Hans Hermann Henrix
Machtentsagung Gottes?
Eine kritische Würdigung des
Gottesverständnisses von Hans Jonas*
I. Von der Wahrheit authentischer und fiktiver Texte
Unter den jüdischen Wortmeldungen, die dem abgrundtiefen Schrecken von Auschwitz Echo und dem Entsetzen über die Schoa Ausdruck gaben, gibt es viele ergreifende und authentische Texte. Für den Menschen, der von der Frage umgetrieben wird, wie denn angesichts der Wirklichkeit von Auschwitz überhaupt von Gott zu denken und zu reden sei, erlangen Texte, die im Blick auf die Schoa nach der Existenz und dem Verstehen Gottes fragen, lebens- und glaubensbestimmende Bedeutung. So hat sich dem einen unvergeßlich in das Herz und den Sinn jener Bericht eingebrannt, den Elie Wiesel über den sich hinziehenden Tod des Knaben Pipel am Galgen auf dem Appellplatz von Auschwitz schrieb und der die Frage stellt: »Wo ist Gott?«1 Der andere greift immer neu zum Text »Jossel Sohn des Jossel Rackower aus Tarnopol spricht zu Gott«, zu jenem »schönen und wahren Text, wahr, wie nur Fiktion es sein kann«, der sich als Dokument der letzten Stunden des Widerstands des Warschauer Gettos gibt.2
Und ein dritter, der das Angerührtsein durch literarische Zeugnisse des Gottesringens nach Auschwitz fürchtet und deshalb die denkerisch -intellektuelle Auseinandersetzung sucht, hält sich an Emil Fackenheims »gebietende Stimme von Auschwitz«3 - einen Text, der in der Schwebe zwischen Theodizee und Anthropodizee dem jüdischen Volk als Befehl von Auschwitz ein neues 11. Gebot vermitteln möchte, nämlich das jüdische Volk und den jüdischen Glauben zu bewahren, um Hitler nicht noch einen posthumen Sieg zu verleihen.
II. Hans Jonas - eine jüdische Stimme in finsterer Zeit
Gehört zu diesen Texten auch Hans Jonas' (1903-1993) »Gottesbegriff nach Auschwitz«4? Der Autor versteht seine Wortmeldung als »eine jüdische Stimme« in »finsterer Zeit«. Ohne Umschweife nennt er seinen Vortrag »ein Stück unverhüllt spekulativer Theologie« (7). Es ist Theologie als Theodizee, und dies weniger als Theodizeefrage denn mehr als eine Antwort, mit der Gott von der Anklage freigesprochen scheint, für das Böse in der Welt und darin für Auschwitz verantwortlich zu sein. An diesem Charakter seiner Wortmeldung mag es liegen, daß Hans Jonas' Vortrag eigene Würdigungen in der deutschsprachigen christlichen Theologie und Philosophie erfahren hat5 - eine Aufmerksamkeit, welche die christliche Theologie den anderen genannten jüdischen Stimmen nur zögernd widmet.6 Was ist das Besondere seines »Gottesbegriffs nach Auschwitz«?
Wer Hans Jonas von seinen natur- und technikphilosophischen bzw. ethischen Arbeiten7 her kannte, vermutete bei ihm nicht ohne weiteres ein theologisches und religionshistorisches Interesse. Denn seine philosophischen Arbeiten atmen eine Skepsis gegenüber dem Gottesbegriff, die in den Kontext des neuzeitlichen Nihilismus plaziert wurde; seine Ethik hat einen Begründungshorizont, in dem Gott nicht vorkommt.8 Und doch hat ihn die Gottesfrage nie losgelassen. Für die deutschsprachige Öffentlichkeit wurde dies offenkundig, als er für die Dankesrede zur Verleihung des Dr. Leopold-Lucas-Preises der Evangelisch-Theologischen Fakultät Tübingen 1984 das Thema »Gottesbegriff nach Auschwitz« wählte und seinen Entwurf erneut einem großen Auditorium beim Münchener Katholikentag im gleichen Jahr vorstellte. Der Spannung zwischen der methodisch-nihilistischen Skepsis in seinen philosophischen Arbeiten und dem fortgeführten Interesse an der Gottesfrage ist er in seinen letzten Lebensjahren mehrfach nachgegangen.9
Hans Jonas »drängte« sich das Thema seiner Tübinger Dankesrede »unwiderstehlich« auf, weil es gemeinsames Schicksal seiner eigenen Mutter und der Mutter des Stifters des ihm verliehenen Preises war, in Auschwitz ermordet zu werden. Die Wahl des Themas geschieht »mit Furcht und Zittern« und hat existentielle Tiefe: »Ich glaubte es jenen Schatten schuldig zu sein, ihnen so etwas wie eine Antwort auf ihren längst verhallten Schrei zu einem stummen Gott nicht zu versagen« (7). Der Schrei der Ermordeten klingt nach in der Klage des Überlebenden, die mit dem Wort vom stummen Gott eingestimmt scheint. Hans Jonas' Antwort auf den verhallten Schrei der Ermordeten ist ein Vortreiben des zutiefst Menschlichen und Existentiellen ins Philosophische bzw. Theologische. Dieser Lebenszusammenhang bleibt bewußt zu halten, wenn seine Überlegungen einen deutlichen Zug des Spekulativen annehmen, der wie abgehoben scheint vom Menschlichen.
»Was hat Auschwitz dem hinzugefügt, was man schon immer wissen konnte vom Ausmaß des Schrecklichen und Entsetzlichen, was Menschen anderen Menschen antun können und seit je getan haben?« (10). Auschwitz provoziert für Hans Jonas diese Frage. Er beantwortet sie indirekt. Er führt aus, daß überlieferte Antworten auf die Gottesfrage nach Auschwitz keinen Bestand mehr haben. Göttliche Heimsuchung des untreuen Bundesvolkes kann für ihn ebensowenig eine Bedeutungserhellung der Schoa sein, wie die in der Makkabäerzeit artikulierte Idee der Zeugenschaft des Leidenden, des Märtyrers, dessen Opfer und Lebenshingabe die Verheißung der Erlösung durch den kommenden Messias bekräftigte. Demgemäß kann auch nicht mehr die mittelalterliche Märtyrerfrömmigkeit der »Heiligung des Namens« (Kiddusch-haschem) verfangen. »Von alledem wußte Auschwitz nichts, das auch die unmündigen Kinder verschlang ... Kein Schimmer des Menschenadels wurde den zur Endlösung Bestimmten gelassen, nichts davon war bei den überlebenden Skelettgespenstern der befreiten Lager noch erkennbar« (12f). Für den Juden, dem das Diesseits Ort göttlicher Schöpfung, Offenbarung und Erlösung ist, gilt Gott als Hüter dieses Ortes und Herr der Geschichte. Und da stellt Auschwitz denn für den gläubigen Juden »den ganzen überlieferten Gottesbegriff« in Frage. Es fügt »der jüdischen Geschichtserfahrung ein Niedagewesenes hinzu, das mit den alten theologischen Kategorien nicht zu meistern ist (14). Dies ist Proömium, Vorspann des Credo Hans Jonas', der vom Gottesbegriff nicht lassen will. Er kann die Vorentscheidung zu seinem Credo in der Form einer neuen, allem zum Trotz dennoch mit Gott rechnenden Antwort auch anders ausdrücken:
»Den 'Herrn der Geschichte' wird er dabei« - so lautet die vorweggenommene Konsequenz des Credos von Hans Jonas - »wohl fahren lassen müssen« (14). Jonas fragt unter theologisch-religionsphilosophischem Blick gleichsam nach den Bedingungen der Möglichkeit einer Geschichte, in der Auschwitz geschehen konnte. Ein Gott, der »mit starker Hand und ausgestrecktem Arm« in die Geschehnisse der Geschichte eingreift, zählt für ihn nicht zu den Möglichkeitsbedingungen einer Geschichte mit dem Faktum der Schoa. Das Verhältnis Gottes zur Geschichte denkt Jonas anders. Gott im Angesicht von Auschwitz zu denken, heißt für ihn, bereits Gott den Schöpfer anders zu denken. Den Begriff des Schöpfergottes bestimmt Hans Jonas in der Tat so, »daß die Erfahrung von Auschwitz theologisch artikulierbar wird«10. Für diesen transzendental bestimmten Gottesbegriff greift Hans Jonas zu einem »selbsterdachten Mythos« (15).
