Judenfeindlich – bis heute

Immer noch fußen die Übersetzungen des Neuen Testaments auch auf „Erkenntnissen“ antisemitischer Exegese. Nachtrag zum „Bibelsonntag“ der christlichen Kirchen am 22. Jänner.

Die sogenannte „Botschaft Gottes“ – auch „Volkstestament“ genannt – erschien im Jahr 1940. Herausgegeben wurde sie vom Eisenacher „Entjudungsinstitut“, einer Einrichtung in kirchlicher Trägerschaft, die den „Deutschen Christen“ nahestand. Ziel war es, ein „vom jüdischen Einfluss gereinigtes“ Neues Testament zu erarbeiten. Der erste wissenschaftliche Direktor dieses Instituts, Walter Grundmann, war bereits im Jahr 1930 in die NSDAP eingetreten und seit 1934 unterstützendes Mitglied der SS. Sehr spät, erst seit dem 6. Mai 2019, spricht eine Gedenktafel in der Nähe dieses Instituts davon, dass wir – das sind die an diesem Institut beteiligten Theologen und Kirchen – „in die Irre gegangen“ seien.

Die Reinigung von jüdischem Einfluss geschah durch eine Zensur des Textes, Passagen, die man als „zu jüdisch“ empfand, wurden herausgeschnitten. Diese Ausgabe des Neuen Testaments wird in der wissenschaftlichen Literatur auch als „rassistischer Verrat am Evangelium“ bezeichnet.

Im Folgenden soll nun der Vorschlag gemacht werden, den Antisemitismus eines unterstützenden Mitglieds der SS als Grenze zu sehen, die man in den Übersetzungen des Neuen Testaments nach der Schoa nicht überschreiten sollte. Eine Passage bei Paulus ist in ihrer Judenfeindlichkeit erschreckend. Im Ersten Thessalonicherbrief holt Paulus – so scheint es – zum Rundumschlag aus. Die Juden seien, so liest man in der katholischen Einheitsübersetzung von 2016, „Feinde aller Menschen“. Der Stürmer formulierte in der Nazizeit: „Der Jude ist unser Feind.“

Philologisch besser übersetzt hier der SS-Mann in der „Botschaft Gottes“: Die Juden seien „allen Menschen verhaßt“. In der Zeit des Nationalsozialismus war der Hass so groß, dass man die Juden im Rahmen der Schoa millionenfach ermordete. Für den Nazi Grundmann sind die Juden noch Opfer christlichen Hasses, die revidierte Einheitsübersetzung scheint mit ihrer Formulierung letztlich die Stürmer-Propaganda zu legitimieren. Der Herausgeber des Stürmers hatte sich bei den Nürnberger Prozessen damit verteidigt, dass er christliches Gedankengut popularisiert hat.

Ein katholischer Theologe wies kürzlich Kritik an judenfeindlichen Übersetzungsentscheidungen der revidierten Einheitsübersetzung mit dem Hinweis zurück, man dürfe den „scharfen Text“ des Neuen Testaments nicht „gutmeinend verharmlosen“. Ein SS-Mann, dessen Neues Testament als „rassistischer Verrat“ gilt, übersetzt hier harmloser. Darf man ihn als Vorbild vorschlagen, dem Übersetzungen nach der Schoa zu folgen hätten? Oder ist auch das eine „gutmeinende Verharmlosung“?

Damit bedarf es einer Erklärung für diese Übersetzungsentscheidung, bei der es sich keinesfalls um einen Einzelfall handelt: Die neutestamentliche Forschung hat sich nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes bedauerlicherweise auf die Seite eines anderen, höchst einflussreichen Nazi- Theologen gestellt. Gerhard Kittel, der von 1939 bis 1943 an der Universität Wien wirkte, hat ein vielbändiges „Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament“ herausgegeben. Es gilt noch heute als Standardwerk. Erst kürzlich, 2019, wurde es unverändert nachgedruckt.

