Wittenberger „Judensau" wird nicht entfernt

27. Oktober 2022 - Der Gemeindekirchenrat der evangelischen Stadtkirche Wittenberg hat entschieden, das umstrittene Relief der "Judensau", das seit dem Mittelalter an der Außenfassade der Wittenberger Stadtkirche prangt, nicht zu entfernen. Stattdessen soll ein pädagogisches Konzept und eine neu überarbeitete Infotafel entwickelt werden.

Zuvor hatte schon ein vom Kirchenrat einberufenes Expertengremium ebenfalls für den Erhalt plädiert, nachdem bereits Mitte Juni der Bundesgerichtshof entschieden hatte, dass die Schmähplastik aus dem 13. Jahrhundert nicht entfernt werden muss. Durch eine Bodenplatte und einen Schrägaufsteller unterhalb des Reliefs sei das Schandmal in ein Mahnmal umgewandelt worden, hieß es. Gegen die Entscheidung legte der Kläger, Mitglied einer jüdischen Gemeinde, Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht ein.

Der Vorsitzende des Kirchenrats Jörg Bielig erklärte: „Wir sind uns des beleidigenden und obszönen Charakters der Schmähplastik bewusst, aber mit der künstlerischen Erweiterung durch das 1988 errichtete Bronzedenkmal, der Zeder und dem erklärenden Text auf einer Tafel in unmittelbarer Nähe des Bodenreliefs wandelt sich der Charakter dieses Ortes zu einer Mahnstätte." Damit sei eine Absage an alle Formen von Antisemitismus und Antijudaismus verbunden. Zudem finden an gleicher Stelle seit 1988 regelmäßig Veranstaltungen zum Gedenken an den Holocaust statt.

Die in etwa vier Metern Höhe angebrachte Skulptur zeigt einen Rabbiner, der den Schwanz eines im Judentum als unrein geltenden Schweines, um es von hinten zu betrachten. Außerdem saugen zwei weitere als Juden darsgestellte Figuren an den Zitzen des Schweines.

Entsprechend den Empfehlungen des Expertengremiums soll ein pädagogisches Konzept die Geschichte christlicher Judenfeindschaft beleuchten. Die Überarbeitung des Textes der Erklärtafel sei bereits veranlasst. Vertiefende Informationen zur Thematik und Aufarbeitung des Antijudaismus und Antisemitismus in der Kirche sollen folgen.

Anfang September hatte sich eine Gruppe israelischer Wissenschaftler in einem offenen Brief ebenfalls gegen eine Abnahme der Skulptur ausgesprochen. In dem Brief heißt es, Antisemitismus könne nicht durch Bilderstürmerei gestoppt werden. Besser als die Skulptur ins Museum zu stellen sei es, sie an Ort und Stelle zu nutzen, um über das Verhältnis von Christen und Juden im Mittelalter aufzuklären, indem man die Informations- und Gedenkstätte, die sich am Fuße der Außenfassade der Kirche befindet, weiter ausbaue. Der auf Englisch verfasste Brief wurde von mehr als 50 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern israelischer Universitäten, darunter zahlreiche Kunst- und Kulturhistoriker unterschrieben.

Auf einer Fachtagung, die bereits im November 2021 in Berlin sattfand, hatte hingegen der evangelische Präsident des Deutschen Koordinierungsrates der mehr als 80 Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit, Pfr. Friedhelm Pieper, die Weigerung, die "Wittenberger Kirchensau" zu entfernen, scharf kritisiert. Es sei ihm "unverständlich, wie heute in der Wittenberger Stadtkirche Gottesdienst gefeiert und das Vaterunser gebetet werden kann. Ich kann es nicht. Ich kann nicht in der Stadtkirche zu Wittenberg „geheiligt werde Dein Name“ beten, solange an deren Außenmauer die Verhöhnung und Verachtung des Gottesnamens weiterhin in Stein gehauen angebracht ist. Nach meiner Meinung ist die Wittenberger Sau an der Stadtkirche abzuhängen und als besonders deutliches Exemplar der mittelalterlichen, christlichen Judenfeindschaft in angemessener Form aufbereitet in einem geeigneten Museum zu präsentieren."