Kindertora - Kinderbibel - Kinderkoran

Die Publikationen einer fünfbändigen Tora für Kinder sowie von zwei Kinderkoran-Ausgaben im letzten Jahrzehnt führten dazu, dass erstmals zeitgleich deutschsprachige, für Kinder konzipierte Veröffentlichungen der ‚Heiligen Schriften‘ der drei Religionen Judentum, Christentum und Islam vorliegen.

Dies war der Anlass, um das ‚Internationale Forschungskolloquium Kinderbibel‘ im Jahr 2015 das erste Mal interreligiös zu gestalten, wobei unter anderem sowohl die von der ‚Kinderbibel‘ übertragenen Begriffe ‚Kindertora‘ und ‚Kinderkoran‘ diskutiert wurden als auch der Frage nachgegangen wurde, ob die eigentlich religiös nach innen ausgerichteten Kinder-Ausgaben eine Chance für interreligiöse Lernprozesse bieten. Ihren schriftlichen Niederschlag fanden die Fragestellungen und Ergebnisse des Kongresses in dem von Langenhorst und Naurath herausgegebenen Sammelband „Kindertora – Kinderbibel – Kinderkoran“, welcher wie folgt gegliedert wurde: Zunächst werden die systematischen Grundlagen behandelt, bevor in den drei darauffolgenden Abschnitten jüdische, christliche und muslimische Zugänge erläutert werden. Ein Ausblick der HerausgeberInnen rundet das Sammelwerk ab.

Michael Fricke hält in seinem einleitenden Beitrag fest, dass zwischen den drei Gattungen Kindertora, Kinderbibel und Kinderkoran ein großer quantitativer Unterschied auffällt, da es im deutschsprachigen Raum an die 1000 Kinderbibeln, aber nur ca. 30 Kindertora-Ausgaben und bis dato nur zwei Kinderkorane gibt. Die religionspädagogischen Diskurse um die Kinderausgaben würden dennoch ähnliche Themen – wie beispielsweise die Erhaltung der Autorität der Schriften bei kindgerechter Umformulierung oder die Aufnahme von problematischen und schwer verständlichen Texten – behandeln. Einen spezifischen Blick auf die – heute endgültig in der Kinderbibelforschung angekommenen – interreligiösen Aspekte wirft Robert Schelander. Er konstatiert einen Wandel in der religiösen Erziehung, der darin besteht, dass Kinder bisher vor einer Begegnung mit anderen Traditionen zuerst in der eigenen beheimatet wurden, während diese beiden Abläufe nun parallel geschehen. Darauf sollen die kindgerechten Ausgaben, welche einen maßgeblichen Beitrag zur Einführung in die eigene Tradition leisten, achten, indem sie interreligiöse Bezüge herstellen. Klaus von Stosch beschäftigt sich in seinem Aufsatz – aus Sicht der komparativen Theologie – damit, was die Kinderbibelforschung aus der Beschäftigung mit den Kinderausgaben der Geschwisterreligionen mitnehmen kann. Dabei gewinnt er die Erkenntnis, dass Christen durch die Ausführungen der Kindertora sowohl ermutigt werden, „Kindern mehr von der Fremdheit Gottes zuzumuten“ (77), als auch erinnert werden, die liturgische Komponente der Texte nicht außer Acht zu lassen. Im Islam wird hingegen großer Wert auf die ästhetische Ebene des Korantextes gelegt, was eine adäquate kindgerechte Umformulierung erschwert. Der Autor streicht zuletzt hervor, dass ChristInnen auch davon profitieren können, einen Blick darauf zu werfen, wie Kindern im Judentum und im Islam abseits der Kinderausgaben das Wort Gottes vermittelt wird.

Drei Beiträge des Sammelbandes widmen sich danach Zugängen aus jüdischer Sicht. Dorothea M. Salzer plädiert in ihrem Aufsatz für die wissenschaftliche Erforschung jüdischer Kinderbibeln, da diese über den Bibeltext hinaus auch Erkenntnisse über Ansichten und Werte des deutschsprachigen Judentums vermitteln und so zur Quelle für die Entwicklung einer modernen jüdischen Identität werden können. In dem darauffolgenden Beitrag über die Kindertora aus literaturwissenschaftlicher Perspektive stellt Hadassah Stichnothe die Entstehung und Entwicklung des Genres Kindertora mithilfe konkreter Beispiele dar. Dabei ist zu sehen, dass diese Gattung immer „eng an die zeitgenössischen pädagogischen und literarischen Strömungen angebunden war“ (134) und am Beginn zwar vorwiegend im schulischen Bereich gebraucht wurde, sich mittlerweile jedoch am Leserhythmus der Synagoge orientiert und eher dort verwendet wird. Im letzten Aufsatz aus jüdischer Perspektive gibt Kindertora-Autor Bruno E. Landthaler einen Einblick in die leitenden Überlegungen bei der Erstellung einer jüdischen Kindertora, wobei er festhält, dass jüdische Kinderbibeln im deutschsprachigen Raum nur eine kleine Leserschaft haben und zur Formulierung solcher das Fachpersonal mit genügend religiösen und sprachlichen Kompetenzen fehle, weshalb es nur sehr wenige Exemplare gäbe. In Bezug auf den schon von Klaus von Stosch in seinem Beitrag angesprochenen Umgang mit schwierigen Texten streicht Landthaler heraus, dass es ein spezifisch jüdisches Merkmal ist, vom wiederholenden Lesen auszugehen, wodurch sich auch auf den ersten Blick nicht kindgerechte Texte erschließen lassen. Wichtig für den interreligiösen Dialog ist seine Feststellung, dass Kinder sich bei der Beschäftigung mit schwierigen Texten in fremde Realitäten einlesen, weshalb sie Fremdem gegenüber offen seien.