III. Hans Jonas' selbsterdachter Mythos und seine theologische Bedeutung
»Im Anfang, aus unerkennbarer Wahl, entschied der göttliche Grund des Seins, sich dem Zufall, dem Wagnis und der endlosen Mannigfaltigkeit des Werdens anheimzugeben. Und zwar gänzlich: Da sie einging in das Abenteuer von Raum und Zeit, hielt die Gottheit nichts von sich zurück; kein unergriffener und immuner Teil von ihr blieb, um die umwegige Ausformung ihres Schicksals in der Schöpfung von jenseits her zu lenken, zu berichtigen und letztlich zu garantieren. Auf dieser bedingungslosen Immanenz besteht der moderne Geist. Es ist sein Mut und seine Verzweiflung, in jedem Fall seine bittere Ehrlichkeit, unser In-der-Welt-Sein ernst zu nehmen: die Welt als sich selbst überlassen zu sehen, ihre Gesetze als keine Einmischung duldend, und die Strenge unserer Zugehörigkeit als durch keine außerweltliche Vorsehung gemildert. Dasselbe fordert unser Mythos von Gottes In-der-Welt-Sein. Nicht aber im Sinne pantheistischer Immanenz ... Vielmehr, damit Welt sei, und für sich selbst sei, entsagte Gott seinem eigenen Sein; er entkleidete sich seiner Gottheit, um sie zurückzuempfangen von der Odyssee der Zeit, beladen mit der Zufallsernte unvorhersehbarer zeitlicher Erfahrung, verklärt oder vielleicht auch entstellt durch sie. In solcher Selbstpreisgabe göttlicher Integrität um des vorbehaltlosen Werdens willen kann kein anderes Vorwissen zugestanden werden als das der Möglichkeiten, die kosmisches Sein durch seine eigenen Bedingungen gewährt: Eben diesen Bedingungen lieferte Gott seine Sache aus, da er sich entäußerte zugunsten der Welt« (15-17).
Hans Jonas verfolgt das Geschick des sich in die Welt hinein entäußernden Gottes durch den Lauf der Zeiten. Und er denkt diesen Zeitenlauf evolutiv. In den Äonen vor der Regung von Leben bedeutet die Welt noch keine Gefährdung des sich ihr anheimgegeben habenden Gottes. Diese hebt erst mit dem immer mannigfacher und intensiver werdenden Streben biologischer Evolution an: Die Ewigkeit gewinnt »Kraft, füllt sich mit Inhalt um Inhalt von Selbstbejahung, und zum erstenmal kann der erwachende Gott sagen, die Schöpfung sei gut« (18). Mit dem Leben kam aber auch der Tod; Sterblichkeit ist also der Preis für die höhere Form des Seins, das in der Schwungkraft evolutiver Entwicklung den Menschen hervorbringt. Die Heraufkunft des Menschen hat ebenfalls ihren Preis, nämlich den Preis für Gott, daß seine Sache nun »fehlgehen kann« (20). Macht doch nun die Unschuld des Lebens »Platz für die Aufgabe der Verantwortung unter der Disjunktion von Gut und Böse Das Bild Gottes ... geht mit dieser letzten Wendung in die fragwürdige Verwahrung des Menschen über, um erfüllt, gerettet oder verdorben zu werden durch das, was er mit sich und der Welt tut« (23). Gottes Geschick vollzieht sich im bangenden und hoffenden Beobachten, Mitgehen und Verfolgen des menschlichen Tuns oder, wie Jonas es selbst formuliert: Die Transzendenz »begleitet hinfort sein (des Menschen) Tun mit angehaltenem Atem, hoffend und werbend, mit Freude und mit Trauer, mit Befriedigung und Enttäuschung und, wie ich glauben möchte, sich ihm fühlbar machend, ohne doch in die Dynamik des weltlichen Schauplatzes einzugreifen (23f).
Hans Jonas' Mythos hat Originalität, Sprachgewalt und spekulative Kraft. Sein Ausdrucksmittel ist das Bildliche. Man spürt sogleich das Folgenreiche dieses Entwurfs für das Gottesverständnis traditioneller Prägung. Nach eigenem Bekenntnis ist Jonas dies erst allmählich bewußt geworden. Und er sieht sich genötigt, seinen Entwurf »mit der verantwortlichen Überlieferung jüdisch-religiösen Denkens zu verknüpfen« (24).
Sein Mythos spricht implizit von einem leidenden Gott ebenso wie von einem werdenden und sich sorgenden Gott. Die biblische »Vorstellung göttlicher Majestät« (26) widerspricht nur auf den ersten Blick der Rede vom leidenden Gott; kann doch die Hebräische Bibel durchaus beredt vom Gram, von der Reue und von der Enttäuschung Gottes gegenüber dem Menschen und besonders seinem erwählten Volk sprechen. Der Gedanke eines werdenden Gottes mag der klassischen, von griechischer Philosophie angestoßenen theologischen Attributenlehre und ihrer Aussage von der Unveränderlichkeit Gottes zuwiderlaufen; dennoch ist er für Jonas »in der bloßen Tatsache« begründet, daß Gott »von dem, was in der Welt geschieht, affiziert wird, und 'affiziert' heißt alteriert, im Zustand verändert. Also, wenn Gott in irgendeiner Beziehung zur Welt steht ..., dann hat hierdurch allein der Ewige sich 'verzeitlicht'« (28f). Eine inhaltliche Näherbestimmung der »Verzeitlichung« Gottes nimmt die Aussage vom sich sorgenden Gott vor. Jonas: »Daß Gott um und für seine Geschöpfe Sorge trägt, gehört natürlich zu den vertrautesten Grundsätzen jüdischen Glaubens« (31).11
Soweit hält Hans Jonas seinen Mythos für mit der jüdischen theologischen Tradition vermittelbar. Unvereinbarkeit mit ihr konstatiert er, wo er meint, die göttliche Omnipotenz verneinen zu müssen. »Der kritischste Punkt in unserem spekulativen Wagnis ist: Dies ist nicht ein allmächtiger Gott! In der Tat behaupten wir, um unseres Gottesbildes willen und um unseres ganzen Verhältnisses zum Göttlichen willen, daß wir die althergebrachte (mittelalterliche) Doktrin absoluter, unbegrenzter göttlicher Macht nicht aufrechterhalten können« (33). Seine Verneinung göttlicher Allmacht leitet er noch vorgängig zu seiner Begründung von Auschwitz her zunächst aus Aporien um den Begriff der Allmacht ab. So argumentiert er auf der logischen Ebene: Allmacht als »absolute Alleinmacht« habe in ihrer Einsamkeit keinen Gegenstand, auf den sie wirken könne; sie wäre widerstandslose und also machtlose Macht (33ff). Theologisch formuliert er als Einwand: »Göttliche Allmacht kann mit göttlicher Güte nur zusammenbestehen um den Preis göttlicher Unerforschlichkeit, d.h. Rätselhaftigkeit ... Allgemeiner gesagt, die drei Attribute ... absolute Güte, absolute Macht und Verstehbarkeit stehen in einem solchen Verhältnis, daß jede Verbindung von zweien von ihnen das dritte ausschließt.«12
Die Güte und die Verstehbarkeit Gott absprechen zu wollen, hieße, seine Gottheit zu destruieren und einen »nach jüdischer Norm« ganz unannehmbaren Begriff Gottes zu statuieren (38f). Zur Disposition ist also der Begriff der Allmacht zu stellen, der schon in sich als zweifelhaft befunden wurde.
