Auf der Suche nach den jüdischen Wurzeln: Zur Kritik «christlicher Sederfeiern»

Die promovierte Naturwissenschaftlerin hat sich in einem Zweitstudium insbesondere christlich-jüdischen Fragestellungen gewidmet und dieses mit einer Promotion zum Dr. phil. abgeschlossen. Thema ihrer Arbeit war eine in evangelischen wie römisch-katholischen Gemeinden stellenweise verbreitete Praxis in vermeintlich guter Absicht, das christliche Abendmahl wenigstens am Gründonnerstag zu feiern, wie es einst Jesus feierte.

Dahinter steht häufig ein doppeltes Motiv, einmal die Frage der Authentizität: das möglichst stiftungsgetreue Begehen dieser liturgischen Feier. Hinzu kommt aber auch vielerorts das Motiv der Begegnung mit dem Judentum und jüdischen Glaubensinhalten und Festbräuchen in christlichen Gemeinden nach jahrhundertelanger Judenfeindlichkeit und Judenvergessenheit in den Kirchen. Dies ist grundsätzlich ein legitimes und verständliches Anliegen im Rahmen der Neubesinnung auf das Verhältnis von Christen und Juden. Gerade deshalb erhebt sich aber die Frage: Ist dies auch eine berechtigte Form?

Elisabeth Hackstein ist dieser Frage empirisch und theologisch nachgegangen. Nach der Einleitung, die Anlass und Ziel der Untersuchung formuliert, wendet sie sich zunächst in drei großen Kapiteln den „theoretischen Grundlagen“, den Ergebnissen und der Auswertung ihrer Recherche, sowie der Diskussion dieser Thematik in den Kirchen zu, ehe sie in einem letzten Kapitel Schlussfolgerungen für die künftige Praxis zieht. Ihre konkreten Recherchen, eine Art „Felduntersu-chung“ beziehen sich aus praktischen Gründen auf Berliner Gemeinden, in denen recht unterschiedliche Praktiken zum Zuge kommen: von regelrechten (imitatorischen) Sederfeiern bis zur Aufnahme einzelner Elemente aus dem jüdischen Sedermahl in die christliche Abendmahlsliturgie in unterschiedlichsten Varianten.

Dies alles wird theologisch reflektiert. So geht die Autorin in den „theoretischen Grundlagen“ zunächst generell der Funktion des Gedenkens im Judentum nach, ehe sie die spezielle Gedenk-Struktur des Sedermahls am Pessachabend herausstellt. Bedenkenswert ist in dem Unterkapitel „Dies tut zu meinem Gedächtnis“ die Feststellung zum letzten Mahl Jesu, „verlässliche Aussagen über den eigentlichen Ablauf dieses Mahls lassen die überlieferten Berichte nicht zu.“ Denn: „Wer sich heute hierzu äußert, steht vor Deutungen, die sich in nahezu zweitausend Jahren theologischer und kirchlicher Diskussion durchgesetzt haben.“ Elisabeth Hackstein umreißt kurz die über Jahrzehnte prägende Konzeption von Joachim Jeremias, um dann auf die neueren Forschungen von Juden und Judaisten zu Entstehung und Entwicklung des Sedermahls und seinem Verhältnis zu christlichen Abendmahlsfeiern einzugehen. Dabei sind auch die Arbeiten von Michael Hilton und Israel Yuval berücksichtigt, die sich vor allem mit der Interdependenz der Abläufe beider Mahlfeiern beschäftigt haben.

Interessant sind im Recherchekapitel auch die Begründungen, die von den einzelnen Pfarrerinnen und Pfarrern für ihre Praxis gegeben werden, sowie im Kapitel „Diskussion“ die Stellungnahmen der Kirchenleitungen. Dabei sollte allerdings bedacht werden, dass die „Arbeitsstelle Kirche und Judentum“ in Hannover Ergebnisse der Landeskirchlichen Arbeitskreise der gesamten EKD verarbeitet. Bedauernd stellt die Verfasserin fest: Die zögerliche und unzureichende Rezeption der neueren Sederforschung in der Leitungsebene und den Gemeinden […] findet ihren Niederschlag in den von Pfarrer/innen gestalteten Sederfeiern auf der gemeindlichen Ebene.“ Dies gilt leider weithin auch für die Rezeption bzw. Umsetzung anderer neuerer theologischer Erkenntnisse.

Bedeutungsvoll ist auch das theologische Argument, Abendmahlsfeiern, wie Jesus sein letztes Mahl feierte, versetzten in die vorösterliche Zeit und seien damit nicht die Feier der Gemeinschaft mit dem Auferstandenen. Dieses und viele andere Argumente führen abschließend zu einem „Plädoyer für einen Verzicht auf Sederfeiern“.

Elisabeth Hackstein:

Auf der Suche nach den jüdischen Wurzeln.

Zur Kritik „christlicher Sederfeiern“

Apeliotes, Studien zur Kulturgeschichte und Theologie, Band 11

292 S., geb. Hardcover, Peter Lang Verlag, Frankfurt/M u.a. 2012

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