Hans Küng: Jesus

Zwei alte Männer befassen sich mit Person und Botschaft Jesu. Beide sind katholisch, beide Professoren – jedoch nicht für Bibelauslegung; der eine ist Papst, der andere Papstkritiker, weswegen ihm die kirchliche Lehrerlaubnis entzogen wurde: Hans Küng.

Beide nähern sich dem Gegenstand ihrer Darstellung sehr persönlich, Papst Benedikt meditativ, Hans Küng unter Verarbeitung historisch-exegetischer Forschungsergebnisse. Aber auch Küng beginnt mit einem sehr persönlichen Kapitel: »Wie ich mich Jesus annäherte.« Darin bekennt er: »Richtig interessant wurde für mich die Christusfigur erst, als ich sie nach meinen sieben römischen Jahren aufgrund der modernen Bibelwissenschaft ›von unten‹, sozusagen aus der Perspektive seiner ersten Jünger kennenlernen durfte: als eine Gestalt der Geschichte.« Er sieht in Jesus »das christliche Lebensmodell«. Vieles, was er in den folgenden Kapiteln ausführt, ist schon aus seinem vor Jahrzehnten erschienenen Buch »Christ sein« bekannt, an einigen Stellen jedoch um neuere Erkenntnisse erweitert und bereichert; allerdings merkt man auf Schritt und Tritt, dass er zusammenträgt, was andere erarbeitet haben, keine eigenen Forschungsergebnisse wiedergibt. Er ist eben kein professioneller Bibelexeget.

An dieser Stelle liegen Stärken und Schwächen des Buches. Positiv ist der so gebotene, recht umfassende Überblick über die gemäßigt kritische exegetische Jesusforschung der letzten fünfzig Jahre. Wobei das Schwergewicht eher (wenn auch nicht ausschließlich) auf Erkenntnissen des dritten Viertels des vergangenen Jahrhunderts liegt. Für den gebildeten Laien ist dies sicher hilfreich und orientierend, für Fachleute allerdings nicht.

Mit der Auswahl der Bezugsliteratur sind jedoch auch deutliche Schwächen verbunden. So sollte man heute nicht mehr von einem »Qumrankloster« sprechen; dass diese Gemeinschaft nicht mit Klöstern jedweder Provenienz vergleichbar ist, weiß man seit Jahrzehnten. Außerdem unterstellt er dieser Gemeinschaft oft Tendenzen, die sich aus den Texten nicht belegen lassen. Dies hängt aber wohl mit einem anderen Charakteristikum seiner Jesusdarstellung zusammen: Bei allem Bemühen um Aufnahme exegetischer und historischer Forschungsergebnisse, die auch nicht vor Widerspruch oder Infragestellung traditioneller kirchlicher Lehren zurückschrecken, macht er kein Hehl daraus, dass es ihm darum geht, den kategorialen Unterschied Jesu zum Judentum seiner Zeit, sowohl bezüglich Qumran als auch der Jerusalemer Tempelhierarchie herauszustellen. Nur so kann er plausibel machen, wieso diese am Tod Jesu interessiert sein konnten, obwohl er keinen Zweifel daran lässt, dass auch Pilatus ein eigenständiges Interesse an Jesu Beseitigung hatte.

Mit diesem Bemühen, bei allem Verbindenden den Unterschied Jesu zu seiner Umgebung herauszustellen, steht Küng nicht allein da. Offensichtlich können viele Theologen nur auf diese Weise die Heilsbedeutung Jesu deutlich machen. Dies ist vermutlich eine Folge davon, dass bisher weder in der evangelischen noch katholischen Theologie die grundlegenden Unterschiede zwischen der Botschaft Jesu an sein Volk und der Jesusbotschaft an die Völker genügend reflektiert sind. Die spärlichen Ansätze Bultmanns sind allgemein nicht weiter verfolgt worden. Dies kann man jedoch Küng nicht vorwerfen, da er kein Fachexeget ist, der seine Forschung darauf richten müsste.

Ein stilistisches Merkmal des Buches muss noch erwähnt werden: Seine Ausführungen zeichnen sich durch große Redundanz aus. Meist wird ein Sachverhalt durch mehrere Attribute eher umschrieben als beschrieben. So entsteht der Eindruck einer für den Druck redigierten Nachschrift von Vorträgen oder gar Predigten. Das Buch erhält dadurch eine gewisse andringliche Nachdrücklichkeit.

Hans Küng: Jesus

Piper Verlag, München 2012

304 S., Euro 19,99

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