Geschwister auf einer gemeinsamen Suche. Aktuelle Chancen und Herausforderungen im jüdisch-katholischen Gespräch

Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil wurde das Verhältnis von Christen und Juden auf Seiten der katholischen Kirche besonders durch das Dokument Nostra aetate neu definiert. Zum ersten Mal seit dem Schrecken des Holocausts positioniert sich die Kirche offiziell auf eine neue, längst notwendig gewordene Weise. Durch das Band, »wodurch das Volk des neuen Bundes mit dem Stamme Abrahams geistlich verbunden ist«, erkennt sie das Judentum in seiner Brüderlichkeit an (S. 13). Sie verurteilt Antisemitismus und Antijudaismus und stellt gleichzeitig das gemeinsame Erbe von Judentum und Christentum in den Vordergrund.

Das Buch Geschwister auf einer gemeinsamen Suche zeigt unter anderem auf, inwiefern das Dokument Nostra aetate den Weg für einen christlich-jüdischen bzw. vor allem für einen jüdisch-katholischen Dialog ebnete. Jehoschua Ahrens, orthodoxer Rabbiner und Direktor für Zentraleuropa des Center for Jewish-Christian Understanding and Cooperation in Jerusalem, und Norbert Johannes Hofmann, Priester und seit 2002 für den jüdisch-katholischen Dialog im Vatikan tätig, begeben sich in diesem Buch auf den gemeinsamen Weg des Dialogs. Auch wenn das Ziel des interreligiösen Dialogs vor allem eine Annäherung der beiden Gesprächspartner sein soll, zeigen die Autoren im Sinne des Untertitels Aktuelle Chancen und Herausforderungen im jüdischkatholischen Gespräch, wie wichtig es ist, sich nicht allein auf die Gemeinsamkeiten und die Brüderlichkeit zu konzentrieren. Annäherung bedeutet auch, sich der Unterschiede zwischen Judentum und Christentum bewusst zu sein, sowie an die dunklen Zeiten in der Geschichte zu erinnern. Nur wenn über diese gesprochen wird, kann Geschichte aufgearbeitet werden. Ahrens und Hofmann beleuchten daher auch, dass Christen anstelle des gemeinsamen Erbes sowie der Wurzeln ihrer eigenen Religion einen Feind im Judentum sahen und sprechen über die Mitschuld der Christen am Holocaust. Dementsprechend wird im Gespräch zwischen Ahrens und Hofmann Wert daraufgelegt, Nostra aetate zwar als einen neuen, wichtigen Anfang im jüdischchristlichen Dialog zu betrachten, jedoch auch die bereits fehlgeschlagenen Versuche des Dialogs nicht außen vor zu lassen.

Das Buch beginnt mit Geleitworten von Kurt Kardinal Koch und Rabbiner David Rosen (S. 7–10) sowie einem Vorwort der beiden Autoren (S. 11f) und ist anschließend in vier größere Kapitel geteilt, welche verschiedene Dimensionen im katholisch-jüdischen Gespräch beleuchten.

Im ersten dieser vier Kapitel, den geschichtlichen Dimensionen (S. 13– 49), spricht Hofmann schon zu Anfang über Nostra aetate und bezeichnet die Geschichte der katholischen Kirche in Bezug auf das Judentum in den 2000 Jahren vor diesem Dokument als eine »dornenreiche, komplexe und komplizierte Beziehung, sowohl in theologischer als auch in praktischer Hinsicht«. (S. 13) Indem die Autoren direkt auf die jeweiligen Aussagen des anderen eingehen, werden die beiden Positionen gegenüberstellt, wodurch Gemeinsamkeiten und Unterschiede deutlich zum Ausdruck kommen. So betont Ahrens ebenfalls die Relevanz von Nostra aetate als Meilenstein im christlich-jüdischen Dialog, führt aber auch die prägenden, judentumsfeindlichen Lehren von Augustinus und Thomas von Aquin auf sowie Positionen, welche die Entwicklungen der Kirche als »Ausdruck der alten Strategie im neuen Gewand « ansehen. (S. 18). Im weiteren Verlauf des ersten Kapitels wird außerdem besonders auf den institutionellen Dialog Bezug genommen, der sich auf jüdischer Seite schwieriger darstellt als auf katholischer. Hierbei geht es jüdischerseits vor allem um die Gründung des Jewish Commitee for Interreligious Consultations (IJCIC) und katholischerseits um die Kommission für die religiösen Beziehungen zum Judentum, welche beide in den 70er-Jahren gegründet wurden.

