»Alles wirkliche Leben ist Begegnung«

Festschrift zum vierzigjährigen Bestehen von Studium in Israel e.V.

Die Festschrift versteht sich als eine Art Zwischenbilanz; denn die Aufgabe geht weiter. Das Buber-Zitat wurde als Titel gewählt, weil es auch bei diesem Studienprogramm nicht nur um kognitives Lernen, sondern um Begegnung geht.  Beim Überfliegen des in sieben Kapitel geteilten Inhaltsverzeichnisses sticht ein Beitrag sofort ins Auge, der das sechste Kapitel über „Relecturen prägender Lehrer in Deutschland“ beschließt: „Am Anfang war die Neugierde.“ In einem sehr lebendig geführten Interview wird der interessante berufliche Werdegang Martin Stöhrs, eines der Begründer, und seiner Frau deutlich, aber auch viele verdienstvolle Namen ins Bewusstsein gerufen, die heute leider vielen nichts mehr sagen. Deutlich wird, dass „Studium in Israel“ letztlich aus der „AG Juden und Christen“ beim DEKT hervorging, aber auch, dass es bereits damals die bis heute nicht eingelöste Forderung gab, Judentumskunde als Bestandteil theologischer Prüfungen zu etablieren, sowie um die Frage, wie die in Israel erworbenen Kenntnisse am besten in die kirchliche Arbeit eingebracht werden konnten, aber auch um Befürchtungen denen dieses Studium z.T. in Kirchen(leitungen) begegnete.

Einen Überblick über die Entwicklung dieses Studienprogramms bietet zu Beginn der Kirchenhistoriker Johannes Ehmann. Wie bei ihm gewohnt, belegt er seine Aussagen mit ausführlichen Zitaten. Der Abschlussbericht des ersten Jahrgangs ist ebenso wie andere wichtige Dokumente abgedruckt. Sowohl das Teilnehmerverzeichnis der ersten Arnoldshainer Tagung als das Gesamtverzeichnis aller bisherigen Teilnehmer enthält eine große Zahl bekannter Namen aus vielen christlich-jüdischen Zusammenhängen. Bedauerlich ist dabei die leider zutreffende Feststellung, dass sich viele Kirchenleitungen und Fakultäten gegenüber dieser Arbeit zunächst „spröde“ verhielten. Oft „galten landeskirchliche Arbeits- bzw. Studienkreise als Ort und Hort »speziell« Interessierter mit mehr oder minder abstrusen Auffassungen zu Geschichte und Theologie der Kirche.“ Die Teilnehmer des ersten Jahrgangs bezeichneten ihre Erfahrungen als „konstruktive Verunsicherung“. Die konstitutiv wichtige Funktion der Akademie Arnoldshain und der hessischen Landeskirche, aber auch Fragen der Finanzierung, des Spracherwerbs in Neuhebräisch usw. werden deutlich. Das örtliche Zentrum wurde in der Jerusalemer Ratisbonne eingerichtet, 1986 ein Verein gegründet zur „Förderung der der jüdisch-christlichen Beziehungen, insbesondere der Förderung eines Studienjahres …“, dem neben der Spendeneinwerbung die Organisation der Vor- und Nachbereitungstagungen oblag. Ein Organigramm der gesamten Unternehmung ist ebenfalls beigefügt. Bemerkenswert sind die Inhalte der jährlichen Tagungen auch in der Zeit nach Martin Stöhrs Vorsitz; sie markieren eine Theologiegeschichte eigenen Zuschnitts. Der Vorspann zu einem Tagungsprogramm zum zehnten Jubiläum fasst die Ziele zusammen, die sich mittlerweile herauskristallisiert hatten: „Erfahrungen mit jüdischer Schriftauslegung in Talmud und Midrasch … sie kennen rabbinische Literatur und Geschichte … gelebte jüdische Religion, das Land Israel und den Alltag der israelischen Gesellschaft“. Michael Krupps, des Studienleiters Ruhestand, und die Kündigung durch die Ratisbonne mit Umzug in das Schwedische Institut, aber auch ein plötzlicher Rückgang des studentischen Interesses schienen vorübergehend das Programm zu gefährden. Ein neu geschaffenes Logo, das die Anfangsbuchstaben von shnat limudim bejisrael (shalav), „Studienjahr in Israel“ aufnahm war Ausdruck der Neubesinnung. Während dieser Zeit wurde mit „Studium in Israel II“ auch ein Fortbildungsprogramm erstellt. Das dritte Jahrzehnt stand unter neuen personellen und organisatorischen Voraussetzungen und wird von Ehmann als „Kontinuität in Vernetzungen“ charakterisiert.

