Walter Kardinal Kasper bei historischem Treffen zwischen Vertretern von Christentum und Judentum in Berlin

"Unterschiede dürfen kein Vorwand für Feindschaft sein"

Walter Kardinal Kasper bei historischem Treffen zwischen Vertretern von Christentum und Judentum in Berlin

"Unterschiede dürfen kein Vorwand für Feindschaft sein"

BERLIN, 15. März 2006 (ZENIT.org).- "Antisemitismus ist eine Beleidigung der Würde des Menschen und eine Beleidigung Gottes", bekräftigte Walter Kardinal Kasper, Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen und Vorsitzender der Kommission für die Religiösen Beziehungen zum Judentum, während einer historischen Begegnung zwischen Vertretern des Christentums und des Judentums, die mehr als 60 Jahre nach dem Holocaust am vergangenen Donnerstag in Berlin stattgefunden hatte.

Kardinal Kasper unterstrich während dem Treffen, dass die Geschichte Berlins untrennbar mit der Geschichte des Judentums in Deutschland verbunden sei. Den jüdisch-christlichen Dialog bezeichnete er als einen "schwierigen Dialog", der sicherlich auch in Zukunft schwierig bleiben werde. "Aber Unterschiede dürfen kein Vorwand für Feindschaft sein", betonte er. Zur Vertiefung der gegenseitigen Beziehungen sprach sich Kardinal Kasper für die Vermittlung von Basiskenntnissen über die jeweils andere Religion aus. Sie sollte fixer Bestandteil der theologischen Ausbildung sein.

Sowohl Walter Kardinal Kasper als auch Landesrabbiner Henry G. Brandt, Präsident des Rabbinatskomitees in Deutschland, sprachen im Anschluss von einem historischen Ereignis. Am Treffen, das vom deutschen Koordinierungsrat der 83 Gesellschaften für jüdisch-christliche Zusammenarbeit anlässlich der "Woche der Brüderlichkeit" organisiert worden war, nahmen neben 20 weiteren Rabbinern auch Bischof Wolfgang Huber, Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland, Kardinal Karl Lehmann, Vorsitzender der deutschen Bischofskonferenz, sowie Bischof Gerhard-Ludwig Müller von Regensburg teil. Letzterer ist innerhalb der deutschen Bischofskonferenz für die Belange der Ökumene und des interreligiösen Dialogs zuständig.

Im Rückblick betonte Bischof Müller gestern, Dienstag, gegenüber "Radio Vatikan", dass nun das theologische Wissen Priorität habe: "Dass doch auch unsere christlichen, katholischen Theologiestudenten in ihrem Studium die Grundlagen des Judentums vermittelt bekommen, aber dass wir auch umgekehrt davon ausgehen, dass die künftigen Rabbiner die Grundlagen des Christentums, jedenfalls in den Grundzügen, kennen lernen sollten; dass wir nicht einfach nur übereinander reden, sondern von einer Grundkenntnis ausgehen können, um dann auch einen Dialog führen zu können."

Christentum und Judentum stünden – "wenn man in der Einheit der Heilsgeschichte denkt" – einander viel näher als jede dieser beiden großen Religionen dem Islam, denn dort sei das Gottes- und Offenbarungsverständnis verschieden, erklärte der Bischof von Regensburg. "Aber auch aufgrund der politischen und gesellschaftlichen Hintergründe ist es nicht so einfach, diesen Dialog in einen Trialog übergehen zu lassen. Wir haben als katholische beziehungsweise evangelische Kirche einen Dialog mit dem Islam oder einzelnen verschiedenen Gruppen. Auch die Juden haben bestimmte Formen der Begegnungen mit islamischen Vertretern. Was das Spätere bringen wird, wissen wir jetzt noch nicht, aber wir wollen jetzt erst einmal in diesem Dialog anfangen."

Der wohl bewegendste Moment der historischen Begegnung in der Berliner Katholischen Akademie war die spontane Umarmung von Kardinal Kasper und Rabbiner Brandt, die großen Beifall hervorrief.

Rabbiner Brandt sprach von einem historischen Durchbruch. Dass solch ein Treffen möglich sei, "dass hätten wir in unserer Jugend als unmöglich eingeschätzt". Wenn die christlich-jüdische Annäherung gelinge, könnten auch ganz andere Konflikte bewältigt werden. In diesem Zusammenhang warnte er vor einem neuen Anti-Judaismus, der unter anderem von islamistischen Terroristen angestachelt werde. Dabei handle es sich nicht um einen Konflikt der Religionen, sondern um einen politischen und sozialen Konflikt. Extremisten auf allen Seiten versuchten, einen Kampf der Kulturen herauf zu beschwören. Juden und Christen sollten dabei Schulter an Schulter stehen.

 

Editorische Anmerkungen

QUELLE: Zenit, 15.03.2006

Siehe auch: Kardinal Walter Kasper, "Nostra aetate und die Zukunft des jüdisch-christlichen Dialogs", Rede anlässlich der Begegnung mit den Rabbinern in Deutschland, Berlin, 9. März 2006.