Die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Kassel trauert um Frau Prof. Dr. Dr. h.c. Luise Schottroff.

Frau Prof. Schottroff ist am 8.2.2015 nach langer schwerer Krankheit im Hospiz in Kassel gestorben. Sie war 80 Jahre alt.

Luise Schottroff wurde 1934 in Berlin geboren. Sie stammte aus einer Familie, die sich in der Bekennenden Kirche gegen den Nationalsozialismus gestellt hatte. Geprägt von Erlebnissen in ihrer Kindheit und Jugend während der NS-Zeit verband sie ihre tiefe, von biblischer Tradition getragene Frömmigkeit, stets mit politischem Engagement.

Sitzblockaden im Hunsrück vor den dort stationierten amerikanischen Raketen in den 1980er Jahren gehören ebenso zu ihrer Biographie wie Bibelarbeiten mit Dorothee Sölle auf den Kirchentagen und eine Vielzahl wissenschaftlicher Veröffentlichungen.

Stets waren ihre Stellungnahmen und ihre Sprache klar.

Grundlegend für ihre unermüdliche Arbeit an biblischen Texten wurden drei Voraussetzungen, für deren Anerkennung und Umsetzung sie sich – oft gegen Widerstände – maßgeblich einsetzte: eine sozialgeschichtliche, eine feministisch-befreiungstheologische und eine dem christlich-jüdischen Dialog verpflichtete Sicht. Es sind zugleich die wesentlichen Perspektiven der Bibel in gerechter Sprache, zu deren Mitherausgeberinnen sie gehört und in der sie das Matthäusevangelium übersetzt hat.

Nur unter Berücksichtigung des konkreten sozialen Kontexts – so ihre Überzeugung – kann die Bibel angemessen übersetzt, interpretiert und für heutige Fragen gedeutet werden.

Gleichberechtigt daneben steht ihr Engagement für die Sichtbarmachung der Frauen in einer patriarchal ausgerichteten Welt und in der biblischen Geschichte im Sinne einer feministisch-befreiungstheologischen Erneuerung der Theologie.

Vieles, was Luise Schottroff in den Jahrzehnten ihres wissenschaftlichen, kirchlichen und gesellschaftlichen Lehrens, Schreibens und Wirkens entwickelt hat, fand in dem 2013 erschienenen Kommentar zum ersten Brief des Paulus an die Gemeinde in Korinth seinen Niederschlag. Darin zeigt sie, dass das Schreiben des Paulus an die korinthische Gemeinde an konkrete Menschen gerichtet ist, zu denen nicht viele Weise, Mächtige und durch Geburt Privilegierte gehörten, sondern Ungebildete, von Geburt Benachteiligte, Verachtete, die «Nichtse» der römischen Gesellschaft. Sozialgeschichte – das heißt für sie, sich um die Fragen von Ökonomie, von Gewalt und Kindersterblichkeit zu kümmern. Sozialgeschichte dürfe sich jedoch nicht allein auf historische Rekonstruktion der realen Lebensverhältnisse beschränken, aber nur in diesem Kontext sei Theologie überhaupt verstehbar. Sozialgeschichte und Theologie gehören für sie unauflösbar zusammen. Nur in ihrer Verbindung werde daraus das, was sie „Befreiungstheologie im Kontext der «ersten» Welt“ genannt hat.

Weiter war ihre Arbeit grundlegend beeinflusst vom christlich-jüdischen Dialog.

So beginnt ihr Kommentar zum 1. Korintherbrief mit dem klaren Satz: „Paulus ist als Jude geboren, hat jüdisch gelebt und gearbeitet bis zu seinem Tod.“

Dass Jesus und Paulus Juden waren, ist eine nicht zu leugnende Tatsache. Aber es gibt eine fatale und Jahrhunderte alte antijüdische Tradition, sie so zu verstehen, als wären sie zugleich oder überhaupt nur die ersten Christen gewesen. Ihr wissenschaftliches Leben hindurch hat Luise Schottroff daran gearbeitet aufzudecken, was es für christliche Theologien heute bedeutet, das Neue Testament als jüdische Schrift des ersten Jahrhunderts zu lesen. In ihrem Buch über die Gleichnisse Jesu, das 2005 erschienen ist, werden die Gleichnisse konsequent von ihrem jüdischen Hintergrund her gelesen. Die Beschäftigung mit rabbinischen Gleichnissen hat dabei wesentlich dazu beigetragen, die vorherrschende allegorische Deutung in christlicher Auslegung und Predigt in Frage zu stellen.

Zu den beiden genannten Veröffentlichungen hat Frau Prof. Schottroff beeindruckende Veranstaltungsabende der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit gestaltet.

Ihr Wirken war wesentlich für unsere Arbeit. Wir denken an sie in Dankbarkeit und Trauer.