Nach den jüdischen folgen die christlichen Zugänge, welche von Georg Langenhorsts Sicht aus der trialogischen Religionspädagogik eingeleitet werden. Er spricht sich darin für das Zeugnislernen – und gegen den ‚Königsweg‘ Begegnungslernen, dessen kontraproduktive Seiten meist ausgeblendet würden – aus und bettet den über Kinderbibel, Kinderkoran und Kindertora medial vermittelten Zugang zu den jeweils anderen Religionen darin ein. Diese Medien seien ideale Hilfsmittel für das interreligiöse Lernen, da sie sowohl die im Beitrag auch herausgearbeiteten Gemeinsamkeiten und Unterschiede klar aufzeigen als auch den Blick auf die gemeinsamen Wurzeln lenken. Elisabeth Naurath widmet sich den interreligiösen Differenzerfahrungen in der kindlichen Begegnung mit den Heiligen Schriften. Die Konfrontation mit dem Anderen, dem Fremden trägt dazu bei, das Eigene besser zu erkennen, zu profilieren, es aber auch zu kritisieren und wenn nötig zu korrigieren, wodurch ihrer Meinung nach Dialog- und Pluralismusfähigkeit entstehen können. In einem weiteren Beitrag formuliert Thomas Schlag die These, dass qualitätsvolle religiöse Kinderliteratur der interreligiösen Bildungspraxis dient. Er stellt dabei die Frage, ob die Qualität religiöser Literatur an ihrem gesellschaftlichen Wert gemessen werden und damit funktionalisiert werden darf oder ob ihr Selbstzwecklichkeit zugeschrieben werden muss. Marion Keuchen zeigt im letzten christlichen Beitrag, wie das von ihr entwickelte Instrumentarium zur Analyse von Bild-Konzeptionen in Kinderbibeln auch auf die Gattungen Kindertora und Kinderkoran angewandt werden kann.

Die Zugänge aus muslimischer Sicht werden von Kinderkoran- Autorin Hamideh Mohagheghi eröffnet, die Einblicke in die Entstehung einer Koranausgabe für Kinder ermöglicht. Spannend ist der Unterschied zu Landthalers Ausführungen im Umgang mit schwierigen Themen, welche von Mohagheghi ausgespart werden, weil entsprechende Stellen aus dem Koran „ohne Kontextualisierung nicht zu vermitteln sind“ (264). Yasar Sarikaya und Dorothea Ermert gehen in einem zweiten muslimischen Beitrag der Frage nach, wie sich ein Kinderkoran theologisch, wissenschaftlich und religionspädagogisch fundiert begründen lässt. Sie thematisieren dabei beispielsweise, dass der Inhalt des Korans durch das Auswendig-Lernen von vielen Kindern – vor allem jenen, deren Muttersprache nicht Arabisch ist – nicht erschlossen wird, weshalb sie ihn zwar als besonderes Buch wahrnehmen, aber auf Distanz dazu bleiben. Als ein Fazit legen sie fest, dass bei der Entwicklung von Kinderbibel, Kindertora und Kinderkoran gemeinsame pädagogische und didaktische Prinzipien beachtet werden können, welche den Dialog fördern.

Langenhorst und Naurath beschließen den Sammelband mit einem Ausblick, in dem sie aufzeigen, in welchen Bereichen die drei Religionen im Blick auf die kindgerechten Ausgaben ihrer Schriften voneinander lernen können, und legen abschließend als Desiderat den Entwurf einer „Didaktik der ‚Heiligen Texte‘ in der Spannung von diskursiver wie ästhetischer Gemeinsamkeit und Verschiedenheit“ (294) fest.

Der Sammelband stellt sehr gut die allgemeinen, aber auch die für jede Religion spezifischen Herausforderungen bei der Entwicklung von kindgerechten Ausgaben dar und bietet somit einen hervorragenden Einblick in die Thematik. Durch das Heranziehen einzelner Werke für Erklärungen kann zudem ein Einblick in exemplarische Kindertora-, Kinderbibel- und Kinderkoran-Ausgaben gewonnen werden. Als wünschenswerte Weiterführung können gemeinsame Beiträge interreligiöser Forschungsteams zu den kindgerechten Ausgaben genannt werden, welche durch die Einführung aus rein christlicher Sicht und die klare Trennung der Zugänge im vorliegenden Band leider keinen Einzug fanden.

Georg Langenhorst / Elisabeth Naurath (Hg.):
Kindertora - Kinderbibel - Kinderkoran. Neue Chancen für (inter-)religiöses Lernen

Herder-Verlag
Freiburg / Basel / Wien 2017
312 S., (eBook) 24,90 Euro

Editorische Anmerkungen

Mag.a Agnes Gmoser, Mitarbeiterin im Projekt „Integration durch interreligiöse Bildung“ an der Universität Graz.
Quelle: Österreichisches Religionspädagogisches Forum 25 (2017), 2, 186–187; DOI: 10.25364/10.25:2017.2.21