Verstehen und akzeptieren

In Frankfurt fand eine internationale Konferenz zur Gegenwart und Zukunft des christlich-jüdischen Dialogs statt.

Der christlich-jüdische Dialog ist ein aus dem heutigen Verhältnis zwischen den beiden Religionen nicht mehr wegzudenkendes Element – zugleich aber auch ein recht komplexes Thema. Mitte Mai wurde in Frankfurt mit der internationalen Konferenz „Gegenwart und Zukunft des christlich-jüdischen Dialogs“ an der Goethe-Universität ein wichtiger Versuch gemacht, dieses Thema umfassend zu beleuchten. Zu der Veranstaltung hatten eingeladen die Martin-Buber-Professur für Jüdische Religionsphilosophie am Fachbereich Evangelische Theologie der Frankfurter Universität, die Bildungsabteilung des Zentralrats der Juden in Deutschland sowie kirchliche Träger.

Teilnehmer und Referenten aus Europa, Israel und Nordamerika bemühten sich gleichermaßen um Bilanz und Ausblick. Das Spektrum der Themen reichte von der Einordnung des Christentums und des rabbinischem Judentums als zwei konkurrierenden religiösen Strömungen, die aus dem alten Israel vor der Zerstörung des Zweiten Jerusalemer Tempels hervorgegangen sind, über die Anfänge des Dialogs bis hin zur Bewertung des jüdisch-christlichen Gesprächs angesichts eines wachsenden religiösen Pluralismus.

Als Anfang des christlich-jüdischen Dialogs in seiner modernen Form gilt die Internationale Konferenz der Christen und Juden, die 1947 in der Schweiz stattfand. Während der Konferenz erklärten die christlichen Teilnehmer das Verhältnis der Kirchen zum Judentum für korrekturbedürftig und formulierten zehn Thesen zur Bekämpfung der Vorurteile gegen Juden und das Judentum. 1949 gründete sich dann in Deutschland der „Deutsche Koordinierungsrat der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit“.

Impulse für den Dialog habe es allerdings schon viel früher gegeben, merkte Dr. Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, in seinem Grußwort vor den rund 200 Teilnehmern an. In diesem Zusammenhang erinnerte er an das Wirken von Rabbiner Leo Baeck, der noch 1938 ein Buch über „Das Evangelium als Urkunde der jüdischen Glaubensgeschichte“ veröffentlicht habe. Dies sei bei weitem nicht Baecks erste Stellungnahme zu diesem Thema gewesen, doch sei auch ihr eine positive Resonanz seitens der Kirchen versagt geblieben. Vor dem Hintergrund der schmerzvollen Vergangenheit sei der Dialog für die jüdische Gemeinschaft ein in höchstem Maße politisches Projekt, befand Professor Doron Kiesel, wissenschaftlicher Direktor der Bildungsabteilung.

Einen epochalen Fortschritt für eine neue Beziehung zwischen Judentum und Christen brachte 1965 das II. Vatikanische Konzil. Dessen Beschluss „Nostra Aetate“ („In unserer Zeit“) bekundete, dass die Juden „nach dem Zeugnis der Apostel immer noch von Gott geliebt“ und nicht verworfen seien, und ächtete erstmals offiziell judenfeindliche Lehren und Predigten. „Nostra Aetate“ lieferte Impulse, die auch in der evangelischen Kirche neue theologische Debatten förderten.

Nach 1945 habe es im Protestantismus einen wichtigen Wandel gegeben, betonte Bernd Schröder, Vorsitzender des Evangelisch-theologischen Fakultätentages und Professor für Religionspädagogik in Göttingen. Das christliche Neue Testament werde in vielen Kirchen als ein auch jüdisches Dokument gelesen, das Bekenntnis zur bleibenden Erwählung Israels sei seit den frühen 80er Jahren offizielle Beschlusslage fast aller Synoden der evangelischen Landeskirchen geworden. Und in konkreten Konflikten – wie etwa der Beschneidungsdebatte – trete die Evangelische Kirche der jüdischen Gemeinschaft inzwischen solidarisch an die Seite.

Schröder bekannte allerdings, dass das Verhältnis durchaus störanfällig sei. Noch immer gebe es Gruppen im evangelischen Milieu, die Judenmission betrieben. Und die provokante These des Berliner Theologen Notger Slenczka, das sogenannte Alte Testament – die Hebräische Bibel – als apokryph aus dem kirchlichen Bibelkanon zu entfernen, erinnere an ähnliche Aussagen, die protestantische Theologen vor mehr als hundert Jahren von sich gegeben hätten. Wohl sei Slenczkas Begründung eine andere als die damalige, die das alttestamentliche Gottesbild für grausam und das Judentum für überholt erklärt habe. Nach Slenczka gehörten die alttestamentlichen Schriften allein den Juden und dürften deshalb von Christen nicht vereinnahmt werden.

Trotz der neuen Begründung griff der emeritierte Pädagogik-Professor Micha Brumlik zur Kritik an dieser These die Metapher von den Juden als den älteren Brüdern der Christen auf. Papst Johannes Paul II. hatte sie 1986 erstmals beim Besuch der Großen Synagoge von Rom gebraucht. Bei Slenczka, so Brumlik kritisch, solle der ältere Bruder respektvoll und tödlich aus der Geschichte mit Gott ausgeschlossen werden.

Rabbiner Walter Homolka, Professor für moderne jüdische Religionsphilosophie am Institut für jüdische Theologie der Universität Potsdam, knüpfte an die jüdische Jesus-Forschung an, wie sie in Deutschland nicht zuletzt von Leo Baeck, Schalom Ben Chorin und Pinchas Lapide vertreten wurde. Homolka rief dazu auf, die Reden von Jesus als die eines frommen, aber keineswegs perfekten Juden zu lesen und vor diesem Hintergrund zu deuten. Mark D. Nanos, als Judaist und Historiker Dozent an der Universität von Kansas, ging auf die jüdische Dimension des Apostels Paulus ein. Er beschrieb das Auftreten von Paulus als das des Vertreters einer jüdischen Sekte, die unter Heiden Kompromisse machen zu dürfen glaubte. Im Grundsatz aber hätten sich die frühen Anhänger des Christentums, so Nanos’ Lesart, an die jüdische Tradition gehalten, den Jerusalemer Tempel noch als ihr Zentralheiligtum betrachtet und nach dem jüdischen Kalender gelebt.

Gesprochen wurde in Frankfurt auch über die Zukunft des Dialogs. Ein Problem sei, bemerkte Professor Daniel Krochmalnik vom Potsdamer Institut für jüdische Theologie, dass er auf der wissenschaftlichen Ebene zwar sachlich und informiert geführt werde, außerhalb davon aber zunehmend zu überaltern drohe und langweilig zu sein scheine. Vielleicht wäre es gut, so Krochmalnik, wenn die Debatte zwischen Christen und Juden auf beiden Seiten wieder ein wenig kontroverser geführt würde. Juden sollten ja im Dialog Juden bleiben können und Christen eben auch Christen. Nur die Zeit der Beleidigungen sollte vorbei sein.

Editorische Anmerkungen

Quelle: Zukunft. Informationsblatt des Zentralrats der Juden in Deutschland, 18. Jahrgang Nr. 5, 31. Mai 2018.