Das biblische Israel

Das Lehrbuch richtet sich an Studierende der ersten Semester. Im Vorwort wird es auch Heilig-Land-Reisenden als Ergänzung zu den gängigen Reiseführern empfohlen. Ziel des Buches ist es, sich auf die großen geschichtlichen Linien und Fragestellungen zu konzentrieren, um „einen ersten Einstieg in die Geschichte Israels“ (44) zu ermöglichen.

Die Geschichte Israels wird in acht Epochen gegliedert, sie setzt bei der Vorgeschichte und Entstehung Israels ein und endet mit dem Bar-Kochba-Aufstand. Insgesamt 30 Karten und zahlreiche Schwarz-Weiß-Abbildungen sind direkt im Text eingebettet, um das Gelesene zu veranschaulichen, ohne  dass  man immer wieder zu einem Tafelteil blättern  muss.  Separat  eingebettete  Infokästen (Ächtungstexte,  Amarna-Korrespondenz,  Merenptah-Stele,  Schwarzer  Obelisk),  Exkurse  zu verschiedenen Themen (u. a. Chronologiedebatte, Khirbet Qeiyafa als Teil des Königreiches David, Scheschonq-Ortsnamenliste, Schiloachtunnel und -inschrift, fragliche Kultreform Hiskijas, Qumran, Jüdische Gruppen in hell.-röm. Zeit, Zeloten und Sikarier), Quellentexte (z. T. in Auszügen: Tel-Dan-Stele,  Mescha-Stele,  Kurkh-Stele,  Kyros-Zylinder),  Vertiefungen  zu  Einzelthemen  (Nordreich-Israeliten  und  die  Provinz  Samerina  nach  722/20)  sowie  Tabellen  (Stammbäume  der  Omriden, Hasmonäer und Herodianer; wichtige historische Ereignisse mit Jahreszahlen) ergänzen und erläutern in  ansprechender  Weise  den  Haupttext.  Am  Ende  eines  jeden  Kapitels  wollen  Übungsfragen  die Aneignung des Gelesenen erleichtern. Ein Überblick zu thematisch relevanter Literatur in Auswahl schließt das Kap. mit dem Hinweis auf weiterführende Literatur am Ende des Buches (316–319) ab. Die Literatur ist nicht allumfassend, aber auf dem aktuellen Stand.

Das Buch besticht durch den klaren und transparenten Aufbau seines Inhaltes. Auf 45 S. wird zunächst eine ausführliche Einleitung vorangestellt, die die methodische Vorgehensweise erläutert sowie  Hinweise  zur  Benutzung  des  Lehrbuchs  gibt.  Der  Anspruch  des  Buches  ist, die  biblische Darstellung der Geschichte Israels nicht einfach nachzuerzählen, sondern im Kontext außerbiblischer Quellentexte  und  archäologischer  Befunde  historisch-kritisch  zu  rekonstruieren.  Neben  der Bezugsgröße „Israel“ wird außerdem der Wert der biblischen und außerbiblischen Quellen diskutiert. Die biblischen Schriften des AT werden als Texte einer Glaubensgemeinschaft vorgestellt, die die erfahrene Geschichte vor dem Hintergrund der Gottesbeziehung theologisch zu deuten versuchen. Die historische Verlässlichkeit eines biblischen Textes ist deshalb jeweils kritisch zu überprüfen. Da Israel in die Geschichte des Alten Orients eingebunden war, wird auch den außerbiblischen Quellen hohe Relevanz zuerkannt.  Der Wert der Primärquellen sowie ihre kritische Beurteilung (häufig Propagandaliteratur) und die Archäologie als unabhängige Disziplin werden diskutiert. Weiterhin werden die geopolitische und geographische Lage Israels als Teil der Levante und deren Wirkung auf den Verlauf der Geschichte mit reichem Kartenmaterial dargestellt.

Im Hauptteil wird jedem der acht Epochenkap. (A: Vorgeschichte und Entstehung Israels; B: Frühe Königszeit; C: Mittlere Königszeit bis zur assyrischen Krise; D: Die Assyrische Krise; E: Die babylonische Krise und das Exil; F: Israel unter persischer Herrschaft und die nachexilische Zeit; G: Judäa unter hellenistischer Herrschaft; H: Judäa im römischen Zeitalter bis zum Bar-Kochba-Aufstand) zunächst ein Überblick über die Epoche vorangestellt.  Für die ersten Epochen der Geschichte Israels (A  und  B),  wo die  biblische  Darstellung  historisch  kaum  zu verifizieren ist  bzw. außerbiblische Befunde abweichende Ergebnisse bringen, werden die biblische Quellenlage und die außerbiblische Quellenlage  getrennt  behandelt.  Priorität  erhält  dabei  die  biblische  Darstellung,  die  zunächst nacherzählt wird, erst in einem zweiten Schritt wird das darin gezeichnete Bild der Geschichte Israels im Kontext der Entstehung der relevanten biblischen Texte und ihrer historischen Einordnung kritisch hinterfragt.

