jude zum Fremden, zum potentiellen Verräter, zum bestenfalls geduldeten Gast wird. Franz-Josef Bäumer schließlich konstatiert in den marianischen Predigten, Andachts- und Gebetsbüchern, der katechetischen Literatur der 30er Jahre des 20. Jhs. In Deutschland rechtskonservatives und antidemokratisches Denken mit erstaunlichen Konvergenzen im Frauenbild von Katholiken und Nazis. Der klassische Antijudaismus habe den rassischen Antisemitismus salonfähig gemacht. So habe auch die Marienfrömmigkeit zu stillschweigender Duldung, wenn nicht Akzeptanz der nationalsozialistischen Judenfeindschaft beigetragen, die Katholiken kritik- und widerstandslos gemacht. „Keine andere Frau hat durch die Kraft ihrer Symbolik das Glauben, Denken und Fühlen der abendländischen Christenheit maßgeblicher und nachhaltiger geprägt als Maria“ (Klaus Schreiner). Aber im christlich-jüdischen Verhältnis weckte ihre Person tödlichen Streit in einer verhängnisvollen Allianz von Marienfrömmigkeit und Judenfeindschaft - dies das erschreckende und bittere Fazit der Lektüre.

 

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