Religionsfreiheit als Menschenrecht. Die Situation im Nahen Osten

Religionsfreiheit wird im Allgemeinen definiert als die Möglichkeit, sich zu einer bestimmten oder zu keiner Religion zu bekennen, diese zu wechseln und das eigene Leben nach ihr auszurichten.

Zur Religionsfreiheit gehört die Kultusfreiheit: Sie gewährt die Freiheit, sich mit Gleichgesinnten zu versammeln, Gottesdienst zu feiern und seinen Glauben – unter Wahrung der Sicherheit und der Freiheit anderer – öffentlich zu bekunden. Auch sieht die Religionsfreiheit die Erziehung und den Unterricht der Kinder gemäß der eigenen religiösen Überzeugung vor. Das Recht auf Religionsfreiheit wird getragen vom Gedanken der Menschenwürde und der Toleranz.

Schaltet man den Fernseher an, könnte man mit Blick auf die Arabische Welt den Eindruck gewinnen, es sei möglich, ein allgemeingültiges Bild des Extremismus und der Situation religiöser Minderheiten in der Region zu zeichnen. Schaut man hingegen genauer auf die Situation im Nahen Osten, Heimat verschiedener größerer und kleinerer christlicher Konfessionen und Wiege des Christentums, fällt auf, dass die Einschränkungen des Menschenrechts auf Religionsfreiheit von Staat zu Staat ebenso divers sind wie die Länder selbst.

In mehr als drei Viertel der Staaten dieser Welt ist das Recht auf Religionsfreiheit begrenzt. Die Einschränkungen sind vielfältig, denn bei der Bewertung der Situation der Religionsfreiheit in einem Land sind nicht nur der nationale Rechtsrahmen und das Handeln der staatlichen Instanzen ausschlaggebend. Eventuelle soziale Diskriminierungen in Form von mangelnder Chancengleichheit oder Benachteiligung Andersgläubiger bis hin zu gezielter Anfeindung, Verfolgung, Vertreibung und Gewalt gegenüber Angehörigen bestimmter religiöser Weltanschauungen müssen ebenfalls berücksichtigt werden.

Einige Beispielländer

In Saudi-Arabien beispielsweise, der Wiege des Islam mit seinen heiligen Stätten Mekka und Medina, wo der wahhabitische Islam Staatsreligion ist und als normative Ordnung gilt, wird die Religionsfreiheit systematisch verletzt. Christen müssen im Schatten ihrer muslimischen Nachbarn leben und mit Anfeindungen und Diskriminierungen rechnen. Andere Glaubensrichtungen haben keinerlei Existenzberechtigung: Das politische und soziale Leben sind bestimmt durch das islamische Recht, die Scharia. Nichtmuslimen ist es nicht gestattet, ihren Glauben öffentlich zu bekunden. Der Besitz von nichtmuslimischen religiösen Gegenständen ist ebenso untersagt wie der Bau von öffentlichen Gebetsstätten. So treffen sich die Christen an geheimen Orten (meist in Privathäusern), um Gottesdienst zu feiern. Dies führt nicht selten zu Verhaftungen, da die saudische Religionspolizei, die für die Kontrolle der Einhaltung der Scharia zuständig ist, regelmäßig Razzien durchführt. Eine Konversion vom Islam zu anderen Religionen ist quasi unmöglich, denn die Abkehr vom Islam kann schwerwiegende Konsequenzen für Leib und Leben mit sich bringen.

Die Vereinigten Arabischen Emirate – ähnlich wie Bahrain, Katar, Oman und Kuwait – bieten hingegen religiösen Minderheiten Schutz und stellen den Christen Land für den Bau von Kirchen zur Verfügung. Die christliche Gemeinschaft in den Emiraten ist groß und kulturell vielfältig, die Zahl der Kirchen aber begrenzt. So werden jedes Wochenende dutzende Gottesdienste in unterschiedlichen Sprachen und Riten mit Tausenden Gläubigen aus der ganzen Welt gefeiert. Die damit zusammenhängenden logistischen Probleme der Kirchen sind offensichtlich.

Obwohl Kultusfreiheit besteht, kann man jedoch auch in diesen recht offenen Ländern der Arabischen Halbinsel nicht von Religionsfreiheit im umfassenden Sinne sprechen. Ein aktives Missionieren ist beispielsweise nicht gestattet. Ein öffentliches Glaubensbekenntnis außerhalb der genehmigten Gotteshäuser ist Nichtmuslimen in der Regel untersagt. In interreligiösen Beziehungen sind die Kinder im muslimischen Glauben zu erziehen. Dies sind Einschränkungen der Religionsfreiheit, die auf die strengen islamischen Moralvorstellungen auf der Arabischen Halbinsel zurückzuführen sind.