Das Zweite Kapitel beschreibt das „»Studium in Israel« im universitären Kontext“; denn dies ist neben eigenen Lehrveranstaltungen das Proprium dieses Programms: die Teilnehmenden studieren an der Hebräischen Universität in Jerusalem. Ihr ist daher auch der erste Beitrag gewidmet. Ihre bewegte Geschichte wird von Melanie Mordhorst-Mayer faszinierend und facettenreich dargestellt.

Dazu gehört auch, dass deren erste Lehrveranstaltungen abends stattfanden, um auch Berufstätigen das Studium zu ermöglichen. Schwierige Zeiten brachen unmittelbar nach dem Unabhängigkeitskrieg an, so dass auch die Universitätsklinik Hadassah verlegt, der Lehrbetrieb zunächst auf verschiedene Plätze innerhalb Jerusalems verteilt werden musste. Nach 1967 konnten die Gebäude auf dem Scopusberg, Har Hatzofim, wieder in Betrieb genommen und erweitert werden. Die Naturwissenschaften blieben auf dem Ausweichgelände in Givat Ram. Vor allem die Zahl der ausländischen Studierenden stieg stetig. Bemerkenswert ist auch dass etwa die Hälfte der Studierenden ein Postgraduierten-Studium absolviert, d.h. in der Forschung aktiv ist. Michael Krupp verweist darauf, es habe bereits vor dem Programm „Studium in Israel“ einzelne Studierende der Theologie gegeben, die an der Hebräischen Universität gab. Auch er selbst war damals „Einzelkämpfer“.

Bei der Arnoldshainer Tagung 1977 ging es nicht darum, „etwas vollkommen Neues zu schaffen, sondern eine existierende Bewegung zu stärken und weiter auszubilden.“ Lehrangebote deutscher Universitäten gab es nicht. Außerdem „fehlte die jüdische Umwelt, das Land, in dem Hebräisch gesprochen wurde.“ Anschaulich und lebendig werden die Anfänge und die Unterschiede zu einem ähnlichen Studienprogramm an der Jerusalemer Dormitio-Abtei und die Verhandlungen mit derHebräischen Universität geschildert. Dabei spielte auch Prof. Rolf Rendtorff, Heidelberg, eine vermittelnde Rolle. Dazu Erforderlich war, „auf Hebräisch zu studieren“. Auf weitere Einzelheiten kann hier nicht eingegangen werden. Dieses Kapitel ist auch ein wichtiger wissenschaftsgeschichtlicher Beitrag. Melanie Mordhorst-Mayer, die heutige örtliche Studienleiterin von „Studium in Israel“ führt diesen Überblick über diese ersten Kontakte bis heute fort.

Fragen nach den Konsequenzen dieses Studiums an der Hebräischen Universität Jerusalem  für die Theologenausbildung und den christlich-jüdischen Dialog in Deutschland behandelt ein Aufsatz anhand einer 2016/17 durchgeführten Studie. Zwar fordert eine für alle Studiengänge der Theologie geltende Empfehlung die Themenschwerpunkte „Christentum und Judentum, Genderforschung, Ökumene“ als Querschnittsthematik, doch ist bei einer derart offenen Formulierung nicht verwunderlich, dass im Blick auf Durchführung und Ergebnis an den 21 Studienorten sowohl beim Pfarramts- als auch beim Lehramtsstudium recht unterschiedliche Ergebnisse zu Tage treten. So lautet die erste Überschrift bei den „Quintessenzen“ der drei Verfasser: „Wenig Pflicht, viel Kür“. Die Forderung der Festschreibung in einem Pflichtmodul sagt hingegen wenig über die Effektivität aus. Eine Einordnung in die Religionswissenschaft wird „als Chance und Gefahr“ gesehen, vor allem wird mit Recht betont, „dass das Judentum dabei … nur als eine von vielen sog. Fremdreligionen betrachtet“ werde. mit Recht weisen sie auch darauf hin, dass für eine intensivere Verankerung entsprechender Lehrinhalte oft „kein spezifisch qualifiziertes oder interessiertes Lehrpersonal zur Verfügung steht“. Eigentlich wäre zu fordern, dass die Kenntnis des historischen und gegenwärtigen Judentums eine Grundstruktur des Theologiestudiums darstellt. Bemängelt wird, dass diese Thematik nirgends „obligatorischer Gegenstand des Examens“ sei. Dies ist allerdings die zwangsläufige Folge des entsprechenden Studienangebots. Regelmäßige „Gastprofessuren für jüdische Dozierende“ werden daher als „Leuchtturmprojekte“ bezeichnet.