Gerhard Kittel zeichnet sich unter anderem durch seine „theologischen“ Beiträge zur Propagandaausstellung „Der Ewige Jude“ aus. Seine Unterstützung der nationalsozialistischen Propaganda trug dazu bei, dass er im Jahr 1938 Ehrengast des Führers am Nürnberger Reichsparteitag war. Er ist auch der einzige Theologe, dem die höchst seltene Ehre zuteilwurde, gleich zweimal ausführlich im Stürmer referiert zu werden. Sein Wörterbuch beruht auf der wissenschaftlichen Vorentscheidung, dass das Neue Testament das „judenfeindlichste Buch dieser Erde“ sei. Deshalb nimmt es nicht wunder, dass eben die Übersetzungsentscheidung, die sich in der Einheitsübersetzung findet, auch durch dieses theologische Standardwörterbuch legitimiert wird.

Eine wissenschaftliche Kritik an diesem Wörterbuch ist heute annähernd unmöglich. Schließlich kamen und kommen Theologen wiederholt zu dem Ergebnis, dass durch dieses Wörterbuch in keiner Weise ein spezieller Antisemitismus gefördert werde. Hier wird man anderer Meinung sein dürfen: Dass eine Übersetzung, die aus der Zeit des Nationalsozialismus stammt und heute als „rassistischer Verrat“ gegeißelt wird, an einer der problematischsten Stellen judenfreundlicher überträgt als die revidierte Einheitsübersetzung, ist bemerkenswert. Vielleicht hat man dem „Theologischen Wörterbuch zum Neuen Testament“ vorschnell einen Persilschein ausgestellt.

Natürlich muss man sich heute von Walter Grundmann und seiner „Botschaft Gottes“ distanzieren. Das Wörterbuch des angesehenen Theologen Gerhard Kittel trägt aber dazu bei, dass man nach dem Massenmord an den Juden eine Formulierung wählt, die im Stürmer zitierfähig wäre. Bereits im Jahr 1938 hielt der anglikanische Geistliche Francis Evelyn in der Expository Times erschüttert fest, dass die Nazis – und hier dürfte er vor allem auch den Stürmer gemeint haben – in besonderer Weise das Johannesevangelium als Quelle judenfeindlicher Zitate verwendeten. Heute könnten sie auch Paulus zitieren.

Wenn Der Stürmer harmloser übersetzt …

Damit zeigt dieser Beitrag, dass eine Kritik an Übersetzungsentscheidungen in modernen Übersetzungen berechtigt und sogar nötig ist. Gerade weil es bei allen Christinnen und Christen Entsetzen auslösen sollte, dass Der Stürmer das Neue Testament häufig zitierte, ist es bedenklich, wenn moderne Übersetzungen hier problematisch übertragen.

Ein erster, wichtiger Schritt wäre, dass man von theologischer Seite eine offene wissenschaftliche Kritik an diesem Wörterbuch zulässt. Bisher wurde die Diskussion wiederholt mit dem Hinweis unterbunden, dass durch Veröffentlichungen bestätigt worden sei, dass in diesem Werk keinerlei besondere Judenfeindschaft wahrnehmbar sei. Damit scheint eine grundlegende und systematische Untersuchung der Wirkung dieses Wörterbuches wissenschaftlich überflüssig. Man muss hoffen, dass die „wissenschaftlichen“ Persilscheine für dieses Wörterbuch in Unkenntnis der Sachlage ausgestellt wurden. Schließlich wird kein vernünftiger Mensch – und erst recht kein Theologe – im deutschen Sprachraum gegen den griechischen Text Paulus in den Mund legen wollen, dass die Juden „Feinde aller Menschen“ seien.

Was Paulus hier in den Mund gelegt wird, ist höchst judenfeindlich und sprachwissenschaftlich falsch. Hier hat man sich in die Irre führen lassen. Eine Revision der Übersetzung dieser Passage wird man angesichts des hier vorgelegten Befundes wohl vorschlagen dürfen.

Editorische Anmerkungen

Hans Förster lehrt als Privatdozent an der Universität Wien und leitet ein Forschungsprojekt des FWF an der Kirchlich-Pädagogischen Hochschule (KPH) Wien/Krems.

Quelle: Die Furche 4, 26. Jänner 2023; mit frdl. Genehmigung.