Der Kampf ums Paradies. Eine islamische Geschichte der Kreuzzüge.

Mit welchem Recht bezeichnet der Verfasser sein Werk als „islamische Kreuzzugsgeschichte“? Er ist kein Muslim, aber Islamwissenschaftler; im Unterschied zu sonst bekannten Darstellungen der Kreuzzüge verwendet er daher meist nur islamische Quellen, die er arabisch lesen kann (entsprechende Begriffe in lateinischer Umschrift sind laufend in den Text eingestreut), so stellt er dar, was diese Kriege aus der Sicht damaliger Muslime bedeuteten.

Er beginnt mit einer Beschreibung der muslimischen Weltsicht und der Bewertung des Christentums in der Zeit vor den Kreuzzügen. Zahlreiche Karten und anderes Bildmaterial unterstreichen dies. Nicht alle muslimischen Urteile über Europäer, vor allem Franken, zeugen von Objektivität, bieten aber ein anschauliches Bild, wie sich Angehörige unterschiedlicher Kulturen wahrnahmen. Insgesamt erschien Europa als „»Entwicklungsland« am am Rande der Welt, bewohnt von einem fanatischen, kriegerischen Volk, Anhängern eines rückständigen Glaubens.“ Es fehlten Städte orientalischer Größe und Vielfalt! Die Struktur einer islamischen Gesellschaft wird im „Ring der Gerechtigkeit“, d.h. gegenseitigen Angewiesenseins symbolisiert. Die Funktion einzelner Ämter in verschiedenen Systemen führten zu vielen, teils bis heute bestehenden Missverständnissen zwischen Christen und Muslimen. Aber auch die unterschiedlichen Kalifate von Bagdad bis Cordoba trugen nicht zu einem einheitlichen Islambild bei.

Ehe sich Cobb dem Stichwort „Heilige Kriege“ zuwendet, stellt er kurz die Bedeutung des Heeres und der Religionsgelehrten dar, da bei uns oft diffuse Vorstellungen über den Dschihad herrschen, auch die Gemeinsamkeiten und kategorialen Unterschiede zwischen Kreuzzügen und Dschihad. Allerdings setzt er bei seinen Lesern entsprechendes Unterscheidungsvermögen voraus. Ob jedoch in der gegenwärtigen säkularen Gesellschaft die Definition als „Krieg aus frommen Motiven im Unterschied zu den vielen weltlichen Anlässen“ eher be- als entlastend wirkt, sei dahingestellt. Er betont jedenfalls, dass mittelalterliche Muslime mit Dschihad „fast immer den bewaffneten Kampf gegen Ungläubige meinten“, auch wenn er seinem Ansatz nach missionarisch gewesen sei, „das Gute zu gebieten und dem Bösen zu wehren“. Als heiliges Land gilt das gesamte damalige „Syrien“, mit der „heiligen Stadt“ sei im Koran aber entsprechend der ursprünglichen Gebetsrichtung Jerusalem gemeint. Dies erklärt den heutigen politischen Sprengstoff dieser Stadt.

Gewürzt mit Anekdotischem erfährt man, wie die Normannen in Sizilien sesshaft wurden. Für den Ausbruch der Kreuzzüge wird einer islamischen Quelle zufolge die Uneinigkeit der Kalifen verantwortlich gemacht sowie die Streitigkeiten in verschiedenen Richtungen des Islam, vor allem der Schiiten. Die religiösen Motive der Kreuzfahrer scheinen diese Quellen nicht zu verstehen.

Ausführlich werden die ägyptischen Fatimiden bis ins 11. Jh. dargestellt, ebenso ausführlich die Kämpfe in Sizilien. Dies dient auch als Voraussetzung für die Erklärung späterer innerarabischer Auseinandersetzungen und mit den turkmenischen Seldschuken während der Kreuzzüge, für Cobb ein Grund, warum die Kreuzfahrerheere letztlich erfolgreich waren. Hier zeigt sich im Vergleich zu sonstigen Darstellungen der Kreuzzüge, die sich in der Regel auf „fränkische“ Quellen beschränken, der Vorteil der Einbeziehung islamischer. Allerdings kann auch Cobb nicht auf christliche verzichten, wo die islamischen lückenhaft sind, da „kein muslimischer Geschichtsschreiber in der Lage war, eine detaillierte Darstellung des fränkischen Vormarsches von Antiochia nach Jerusalem zu liefern“. Dennoch bilden die gelegentlich disparaten Teileinsichten die reale Verworrenheit der Lage gut ab und zeigen, dass manche Verläufe gelegentlich durch unterschiedliche Koalitionen auch zwischen „Franken“, wie die Kreuzfahrer durchweg bezeichnet werden, und lokalen muslimischen Herrschern beherrscht waren. Cobb spricht einmal von einem „Spinnennetz von Bündnissen und Gegenbündnissen“. Daher kann man eigentlich nicht von einem Kampf zwischen Christen und Muslimen um das Heilige Land sprechen. Viele der zahllosen Toten gehen auf das Konto solcher interner Machtkämpfe.