Die Verabschiedung göttlicher Allmacht im absoluten Sinn ließe sich aber - wie Hans Jonas meint - durchaus noch »in Kontinuität mit dem jüdischen Erbe« theologisch aussagen; denn die Begrenzung göttlicher Macht kann als »ein Zugeständnis von Gottes Seite« interpretiert werden - als ein Zugeständnis, »das er (Gott) widerrufen kann, wann es ihm beliebt.« (40). Hier stünden wir vor einem Begriff göttlich selbst gewählter Begrenzung seiner Macht auf Widerruf. Aber diese Selbstbegrenzung Gottes genügt Jonas nicht. Sie ließe die faktisch geschehene Geschichte unbegriffen. Auschwitz bliebe theologisch ungedacht; Gott würde ohne Hinsicht auf Auschwitz gedacht. Denn nach Jonas ließe eine frei gewählte und widerrufbare Selbstbegrenzung Gottes in seiner Macht »erwarten, daß der gute Gott die eigene Regel selbst äußerster Zurückhaltung seiner Macht dann und wann bricht und mit dem rettenden Wunder eingreift. Doch kein rettendes Wunder geschah; durch die Jahre des Auschwitz-Wütens schwieg Gott. Die Wunder, die geschahen, kamen von Menschen allein: die Taten jener einzelnen, oft unbekannten Gerechten unter den Völkern, die selbst das letzte Opfer nicht scheuten, um zu retten, zu lindern, ja, wenn es nicht anders ging, hierbei das Los Israels zu teilen ... Aber Gott schwieg. Und da sage ich nun: nicht weil er nicht wollte, sondern weil er nicht konnte, griff er nicht ein« (41f).
Jonas kann also Auschwitz und Gott nur zum Preis des Verzichts auf die Rede von einem Gott »mit starker Hand und ausgestrecktem Arm« zusammendenken. Im Angesicht von Auschwitz ist »die Ohnmacht Gottes« in bezug auf das Physische zu proponieren. Für diese Ohnmacht entscheidet Gott sich aber nicht erst im Verlauf der Geschichte, sondern im Wollen einer Schöpfung selbst. Schöpfung aus dem Nichts war schon in sich Selbstbegrenzung, »Selbstbeschränkung, die Raum gibt für die Existenz und Autonomie einer Welt. Die Schöpfung war der Akt der absoluten Souveränität, mit dem sie um des Daseins selbstbestimmter Endlichkeit willen einwilligte, nicht länger absolut zu sein« (45).
Anhalt für sein spekulatives Wagnis, den Gottes- und Schöpferbegriff so zuzuschärfen, sieht Hans Jonas in den »hochoriginelle(n) und sehr unorthodoxe(n) Spekulationen« der jüdischen Kabbala um die Idee des Zimzum. Der göttliche Zimzum als »Kontraktion, Rückzug, Selbsteinschränkung« ist Bedingung der Möglichkeit für die Schöpfung der Welt: »Um Raum zu machen für die Welt, mußte ... der Unendliche sich in sich selbst zusammenziehen und so außer sich die Leere, das Nichts entstehen lassen, in dem und aus dem er die Welt schaffen konnte. Ohne diese Rücknahme in sich selbst könnte es kein anderes außerhalb Gottes geben« (46).13
Jonas kann seinen Mythos von der Machtentsagung Gottes mit der mittelalterlichen Zimzum-Idee stützen und verändert diese sogleich. Im kabbalistisch verstandenen Zimzum behält Gott seine Souveränität gegenüber der möglich gewordenen Schöpfung. Er bleibt dort souveränes Gegenüber zur Welt; seine Kontraktion und Zusammenziehung ist partiell. Hans Jonas aber postuliert eine totale Zusammenziehung, eine Zusammenziehung nicht auf ein Nichts, wohl aber auf bedingungslose Immanenz (vgl. 16): Das Unendliche entäußert sich seiner Macht nach »als ganzes ins Endliche« und überantwortet sich ihm damit völlig (46). Er behält nichts als Unergriffenes und Immunes für sich (vgl. 16). Das aber wirft die Frage auf: »Läßt das noch etwas übrig für ein Gottesverhältnis?« Transzendenz scheint restlos in Immanenz aufgelöst und eingetaucht. Ob - paradox genug - aus der Immanenz die Transzendenz wieder auftaucht, ist dem Menschen anheimgegeben. In diesem Sinne beantwortet Jonas nämlich die von ihm selbst aufgeworfene Frage: »Nachdem er sich ganz in die werdende Welt hineingab, hat Gott nichts mehr zu geben: Jetzt ist es am Menschen, ihm zu geben.« Der Mensch tut dies, wenn er darauf achtet, daß es Gott nicht um die Schöpfung der Welt gereuen muß. »Dies - so meint Hans Jonas - könnte wohl das Geheimnis der unbekannten 'sechsunddreißig Gerechten' sein, die nach jüdischer Lehre der Welt zu ihrem Fortbestand niemals mangeln sollen« (47).14 Jonas rechnet mit der Möglichkeit, daß es welterhaltende Gerechte auch »in unserer Zeit« und also in Auschwitz gab; dabei denkt er an die von ihm erwähnten »Gerechten aus den Völkern«, die in der Abgrundtiefe der Schoa ihr Leben für Israel gaben. In den 36 Gerechten tritt die ganz in der Immanenz verborgene Transzendenz als »Heiligkeit« hervor, die »es vermag, zahllose Schuld aufzuwiegen, die Rechnung einer Generation gleichzustellen und den Frieden des unsichtbaren Reiches zu retten« (48). Auschwitz erscheint bei Jonas sowohl als Ort des Scheiterns der Sache des sich selbst begrenzt habenden Gottes wie auch als Ort, wo aus der Asche der gescheiterten Sache Gottes die unkenntlich gewordene Transzendenz Gottes als Heiligkeit in der Gestalt der Gerechten hervortritt. Sein selbsterdachter Mythos ist hier ins Existentielle übersetzt.
IV. Zur Würdigung des Gottesverständnisses bei Hans Jonas
Hans Jonas' Mythos ist ein bewegender und herausfordernder Entwurf. Er wägt die überkommene Rede von Gott. Er möchte angesichts der Schoa von Gott sprechen. Und er tut es in der Zuschärfung auf die neuzeitliche Theodizeeproblematik: Die Rede von Gottes Güte und Allmacht steht im Angesicht von Auschwitz auf dem Prüfstand, insofern sie der Forderung nach der Verstehbarkeit Gottes standzuhalten hat. Die prinzipielle Verstehbarkeit Gottes ist leitendes Kriterium bei H. Jonas. Vor diesem Kriterium muß sich die Rede von Gott ausweisen. Hier hat sie ihr forensisches Moment, das ein solches der Vernunft ist.15 Jonas drängt nicht auf eine alles durchschauende Verstehbarkeit, besteht aber darauf, »daß wir Gott verstehen können, nicht vollständig natürlich, aber etwas von ihm ... Wenn aber Gott auf gewisse Weise und in gewissem Grade verstehbar sein soll (und hieran müssen wir festhalten), dann muß sein Gutsein vereinbar sein mit der Existenz des Übels, und das ist es nur, wenn er nicht allmächtig ist« (38f).
Hans Jonas sieht sein Kriterium der Verstehbarkeit ganz zentral in der jüdischen Tradition verankert: »Der deus absconditus, der verborgene Gott (nicht zu reden vom absurden Gott) ist eine zutiefst unjüdische Vorstellung« (38). Daß dies innerjüdisch aber strittig ist, macht ein Glaubensverständnis deutlich, welches sich von der Prüfung Abrahams durch Gottes Forderung, seinen Sohn Isaak zu opfern, herleitet. So kann Michael Wyschogrod konstatieren: »Der jüdische Glaube ist ... von Anbeginn an Glaube, daß Gott tun kann, was menschlich unbegreifbar ist«, und im Blick auf Auschwitz sagen: »In unserer Zeit schließt das den Glauben ein, daß trotz Auschwitz Gott Seine Verheißung erfüllen wird, Israel und die Welt zu erlösen. Kann ich verstehen, wie das möglich ist? Nein.«16
Diese jüdische Position verweigert sich der neuzeitlichen Variante der Theodizee, weil sie implizit den Ausweis der Rede von Gott vor dem Gerichtshof der Vernunft als nicht entscheidend betrachtet. Jonas entscheidet sich aber mit seinem leitenden Kriterium der Verstehbarkeit für einen Diskurs im Kontext neuzeitlicher Theodizeefrage. Ihm kommen dabei für das, was er zu sagen hat, sehr wohl die jüdischen Worte.17 Mit Kategorien jüdischer Tradition vermittelt und zugleich »selbsterdacht« (15), d.h. auf eigene Rechnung und Gefahr entwickelt. Darum weiß er. Und er entfernt sich nach eigenem Bekunden »weit von ältester jüdischer Lehre« (42).18 Ist er damit einschlußweise noch einmal weiter von christlicher Lehre entfernt? Der christliche Leseeindruck wird nicht vorschnell auf einen einfach bündigen Befund gehen können. Vielmehr kommt er vom Doppeleindruck der Nähe und der Differenz nicht los. Die Nähe mag versuchsweise mit Hans Urs von Balthasars Wort von der »formalen Christologie« assoziiert werden19; Differenz besteht, da es eine »Christologie ohne Christus« wäre.
