Die Makkabäer im Judentum

Die Beziehung des Judentums zum Sport ist eine Liebe auf den zweiten Blick. In der griechisch-römischen Zeit waren sportliche Wettkämpfe Ausdruck der hellenistischen Kultur, die als Götzendienst bekämpft wurde.

Der Kampf der Makkabäer gegen die griechische Fremdherrschaft war zugleich ein innerjüdischer Bürgerkrieg: Gegen die religiöskulturelle Anpassung der hellenistischen Oberschicht wurden Rechtgläubigkeit und nationale Selbstbehauptung betont. Der Widerstand richtete sich somit auch gegen ein muskelverherrlichendes Körperideal. „Nicht des Rosses Stärke begehrt er, noch hat er Gefallen an den Schenkeln des Mannes“ (Ps 147, 10) meinte der Psalmist von Gott zu wissen. Es war also nicht gerade naheliegend, dass die Makkabäer namengebend für einen jüdischen Sportverein wurden.

Keine Abneigung gegen Sport

Allerdings war nicht Abneigung gegen Sport der Grund dafür, dass die Makkabäer in der rabbinischen Tradition wenig Beachtung fanden. Obwohl der Aufstand 167–164 v.d.Z. siegreich war, der Tempel wiedereingeweiht und nach langen Kämpfen die nationale Selbstbestimmung hergestellt werden konnte, fanden die Makkabäerbücher, die davon Kunde geben, keine Aufnahme in den biblischen Kanon. In der rabbinischen Literatur wurden die Makkabäer nahezu beschwiegen. Die Rabbiner nahmen Anstoß an der von den Makkabäern etablierten Dynastie der Hasmonäer. Diese führte Königtum und Priestertum in Personalunion zusammen, obwohl sie weder aus dem davidischen Königsgeschlecht stammten noch ihre priesterliche Herkunft auf die aaronitische Sukzession stützen konnten. Auch war die Herrschaft der Hasmonäer bald von Korruption, Machtmissbrauch und inneren Streitigkeiten geprägt, zu deren Schlichtung sie die Römer anriefen. Die ursprünglich im Kampf errungene nationale Souveränität wurde dadurch wieder aufgegeben – und letztlich der römischen Besatzung und der Tempel - zerstörung im Jahr 70 der Weg bereitet.

Schlechte Presse

Ein weiterer Grund für die „schlechte Presse“ der Makkabäer in der rabbinischen Literatur war das Trauma der Zerstörung von Stadt und Heiligtum Jerusalems 70 n.d.Z. und die Niederschlagung des Bar- Kochba-Aufstands 132–135 n.d.Z. Eine nationale und religiöse Katastrophe zugleich: Hunderttausende wurden von den Römern ermordet, tausende Frauen und Kinder in die Gefangenschaft verschleppt, die Ortschaften im Land Israel dem Erdboden gleichgemacht, Jerusalem zur „Aelia Capitolina“ erklärt und das Tempelareal mit einem römischen Heiligtum bebaut, das jüdische Siedlungsgebiet auf Dörfer in Galiläa und rund um den See Genezareth beschränkt. Jegliche Hoffnungen auf eine baldige Wiederherstellung des Heiligtums und Rückkehr aus dem Exil waren damit zunichte gemacht, mühsam widmete man sich dem geistigen Wiederaufbau durch Bewahrung der Überlieferung, Studium der Torah und Aufbau religiöser Institutionen anstelle des Tempeldienstes und nationaler Souveränität. Deshalb waren die Rabbiner sehr zurückhaltend mit der Würdigung des Sieges der Makkabäer über die Griechen – zu welchem Unheil es führt, wenn religiöser Eifer militärisch durchgesetzt werden soll, hatte man ja gesehen. So wurde Chanukka das einzige Fest, dem trotz seiner Erfolgsgeschichte kein eigener Traktat im Talmud gewidmet ist. Und bei der nahezu flüchtigen Erörterung des Feiertags im Traktat Schabbat wurde das Wunder des Ölkrügleins in den Vordergrund gestellt (von dem in den Makkabäerbüchern noch keine Rede war!). Bis heute lesen wir zu Chanukka die Haftarah, die in dem Vers gipfelt: „Nicht durch Macht und nicht durch Kraft, sondern durch meinen Geist, sagt der Ewige der Heerscharen“ (Sach 4, 6).

Sehnsucht nach Heldentum

Aber Juden und Jüdinnen hielten sich nicht immer an das, was die Rabbiner sagten. Parallel zum Verschweigen der Makkabäer im Talmud entstand die aramäische „Antiochus-Rolle“, ein Midrasch, der manche Schilderungen der Chanukkageschichte legendenhaft ausschmückt. Die Makkabäerbücher waren ja nur auf Griechisch, also vornehmlich in außerjüdischem Kontext überliefert worden. Die so entstandene Leerstelle füllte dieser Traktat, der auch schnell an Popularität gewann, weil er der Sehnsucht des geschundenen Volkes nach Heldentum, Widerstand und Überwindung der Unterdrückung Ausdruck gab. In manchen Gemeinden Italiens und Jemens wurde die „Megillat Antiochus“ als Festtagslesung zu Chanukka vorgetragen. Dieser außerkanonische Text hielt somit auch über Jahrhunderte die Makkabäergeschichte lebendig.