Petr Sláma bietet einen sehr interessanten historischen Überblick über die soziale und rechtliche Stellung der Juden in Tschechien vom Mittelalter bis zur Gegenwart, „einem Land, das sich der geringsten Gottesdienstbesuche in Europa brüstet“, um dann auf die heutige theologische Wahrnehmung des Judentums einzugehen. Den bisherigen insgesamt 12 tschechischen Absolventen des Studiums in Israel bescheinigt er einen wesentlichen Beitrag „gegen alle Versuchungen, einen christlichen Triumphalismus in welcher Form auch immer neu zu beleben“ und stattdessen das „Judentum als älteres Geschwister“ wahrzunehmen, wobei sowohl die Vielschichtigkeit des Judentums als auch der Staat Israel in den Blick genommen werden.

Günter Stemberger schließt dieses Kapitel mit einer ausführlichen Besprechung der von Michael Krupp herausgegebenen Jerusalemer Mischna ab und nimmt damit einen konkreten Teil des Jerusalemer Programms in den Blick.

Das dritte Kapitel ist der Verankerung des Programms „Studium in Israel“ im kirchlichen Kontext gewidmet. Der erste Beitrag von Martin Pühn, EKD-Referent für den Mittleren und Nahen Osten, beschreibt zunächst die verschiedenen In-stitutionen, die seit 2007 unter dem Dach „Evangelisch in Jerusalem“ zusammengefasst sind und die es z.T. seit über hundert Jahren gibt, sowie die Beziehungen zur Evangelisch-Lutherischen Kirche in Jordanien, um abschließend auf die Bedeutung der Studierenden für die Dialogarbeit vor Ort einzugehen, die aber durch diese Einbindung auch dafür sorgen, „dass die christlich-jüdische und die ökumenische Dimension kirchlicher Arbeit nicht voneinander getrennt, sondern miteinander ins Gespräch gebracht werden.“       Klaus Müller und Ulrich Schwemer zeichnen in groben Zügen die Entwicklung landeskirchlicher Studien- und Arbeitskreise zu christlichen Fragen mit teilweise unterschiedlichen Namen, das gleichzeitige Entstehen eines Austauschs und Zusammenschlusses dieser landeskirchlichen Gruppen zu einer regelmäßigen Konferenz (Klak) sowie einer ersten Vorbereitungstagung von „Studium in Israel“ jeweils in der Akademie Arnoldshain. So verwundert es nicht, wenn festgestellt wird, „»Studium in Israel« und die KLAK stehen mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen vor denselben Herausforderungen theologischer, kirchlicher und gesellschaftspolitischer Art.“ Dies geschieht unter der Überschrift „… zu einer Theologie und Kirche in Israels Gegenwart“. Dass es „Studium in Israel“ um eine „Neuakzentuierung des Theologiestudiums im Horizont des christlich-jüdischen Verhältnisses“ geht, bleibt allerdings angesichts der doch naturgemäß insgesamt geringen Teilnehmerzahl eine Option, solange nicht Studien- und Prüfungsordnungen der Universitäten und Landeskirchen entsprechend neu gefasst werden.

