Mit der Tora durch das Jahr

Der sehr lesenswerte Kommentar zu den Textabschnitten der Torah ist eingerahmt von einer Einleitung und der Kurzerklärung zu den Feiertagen aus der Torah und Anmerkungen.

Torah ist nicht Gesetz, sondern Lebensweisung oder Anleitung für ein gottgefälliges Leben bzw. des jüdischen Verständnisses eines Way of Life (S. 10): »Gib unserem Herzen die Fähigkeit, all die Worte, die Deine Tora lehrt, zu erfassen, um zu begreifen, zu hören, zu lernen und zu lehren, zu hüten, zu tun und zu vollbringen, … ›mit Liebe‹.« (S. 11) Der Lesende dieses Buches wird von Jehoschua Ahrens sacht in eine ungemein facettenreiche Auslegung der Torah eingeführt. Die fünf Bücher der Torah sind Bereschit (Genesis), Schemot (Exodus), Wajikra (Levitikus), Bemidbar (Numeri), Dewarim (Deuteronomium). Jedem Wochenabschnitt ist eine kleine Einführung vorangestellt.

Im Anfang ist der erste Abschnitt (Gen 1,1-6,8). In den ersten Texten der Bibel geht es um Grundlegendes, um die Schöpfung, die jeden Menschen in Beziehung zu G’tt setzt, und um den freien Willen und Beginn eines menschlichen Zusammenlebens. In den Geschichten von Adam und Eva, Kain und Abel sieht Ahrens vor allem Symbole bzw. »Metaphern für den Charakter des Menschen und seines Unabhängigkeitsstrebens von Gott« (S. 15).

In der Noah-Geschichte (Gen 6, 9-11,32) setzt Ahrens auf Ethik und Ökologie versus Selbstzerstörung (S. 19); Gewissen- und Skrupellosigkeit, Missgunst und Neid seien der Weg in den Untergang einer Gesellschaft (S. 21). Abraham (Gen 12, 1-17,27) wird aufgefordert, seinen eigenen Weg zu gehen (S. 25), und in Gen 18- 22 wird auf die Mitmenschlichkeit und Gastfreundschaft und Zerstörung derselben aufmerksam gemacht (S. 29), die in Gen 19 ins Verderben führt. In Gen 23, 1-25,18 geht es um die Bedeutung des Lebens Saras – Menschen müssen lernen, sich auf die Versprechen Gottes einzulassen (S. 37). Vertrauen, Versöhnung sind die Stichworte in Gen 25, 19-28,9, und wir lernen etwas über die Kompetenzen, die Führungspersönlichkeiten erwerben müssen (S. 41), was sich später bei Mose, Aaron, Mirjiam, Josua u.a. wiederholen wird. Wir gehen mit Jakob auf eine spirituelle Reise (Gen 28, 10-32,3) (S. 43) und lernen etwas über Gottes alltägliche Präsenz, auch im Ringen Jakobs mit einem göttlichen Wesen (S. 47). Wie Jakob mit seinen Söhnen (und der Tochter) umgeht, ist in Gen 37-40 eine Art Elternschule (S. 51). Die großen Lebensthemen Integration – Toleranz – Identität (S. 55) sind das bestimmende Thema in Gen 41,1-44,17 und damit auch heutiger jüdischer Identität (S. 56): Erlösung setzt Erkenntnis der eigenen Mängel voraus (S. 61) (Gen 44, 18-47,27). Erlösung führt letztlich auch in den Josephsgeschichten zum Leben (Gen 47, 28-50,26).

Das Buch Exodus wird in Ex 1,1-6,1; 6,2-9,35; 10, 1-13,16; 13,17-17,16; 18,1-20,23; 21, 1-24,18; 25,1- 27,19; 27,20-30,10; 30,11-34,35; 35,1-38, 20; 38, 21- 40,38 eingeteilt, und es lohnt sich, die in diesen Abschnitten versammelten Mosegeschichten und Lebensweisungen langsam zu lesen und wirken zu lassen.

Das Buch Levitikus enthält zuerst einmal in Lev 1,1-5, 26; Lev 6,1-8,36 Weisungen an die Priester und Leviten, und es geht um den Zusammenhang von Ritual und Ethik (S. 120), d.h. auch um grundlegende Weisungen im Bereich des Zwischenmenschlichen. In Lev 9,1-11, 47 werden die Kaschrut, die Reinheitsweisungen in Bezug auf Speisen, vorgestellt (S. 124ff): »Die Speisegebote erziehen uns, unsere Lust zu meistern. Sie gewöhnen uns daran, das Wachsen unserer Begierde einzudämmen, die Vergnügungssucht zu mildern und die Neigung zu bezwingen, Essen und Trinken als Lebenszweck anzusehen.« (S. 126)

Über Reinheit und Unreinheit, Ehe, Familie, Glaube geht es in Lev 12,1-13,59 (S. 128ff): »Ehe, Familie und Glaube sind die Fundamente des Judentums und genau dafür sind die spirituellen Aspekte von Unreinheit, Reinheit und Beschneidung auch heute noch essenziell wichtig.« (S. 131) Wie mit Krankheit und Leiden umzugehen ist, zeigt der Abschnitt Lev 14,1-15,23 (S. 132ff) oder der Jom Kippur (Lev 16), was zur Versöhnung notwendig ist (S. 136). Heiligkeit und Nächstenliebe stehen im Zentrum von Lev 19 (S. 140): »Ein heiliges Leben zu leben bedeutet, in der Lage zu sein, mit anderen in einer Gemeinschaft aus Liebe, Wahrheit und Respekt zu leben.« (S. 143) Bewusstes jüdisches Leben wird in Lev 21,1-24,23 (S. 144ff) fokussiert, aber auch um das Sprechen über Religiöses und genaues Zuhören (S. 147). Grundprinzipien sozialer und ökologischer Gerechtigkeit werden in Lev 25, 1-26,2 vorgestellt (S. 148ff) und die Treue gegenüber den Geboten in Lev 26,3-27,34 (S. 152ff) bekräftigt: »Gott gab uns die Freiheit und lehrte uns, aufrecht zu wandeln. Aufrecht zu wandeln ist hier nicht im körperlichen Sinne zu verstehen, sondern spirituell, wie Raschi erklärt.« (S. 155)