Karten verhelfen angesichts der vielen geografischen Details zur besseren Übersicht, wenn auch nicht alle Ortsnamen darin verzeichnet sind. Ein Verzeichnis der „wichtigsten historischen Persönlichkeiten und Dynastien“ und ein ausführliches Stichwortverzeichnis gegen Ende des Buches sind sehr hilfreich und erforderlich; dennoch macht die Fülle arabischer Namen, die man aus anderen Kreuzzugsdarstellungen nicht kennt, das Lesen gelegentlich mühsam, um der Gründlichkeit und Genauigkeit willen kann dies jedoch nicht erspart bleiben.

Populäre Legenden wie die Auffindung der Lanze Jesu werden in ihrer Bedeutung für den Verlauf des ersten Kreuzzugs zurechtgerückt. Ob der Qadi von Aleppo tatsächlich „eine flammende Ansprache“ vor dem Kampf gegen die Truppen Rogers von Antiochien hielt, wird man dahingestellt sein lassen müssen; solche Reden sind oft ein beliebtes schriftstellerisches Mittel zur Kennzeichnung entscheidender Situationen.

Ausführlich wird Zangis Herrschaft über Mossul und Syrien mit ihren Höhen und Tiefen durch Kampf und List beschrieben einschließlich seiner rätselhaften Ermordung. Sein Sohn Nur al-Din gilt oft nur deshalb als sein Nachfolger, weil er mehr als sein älterer Bruder in die Auseinandersetzungen mit den Franken verwickelt war und bei den eigenen Leuten als „Mudschahid“, als Dschihadkämpfer, sowie als „Zahid“ (Asket) geehrt wurde. Sein eindrucksvolles Grabmal ist abgebildet.

Was in der Geschichtsschreibung als Zweiter Kreuzzug gilt, der erstmals „von europäischen Königen angeführt wurde“, erscheint nach muslimischen Quellen als Antwort auf einen christlichen Hilferuf angesichts erstarkter sunnitischer Macht am Euphrat. Cobb erwähnt auch bedeutende Gelehrte, die diesem geistigen Rückhalt boten.

Sieht man die Kreuzzüge nach traditionellem Verständnis als Kampf um Jerusalem und die Ursprungsorte des Christentums, ist man erstaunt, dass Cobb sich plötzlich wieder al-Andalus und Nordafrika zuwendet. Nach muslimischem Verständnis geht es um Auseinandersetzungen mit den „Franken“. Die Verhältnisse auf der iberischen Halbinsel und in Nordafrika gehören daher durchaus in diesen Rahmen. Außerdem versuchten spanische Muslime Kreuzfahrer, die sich von Lissabon aus auf den Weg machten, daran zu hindern. Verwunderlich ist jedoch dass Cobb dabei weder auf das Verhältnis von Juden und Muslimen in Südspanien eingeht, noch den jüdischen Gelehrten Maimonides erwähnt, dessen Lebensschicksal unmittelbar von den Machtkämpfen verschiedener muslimischer Richtungen betroffen war. Cobb ist jedoch an den Kämpfen der christlichen Mächte gegen die muslimische Herrschaft über Spanien und Nordafrika interessiert, weshalb sowohl Genua als auch Barcelona und das normannische Sizilien in den Blick genommen werden. Die normannische Besetzung Nordafrikas war nur eine kurze Episode; über wechselnde muslimische Herrschaften in Ägypten und Palästina sowie die zeitweiligen Bündnisse mit fränkischen Gebietsherrschern erfährt man viele Details, die in christlichen Darstellungen übergangen werden, einschließlich Saladins Aufstieg.

Ihm ist ein eigenes Kapitel gewidmet; dies versteht sich von selbst. Er wird dabei nicht nur als Kriegsheld, sondern auch als kluger Politiker erkennbar, der geschickt und geduldig seinen Machtbereich vergrößert. Eine romantisch anmutende Episode macht deutlich: „Muslime und Franken waren ökonomisch und kommerziell viel stärker verflochten, als ihre Ideologien zulassen wollten.“ Dies beruhte zum Teil auf seit langem bestehenden Verbindungen mit italienischen Handelsstädten und fand seine Ausprägung in Verträgen über Wassernutzungsrechte und „kulturelle Interaktion“ bis hin zu Lehnwörtern! So bietet dieses Kapitel auch einen kulturhistorischen Abriss. Dass viele Muslime aus religiösen Gründen aus fränkischen Gebieten wegzogen, wird jedoch nicht verschwiegen. Die Entwicklung in al-Andalus und der Zusammenbruch der Almohaden wird dabei nicht aus den Augen verloren. Veränderungen im Königreich Jerusalem boten Saladin neue Optionen für sein Vorgehen gegen die Franken, deren Truppen er zahlenmäßig überlegen war. Die Schlacht an den Hörnern von Hittin wird weniger dramatisch dargestellt als sonst, die Rückeroberung Jerusalems ausführlicher als nach christlichen Quellen.