Hans Jonas' Mythos mit dem Wort von der »formalen Christologie« zu assoziieren, hat bei ihm selbst Entsprechung. Mehr als zwanzig Jahre vor seiner Tübinger Dankesrede hatte Jonas seinen Mythos innerhalb einer Vorlesung »Unsterblichkeit und heutige Existenz«20 zum ersten Mal skizziert und seinem Lehrer und Kollegen Rudolf Bultmann vorgelegt. In einem sich anschließenden Briefwechsel mit seinem Kollegen21 kennzeichnet Jonas das Abenteuer Gottes, sich ganz auf die Welt und Geschichte einzulassen, durchgängig mit einem durch und durch christlichen Begriff; vor seinem christlichen Gesprächspartner scheut er sich nicht, von »totaler 'Inkarnation'«, vom »vollen Wagnis« oder »Opfer der Inkarnation« zu reden. Er hat sich sogar die Etikettierung, sein Mythos sei ein »nicht-trinitarischer Inkarnationsmythos«, gefallen lassen. Um solche Charakterisierung wissend, warnt Jonas zwanzig Jahre später seine Tübinger Hörerschaft vor der Verwechslung seines Mythos mit der christlichen Bedeutung. »Er (sein Mythos) spricht nicht, wie jener christliche Ausdruck vom leidenden Gott es tut, von einem einmaligen Akt, durch den die Gottheit zu einer bestimmten Zeit, und zu dem besonderen Zweck der Erlösung des Menschen, einen Teil ihrer selbst in eine bestimmte Leidenssituation sandte.« Vielmehr sei das geradezu inkarnatorische Verhältnis Gottes zur Welt »vom Augenblick der Schöpfung an« eine auf seiten Gottes leidvolle Beziehung (25). Aber daß die Warnung vor Verwechslung ausgesprochen und die Unterscheidung verdeutlicht werden muß, besagt schon Nähe.
Nähe zur christlichen Theologie, die gewiß weder Einheit noch Einverständnis besagt, zeigt sich weiterhin darin an, daß auch christlicherseits der klassische Gottesbegriff in die Krise geraten ist, ja, daß diese Krise des christlich-theistischen Gottesbegriffs vornehmlich eine Krise des Begriffs göttlicher Allmacht ist.22 Die an hellenistischer Philosophie geschulte Dogmatik hat nicht zuletzt aus den von Hans Jonas angesprochenen Gründen der zeitgenössischen Erfahrung (vgl. 41f) die »menschlichen« Züge im biblischen Gottesbild wiederentdeckt. Die Prädikationen des Mitleidens und Schmerzes Gottes werden in der christlichen Theologie wieder verstärkt entfaltet. Von solchen Entfaltungen her kommt es zu neuen Interpretationen der Allmacht Gottes als Macht der Liebe Gottes. Bereits vor der Wortmeldung von Hans Jonas deutet Jürgen Moltmann - bezeichnend genug - Gottes Schöpfermacht in Aufnahme des jüdisch-kabbalistischen Gedankens des Zimzum und postuliert eine Selbstbegrenzung des allmächtigen und allgegenwärtigen Gottes, die der Schöpfung vorausgeht: »Gott schafft, ... indem und weil er sich zurücknimmt.« Die machtvolle Schöpfung sei als »eine Selbsterniedrigung Gottes in die eigene Ohnmacht« zu denken, als »ein Werk göttlicher Demut und göttlicher Einkehr in sich selbst. Gott handelt an sich selbst, wenn er schöpferisch handelt. Seine Aktion ist in seiner Passion begründet.«23 Schöpfungstheologisch nötigt der Entwurf von Jonas auch Eberhard Jüngel zu einer Präzisierung des Begriffs ursprünglichen Anfangens »im Sinne einer göttlichen Selbstbegrenzung«.24 Die kabbalistische Zimzum-Idee als Bezugspunkt der Schöpfungsinterpretation regt die genannten Theologen und Hans Jonas gleichermaßen an.
Solche Nähe beschränkt sich nicht auf den Begriff der göttlichen Schöpfungsmacht und des Schöpfergottes. Sie stellt sich auch ein, wenn man nach christlichem Verständnis der göttlichen Macht in ihrem Bezug zur Geschichte fragt. In den Spuren des Mythos von Jonas begleitet Gott das menschliche Tun mit »angehaltenem Atem, hoffend und werbend« (23), hat Gott sich für die »Zeit des fortgehenden Weltprozesses«, d.h. für die Geschichte, »jeder Macht der Einmischung in den physischen Verlauf der Weltdinge begeben«. Gott antwortet »dem Aufprall des weltlichen Geschehens auf sein eigenes Sein ... nicht 'mit starker Hand und ausgestrecktem Arm' ..., sondern mit dem eindringlich-stummen Werben seines unerfüllten Zieles« (42). Analog zum Wort vom Werben Gottes kann auch eine Strömung christlicher Theologie das Verhalten des mächtigen Gottes zur Geschichte und zum Handeln der Menschen in ihr deuten. Die amerikanische Prozeßtheologie, welche Gott von der Liebe her als sensibel, berührbar, ja abhängig denkt, möchte den Begriff der Allmacht Gottes dahingehend modifizieren, daß »Gott seine Macht nur in werbenden und überzeugen wollenden Impulsen ausübt, die einen Erfolg nicht erzwingen können. So geht Gott in seiner Liebe zu der von ihm geschaffenen Welt Risiko und Wagnis ein.«25
Man muß nicht die umstrittenen theologischen Voraussetzungen und Folgerungen der Prozeßtheologie mitvollziehen, um aus christlicher Sicht die Einflußnahme Gottes und seiner Macht auf die Geschichte unter dem Vorzeichen göttlichen Werbens zu verstehen. Johannes B. Brantschen kann z.B. im Anschluß an das neutestamentliche Gleichnis vom verlorenen Sohn (Lk 15) Gottes Allmacht als Macht und Ohnmacht der Liebe zugleich in folgender Weise deuten: »Das ist das Unerhörte: Gott, der souveräne Herr des Himmels und der Erde, bettelt um unsere Liebe, aber der allmächtige Vater ist ohnmächtig, solange wir nicht aus freiem Herzen auf seine zuvorkommende Liebe antworten - denn Liebe ohne Freiheit bleibt ein hölzernes Eisen. Diese Ohnmacht der Liebe empfinden wir heute als Schweigen Gottes oder vielleicht besser: als Diskretion Gottes. Gott ist diskret, bisweilen gar beängstigend diskret ... Gott hat in seiner diskreten Liebe genug Licht in seine Zeichen gesetzt, so daß er von denen gefunden werden kann, die ihn suchen wollen. Gott nimmt uns ernst. Er ist diskret, weil er liebt. Das ist göttliche Delikatesse ... Gott leidet, so lange seine Liebe nicht verstanden wird ... Dieses Warten ist Gottes Schmerz.«26
Brantschen formuliert seine Gedanken vor allem im Blick auf die Krankheits- und Leidenserfahrungen des einzelnen Menschen und weniger im Angesicht von Auschwitz. Das gibt ihnen einen paränetisch-pastoralen Ton und kann auf das Feld des Ästhetischen führen.