Ernst Michael Dörrfuß überschreibt den ersten Abschnitt seines Artikels über den Weg „zu einem christlichen Selbstverständnis an der Seite Israels“ mit einem Zitat aus dem Hebräerbrief: „Gedenkt eurer Lehrer …“. Es ist nicht verwunderlich, dass man in immer wieder neuen Zusammenhängen auf die gleichen Namen stößt; denn am Anfang standen sowohl bei der „Studienkommission Kirche und Judentum der EKD“ als auch bei „Studium in Israel“ weithin dieselben Persönlichkeiten. Dabei wird auch aus der Studie „Christen und Juden I“ die grundlegende Einsicht zitiert, „auch der eigene, auf das Neue Testament gegründete Glaube wurzelt in der alttestamentlich-jüdischen Überlieferung“, eines Grundgedankens, der ebenso von der Leuenberger Kirchenkonferenz vertreten wurde. Dass dabei Rolf Rendtorff und das „Arbeitsbuch Christen und Juden“ über Jahre auch für das „Studium in Israel“ eine wichtige Rolle spielten, versteht sich von selbst. Auch der von EKD, VELKD und UEK 2001 gebildete „Gemeinsame Ausschuss“ macht sich die „Selbstvergewisserung der christlichen Theologie in ihrem Verhältnis zum Judentum“ zur Aufgabe. Als Mangel wurde teilweise empfunden, dass diesem Gremium keine jüdischen Mitglieder angehörten, sondern nur Kontakte zu jüdischen Gesprächspartnern gesucht und gepflegt wurden. Bei den unterschiedlichen konfessionellen und organisatorischen Strukturen der EKD war dies immerhin ein Anfang. So ist das Zitat von R. Tarfon aus den „Sprüchen der Väter“ eine passende Überschrift dieses Abschnitts: „Nicht liegt es an dir, das Werk zu vollenden, aber du bist auch nicht frei, von ihm abzulassen.“ Zusammenarbeit mit entsprechenden Partnern erfolgte sowohl mit den Rabbinerkonferenzen als auch mit der katholischen Deutschen Bischofskonferenz. Besondere Herausforderungen stellte die Beschäftigung mit „Messianischen Juden“, Judenmission, aber auch mit der Thematik „Martin Luther und die Juden“ dar. Wenig evangelisch klingt die leider zutreffende Feststellung: „Auch wenn der Ausschuss kein eigenständiges Veröffentlichungsrecht hat …“. Umso erfreulicher ist, dass dennoch von ihm erarbeitete Texte veröffentlicht wurden. Die Bedeutung der Mitarbeit ehemaliger Teilnehmer von „Studium in Israel“ in diesem Ausschuss wird unter dem Lutherzitat „Sola experientia facit theologum“ dargestellt.

„Impulse zum Weiterdenken“ gibt abschließend zu diesem Kapitel David Kannemann am Beispiel der Rheinischen Kirche, die von Anfang an bahnbrechend, auch in der Person von Heinz Kremers und unter Mitwirkung jüdischer Gesprächspartner, an derartigen Initiativen beteiligt war. Kannemann geht dabei auf die Motive ein, die schließlich zur Synodalerklärung von 1980 führten, ausführlich auf die Entstehungsgeschichte, Bedeutung und Weiterbehandlung der nicht unproblematischen Formulierung „Hineingenommen in den Bund“, die etwa von der badischen Synode so nicht übernommen wurde. F.W. Marquardts Einwände werden ausführlich zitiert. Ähnlich ausführlich wird die Formulierung „Zeichen der Treue Gottes“ im Blick auf die Errichtung des Staates Israel sowie ihre innerkirchliche Diskussion behandelt. Dass sie besonders in der politischen Diskussion auf Widerspruch stieß, und wie ein „Diakussionsimpuls zur Lage in Israel/Palästina“ im Sept. 2011 darauf eingeht, wird auch unter Hinweis auf Erfahrungen von „Studium in Israel“ behandelt. Im Abschnitt „Fazit und Ausblick“ wird auf verschiedene Veröffentlichungen der EKiR verwiesen sowie auf „Spuren im kirchlichen Arbeitsfeld Christen und Juden“, die „Studium in Israel“ hinterlassen hat, ohne genauer darauf einzugehen.

Damit ist der „christlich-jüdische Kontext“ jedoch nicht erschöpft; deshalb wird im vierten Kapitel diesen Fragen weiter nachgegangen. Es erübrigt sich darauf hinzuweisen, dass auch hier wieder Martin Stöhr, einer der Gründerväter dieses Studiums, zu Wort kommt, indem er auf die Arbeitsgemeinschaft beim DEKT eingeht und dabei besonders wichtige Themenfelder hervorhebt, z.B. „Gemeinsamer Messiasglauben und trennende Christologien, aber auch die politische Dimension dieser Arbeit. Ein bis heute aktuelles Monitum ist dabei die 1981 getroffene Feststellung, es sei „Antisemitismus, wenn Fehlhandlungen der israelischen Regierung […] schärfer als Fehlhandlungen anderer Regierungen hervorgehoben und verurteilt werden.“ Friedhelm Piper verschafft einen Überblick über die „internationalen Perspektiven“ des christlich-jüdischen Gesprächs von Seelisberg über Nostra Aetate bis zu gegenwärtigen Erklärungen, wobei er auch jüdische Stimmen einbezieht – ein wichtiger Beitrag für alle, die erst in jüngerer Zeit die Entwicklung verfolgen konnten.