Inwiefern der Grad der Einschränkung der Religionsfreiheit vom guten Willen der jeweiligen Machthaber abhängt, wird am Beispiel Ägyptens klar. Seit Beginn der Herrschaft al-Sisis hat sich die Situation der vorwiegend koptischen Christengemeinschaft verbessert, wie Mitglieder im Rahmen des von missio initiierten Netzwerks Religionsfreiheit erklärten. Während bis dahin die Kopten noch am Rande der Gesellschaft leben mussten – stigmatisiert durch die in offiziellen Dokumenten anzugebende Religionszugehörigkeit – und keine hochrangigen Positionen in Politik, Militär und an Universitäten bekleiden durften, regelmäßig mit Anfeindungen und gewaltsamen Übergriffen zu kämpfen hatten, eine Zensur für christliche Publikationen bestand, Kirchen niedergebrannt wurden und das Bild der Muslime in der Öffentlichkeit von fundamentalistischen und salafistischen Symbolen geprägt war, hat sich die Lage unter Präsident al-Sisi entspannt. So wurde beispielsweise das Gesetz zum Bau und zur Renovierung von Kirchen gelockert. Trotzdem kommt es immer wieder zu Übergriffen auf Kirchen und Attentaten auf koptische Christen. In ärmeren Gebieten des Landes, die von Salafisten und Fundamentalisten kontrolliert werden, ist die Lage besonders schwierig.

Jordanien gehört zu den tolerantesten Ländern des Nahen Ostens: Die Scharia gilt als Quelle des Rechts, doch neben den Scharia-Tribunalen existieren weitere Gerichtshöfe der anderen anerkannten Religionsgemeinschaften, die sich mit Fragen des Personenstandrechts - wie beispielsweise Eheschließungen, Familienangelegenheiten, Trennungen und Erbschaften - ihrer Gläubigen beschäftigen.

Neben einer umfassenden Kultusfreiheit genießen Christen sowohl auf sozialer Ebene als auch im Bildungs- und Gesundheitswesen ein hohes Ansehen, sind im Allgemeinen ökonomisch relativ gut situiert und pflegen einen regen Austausch mit ihren muslimischen Landsleuten. Doch auch die jordanischen Christen bleiben nicht unbehelligt vom zunehmenden Einfluss des politischen Islam im Land. Die religiöse Toleranz stößt vor allem beim Übertritt vom Islam zu einer anderen Religion auf ihre Grenzen.

Das höchste Maß an Religionsfreiheit garantiert der Libanon, der im Gegensatz zu seinen Nachbarländern über keine Staatsreligion verfügt. Das Land ist geprägt vom Konfessionalismus, der den großen Religionsgemeinschaften des Landes eine garantierte politische Stimme und staatstragende Rolle zuspricht, so dass ein gleichberechtigtes Zusammenleben zugunsten politischer Stabilität ermöglicht wird.

Religiöse Zugehörigkeiten bestimmen den Alltag der Menschen. Entsprechend schwer tut sich der Libanon, eine einheitliche nationale Identität für sich zu definieren, und so werden immer wieder Stimmen laut, die dem Konfessionalismus die Schwäche und Korruption des Landes zur Last legen.

Die christliche Tradition ist vor allem in den Ländern des Nahen Ostens in Gefahr, wo seit Jahren Krieg herrscht: in Syrien, im Irak und im Jemen. Mit dem steigenden Einfluss islamistischer Gruppierungen und dem Beginn der gewaltsamen Konflikte verließen hunderttausende Christen ihre Heimatstädte oder sogar ihr Land, das ihnen keine Sicherheit mehr vor Anfeindungen, Gewalt und Terror bieten konnte.

Die Kriege in der Arabischen Welt haben einen christlichen Exodus herbeigeführt.

Herausforderungen

Dies macht umso deutlicher, dass eine friedliche Koexistenz der Religionen eine Zukunft bestimmende Notwendigkeit ist, die die katholische Kirche mehr denn je vor die Herausforderung stellt, den interreligiösen – insbesondere den christlich-muslimischen – Dialog in der Arabischen Welt zu fördern. Dazu gehören gegenseitiger Respekt und Vertrauen ebenso wie die Suche nach Gemeinsamkeiten und verbindenden Elementen zwischen den Religionsgemeinschaften zugunsten der Verständigung.

Das "Netzwerk Religionsfreiheit" des Internationalen Katholischen Missionswerks missio setzt sich für diese Ziele ein. Es bringt Kirchenvertreter und internationale Experten aus dem Nahen Osten und Nordafrika zusammen, um gemeinsam im direkten und vertrauensvollen Austausch die großen Herausforderungen im Bereich der Religionsfreiheit zu erörtern und Perspektiven zu entwickeln, wie die Religionsfreiheit weltweit gefördert werden kann.

Editorische Anmerkungen

Quelle: Salzkörner. Materialien für die Diskussion in Kirche und Gesellschaft, 24. Jhg. Nr. 6, Dezember 2018.