Bemerkenswerterweise hat Rudolf Bultmann die kritische Frage an Hans Jonas gestellt, ob sein Mythos nicht doch »im Ästhetischen« bleibe und sein Begriff Gottes nicht doch letztlich »ein ästhetischer Begriff« sei.27 In seiner Entgegnung beharrte Hans Jonas darauf, daß die Überantwortung des Geschicks Gottes an den Menschen diesem kein ästhetisches, sondern ein ethisches Interesse abverlange.28 Und doch wird man an Jonas die Frage stellen müssen, ob seine Bestimmung der Antwort Gottes auf das weltliche Geschehen als ein »eindringlich-stummes Werben« nicht doch zu sehr in der Kategorie des Ästhetischen verbleibt, die statt eines Gebots- einen Werbecharakter enthält. »Die Zeit ist das Warten Gottes, der um unsere Liebe bettelt« - so hat einmal Simone Weil geäußert. Emmanuel Levinas hat - mit Simone Weils Äußerung konfrontiert - spontan korrigiert: »(Die Zeit ist das Warten Gottes,) der unsere Liebe befiehlt.«29 Statt Werbung Gottes sein Befehl, statt ästhetischer »Lockung« eine ethische Vorladung vor das Tribunal unendlicher Verantwortung.
Eine weitere Anfrage ergibt sich aus der Zuordnung von Immanenz und Transzendenz Gottes im Mythos von Hans Jonas. Wenn der göttliche Seinsgrund keinen unergriffenen und immunen »Teil« für sich behält, sondern völlig und bedingungslos in die Immanenz eingeht, dann wird die Transzendenz nicht nur gnoseologisch unkenntlich, sondern auch ontologisch aufgelöst. Die radikal ernst genommene totale Immanenz des Transzendenten ist letztlich einsame Immanenz, in der ein eindringlich-stummes Werben der Transzendenz nicht mehr statthaben und aus der ein Aufsteigen, eine Epiphanie des Transzendenten nicht mehr erwartet werden kann. Christliche Theologie beantwortet die denkerische Schwierigkeit des Mythos von Hans Jonas mit der trinitarisch gedachten Inkarnation: Der Sohn geht ein in die Geschichte und Welt, und als Vater, der seinen Sohn im Geist sendet, bleibt Gott auch Gegenüber zur Welt.30 Eine formale Christologie ohne Christus im Sinne des Mythos von Hans Jonas wird das Denkproblem in der Zuordnung von Transzendenz und Immanenz kaum lösen.31 Nicht jede jüdische Deszendenz- oder Kenosis-Theologie ist von diesem Einwand getroffen. Die klassische jüdische Tradition göttlicher Herabneigung bezieht sich auf Gott, "der in der Höhe thront" und »in die Tiefe schaut, den Schwachen aus dem Staub emporhebt« (vgl. Ps. 113,6f). Die nachbiblische Tradition schärft ein: »Überall, wo du die Größe des Heiligen, gepriesen sei Er, findest, findest du auch seine Demut. Dies ist in der Tora geschrieben, bei den Propheten wiederholt und kehrt in den Schriften zum dritten Mal wieder« (bMeg 31a). Die Verknüpfung zwischen dem Gott des Herabsteigens und der Höhe ist untrennbar, so daß sich die Transzendenz nicht in der Immanenz auflöst. Die denkerisch-formale Schwierigkeit des Mythos von Hans Jonas, aus dem Widerspruch von völliger Immanenz und dennoch behaupteter Transzendenz nicht herauszufinden, kehrt auf der Ebene seiner existentiell geprägten Redeweise wieder. Jonas stellt im Blick auf Auschwitz einerseits fest: »Kein rettendes Wunder geschah; durch die Jahre des Auschwitz-Wütens schwieg Gott.« Andererseits fährt er fort: »Die Wunder, die geschahen, kamen von Menschen allein: die Taten jener einzelnen, oft unbekannten Gerechten unter den Völkern, die selbst das letzte Opfer nicht scheuten« (41). Nun spricht Jonas diesen »Gerechten aus den Völkern« zu, daß »ihre verborgene Heiligkeit es vermag, zahllose Schuld aufzuwiegen« (48). Muß aber die Heiligkeit der Gerechten nicht in Zusammenhang der mythologischen Redeweise von Hans Jonas als vom göttlichen Grund hervorgelockte Rettung der Sache Gottes (vgl. 23f), als Echo seines eindringlich-stummen Werbens, ja letztlich als seine Präsenz- und Redeweise selbst verstanden werden? Ist es von Hans Jonas' eigenen Voraussetzungen her dann nicht Gott selbst, der in der Heiligkeit der Gerechten redet? Stünden wir dann aber nicht vor einer Spannung zwischen der Abwesenheit des Wunders und dem gleichzeitigen Geschehen der Wunder, zwischen dem Schweigen Gottes und seinem in der Heiligkeit der Gerechten implizierten Reden? Schließlich sei nach dem Ertrag des Entwurfs von Hans Jonas für die Theodizee gefragt. Sein Gottesbegriff statuiert einen ohnmächtigen Gott. Es ist ein Gott der Wehrlosigkeit, über den nachzudenken christliche Theologie allen Anlaß hat. In einem Gespräch mit E. Levinas hat Bischof Klaus Hemmerle höchst eindrücklich von Gottes Wehrlosigkeit gesprochen, die darin besteht, daß Gott in seiner Selbstentäußerung bis zu dem Punkt geht, wo er den Menschen nur um seine Liebe bitten kann. Daraufhin entgegnete Levinas: »Die Wehrlosigkeit hier kostet sehr viele leidende Menschen. Darf man das so sagen? Wir sind nicht in einer Disputatio über das Mitleiden Gottes. Wissen Sie, ich verstehe diese Wehrlosigkeit nicht, heute nach Auschwitz. Manchmal scheint mir das, was in Auschwitz passiert ist, einen Sinn zu haben, als ob der liebe Gott eine Liebe verlangt, die ganz ohne Versprechen ist. Das denke ich mir so. Der Sinn von Auschwitz ist ein Leiden, ein Glauben ganz ohne Versprechen. Das heißt: tout-à-fait gratuit. Und dann sage ich mir: aber das kostet doch zuviel - nicht den lieben Gott, sondern die Menschheit. Das ist meine Kritik, mein Unverständnis gegenüber der Wehrlosigkeit. Diese ohnmächtige Kenose kostet den Menschen allzuviel.«32
So sehr Levinas' Einwurf jüdische Kritik am christlichen Verständnis göttlicher Selbstentäußerung in Jesus Christus ist, Jonas' Mythos vom sich ganz in die Immanenz entäußernden Gott ist von ihm mitbetroffen. Auch dort ist Gott eine ohnmächtige Kenose eingegangen, die »den Menschen allzuviel kostet«. Der Preis der Wahrheit des Mythos von Hans Jonas erscheint als zu hoch. In dem Einwurf, daß die ohnmächtige Kenose Gottes den Menschen allzuviel kostet, ist sachlich ein Verständnis reklamiert, das - nun über Levinas hinaus - die Verheißung einer Gerechtigkeit auch für jene enthält, die in Auschwitz umgekommen sind. Eine solche Gerechtigkeit einzuklagen, heißt: einen Platz für die »klagende Rückfrage des Menschen an Gott angesichts der Greuel in seiner Schöpfung« zu erstreiten. Das ist die Pointe der Theodizeefrage, wie sie von Johann Baptist Metz so beharrlich hervorgekehrt wird.33 Und hier wirkt Hans Jonas' Entwurf beklemmend verheißungslos. Sein Ruf der Gottesrede vor den Gerichtshof der Verstehbarkeit und in die Schranken diesseitiger Geschichte führt zum Abschied von der Prädikation der Allmacht Gottes und hinterläßt eine Leere an Verheißung für die Leidenden der Vergangenheit und die Toten der Schoa.34
Müssen wir die Rede von der Allmacht Gottes wirklich verabschieden? Ist Gottes Machtentsagung unabwendbar zu statuieren? Müssen wir der Sehnsucht nach dem mächtigen Gott tatsächlich entsagen? Sagen uns die in Auschwitz als gerecht Bewährten, die Heiligen in der Schoa, daß das Ersehnenswerte, d. h. die Allmacht Gottes, nach einem anderen Wort von Emmanuel Levinas, in der Sehnsucht »getrennt bleiben (muß), als ersehnenswert - nahe, aber unterschieden - heilig«? Gottes Allmacht weckt unsere Sehnsucht nach ihr, ruft eine Bewegung auf sie hervor und scheint diese Bewegung in dem Augenblick, wo die göttliche Allmacht am notwendigsten wird, abzubiegen auf den Anderen, den Nächsten - in eine Verantwortung, die bis zur Stellvertretung für den Anderen gehen kann und bei den Heiligen in der Schoa tatsächlich so weit gegangen ist. Es wäre ein Getrenntbleiben der Allmacht Gottes bis zu ihrer Abwesenheit. Es wäre eine »Intrige« des allmächtigen Gottes, der mir den Nächsten anbefiehlt. Die »Intrige« Gottes wäre eine Selbstbegrenzung, die den Menschen in eine unbegrenzte Verantwortung für den Anderen ruft.35
Die Rede von der Allmacht Gottes und die in ihr liegende Sehnsucht36 muß durch die Feuerprobe der ethischen Anforderung. Darin hat sie für die jeweilige Gegenwart ihren ersten Sinn, will sie keine ethische Dispens meinen. Darin könnte man den prospektiven Sinn der Rede von der Allmacht Gottes sehen; es ist ihr ethischer Gehalt. Zugleich hat sie ein »Darüber hinaus«, das besonders jenen gilt, die meine je gegenwärtige Verantwortung nicht erreichen kann: die Leidenden und die Toten der Geschichte. Die Rede von Gottes Allmacht ist über ihren gleichsam prospektiven Sinn hinaus Anruf der Rettermacht Gottes und appelliert an ihn, wirksam und mächtig für jene zu sein. Man könnte vom memorativ-appellativen Sinn der Rede von Gottes Allmacht sprechen. Eine Rede von Gott ohne Appell an ihn und Verheißung für die Toten der Geschichte und der Schoa wird durch die von Johann Baptist Metz pointierte Theodizeefrage aufgestört. Solche Aufstörung trifft auch den Entwurf von Hans Jonas.