In  einem  weiteren  Schritt  werden  die  außerbiblischen  Quellen  hinzugezogen  und abschließend ein mögliches historisches Szenario der Epoche rekonstruiert. Es wird außerdem der aus den Befunden resultierenden Frage nachgegangen, ob es die Erzeltern, Mose, Saul, David und Salomo überhaupt als historische Persönlichkeiten gegeben hat. Dasselbe wird auch für den Exodus und die Landnahme thematisiert. Bei den späteren Epochen sieht die Verfasserin „größere Übereinstimmungen zwischen biblischem und außerbiblischem Befund“ (43), so dass die außerbiblischen Befunde meist sofort ergänzend zum biblischen Befund hinzugezogen werden und daraus das mögliche historische Szenario konstruiert wird. Allerdings versäumt es die Verfasserin, zu definieren, was unter der „größeren Übereinstimmung“  zu  verstehen  ist.  Die  neueren  Forschungen  zur  Geschichte  Israels  arbeiten zunehmend  die  Nicht-Übereinstimmungen  der  biblischen  Darstellung  mit  den  außerbiblischen Befunden heraus (z. B. Ausbau des Heiligtums in Tel Dan erst unter Jerobeam II.; Fraglichkeit der Reformen unter Hiskija und Joschija). Die außerbiblischen Befunde der Perserzeit stehen ebenfalls in Kontrast zur biblischen Darstellung der Restaurationszeit. Obwohl die Verfasserin die biblische Darstellung in den Büchern Esra und Nehemia kritisch reflektiert, übernimmt sie dennoch weitgehend das dort konstruierte  Geschichtsbild.  Damit  steht  sie  in  der  Tradition  vieler  anderer  Darstellungen  der Geschichte Israels, die das Problem bis jetzt nicht befriedigend lösen können, inwieweit exegetische Analysen den Mangel außerbiblischer Befunde ersetzen können bzw. wann und ob überhaupt sie den Vorzug vor den außerbiblischen Befunden bekommen sollen. Abgesehen von der Einräumung der Priorität  für  den  biblischen  Text  gibt  sich  die  Verfasserin in  der  Wiedergabe  der  verschiedenen wissenschaftlichen Sichtweisen selbst neutral, umreißt kontroverse Diskussionslagen bisweilen aber recht knapp, ohne die verschiedenen Forschungspositionen weiter auszuführen.  Eigene, neue Thesen, die zum Fortschritt des wissenschaftlichen Diskurses beitragen könnten, werden nicht präsentiert.

Das  Buch  möchte  dennoch  „zu  einer  Auseinandersetzung  mit  dem  präsentierten  Stoff anregen“  (11).  Ob  dies  durch  die  Kürze  der  Problemdarstellungen,  fehlender  argumentativer Stellungnahmen sowie die Übungsaufgaben am Ende des Kaps.s, die lediglich das Vorausgegangene inhaltlich abfragen, erreicht wird, sei dahingestellt. Eine ausführlichere Bibliographie zu einzelnen Fragestellungen  wäre  vielleicht  ein  größerer  Anreiz  für  eine  weitergehende  wissenschaftliche Auseinandersetzung gewesen.  Alles in allem ist es der Verfasserin aber gelungen, gut strukturiert auf nur 328 S. einen historisch-kritischen Überblick der Geschichte Israels von der Vorgeschichte bis zum Bar-Kochba-Aufstand als einen ersten Einstieg für Studierende und sonstige Interessierte zu geben.

Melanie Peetz:
Das biblische Israel. Geschichte – Archäologie – Geographie.

2. überarbeitete Auflage. – Freiburg: Herder 2021.
328 S., geb. € 29,00

Editorische Anmerkungen

Dagmar Kühn, Dr., Privatdozentin am Lehrstuhl für Altes Testament an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Tübingen.

Quelle: Theologische Revue, 117. Jahrgang, November 2021; DOI: https://doi.org/10.17879/thrv-2021-3660.

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