Doch in der Art und Weise, wie wir heute Chanukka feiern, haben sich beide Traditionslinien wieder miteinander verflochten. Denn angesichts des im 19. Jahrhunderts aufflammenden Antisemitismus und der Vergeblichkeit jüdischer Assimilierungsversuche bildete sich ein neues jüdisches Nationalbewusstsein heraus. Das eigene Jüdisch-Sein sollte nicht mehr verschämt versteckt werden, darum belebte die zionistische Bewegung die Erinnerung an die Makkabäer als stolzes Vorbild. Chanukka gewann als Fest der nationalen Selbstbestimmung wieder an Bedeutung: Der heldenhafte Kampf der Makkabäer wurde in den Mittelpunkt gerückt, mitunter durchaus als Gegensatz zu den Wundererzählungen vom Ölkrüglein. Das bekannte Chanukkalied „Anu noss’im lapidim“ (Wir tragen Fackeln) hebt hervor:
„Uns ist kein Wunder geschehen,
wir haben keinen Ölkrug gefunden.
Bis auf’s Blut haben wir den Felsen behauen
– und es ward Licht!“

In der Art, wie wir heute Chanukka feiern, finden alle Stränge zusammen: Hinwendung zu Gott und die Anerkennung menschlicher Verletzlichkeit (gerade in den dunkelsten Tagen des Jahres) wie auch die Betonung von aktivem Handeln. Jede und jeder von uns verortet sich selbst zwischen den Polen von nationaler und von religiöser Identität.

Jüdische Identität und Selbstbehauptung

Die Gründung jüdischer Sportvereine unter dem programmatischen Namen Makkabi (Der Makkabäer) und Hakoach (Die Kraft) machten der jüdischen wie auch der Umgebungsgesellschaft klar, dass sich Juden nicht als „Schwächlinge“ diffamieren lassen, sondern selbstbewusst ihren Platz und ihre Rechte einfordern. Es geht um aktive Gestaltung unseres Lebens, um Handeln und um Selbstbestimmung. Jüdische Sportvereine und die Makkabiade sind heute feste Bestandteile der jüdischen Gemeinschaft. So sind Lehrhaus und Sportplatz, die ursprünglich für konträre Lebensweisen zu stehen schienen, einander ergänzende Foren jüdischer Identität und Selbstbehauptung geworden.

Und obwohl Chanukka das Fest der kulturellen Bewahrung des Judentums ist, muss es nicht mit Scheuklappen vor den Augen oder gar mit Unvereinbarkeitsanspruch gefeiert werden. Wer eine gefestigte Identität hat, kann auch anderen Führung und Heimat anbieten. Die Makkabäer, einst Symbol nationalen und religiösen Eifers, sind heute ein Rollenvorbild für Selbstbewusstsein, Offenheit und interkulturelle Integration. Darum ist es kein Wunder, dass die Makkabi-Vereine Sportlerinnen und Sportlern unterschiedlicher Herkünfte, ob jüdisch oder nicht, eine Heimat sind.


Auszug aus dem Themenheft 2022 des Deutschen Koordinierungsrates:

FAIR PLAY - JEDER MENSCH ZÄHLT

Das "Themenheft 2022" des Deutschen Koordinierungsrates der Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit(DKR) ist wie stets dem aktuellen Jahresthema der Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit gewidmet, das in diesem Jahr lautet: "Fair Play - Jeder Mensch zählt".

Das neue Themenheft des DKR enthält viele lesenswerte und reich bebilderte Beiträge, die sich mit den verschiedenen Aspekten des Jahresthemas auseinandersetzen. Ebenso enthält est wie üblich Informationen über die Preisträger der Buber-Rosenzweig-Medaille 2022.

Das 66 Seiten umfassende Themenheft kann für Euro 5,- im Shop auf der Homepage des DKR erworben werden:

* Themenheft 2022 Inhalt + Editorial (pdf)
* Themenheft 2022 bestellen (Link zum DKR-Shop)

Editorische Anmerkungen

*Rabbinerin Dr. Ulrike Offenberg stammt aus Berlin, ist Historikerin, Judaistin und Übersetzerin. Seit dem Abschluss ihres Rabbinatsstudiums am Hebrew Union College in Jerusalem 2016 ist sie Rabbinerin der Jüdischen Gemeinde Hameln. Sie unterrichtet in verschiedenen akademischen, jüdischen und interreligiösen Kontexten und engagiert sich im jüdisch-feministischen Netzwerk Bet Debora sowie bei den „Women of the Wall“ in Jerusalem.

Quelle: Themenheft 2022: "Fair Play - Jeder Mensch zählt", hrsg. Deutscher Koordinierungsrat, Bad Nauheim 2022.