Wolfgang Kruse und Alexander Deeg stellen ein Gespräch über die „Predigtmeditationen im christlich-jüdischen Kontext“, die seit 1996 überwiegend von Teilnehmenden des „Studium in Israel“ erstellt werden unter das Psalmwort, „Eine Sprache höre ich, die ich bisher nicht kannte“. Dazu passt deren Zielsetzung: „Unsere Predigtmeditationen wollen zu Predigten anregen, die »bereichert« werden »durch den jüdischen Hintergrund der Texte«.“ Die damit verbundene Gefahr, jüdische Tradition zu funktionalisieren, wird gesehen und davor gewarnt. Außerdem wird ausführlich auf Absicht und Inhalte des seit einigen Jahren erscheinenden thematisch ausgerichteten Mittelteils eingegangen. Insgesamt könnte man diesen Aufsatz als Predigtlehre in nuce unter dem Gesichtspunkt „christlich-jüdisches Gespräch“ bezeichnen.

Das fünfte und sechste Kapitel ist den „Relecturen prägender Lehrer“ gewidmet, und zwar zunächst christlichen Theologen, aber auch jüdischen Lehrern. Auf das Gespräch mit Martin Stöhr wurde bereits zu Beginn dieser Rezension eingegangen. Dass Erhard Blum sich im ersten Beitrag Rolf Rendtorff und dessen Weiterentwicklung der Theologie Gerhard von Rads aufgrund der „Begegnung mit Israel und mit einem lebendigen Judentum“ und den daraus erfolgten Konsequenzen widmet, versteht sich fast von selbst. Dies wird vor allem auch daran deutlich, dass etwa für Martin Noth die Geschichte Israels mit dem Fall Jerusalems endete. Das nachbiblische und heute existierende Judentum war nicht im Blick jener Theologengeneration. Mit Peter von der Osten-Sacken würdigt Gudrun Holtz einen der wichtigsten und vielfältigsten der am christlich-jüdischen Dialog beteiligten Neutestamentler. Ihm gehe es darum, „das scheinbar durch Paulus tradierte negative Judentumsbild zu korrigieren.“ Dabei werden sowohl Einflüsse als auch Differenzen zu englischsprachigen Wissenschaftlern deutlich. Interessant ist auch dessen Auseinandersetzung mit dem traditionellen Römer- und Galaterbriefverständnis. Überhaupt bietet nicht nur dieser Aufsatz, sondern das gesamte Kapitel wichtige Gesichtspunkte theologiegeschichtlicher Entwicklungen und Auseinandersetzungen. Sehr spannend liest sich Martin Vahrenhorsts originell aufgebauter Aufsatz über Chana Safrai. Michael Zanks kurzer Aufsatz über Emil Fackenheim setzt einige philosophische Kenntnisse voraus. Ähnliches gilt für Ottfried Fraisses Aufsatz „Zur Axiologie von Yeshayahu Leibowitz“, zusammengefasst unter dem Stich-wort „Ent-Geisterung“. Dabei geht es zunächst um die Auseinandersetzung mit Bestrebungen im europäischen Judentum des 19. Jh. eine im Kern gesamtmenschheitliche Ethik auszumachen. Dagegen sieht Leibowitz „jüdische Emuna und humanistische Ethik auf zwei Achsen verortet, die sich niemals schneiden können“. Denn die humanistische Ethik „achte den Menschen als obersten Wert und vergöttliche also den Menschen“. Dabei lässt sich durchaus fragen, ob seine Charakterisierung von „Moria“ und „Golgata“ zutreffend sind. So weist Fraisse im Schlussabschnitt seines Aufsatzes im Anschluss an Naomi Kasher darauf hin, „dass Leibowitz‘ strikt heteronomer Mitzvotgehorsam und Kants auf dem autonomen Verstand des Menschen beruhende Ethik (Stichwort: kategorischer Imperativ) trotz ihrer offensichtlichen Opposition bis ins kleinste Detail analoge Strukturen sind, die lediglich Begriffe austauschen.“