Schluß
So sehr nach dem Hoffnungsvermerk für die Toten von Auschwitz im Gottesverständnis von Hans Jonas gefragt wurde und so ernst die Frage nach einer Auflösung Gottes als Gegenüber (und damit nach einer bleibenden Möglichkeit des Gebets) an seinen Mythos und seine theologische Explikation zu stellen ist, so angemessen ist der Hinweis, daß Jonas seinen denkerischen Entwurf mit einem persönlichen Bekenntnis umgreift. Dieses Bekenntnis ist gewiß Überstieg in ein anderes Genus menschlicher Äußerung, gehört aber zum Menschen Hans Jonas. Sein Entwurf atmet ein Pathos der Redlichkeit; er fordert Verstehbarkeit, um leben zu können. Es ist eine Forderung aufrechter Autonomie des Menschen Jonas, der zugleich sehr demütig sein kann. Seine im Mythos gegebene Antwort auf die Ijob-Frage ist »der des Buches Hiob entgegengesetzt: Die beruft die Machtfülle des Schöpfergottes; meine seine Machtentsagung«. Beide Antworten sind für Jonas - ihre Gegenläufigkeit in die Klammer des Gemeinsamen spannend - »zum Lobe«. Von seinem »armen Wort« des Lobes möchte er hoffen, »daß es nicht ganz ausgeschlossen sei von dem, was Goethe im 'Vermächtnis altpersischen Glaubens' in die Worte faßte: 'Und was nur am Lob des Höchsten stammelt,/ Ist in Kreis' um Kreise dort versammelt'« (48f). Dies ist persönliches Bekenntnis zu einem Gott, der Höhe, Gegenüber und also lobenswert ist. Darauf ist hinzuweisen, um die kritische Anfrage an den denkerischen Entwurf nicht als Kritik des Denkers zu überdehnen.
Hans Jonas hat mit seinem Mythos dem verhallten Schrei seiner in Auschwitz ermordeten Mutter Echo gegeben. Von Auschwitz her hat er im Gestus der Spekulation auf Gott hin gefragt. Die hier versuchte Würdigung seines andrängenden Entwurfs folgte ihm im Gestus der Spekulation, auf der Ebene des Denkens und Argumentierens. Von ihr gilt noch mehr, was Hans Jonas von seinem Entwurf sagte: »All dies ist Gestammel« (48). Es war Gestammel in Zustimmung und Anfrage. Die Zustimmung machte Gemeinsamkeiten mit christlicher Theologie heute aus. Die Anfrage konfrontiert mit möglichen Einwänden von außen und prüfte das Gottesverständnis von Hans Jonas auf seine innere Stimmigkeit. Die Würdigung sah ihr Amt nicht darin, einen Gegenentwurf mit innerer Schlüssigkeit vorzulegen. Noch weniger war sie darauf aus, in das Geschehen von Auschwitz einen Sinn tragen zu wollen. Auch sie wollte - wie Hans Jonas selbst - von der Idee Gottes nicht lassen. Ja, sie wollte vom Gedanken des mächtigen Gottes nicht lassen und sich zur Sehnsucht nach der Allmacht Gottes bekennen. Es ist eine Sehnsucht, die der Feuerprobe ethischer Anforderungen nicht entraten kann und vor der Herausforderung steht, sich nicht selbst zu trösten, sondern von der Hoffnung für die Anderen zu leben.
Fußnoten:
* Überarbeitung eines früheren Artikels: Auschwitz und Gottes Selbstbegrenzung. Zum Gottesverständnis bei Hans Jonas, in: Theologie der Gegenwart 32 (1989) 129-143.
- E. Wiesel, Die Nacht zu begraben, Elischa, Eßlingen o. J., 93f.
- So nach E. Levinas, Die Tora mehr zu lieben als Gott (1955), in: M. Brocke/H. Jochum (Hg.), Wolkensäule und Feuerschein. Jüdische Theologie des Holocaust, München 1982, 213-217 (jetzt auch in anderer Übersetzung zugänglich in: E. Levinas, Schwierige Freiheit. Versuch über das Judentum, Frankfurt a.M. 1992, 109-113, der die vielleicht bedeutendste Interpretation des Textes bietet). Weitere Interpretationen: U. Bohn, Thora in der Grenzsituation, in: P. von der Osten-Sacken (Hg.), Treue zur Thora. FS Günther Harder, Berlin 1977, 124-134; P. Lenhardt/P. von der Osten-Sacken, Rabbi Akiva, Berlin 1987, 332ff; H. Luibl, Wenn der Herr sein Gesicht von den Betenden abwendet. Zu Zwi Kolitz: "Jossel Rackower spricht zu Gott", in: Orientierung 52 (1988) 5-8. Der Text selbst ist mehrfach in deutscher Fassung veröffentlicht worden, u.a.: Almanach für Literatur und Theologie 2, Wuppertal 1986, 19-28; M. Stöhr (Hg.), Erinnern - nicht vergessen, München 1979, 107-118; P. von der Osten-Sacken (Hg.), Das Ostjudentum, Berlin 1981, 161-168; Judaica 39 (1983) 211-220. Vgl. aber auch den Versuch strophischer Nachdichtung von R. Brandstaetter, in: K. Wolff (Hg.), Hiob 1943. Ein Requiem für das Warschauer Getto, Berlin 1983, 274-276.
- Die gebietende Stimme von Auschwitz (1970), in: M. Brocke/H. Jochum, a.a.O. (Anm. 2), 73-100, Übersetzung aus: E. L. Fackenheim, God's Presence in History. Jewish Affirmations and Philosophical Reflections, New York 1970, 67-98. Fackenheim hat seine Position in seinen weiteren Werken wiederholt: Encounters between Judaism and Modern Philosophy, New York 1973; The Jewish Return tu History, New York 1978; To Mend the World, New York 1982; The Jewish Bible after Auschwitz. A Re-reading, New York 1990; Jewish-Christian Relations after the Holocaust. Toward Post-Holocaust Theological Thought, Chicago 1996; Was ist Judentum? Eine Deutung für die Gegenwart, Berlin 1999. Stellungnahmen zu Fackenheim finden sich: B. Dupuy, Un theologien juif de l'Holocauste, Emil Fackenheim, in: Foi et Vie 73. No. 4 (1974) 11-21; E.Z. Charry, Jewish Holocaust Theology. An Assessment, in: JES 18 (1981) 128-139; S. Lubarsky, Ethics and Theodicy. Tensions in Emil Fackenheim's Thought, in: Encounter 44 (1983) 59-72; M.J. Morgan, The Jewish Thought of Emil Fackenheim. A Reader, Detroit 1987; G. Niekamp, Christologie nach Auschwitz, Freiburg 1994, 131-135.
