Erinnerung an den Holocaust ist eine hochaktuelle Bildungsaufgabe

Landeskirche erinnert mit Gedenkveranstaltung an die Opfer des Holocaust und würdigt Preisträger des „Obermayer Award“ aus dem Bereich der Landeskirche.

Die Erinnerung an den Holocaust mit seiner Vorgeschichte und seinen Folgen sei eine hoch-aktuelle Aufgabe, „eine Bildungsaufgabe vor allem!“, betonte gestern Prälatin Marita Natt in der Veranstaltung zum Gedenken an die ermordeten Jüdinnen und Juden aus den Gemeinden Kurhessen-Waldecks im Haus der Kirche in Kassel: „Junge Menschen müssen herangeführt werden an die jüdische Kultur in Deutschland und Europa, damit sie verstehen, was gesche-hen ist und geschehen kann.“ Mit Blick auf die geladenen Ehrengäste, die Trägerinnen und Träger des renommierten „Obermayer German Jewish History Award“ aus dem Bereich der Landeskirche, sagte die Prälatin: „Ihr großes Engagement in diesem Bereich hat mich tief be-eindruckt! Ich hoffe, es ist auch eine Ermutigung für die vielen anderen Menschen und Initiati-ven, die in unserer Landeskirche auf diesen Spuren gehen, dass sie nicht müde werden in ihrem Engagement und bei ihrer Suche nach neuen Wegen einer öffentlichkeitswirksamen Erinnerung.“

Keine isolierte Geschichte des Judentums in Europa und Deutschland

Natt hob hervor, dass der Reichtum der Geschichte des europäischen Judentums mit seiner „tiefgehenden Verflechtung in die Kultur und Zivilisation des sogenannten und neuerdings viel-beschworenen Abendlandes“ sichtbar gemacht werden müsse. Es gehe auch darum, die seit Beginn der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts wieder erstarkende jüdische Kultur in Deutschland und in Europa wahrzunehmen, zu stärken und mit einzubeziehen in die Entwick-lung der deutschen Kultur. Es müsse deutlich werden: „Es gibt keine isolierte Geschichte des Judentums in Europa und Deutschland, so als wäre es etwas Fremdes, das mit dem Holo-caust bzw. der Shoah zu Ende gegangen ist.“ Vor dem Massenmord habe es auch eine Ge-schichte der gegenseitigen Befruchtung und der unauflösbaren Verflechtung jüdischer-deutscher Geschichte gegeben. Gerade die Bewahrung von Zeitzeugenschaft und der Ver-such, das gemeinsame Zusammenleben von Juden und Christen in den Gemeinden zu rekon-struieren, sei an der Idee des Obermayer Award so faszinierend und motivierend. Natt machte deutlich: „Juden in Kurhessen-Waldeck, das waren bis zur Shoah in erster Linie Hessen, in erster Linie Deutsche. Die Katastrophe darf die Erinnerung an das Gute, Bewahrenswerte und Befruchtende nicht auslöschen!“

Erinnern heißt, sich für den Schmerz der anderen zu öffnen

Die Prälatin betonte, Versöhnungsarbeit sei immer Erinnerungsarbeit: „Die Erfahrung zeigt, dass sich nur über die Erkenntnis dessen, was wir anderen angetan haben, der Weg des Frie-dens öffnet.“ Es gelte, sich für „den Schmerz der anderen zu öffnen“: „Wem das einmal ge-schehen ist - in einer Begegnung mit einem Zeitzeugen, im Betrachten eines erinnerungsträch-tigen Gegenstandes oder in der Lektüre eines Dokumentes - der oder die wird das nicht mehr vergessen, wird für einen Moment wissen, was es heißt, verfolgt, verachtet und bedroht zu sein, der Vernichtung ausgesetzt. Das dürfen wir keinem Menschen ersparen, wenn wir nicht wollen, dass die Dämme wieder brechen.“ Sie räumte ein, dass es dafür Behutsamkeit und viel didaktisch-pädagogisches Geschick brauche, damit die Erinnerungsarbeit nicht von vornherein verweigert werde.

Viele der anwesenden Gäste hätten sich dieser Herausforderung gestellt und einen Impuls gegeben, dem in der Bildungsarbeit der Kirche und in den Schulen nachge-gangen werden müsse. Mit Blick auf die heutige Schülergeneration stellte die Prälatin fest: „Diese Generation hat keine Schuld an dem, was vor 70 Jahren durch die Befreiung von Auschwitz endete. Aber sie muss herangeführt werden an jenen Gedanken, der seit je eine Grundlage humaner Kultur war: es gibt überindividuelle Verpflichtungen über Generationen hinweg! Wir erben nicht nur die Güter unsere Mütter und Väter. Wir erben auch ihr Versagen.“

Um des guten Lebens willen Geschichten aus schlimmen Zeiten erzählen

Der Obermayer Award würdige jährlich Menschen, die sich dieser Erinnerungsarbeit stellten. Nach Ansicht der Prälatin würden diese Preisträger aber nicht nur durch einen Preis belohnt, sondern auch mit dem Gewinnen von faszinierenden Entdeckungen jüdischen Lebens. So schloss Natt mit den Worten: „Und darum geht es doch: Um das Leben. Um das gute Leben. Lassen Sie nicht ab, um des guten Lebens willen Geschichten aus schlimmen Zeiten zu erzäh-len. Auch das ist Dammbau! Damit wir nicht überschwemmt, überwältigt werden von Antisemitismus, Geschichtsvergessenheit und Unmenschlichkeit.“

Ein Beispiel gelungener Bildungsarbeit: das Versöhnungsprojekt „Zweimal Heimat - von Kassel nach Ramat-Gan“

Die Andacht im Gedenken an die ermordeten Jüdinnen und Juden aus den Gemeinden Kurhessen-Waldecks wurde mitgestaltet von den Schülerinnen und Schülern des Friedrichs-gymnasiums Kassel, die von dem Versöhnungsprojekt „Zweimal Heimat - von Kassel nach Ramat-Gan“ berichteten.

(Kurze Beschreibung des Versöhnungsprojekts „Zweimal Heimat - von Kassel nach Ramat-Gan“ unter: http://www.fg-kassel.de/projektauftakt-zweimal-heimat-von-kassel-nach-israel/)


Stichwort: Obermayer German Jewish History Awards

Die Obermayer German Jewish History Awards werden jedes Jahr an Personen vergeben, die ehrenamtlich herausragende Beiträge zur Dokumentation und zum Erhalt jüdischer Geschichte und Kultur, des jüdischen Erbes und/oder der Überreste lokaler deutscher Gemeinden geleis-tet haben. Seit 2000 wird die Auszeichnung im Abgeordnetenhaus in Berlin überreicht. Die Preisverleihung findet in der Regel am 27. Januar statt.


Weitere Informationen unter: http://www.obermayer.us/award/

Awardees aus dem Bereich der Landeskirche:

Johannes Grötecke (Bad Wildungen; 2014), Hans-Peter Klein (Melsungen; 2014), Barbara Greve (Gilserberg-Lischeid; 2010), Dr. Michael Dorhs (Hofgeismar / Josbach; 2009), Ernst und Brigitte Klein (Volkmarsen; 2009), Johanna Rau (Kalbach / Bad Wildungen; ), Kurt-Willi Julius (Vöhl; 2006) †, Karl-Heinz Stadtler (Vöhl; 2006), Dr. Heinrich Nuhn (Rotenburg/F.; 2005), Monica Kingreen (Nidderau-Windecken; 2002)