Die Nacht ist vorgedrungen - Erinnerung an Jochen Klepper (1903 - 1942)
Berlin - Jochen Klepper ist einer, der hilft, auch in schrecklicher Zeit und vor düsterer Zukunft - beides hat er selber erfahren - dennoch vom Licht und einem rettenden Gott zu reden und zu singen. Er kommt in den christlichen Gesangbüchern mehrmals zu Wort und immer geht es dabei um das Bemühen, diese Spannung auszuhalten. Mitten in der Schreckenszeit des Nationalsozialismus veröffentlichte er 1938 seine “geistlichen Lieder", Kyrie, unter denen sich auffallend viele Advent- und Weihnachtslieder finden (20. unveränd. Auflage, Luther-Verlag, Bielefeld 1998). Eines davon ist “Die Nacht ist vorgedrungen", von Johannes Petzold (1912-1985) 1939 vertont. Es ist Jochen Kleppers letztes Advent- und Weihnachtslied. Er hat es in einer Zeit geschrieben, die für seine jüdische Frau Johanna (Hanni), deren Tochter aus erster Ehe Renate (Reni) und für ihn selbst schon sehr bedrohlich war. Um der Verhaftung, KZ und Ermordung zu entgehen, hat die Familie schließlich in der Nacht vom 10. auf den 11. Dezember 1942 den Weg in den Tod gewählt.
Geboren am 22. März 1903 im niederschlesischen Beuthen an der Oder, entstammt er einem evangelischen Pfarrhaus. In Breslau und Erlangen studiert er Theologie, wegen seiner äußerst labilen Gesundheit beendet er aber das Studium nicht zur Gänze. Statt dessen geht er in die kirchliche Presse- und Rundfunkarbeit.
1929 lernt er seine spätere Frau, die verwitwete Johanna Stein, geb. Gerstel, kennen, 1931 heiraten sie. Hanni ist Jüdin aus einer alten vornehmen jüdischen Familie und bringt zwei Töchter, Brigitte und Renate, in die Ehe mit. Die Hochzeit bedeutet zugleich einen Bruch mit dem Elternhaus und der Heimat, die Familie übersiedelt nach Berlin.
Dort arbeitet Klepper beim Rundfunk. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wird er 1933 seiner Ehe mit einer Jüdin wegen entlassen, verliert auch die folgende Tätigkeit 1935 beim Ullstein-Verlag und wird 1937 aus der Reichsschrifttumskammer ausgeschlossen. Jochen Klepper hätte sich retten können, wenn er sich von seiner jüdischen Frau und ihren Töchtern getrennt hätte. Aber das kam für ihn nicht in Frage. “Das Jüdische hat in meinem Leben zu weiten und tiefen Raum, als dass ich es jetzt nicht in all dem Guten, das immer noch über meinem Leben reichlich bleibt, sehr leiden müsste. Denn mir ist, als gäbe die Heilsgeschichte der Juden der Weltgeschichte den Sinn" (Tagebucheintragung, 27. März 1933).
1937 erscheint sein großer Roman “Der Vater" und wird zum Bestseller. Dieses Buch sollte ihm persönlich einen gewissen Schutz bringen. Er beschreibt darin das Leben des Preußenkönigs Friedrich Wilhelm I., ein König, der anscheinend nur das Beste für sein Volk gewollt und unter dessen Unfolgsamkeit gelitten habe. Den nationalsozialistischen Ideologen kam die in diesem Buch enthaltene Obrigkeitshörigkeit gerade recht. Kleppers konservativ-lutherisches, protestantisch-preußisches Staatsverständnis hinderte ihn, sich vom Nationalsozialismus zu distanzieren und in den Widerstand zu gehen. Zwar verurteilte er den Nationalsozialismus und die religiöse Überhöhung der Hitler-Regierung, doch in Sachen Antikommunismus und Nationalismus unterstützte er sie.
Nach 1938 wuchs die Gefahr für seine Frau und insbesondere für die beiden Töchter. Brigitte emigrierte im Frühjahr 1939 nach England. Renate (Reni) konnte sich ebenso wenig von den Eltern trennen, wie sie von ihr. Ab Dezember 1940 ist Klepper Soldat und macht die Feldzüge am Balkan und in die Ukraine mit, wird aber am 22. September 1941 seiner Ehe mit einer Jüdin wegen “wehrunwürdig".
Die Tagebuchaufzeichnungen geben erschütternden Aufschluss über die Ängste und Sorgen, die die ständig bedrohte Familie durchmacht. Eine Emigration in die Schweiz ist nicht möglich, doch am 5. Dezember 1942 hatte Schweden die Einreiseerlaubnis für Renate erteilt. Nun hängt es nur noch von Eichmann ab, ob sie fahren kann. Am 9. Dezember verzeichnet Klepper: “Eichmann: ‘Ich habe noch nicht mein endgültiges Ja gesagt.' Aber ich denke, die Sache wird klappen." Am 10. Dezember 1942, es ist Donnerstag, hat er den Termin bei Eichmann und soll dessen endgültige Antwort abholen. Die Antwort muss negativ ausgefallen sein. Denn die letzte Tagebucheintragung Kleppers an diesem Tag lautet: “Nachmittags die Verhandlung auf dem Sicherheitsdienst. Wir sterben nun - ach, auch das steht bei Gott. Wir gehen heute Nacht gemeinsam in den Tod. Über uns steht in den letzten Stunden das Bild des segnenden Christus, der uns trägt. In dessen Anblick endet unser Leben."
Othmar Göhring