Besonders eindrucksvoll schildert Shmuel Herr, selbst Talmud-Lehrer an der Hebräischen Universität, eine Lernnacht am Schavuotfest bei Jona Fraenkel, ein Paradebeispiel an Pädagogik und lebensnaher Judentumskunde zugleich! Ein Satz zeigt dies: „Als sensibler Lehrer weiß er, wo und wie er die Dinge erklären muss, und wann er den Leser allein lassen und selbstständig zu seinen Schlussfolgerungen kommen lassen kann.“ Besser lässt sich Pädagogik nicht beschreiben. Astrid Fiehland van der Vegt ist es zu danken, dass in diesem Kapitel auch ein Beitrag über den sowohl um die Studierenden des „Studium in Israel“ als auch um wesentliche Kenntnisse des Judentums verdienten Michael Krupp in Form eines anschaulichen Lebensbildes enthalten ist, das sich zu lesen lohnt.

Es mag vielleicht überraschen, dass das abschließende siebte Kapitel überschrieben ist: „Programmatik in Gespräch und Abgrenzung“. Worum geht es dabei?

Jürgen Ebach reflektiert die „Bedeutung des Alten Testaments für die Gemeinde Jesu“, ruft dabei ins Bewusstsein, dass der jüdisch-christliche Dialog die Theologie veränderte und erörtert ausführlich verschiedene Bezeichnungen für diesen „selbstverständlichen Teil der christlichen Bibel“, ihre Vor- und Nachteile. Dabei ist wichtig: „Das Neue Testament führt nicht aus dem Alten heraus, sondern es führt Menschen aus den Völkern in das Alte Testament hinein“. Viel-leicht  sollte man vorsichtiger formulieren „zu ihm hin“. Dass er dabei ausdrücklich auch Frank Crüsemann zitiert, der „das Alte Testament als Wahrheitsraum des Neuen“ definierte, ist hervorzuheben und sollte künftig aller biblischen Hermeneutik als selbstverständliche Einsicht zu Grunde liegen. Dass er auch auf Notger Slenzcka eingeht, ist in diesem Zusammenhang unvermeidlich. An diesen wäre allerdings die Frage zu richten, ob er einen evangelischen Kanonbegriff vertritt. Ebach behandelt auch ausführlich die Frage „einer christologischen Lektüre des Alten Testaments“, die am Beispiel von Jes 7,14 als Beleg für „Jungfrauengeburt“ oder an der Rezeption von Jes 53 in der urchristlichen Verkündigung konkretisiert wird.

Beate Ego hebt die Bedeutung der Kenntnis rabbinischer Auslegung im Blick auf Texte des Alten Testaments und eine gesamtbiblische Theologie hervor. Bertold Klappert widmet sich der Bedeutung von Christologie und Trinitätslehre im christlich-jüdischen Gespräch. Auch Seitenblicke auf den Islam lassen sich dabei nicht vermeiden. Angelegt ist dieser Beitrag als Analyse unterschiedlicher theologischer Ansätze bei führenden Theologen des 20. Jh. Dies ist eine hervorragende Typologie in Kurzfassung. Die Motivgeschichte, die zu einer solchen Entwicklung führte, kommt allerdings nicht in den Blick. Könnte man sie – auch unter Gesichtspunkten des christlich-jüdischen Gesprächs – nicht so umschreiben: unterschiedliche Erfahrungen Gottes in Natur und der Geschichte Israels, im Wirken Jesu und Erfahrungen des Geistes sollen in ihrer jeweiligen Eigenständigkeit erhalten bleiben, aber an der Einheit Gottes festgehalten werden?

Ein solches Buch muss selbstverständlich auch auf die Frage nach Judenmission und messianischen Juden eingehen. Dieser Aufgabe stellt sich Wolfgang Raupach-Rudnick, selbst nicht Teilnehmer von Studium in Israel aber jahrelanger Leiter eines Vereins, der ursprünglich zwecks Judenmission gegründet war, dann aber im Zuge der kirchlichen Neubesinnung auf das Verhältnis zum Judentum, sowohl seine Ziele als auch seinen Namen änderte.

Johannes Ehmann, Joachim J. Krause, Bernd Schröder (Hrsg.):

 »Alles wirkliche Leben ist Begegnung«: Festschrift zum vierzigjährigen Bestehen von Studium in Israel e. V. (Studien zu Kirche und Israel)

 Leipzig 2017, Evangelische Verlagsanstalt, 440 S., Euro 49,-

 

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