Bemidbar (Numeri) beginnt damit, dass jeder einzelne Mensch zählt (Num 1,1-4,20) (S. 158). Jeder Einzelne ist wichtig, aber auch die Gemeinschaft aller (S. 161). Der sog. aaronitische Segen in Num 4 verweist auf das Handeln G’ttes, das unserem Handeln vorausgeht, das aber gefordert ist, um solidarisch und konstruktiv miteinander leben zu können (S. 165). Num 4,21- 7,89 thematisiert bestimmte Opfer der Stämme zur Einweihung des Altars (S. 162ff). Num 8,1-12,16 diskutiert den Status des Konvertiten (S. 166), die den Israeliten gleichgestellt werden (S. 168). Num 13, 1-15,41 erzählt von intriganten und aufrechten Kundschaftern oder vom »Zurück in die Knechtschaft« oder »Vorwärts in die Freiheit« (S. 173). Num 16,1-18,32 erzählt von der Rebellion Korachs und seiner Anhänger: innen (S. 175), die der Gruppe machtgieriger Populisten zuzuordnen seien (S. 176). Letztlich geht es in diesem Erzählzusammenhang um das Vertrauen auf Gott (S. 178). Im nächsten Abschnitt Num 19,1-22,1 wird in das Geheimnis einer roten Kuh eingeführt, die nach Jehoshua Ahrens wohl als Korrektivgeschichte gegen die »Sünde des Goldenen Kalbs« erzählt wird, als Tikkun (= Nachbesserung) (S. 182) und Umkehr zu Gott, wenn wir die Welt zu einem besseren Ort machen wollen (S. 182). Die wunderschöne Geschichte von Bileam wird in Num 22,9-25,9 erzählt. Gotteserkenntnis muss durch das Feuer der Torah durchgehen (S. 185), d.h., es geht um die Qualität ethisch-moralischer Entscheidungen (S. 186) – daran schließt sich der moralische Vorfall von Simri an. Pinchas, ein Enkel Aarons,stellt die Moral wieder her, muss aber den Bund des Friedens durch Gott ertragen, »in der Hoffnung, dass er künftig nicht mehr so aufbrausend und wütend handeln würde.« (S. 189). Um Gelübde und Schwüre handelt es sich in Num 30,2-32,42 (S. 191) mit der Aufforderung, vorsichtig mit den eigenen Worten zu sein (S. 192): »Diese außergewöhnliche Kraft der Sprache ist ein einzigartiges Geschenk des Gottes an uns Menschen. Wir können etwas durch Worte heilen« (S. 195), aber auch durch Worte zerstören. Diskriminierung und Ausgrenzung sollen bekämpft werden in Num 33,1- 36,16 (S. 196). Die Reden bzw. Abschiedsreden Moses werden in Dtn 1,1-3,22 thematisiert (S. 202).

Im Buch Deuteronomium geht es u. a. um einen moralischen und geistigen Kompass (S. 204). In Dtn 3,23-7,11 werden u.a. die Zehn Gebote wiederholt (S. 206 – 209). Die Versuchungen des Materiellen als Götzendienst werden in Dtn 7,11-11,25 fokussiert (S. 210–215). Regeln des Fleischkonsums und die Warnung vor falschen Propheten sind die Stichworte in Dtn 11,26-16,17 (S. 214 –217). Das Ethos der Richter wird in Dtn 16,18-21,9 entfaltet (S. 218–221). 47 Gebote werden in Dtn 21,10-25,19 aufgezählt (S. 222– 225). Die erneute Verpflichtung auf die Torah steht in Dtn 26,1-29,8 im Mittelpunkt (S. 226–229); der Bund zwischen Israel und G’tt wird in Dtn 29,9-30,20 erneuert (S. 230 – 233). Mose übergibt an Josua die Führung des Volkes (Dtn 31) (S. 234 –237). In Dtn 32 wird das Volk ein letztes Mal ermahnt (S. 238–241). Mose stirbt und wird von G’tt begraben (Dtn 33-34) (S. 242–245).

Das Buch wird mit der Darstellung der biblischen Feste beendet: Dargestellt werden Pessach (S. 248 – 251), Schawuot (S. 252–255), Rosch Haschana (S. 256– 259), Jom Kippur (S. 260–263), Sukkoth (S. 264 –267), Schmini Azeret/Simchat Torah (S. 268 –271).

Anstelle von Fußnoten schließen die Anmerkungen das Buch, das sehr empfehlenswert und wunderbar zu lesen geeignet ist.

Jehoschua Ahrens:
Mit der Tora durch das Jahr.
Eine lebenslange Auslegung der Parschiot.

Gütersloh 2023. Gütersloher Verlagshaus
286 Seiten. Euro 25,-
ISBN 978-3-579-07193-0

Editorische Anmerkungen

Quelle: Zeitschrift für christlich-jüdische Begegnung im Kontext (ZfBeg) 2/3 2023.