Seine Einleitung (9–22) fasst christliche und jüdische Stimmen in Gegnerschaft zur – und in Verteidigung der – Beschneidung im Hinblick auf die Beurteilung der Beschneidung Jesu zusammen. Trotz der Andeutung jüdischer Kritik an der Beschneidung leistet das Buch keinen Beitrag zu einer innerjüdischen Debatte.
Daniel Krochmalnik (278–288) erinnert daran, dass eine Ablehnung der Beschneidung in Deutschland zynisch ist. Die Beschneidung war Anlass für die Verfolgung und Ermordung von jüdischen Männern quer durch die Geschichte und besonders in der Shoah.
Tück (27–60) profiliert die Einführung des Festes der Beschneidung Jesu als „Zeichen gegen die latente Israelvergessenheit der Kirche“. Er referiert patristische, antijüdische Zeugnisse zur Beschneidung im Judentum. Den Einleitungen entspricht der Abschluss.
Christian M. Rutishauser stellt die 2009 eingereichte Petition zu Wiedereinführung des Festes in ihrem Kontext vor und bringt einen Vorschlag für ein Messformular (371–400).
Georg Braulik diskutiert (63–95) atl. Kernpassagen zur Beschneidung, die „weniger Unterscheidungsmerkmal als Bekenntniszeichen“ (77) für den Bund Gottes mit Abraham war. Die Beschneidung führt nicht zu einer Aufnahme in den Bund (z. B. bei den Sklaven, die nicht Nachkommen Abrahams sind; 78 gegen 315 und die Petition, 379 § 7). Nach Lev 26,41 muss sich das unbeschnittene „Herz“ – der ganze Mensch – demütigen, sodass Gott des ungekündigten Bundes gedenkt. Ohne auf die physische Beschneidung einzugehen (90f), entwickelt Dtn 30,1–14 (auch Jer und Ez) die Vorstellung der Herzensbeschneidung, die Gott durchführen wird.
Michael Theobald resümiert den „Streit um die Beschneidung nach dem Neuen Testament“ (96–144). Er diskutiert Texte aus 1/2 Kor, Gal, Phil und Röm im Horizont der Vorstellung einer gestuften Zugehörigkeit zum Judentum. Der Römerbrief zeige, wie Paulus die im AT angelegte Ethisierung (Anrechnung der Beschnittenheit für Unbeschnittene, die den Willen Gottes tun / die verborgene Wirklichkeit des Herzens, 124f) der Beschneidung als Abschied vom konkreten Eingriff einsetzt. Theobald versäumt die Gelegenheit zu einer Auseinandersetzung mit dem Ansatz von Markus Vinzent[1] und Mathias Klinghardt[2] zur Priorität des Evangeliums des Markion. Das Thema der Beschneidung wäre ein Testfall für die Annahme, dass Lukas Markion pro-jüdisch korrigiert. Die Beschneidung Jesu zu erzählen war vielleicht schon im zweiten Jh. nicht „ganz selbstverständlich“ (37), sondern theologisches Programm.
Harald Buchinger kommentiert anhand von liturgischen Originaltexten die Theologie der Beschneidung im Frühmittelalter (147–185). Er eröffnet neue Forschungsperspektiven und teilt eine Fülle von interessanten Beobachtungen mit (dass sich z. B. die spätantiken, westlichen Predigten an paganen Neujahrsbräuchen abarbeiten, 151f). Seine Überlegungen zum Verhältnis von geschichtlicher Entwicklung und liturgischer Normenfindung sind wegweisend.
Albert Gerhards schärft das Bewusstsein dafür (186–199), dass das Thema der Beschneidung Jesu in und außerhalb der Liturgie zu antijüdischen Assoziationen führen kann und legt mit einem modernen Liturgieformular des Klosters Bose eine Jesu Namens-Feier als liturgisches Modell vor.
Achim Buckenmaier (200–216) diskutiert die Position des Thomas von Aquin zur jüdischen Beschneidung als Glaubensbekenntnis und in Analogie zu den Sakramenten der Kirche. Dem äußeren Ritus (der allerdings ein Zeichen des Glaubens an das zukünftige Leiden Christi ist) entspricht eine Gnade. Jüdische Menschen gehörten „zum selben Leib der Kirche […] dem auch wir angehören“ (211; STh III 8.3 ad 3), wobei das Imperfekt nicht als Hinweise auf einen abgeschlossenen Zustand zu deuten ist.
Hans Hermann Henrix (217–233) kommentiert die Initiativen zur Wiedereinführung des Festes und der Aussagen der Päpste Johannes Paul II. und Benedikt XVI. zur Beziehung zwischen Judentum und Christentum und dem Fest.
Bodo Brinkmann (237–277) berichtet über die bildliche Darstellung der Beschneidung Jesu und die Vorhautreliquien des Mittelalters. Er konstatiert ein „unreflektiertes Scheitern an einer kulturellen Barriere“ statt direkt antijüdischer Interessen (250) für die meisten Werke. Mariendarstellungen zeigen einen nackten Jesusknaben unbeschnitten. Die Argumente der Legenda Aurea (258–260) zum Fest der Beschneidung Christi sprechen heute gegen seine Wiedereinführung.