Dass im Dritten Kreuzzug, bei dem Friedrich Barbarossa umkam, Taucher den in Akko Eingeschlossenen Botschaften überbrachten, dürfte weniger bekannt sein. Trotz verschiedener Taktiken konnten die Muslime aber die Eroberung Akkos nicht verhindern, wobei auch Richard Löwenherz mit List operierte. Der Erfolg war mehr psychologischer als strategischer Natur. Die Kreuzfahrerarchitektur ist heute noch überall präsent. Da sowohl Saladin als auch Richard ernsthaft erkrankt waren, kam es zum Waffenstillstand mit Teilung des Küstenstreifens am Mittelmeer. Dass allmählich Ägypten in den Mittelpunkt des Interesses rückte, zeigt, dass religiöse Motive mehr und mehr hinter machtpolitischen zurücktraten.

Nach Saladins Tod zerfiel die Front in Teilkriege, oft spielten der Templer- und der Johanniterorden eine größere Rolle als einzelne örtliche Fürsten. Die Muslime schlossen sich dagegen zusammen. Wer allerdings verstehen will, wieso die Schleifung der Mauern Jerusalems verhindern sollte, dass die Stadt zur Basis für fränkische Eroberer wurde, muss sich in damaliger Kriegstechnik auskennen. Dass fromme muslimische Quellen darin ein Unglück sahen, ist dagegen einsichtig.

Für all diese Kämpfe und Koalitionen des 13. Jh. bieten muslimische Quellen andere Einblicke und Wertungen als christliche. Durch den Mongolensturm kamen türkische Sklaven u.a. nach Kairo, die in der Mitte des 13. Jh. den Ayyubiden die Macht entrissen und die Mamlukenherrschaft begründeten. Als Führergestalt wird Baibars in den Blick genommen, der „Erobererkönig, Säule der Welt und des Glaubens“, der zunächst den Einfluss der Mongolen brechen musste. Wer schon beim Lesen der Darstellung den Eindruck gewann, Baibars – aber nicht nur er – habe nach dem alten Prinzip „teile und herrsche“ gehandelt, erhält auch durch den Autor die ausdrückliche Bestätigung. Doch weder Baibars noch seinem Nachfolger Qalawun, sondern dessen Sohn al-Ashraf gelang es, Akko, die letzte fränkische Festung, einzunehmen. Wie dieses Ereignis eine Generation später aus muslimischer Sicht gewertet wurde, zeigt eines der wenigen Zitate aus den Quellen. Danach gab es von Zypern aus noch einige Geplänkel an der anatolischen Küste, um Alexandria und Städte an der levantischen Küste, aber ohne bleibende Erfolge. Das umkämpfte Zypern geriet schließlich 1490 an Venedig.

Die Traumvision Osmans, mit der Cobb sein letztes Kapitel beginnt, dürfte weithin unbekannt sein. Damit wird das Vordringen der Osmanen in Europa eingeleitet, ermöglicht durch Widerstreit europäischer Mächte. Die Überschrift dieses Kapitels ist dem Text eines osmanischen Herrschers entnommen. Insgesamt geht es in diesem Kapitel um die allmähliche muslimische Eroberung des Balkans sowie asiatischer Provinzen, aber auch um die Zurückdrängung aus Sizilien und Andalusien, wobei eine osmanische Karte von Granada besonders ins Auge sticht.

Der Epilog fasst noch einmal zusammen, wie die Franken auf die orientalischen Muslime wirkten; Cobb stellt nochmals heraus, die Kreuzzüge seien kein Kampf zwischen „Islam und Christentum“ gewesen, sondern oft Konflikte zwischen „»fränkischen« Völkern einerseits und bestimmten muslimischen Gemeinschaften andererseits.“ Durch seine sehr differenzierte Darstellung in den vorausgehenden Kapiteln wird dieser Eindruck untermauert, doch ändert dies nichts an der Tatsache, dass die europäische Kreuzzugspropaganda andere Ziele suggeriert hatte. Mit Recht betont er daher, dass die Betrachtung „aus islamischer Perspektive […] der vertrauten Geschichte, die die traditionelle Sichtweise anbietet, unschätzbares Quellenmaterial“ hinzufügt. Außerdem erzählen die Quellen nicht nur die „militärischen Konflikte zwischen zwei Widersachern Gottes, sondern sie erzählen von menschlichen Begegnungen: von Christen, Juden, Muslimen und Häretikern, von Normannen, Palermern, Provençalen, Granadinern, Jerusalemiten, Deutschen, Shaizaris und Ungarn, um nur einige zu nennen.“ Es geht Cobb dabei um die Erkenntnis, dass hier nicht Helden und Schurken aufeinander getroffen sind, sondern Mitmenschen und Angehörige von Familien.

Paul M. Cobb:

Der Kampf ums Paradies. Eine islamische Geschichte der Kreuzzüge.

Aus dem Englischen von Michael Sailer

Verlag Philipp von Zabern (Wissenschaftliche Buchgesellschaft)

Darmstadt 2015

428 S., zahlr. Abbildungen, Leinen

Euro 29,95

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