- Der Text von H. Jonas wurde an mehreren Orten publiziert: Der Gottesbegriff nach Auschwitz. Eine jüdische Stimme, in: O. Hofius (Hg.), Reflexionen finsterer Zeit. Zwei Vorträge von Fritz Stern und Hans Jonas, Tübingen 1984, 61-86; Von Gott reden in Auschwitz?, in: Zentralkomitee der deutschen Katholiken (Hg.), Dem Leben trauen, weil Gott es mit uns lebt. 88. Deutscher Katholikentag vom 4. bis 8. Juli 1984 in München. Dokumentation, Paderborn 1984, 235-246 (gekürzt); H. Jonas, Der Gottesbegriff nach Auschwitz. Eine jüdische Stimme (suhrkamp taschenbuch 1516), Frankfurt 1987 (die Seitenangaben im fortlaufenden Text beziehen sich auf diese Ausgabe) sowie in: ders., Philosophische Untersuchungen und metaphysische Vermutungen, Frankfurt 1992, 190-208. Siehe auch die französische Übersetzung: Le Concept de Dieu après Auschwitz. Une voix juive. Suivi d'un essai de Catherine Chalier, Paris 1994.
- E. Jüngel, Gottes ursprüngliches Anfangen als schöpferische Selbstbegrenzung. Ein Beitrag zum Gespräch mit Hans Jonas über den »Gottesbegriff nach Auschwitz«, in: H. Deuser u.a. (Hg.), Gottes Zukunft -Zukunft der Welt (FS Jürgen Moltmann), München 1986, 265-275; W. Oelmüller, Hans Jonas. Mythos - Gnosis - Prinzip Verantwortung, in: StZ 113 (1988) 343-351; H. Kreß, Philosophische Theologie im Horizont des neuzeitlichen Nihilismus. Philosophie und Gottesgedanke bei Wilhelm Weischedel und Hans Jonas, in: ZThK 88 (1991), 101-120; H. Küng, Das Judentum, München/Zürich 1991 714ff; W. Oelmüller (Hg.), Worüber man nicht schweigen kann. Neue Diskussionen zur Theodizeefrage, München 1992, passim; W. Groß/H. J. Kuschel, »Ich schaffe Finsternis und Unheil!« Ist Gott verantwortlich für das Übel?, Mainz 1992, 170-175; C. Thoma, Das Messiasprojekt. Theologie jüdisch-christlicher Begegnung, Augsburg 1994, 394ff; G. Schiwy, Abschied vom allmächtigen Gott, München 1995, 10ff, 36f.,76-85, 92-98, u.ö.; V. Lenzen, Jüdisches Leben und Sterben im Namen Gottes. Studien über die Heiligung des göttlichen Namens (Kiddusch-HaSchem), München/Zürich 1995, 140ff.; G. Greshake, Der dreieine Gott. Eine trinitarische Theologie, Freiburg 1997, 279ff.; K.-H. Menke, in: H. Wagner (Hg.), Mit Gott streiten. Neue Zugänge zum Theodizee-Problem, Freiburg 1998, 125ff. u.a.
- Zum Werk von E. Wiesel vgl. R. McAfee Brown, Elie Wiesel. Zeuge für die Menschheit, Freiburg 1990; W. Groß/ K.-J. Kuschel, a.a.O. (Anm. 5), 135-153; E. Schuster/. Boschert-Kimmig (Hg.), Trotzdem hoffen. Mit Johann Baptist Metz und Elie Wiesel im Gespräch, Mainz 1993; R. Boschki, Der Schrei. Gott und Mensch im Werk von Elie Wiesel, Mainz 1994; G. Langenhorst, Hiob unser Zeitgenosse. Die literarische Hiob-Rezeption im 20. Jahrhundert als theologische Herausforderung, Mainz 1994, passim.
- H. Jonas, Das Prinzip Verantwortung. Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation, Frankfurt 1979, 21984. Die Stationen des Gesamtwerkes seien mit folgenden Titeln des Autors angezeigt: Der Begriff der Gnosis, Göttingen 1930; Augustin und das paulinische Freiheitsproblem, Göttingen 1930, 21965; Gnosis und spätantiker Geist. Zwei Teile, Göttingen 1934, 21954 und 1954, 21993; The Phenomenon of Life: Toward a Philosophical Biology, New York 1963; Organismus und Freiheit. Ansätze zu einer philosophischen Biologie, Göttingen 1973; Technik, Medizin und Ethik. Zur Praxis des Prinzips Verantwortung, Frankfurt 1985. Vgl. zur weitergehenden Rezeption des Gesamtwerks von Hans Jonas: W. Fasching, Artikel "Jonas, Hans", in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexion, Band XV (1998), 723-733; C. Albert, Artikel "Jonas, Hans", in: B. Lutz (Hg.), Die großen Philosophen des 20. Jahrhunderts. Biographisches Lexikon, München 1999.
- So H. Kreß, a.a.O. (Anm. 5), 109ff und ähnlich W. Lesch, Ethische Argumentation im jüdischen Kontext. Zum Verständnis von Ethik bei Emmanuel Levinas und Hans Jonas, in: FZPhTh 38 (1991) 443~69, 464. Vgl. auch die Selbstaussage von Jonas in: H. Koelbl, Jüdische Portraits. Photographien und Interviews, Frankfurt 1989, 120-123, 123.
- Vgl. die im Sammelband »Philosophische Untersuchungen« (Anm. 4) vereinigten Arbeiten.
- E. Jüngel, a.a.O. (Anm. 5), 269.
- Zu den entsprechenden Aussagen der jüdischen Traditionsliteratur vgl. nur: P. Kuhn, Gottes Selbsterniedrigung in der Theologie der Rabbinen, München 1968; A.M. Goldberg, Untersuchungen über die Vorstellung der Schekhinah in der frühen rabbinischen Literatur, München 1972; P. Kuhn, Gottes Trauer und Klage in der rabbinischen Überlieferung, Leiden 1978; H. Ernst, Rabbinische Traditionen über Gottes Nähe und Gottes Leid, in: C. Thoma/M. Wyschogrod (Hg.), Das Reden vom einen Gott bei Juden und Christen, Berlin 1984, 157-177, C. Thoma/ S. Lauer, Die Gleichnisse der Rabbinen. Erster und zweiter Teil, Bern 1986 und 1992; E.E. Urbach, The Sages. Their Concepts and Beliefs, Cambridge, Mass. 1987, 37-79; M.E. Lodahl, Shekhinah/Spirit. Divine Presence in Jewish and Christian Religion, New York/ Mahwah 1992; C. Thoma, Messiasprojekt (Anm. 5), 78ff, 409ff u.ö.
- Die jüdische Diskussion der Vermittelbarkeit dieser drei Attribute Gottes fand im Mittelalter als Versuch der Vermittelbarkeit von Gottes Allmacht, Güte und Vorsehung statt; vgl. dazu die Studie von B.S. Kogan, »Sorgt Gott sich wirklich?« - Saadja Gaon, Juda Halevi und Maimonides über das Problem des Bösen, in: H.H. Henrix (Hg.), Unter dem Bogen des Bundes, Aachen 1981, 47-73. Als Beispiel früher christlicher Diskussion dieses Vermittlungsproblems siehe nur: Laktanz, Vom Zorne Gottes (Texte zur Forschung 4), Darmstadt 21971, 45ff.
- Jonas folgt in seiner Darstellung des Zimzum-Gedankens G. Scholem, Die jüdische Mystik in ihren Hauptströmungen, Frankfurt/M. 1967, 285ff; ders., Über einige Begriffe des Judentums, Frankfurt 1970, 53-89 (= Schöpfung aus Nichts und Selbstbeschränkung Gottes). Vgl. auch ders., Art. »Kabbalah«, in: Encyclopaedia Judaica XI (Jerusalem 41978), 489-653, 588-597 und M. Fritz, A Midrash: The Self-Limitation of God, in: JES 22 (1985) 703-714.