Matthias Jaestaedt erklärt die juridischen Implikationen (291–313) der Gesetzgebung. Das Gesetz zur (eingeschränkten) Erlaubnis der Beschneidung Unmündiger legitimiert sich nicht im Horizont der Religionsfreiheit, sondern in Abwägung zwischen Elternverantwortung und der Rolle des Staats bei der Sicherstellung des Kindeswohls.
Alfred Bodenheimer (319–333) vermutet (ohne Quellengrundlage, 326), dass die juridische Entscheidung für die Beschneidung aufgrund eines lutherischen Zugangs zu Natur und Schöpfung gegeben ist.
Antje Yael Deusel beschreibt (337–351) medizinische Aspekte des Vollzugs der Beschneidung an Jungen als unproblematische Praxis.
Peter Honigmann analysiert rabbinische Texte zu den traditionellen Kernfragen um die Beschneidung (352–367) und zeigt, wie die halakhischen Regeln aus Bibeltexten abgeleitet wurden. Die Forderung nach einem Fest der Beschneidung Jesu ist von einer Bewertung der Beschneidung jüdischer Kinder oder gar mündiger Männer unabhängig. Sie ist erstaunlich, da in Deutschland aufgrund der Silvesterfeiern kein Termin im Jahreskreis denkbar ist, an dem ein Festinhalt weniger sichtbar wäre. Das Fest wird immerhin als Ideenfest (372f) zur Verbindung zwischen jüdischer und christlicher Existenz und Theologie verteidigt und nicht mit dem Anliegen, möglichst viele Geschichten aus dem Neuen Testament im liturgischen Jahr abzubilden.
Ein Zitat von Johannes Paul II. (19, 30) zeigt die Probleme: „Wer Jesus Christus begegnet, begegnet dem Judentum.“ Der Satz verführt erstens zur Umkehrung: Wer dem Judentum begegnet, begegnet Jesus. Damit sind heutige jüdische Menschen in den Dienst genommen, das erste Jh. zu repräsentieren. Zweitens könnten jüdische Dialogpartner:innen Positionen vertreten, die in die theologischen Entwürfe nicht integrierbar sind. Der Jude Jesus ist der christlichen Theologie ausgeliefert. Die Beziehung zum Judentum über ein christliches Fest zu verhandeln und die Beschneidung Jesu als Ausgangspunkt zu wählen hat den Vorteil, dass kein jüdischer Mensch damit behelligt wird ein christliches Anliegen dazustellen. Das ist gleichzeitig jedoch ein Nachteil des Ansatzes.
Walter Kardinal Kasper (23–26) betont gegenüber der markanten paulinischen Absage an die Beschneidung als Praxis für Christen eine „universale Ausrichtung“ des „ersten Bundesvolkes Israel“, die „erst in der zu allen Völkern ausgesandten Kirche voll zur Geltung“ kommt (24), was folglich für das nachjesuanische Judentum nicht gilt. Georg Braulik geht davon aus, dass Jesus „der einzige Mensch“ ist, „in dem die Einheit der doppelten Form der Beschneidung voll und ganz verwirklicht ist“. Christ:inn:en könnten „im Glauben an ihn … in die Sache der Beschneidung hineingeraten“ (95). Die vorgeschlagenen Christologien haben den Nachteil, dass sie durch eine höhere Bewertung einer grundsätzlich unkörperlichen, metaphorischen Beschneidung („Herzensbeschneidung“) Christ:inn:en auf Kosten von Israel in einer höheren Kategorie sehen. Innerchristliche Vorstellungen, das Judentum sei seit zwei Jahrtausenden die „Wurzel“ des Christentums oder es gehöre mit dem Christentum in eine übergeordnete religiöse Einheit, blenden aus, dass ihnen die Zustimmung jüdischer Menschen nicht sicher ist. Vielleicht sind typisch jüdische und typisch christliche Positionen zur körperlichen Beschneidung unvereinbar.
Für Robert Spaemann (314–318) geht es eigentlich um „ein größeres Thema“ (316). Was Spaemann von der Beschneidung jüdischer Jungen hält, zeigt sich in seinem Vergleich mit Schwangerschaftsabbrüchen in den USA (317) und seiner Erleichterung darüber, dass (christliche?) Ärzte die Vornahme einer Beschneidung hierzulande verweigern können (317; vgl. 342, zur Tradition 362). Die Unterstützung der politisch korrekten und unanfechtbaren jüdischen Beschneidung (als vermeintlichen Eingliederungsritus, 315; freilich nur für Männer; vgl. aber 78, 351) untermauert nach Spaemann (gegen die Begründung des Gesetzestextes durch Jaestaedt) das Recht christlicher Eltern auf eine religiöse Erziehung ihrer Kinder.
Die hohe Qualität des Buchs zeigt sich darin, dass es Argumente für und gegen sein normatives Kernanliegen stützt.
Die Beschneidung Jesu. Was sie Juden und Christen heute bedeutet,
hg. v. Jan-Heiner TÜCK.
Freiburg i. Br.: Herder 2020. 407 S., geb. € 48,00