Nach der geschichtlichen Einordnung folgen im zweiten Kapitel die praktischen Dimensionen des jüdisch- katholischen Dialogs, wobei sich die Autoren unter anderem mit der konkreten Motivation für den Dialog beschäftigen. Hierbei betonen beide gleichermaßen, dass die Motivationen nicht von der historischen Dimension getrennt werden können. Ahrens bezieht sich zum Beispiel auf die Zeit der Aufklärung und der Emanzipation, wobei er auf gescheiterte Versuche und die »Hoffnung, dass mit der staatsbürgerlichen Gleichberechtigung auch ein theologischer Dialog mit den Kirchen kommen würde« eingeht (S. 53). Hofmann geht einerseits auf die psychologische Verarbeitung derSchoah ein und erwähnt hierbei die Konferenz von Seelisberg im Jahr 1947, welche »ganz bewusst einberufen wurde, um auf dem Hintergrund der desaströsen Erfahrungen im Zweiten Weltkrieg Frontstellung gegen den Antisemitismus zu machen.« (S. 51) Vertiefend geht er dann auf die christlichen Wurzeln ein, die den Dialog zu einer Identitätsvergewisserung machen und der Grund dafür sind, dass »der jüdisch-christliche Dialog keine lockere Freizeitbeschäftigung für Christen sein« darf (S. 51). Im restlichen Kapitel sprechen die Autoren nicht nur über die Motivation, sondern auch über konkrete Ziele des Dialogs, darüber, wer Teil dieses Dialogs ist bzw. sein soll und wie weit der Dialog bereits vorangeschritten ist. Hierbei betont Ahrens, dass der Dialog vor allem in die Öffentlichkeit getragen werden soll, »hinein in unsere Gemeinden und Schulen und hinein in die Gesellschaft.« (S. 68)

Im nächsten Kapitel beziehen sich die Autoren auf die theologischen Dimensionen, welche in den vorangehenden Kapiteln bereits immer wieder angeklungen sind. An dieser Stelle werden einmal mehr die jüdischen Wurzeln des Christentums hervorgehoben, welche den Dialog über Gemeinsamkeiten und Unterschiede der beiden Religionen eröffnen. Die Autoren sprechen über den Juden Jesus (S. 73f), über die Schriftauslegung der beiden Religionen (S.75–78), über die endgültige, lang andauernde Trennung von Judentum und Christentum (S. 79f), über den Messianismus (S. 81– 84) und viele weitere, interessante theologische Themen. Da Nostra aetate »die erste theologische Verhältnisbestimmung zwischen Judentum und katholischer Kirche dar[stellt]« (S. 73), werden auch die Entstehung solcher Dokumente thematisiert sowie im Kontext des 50-jährigen Jubiläums von Nostra aetate über die internationale orthodox- jüdische Erklärung Den Willen unseres Vaters im Himmel tun: Hin zu einer Partnerschaft zwischen Juden und Christen gesprochen.

Im vierten und letzten Kapitel geht es um die ethischen Dimensionen des jüdisch-katholischen Gesprächs, in deren Kern beide Autoren Gott als »Quelle der Gebote [sehen], gerade auch in ethischen und moralischen Fragen.« (S. 106) Auch hier gehen die Autoren auf die Unterschiede der beiden Perspektiven ein; so spricht Hofmann von Jesus auf christlicher Seite als dem Begründer der ethischen Normen, wohingegen Ahrens besonders auf die Einhaltung der Mizwot, der Gebote Gottes, eingeht. Nachdem sich die beiden Autoren dann näher über den Dekalog unterhalten, gehen sie abschließend auch auf medizinethische und umweltethische Fragen ein, deren Antwort beide im Schöpfungsbericht finden, jedoch setzen beide Seiten einen anderen Fokus im Text. So zeigt der Abschluss des letzten Kapitels einmal mehr, wie eng beide Religionen trotz vieler Unterschiede miteinander verwoben sind. Am Ende des Buches wird ein kurzer Ausblick zum jüdisch-christlichen Dialog eröffnet (S. 117f). Weiterhin können die Lesenden die erwähnten, wichtigen Texte nachschlagen. Darunter befinden sich Nostra aetate (Nr. 4) (S. 119f), Die Zehn Punkte von Seelisberg (S. 120f) und Den Willen unseres Vaters im Himmel tun: Hin zu einer Partnerschaft zwischen Juden und Christen (S. 121–124).

Die Lektüre ist nicht nur den bereits Aktiven am jüdisch-christlichen Dialog zu empfehlen, sondern besonders denjenigen, deren Interesse geweckt werden konnte, sich auf den Beginn eines dialogischen Weges miteinander zu begeben. Sie kann sowohl einführend einen Überblick über die Thematik verschaffen, um Ideen für eine aktive Teilnahme am Dialog zu erhalten, als auch die bereits Eingelesenen weiter auf dem Weg des Dialogs begleiten. Die Herausgabe dieses Buches ist ein wichtiger Schritt, um den Dialog an die Öffentlichkeit zu tragen, weshalb ein weiterer Teil dieser Art von Gespräch in Buchform zu erhoffen ist. Dies würde die Möglichkeit bieten, die Entwicklung des katholischjüdischen Dialogs in einigen Jahren zu verfolgen und zu sehen, ob Chancen genutzt und Herausforderungen angenommen werden konnten.

Ahrens, Jehoschua; Hofmann, Norbert Johannes Hofmann:
Geschwister auf einer gemeinsamen Suche. Aktuelle Chancen und Herausforderungen im jüdisch-katholischen Gespräch

Grünewald Verlag, Ostfildern 2021, 124 Seiten
 

Editorische Anmerkungen

Vanesa Gasparevic ist studentische Mitarbeiterin am

Lehrstuhl für Religionspädagogik, Kerygmatik und kirchliche Erwachsenenbildung der Eberhard Karls Universität Tübingen.

Quelle: Zeitschrift für christlich-jüdische Begegnung im Kontext (ZfBeg), 1|2022.