- Vgl. zu dieser Vorstellung G. Scholem, Die 36 verborgenen Gerechten in der jüdischen Tradition, in: ders., Judaica, Frankfurt 1968, 216-225; Art. »Lamed Vav Zaddikim«, in: Encyclopaedia Judaica X (Jerusalem 41978), 1367f.
- Diesen Gerichtshof der Vernunft fordert C.-F. Geyer in seinen Arbeiten zur Begriffsgeschichte der Theodizee, um ihren Begriff sinnvoll anzuwenden, so in: W. Oelmüller (Hg.), Worüber man nicht schweigen kann (Anm. 5), 209-242. Diese Position diskutiert kritisch G. Neuhaus, Theodizee - Abbruch oder Anstoß des Glaubens?, Freiburg 1993, 144ff; vgl. aber auch die Diskussion in: H. Wagner (Hg.), Mit Gott streiten. Neue Zugänge zum Theodizee-Problem (QD 169), Freiburg 1998.
- M. Wyschogrod, Gott - ein Gott der Erlösung, in: M. Brocke/H. Jochum, a.a.O. (Anm. 2), 178-194, 185. Vgl. auch V. Lenzen, a.a.O. (Anm. 5), 141.
- So im Anschluß an F. Rosenzweig und seine Einlassung, inwieweit sein »Stern der Erlösung« ein jüdisches Buch sei: Das neue Denken (1925), in: ders., Zweistromland (= Franz Rosenzweig, Der Mensch und sein Werk. Gesammelte Schriften III), Dordrecht 1984, 139-161,155.
- A. Goldberg, Ist Gott allmächtig? Was die Rabbinen Hans Jonas antworten könnten, in: Judaica 47 (1991) 51-58 prüft Jonas' Selbsteinschätzung. Er hält einen partiellen Machtverzicht Gottes nach rabbinischem Verständnis für vertretbar; der absolute Machtverzicht Gottes ist rabbinisch nicht mehr gedeckt, weil er zur Aufgabe des »Dogmas« vom göttlichen Gericht nötigen würde, was Jonas selbst (42) bereits festgestellt hatte. Ebenso problematisiert Goldberg unter Hinweis auf Jes. 45,7 und dessen tägliche Rezitation im Morgengebet die Voraussetzung der zweifelsfreien Güte Gottes bei Jonas: »Wer behauptet, daß nur das Gute von Gott ausgehen könne, der leugnet eines der wenigen Dogmen des Judentums» (56). Der Provokation biblischer Rede von Gott als Schöpfer der Finsternis und des Unheils gehen besonders nach: W. Groß/ K.J. Kuschel, a.a.O. (Anm. 5) und M. Görg, Der un-heile Gott. Die Bibel im Bann der Gewalt, Düsseldorf 1995.
- H.U. von Balthasar kennzeichnete Israel als »formale Christologie« in seiner Buber-Schrift: Einsame Zwiesprache. Martin Buber und das Christentum, Köln/ Olten 1958, 83. Er entfaltet allerdings in seinem Gesamtwerk zu wenig die Positivität solcher Kennzeichnung; zur Kritik dazu H.H. Henrix, »Israel ist seinem Wesen nach formale Christologie«. Die Bedeutung H.U. von Balthasars für F.-W. Marquardts Christologie, in: BThZ 9 (1993) 135-153.
- H. Jonas, Zwischen Nichts und Ewigkeit. Drei Aufsätze zur Lehre vom Menschen. Göttingen 1963, 44-62, 55ff.
- A. a. O., 63-72; Jonas' Gebrauch des Begriffs der Inkarnation: 68.69.70.71.
- Der Begriff der Allmacht Gottes, generationenlang fester Bestandteil christlicher Gottes- und Attributenlehre, wird in heutigen Schuldogmatiken und Lexika oft übergangen oder tritt auffallend zurück, z.B. in: Mysterium Salutis. Bände 1 bis Ergänzungsband, Einsiedeln/ Zürich/ Köln 1965-1981; Lexikon der katholischen Dogmatik, Freiburg 1987; P. Eicher (Hg.), Neue Summe Theologie. Bände 1 und 2, Düsseldorf 1992. Anders freilich J. Auer, Gott - der Eine und Dreieine (Kleine Katholische Dogmatik II), Regensburg 1978, 422-431; vgl. auch O. John, Die Allmachtsprädikation in einer christlichen Gottesrede nach Auschwitz, in: E. Schillebeeckx (Hg.), Mystik und Politik. Theologie im Ringen um Geschichte und Gesellschaft (FS Johann Baptist Metz), Mainz 1988, 202-218 und Th. Pröpper, Art. »Allmacht Gottes», in: 3LThK Bd. 1 (1993), 412-417.
- J. Moltmann, Trinität und Reich Gottes. Zur Gotteslehre, München 1980, 124f.
- E. Jüngel, a.a.O. (Anm. 5), 271. Vgl. aber auch die beherzigenswerte Kritik dieser schöpfungstheologischen Reflexion bei H. Küng, a.a.O. (Anm. 5), 717ff.
- So nach der Skizze bei H. Vorgrimler, Theologische Gotteslehre, Düsseldorf 1985, 150ff.
- J.B. Brantschen, Die Macht und Ohnmacht der Liebe. Randglossen zum dogmatischen Satz: Gott ist veränderlich, in: FZPhTh 27 (1980) 224-246, 238f. Vgl. die Bezugnahmen auf dasselbe neutestamentliche Gleichnis in der Reflexion von Gottes Macht bei G. Neuhaus, a.a.O. (Anm. 15), 264ff und H. Fronhofen, Ist der christliche Gott allmächtig?, in: StZ 117 (1992) 519-528, 523.
- R. Bultmann, in: H. Jonas, Zwischen Nichts und Ewigkeit, a.a.O. (Anm. 20), 66f.
- H. Jonas, a.a.O., 70f.
- So laut Manuskript eines Gesprächs, das in gekürzter Form veröffentlicht wurde: Judentum und Christentum nach Franz Rosenzweig. Ein Gespräch, in: G. Fuchs/H.H. Henrix (Hg.), Zeitgewinn. Messianisches Denken nach Franz Rosenzweig, Frankfurt 1987, 163-183.
- Ganz ähnlich die Einwände von E. Jüngel, a.a.O. (Anm. 5), 272f und W. Oelmüller, Hans Jonas, a.a.O. (Anm. 5), 346.
- Vgl. die in Anm. 11 aufgeführte Literatur sowie W. Orbach, The four Faces of God: Toward a Theology of Powerlessness, in: Judaism 32 (1983) 236-247; E. Levinas, Judaïsme et Kénose, in: Archivi di Filisofia LIII (1985) Nr.2-3 (Ebraismo. Ellenismo. Cristianesimo), 13-28 und R. Neudecker, Die vielen Gesichter des einen Gottes, München 1989, 69-105.
- In. G. Fuchs/H.H. Henrix, a.a.O., (Anm. 29), 170.
- J.B. Metz, Theologie als Theodizee?, in: W. Oelmüller (Hg.), Theodizee - Gott vor Gericht?, München 1990, 103-118; Plädoyer für mehr Theodizee-Empfindlichkeit in der Theologie, in: W. Oelmüller (Hg.), Worüber man nicht schweigen kann (Anm. 5), 125-137; Die Rede von Gott angesichts der Leidensgeschichte der Welt, in: StZ 117 (1992) 311-320; Karl Rahners Ringen um die theologische Ehre des Menschen, in: StZ (1994) 383-393 (Zitat dort: 391).
- Das Moment der Verheißungslosigkeit für die Leidenden der Geschichte bleibt in G. Schiwys Plädoyer für den »Abschied vom allmächtigen Gott» (Anm. 5) eigenartig ausgeblendet.
- Der hier auf die Allmacht applizierte Gedanke der »Intrige« Gottes und seiner Transzendenz bei E. Levinas: Gott und die Philosophie, in: B. Casper (Hg.), Gott nennen. Phänomenologische Zugänge, Freiburg/München 1981, 81-123, 104ff.
- Dies in Nähe zu den Gedanken von H. Küng, a.a.O. (Anm. 5), 731ff und O. John, a.a.O. (Anm. 22).