Edith Stein: Nationalsozialismus ist Häresie
Vatikan - Die Öffnung der vatikanischen Geheimarchive für die Jahre 1922 bis 1939 brachte einen Brief Edith Steins ans Licht, in dem sie bereits im April 1933 Papst Pius XI. aufforderte, seine Stimme gegen den Nationalsozialismus zu erheben. “Alles, was geschehen ist und noch täglich geschieht, geht von einer Regierung aus, die sich christlich nennt", heißt es darin: “Seit Wochen warten und hoffen nicht nur die Juden, sondern Tausende treuer Katholiken in Deutschland und ich denke in der ganzen Welt darauf, dass die Kirche Christi ihre Stimme erhebe, um diesem Missbrauch des Namens Christi Einhalt zu tun".
In dem Brief der Konvertitin und Philosophin hieß es weiter: “Ist nicht diese Vergötzung der Rasse und der Staatsgewalt, die täglich durch Rundfunk den Massen eingehämmert wird, eine offene Häresie?? Der legendäre Brief, in dem sie die Situation Deutschlands in den ersten Monaten des Nationalsozialismus beschreibt, galt nach dem Krieg zunächst als nicht auffindbar. Danach wurde er von den vatikanischen Behörden mit anderen Archivalien des Bestands bis heute nicht freigegeben.
Die Antwort des Papstes ist durch Edith Stein selbst bezeugt. “Ich habe einige Zeit danach seinen Segen für mich und meine Angehörigen erhalten. Etwas anderes ist nicht erfolgt", heißt es in ihren Aufzeichnungen. (kathpress, 16.02.02)
Friedrich Muckermann: “Oft fehlt es an Mut"
Die italienische Tageszeitung “La Repubblica" veröffentlichte einen Brief des deutschen Jesuitenpaters Friedrich Muckermann an den damaligen Kardinalsstaatssekretär im Vatikan, Eugenio Pacelli, der 1939 als Pius XII. zum Papst gewählt wurde. Muckermann, der später im Vernichtungslager Dachau starb, wirft darin der Kurie mangelnden Widerstand gegen Adolf Hitler vor: “Warum zieht die Kirche gegen den Nationalsozialismus nicht mit der gleichen Energie ins Feld, wie sie es gegen Bolschewismus und Sozialismus tut? Was ist das Problem für die Kirche? Oft fehlt es an Mut", heißt es in der italienischen Übersetzung des Briefs durch “La Repubblica". Der Brief ist auf den 16. November 1934 datiert. Wörtlich schrieb Muckermann: “Die deutschen Bischöfe sind vorsichtig, Rom ist gescheitert, man glaubt, Rom erkennt nicht die Weltgefahr, die mit Adolf Hitler aufsteigt" und “das (deutsche) Volk ist vom Verhalten der Bischöfe enttäuscht". (orf-on, 20.02.03)
Kluge und einsichtige Menschen
Als Sensation bezeichnete die Wiener Zeithistorikerin Erika Weinzierl die Veröffentlichung des Schreibens von Edith Stein an Papst Pius XI. Der Brief beweise, “dass kluge und einsichtige Menschen schon 1933 erkennen konnten, was mit den Juden geschieht - und was mit ihnen noch geschehen wird", betonte Weinzierl im Ö1-Mittagsjournal. Eine weitere Kommentierung durch den Vatikan hält sie nicht für notwendig: “Was soll der Vatikan dazu sagen? Pius XI. hat geschwiegen. Und Pius XII. erst recht." (orf-on, 19.02.03)