Das 23. Internationale Katholisch-Jüdische Liaison Komitee Treffen

Das 23. Treffen des Internationalen Katholisch-Jüdischen Liaison Komitees (ILC) fand vom 4.-7. April 2016 in Warschau statt. Das ILC ist eine Einrichtung, die 1971 geschaffen wurde und die offiziellen Beziehungen zwischen dem Heiligen Stuhl und der weltweiten jüdischen Gemeinschaft formell etabliert hat.

Das ILC ist das Forum für den kontinuierlichen Dialog zwischen der Päpstlichen Kommission für die religiösen Beziehungen zum Judentum und dem Internationalen Jüdischen Komitee für interreligiöse Konsultationen (IJCIC). Jüdische und katholische Vertreter aus fünf Kontinenten nahmen an diesem Treffen teil. Kardinal Kurt Koch, der Präsident der Päpstlichen Kommission für die religiösen Beziehungen zum Judentum, und Martin Budd, Esq., Vorsitzender des IJCIC, leiteten gemeinsam das Treffen.

Dieses Treffen fand zu einem historisch bedeutsamen Zeitpunkt statt. Das ILC ging unmittelbar aus dem Zweiten Vatikanischen Konzil und seiner grundlegend transformierenden Erklärung Nostra Aetate hervor, dessen 50jähriges Jubiläum weltweit begangen und gefeiert worden ist. Zur selben Zeit werden Herausforderungen hinsichtlich interreligiöser und interkultureller Beziehungen von vielen Millionen Menschen weltweit wahrgenommen – Katholiken und Juden nicht ausgenommen.

Polen war ein geeigneter Ort für dieses Treffen. Es war ein Ort für einige der wichtigsten und produktivsten Entwicklungen in der katholischen wie auch der jüdischen Kultur und ihres Selbstverständnisses, und genauso, im 20. Jahrhundert, die Szene für einige der abscheulichsten Ereignisse in der Weltgeschichte. Die Teilnehmer der Konferenz und die Institutionen, die sie repräsentieren, sind sich der dynamischen Spannungen, die diese beiden Extreme darstellen, und der edlen Herausforderung voll bewusst, die damit verbunden sind, gegenwärtige Übereinkünfte zu entwickeln, die auf den Lehren der Geschichte basieren. Die Teilnehmer sind sich nicht weniger dessen bewusst, wie gegenwärtige politische Dynamiken einen direkten Einfluss auf das menschliche und gesellschaftliche Wohl von Katholiken und Juden in Polen und überall in der Welt haben.

Das Treffen wurde mit einem öffentlichen Akt begonnen, an dem führende Persönlichkeiten beider Gemeinschaften, aus Gesellschaft und Politik, aus Warschau und ganz Polen sowie Vertreter des Vatikans, der polnischen Kirche und des Staates Israel teilnahmen.

Die gemeinsamen Vorsitzenden des ILC Treffens, Kardinal Kurt Koch und Martin Budd, hielten beide Reden, in denen sie sowohl den historischen Kontext als auch die aktuell entstandenen Herausforderungen benannten. Kardinal Koch betonte, dass über die Jahre hinweg eines der wichtigsten Ergebnisse dieser Treffen die Entwicklung einer wirklichen Freundschaft zwischen den Teilnehmern und eines echten Empfindens von Partnerschaft zwischen den Gemeinschaften ist, die sie repräsentieren. Martin Budd stellte die symbolische Bedeutung des Ortes dieses Treffens, Warschau, mit seiner bedeutungsschweren Geschichte heraus, und betonte gleichzeitig, im Nachklang zum 50. Jubiläum von Nostra Aetate, die moralische Herausforderung für religiöse Menschen in dieser Zeit. Der Abend wurde gekrönt durch eine Präsentation der Botschafterin Israels in Polen. Für YadVashem wurden seitens der Botschafterin drei polnische Katholiken nach ihrem Tod als „Gerechte unter den Völkern” anerkannt, die jüdisches Leben während der Schoa gerettet hatten und damit die edelste Verwirklichung der katholisch-jüdischen Beziehungen verkörpern.

Das Thema des alle zwei Jahre stattfindenden Dialogforums war: „Der ‘Andere’ in jüdischer und katholischer Tradition: Flüchtlinge in der Welt von heute.”Um eine religiöse und akademische Grundlage für die folgenden Diskussionen zu schaffen, begannen die Sitzungen mit tiefgreifenden Analysen, wie die jüdischen und katholische Traditionen und Quellen den „Anderen“ sehen. Entsprechend der akademischen Qualität der Vorträge, erkannte jeder Redner die innere dialektische Spannung zwischen der Partikularität und der Universalität in jeder Tradition an und betonte die Bedeutung sowie die moralische Richtigkeit der Akzeptanz des „Anderen“ als eines wesentlichen Bestandteils für das Selbstverständnis der jeweiligen Tradition. Die Vorträge und die folgenden Diskussionen machten klar, dass uns die jeweiligen Heiligen Schriften einen Rahmen zur Verfügung stellen, um dringende soziale Fragen wie die aktuelle Flüchtlingskrise anzugehen. In Reaktion auf die religiösen Gebote für Christen wie Juden beurteilte die Konferenz die gegenwärtige Flüchtlingskrise, die einen großen Teil von Europa überzieht, indem sie die Spannungen zwischen der Verpflichtung auf die Liebe zum Fremden sowie auf seine Würde als Schöpfung nach dem Bild Gottes und den Sorgen um Sicherheit sowie Angst vor Veränderungen anerkannte.

Obwohl in den letzten fünfzig Jahren überwiegend eine beispiellose Offenheit zwischen unseren beiden Gemeinschaften an vielen Orten, nicht zuletzt auf der internationalen Ebene, festzustellen war, war in den letzten Jahren eine Zunahmen problematischer Entwicklungen zu beobachten, die beide betreffen. Nachdem deutlich gemacht wurde, wie unsere jeweiligen Traditionen uns dazu ermutigen, dem Anderen zu helfen, konzentrierten wir uns darauf, wie unsere beiden Gemeinschaften sich nun selbst in ihrer Position wiederfinden, der „Andere“ zu sein. Antisemitismus sowohl im Sprechen wie im Handeln ist in Europa und andernorts erneut zum Vorschein gekommen, und die Verfolgung von Christen, insbesondere in vielen Gebieten des Mittleren Ostens und in Teilen von Afrika, hat ein Niveau erreicht, das man seit langer Zeit nicht mehr erlebt hat.

Die Teilnehmer der Konferenz betonten, dass Antisemitismus wirklich stattfindet und viele Formen annimmt. Das stellt eine Gefahr nicht nur für Juden, sondern genauso für die Ideale der Demokratie dar. Verbesserte und neu belebte Bildungsprogramme sind erforderlich, um Antisemitismus zu bekämpfen.

Die Teilnehmer der Konferenz hielten fest, dass die Verfolgung von Christen in jedem Jahr zwischen den Jahren 2012 und 2015 zugenommen hat. Sie sehen die Verpflichtung, weltweit das Bewusstsein für dieses Problem zu stärken, und erkennen die moralische Verpflichtung an, den Stimmlosen eine Stimme zu geben.

In Anerkennung der unumstrittenen geschichtlichen Bedeutung der Schoa, besuchten die Teilnehmer der Konferenz das Todeslager von Treblinka. In einer gemeinsamen Gedächtnisfeier bestätigten die Delegationsleiter die gemeinsame Verpflichtung, dass diese Tragödie niemals vergessen werden darf und es der Welt niemals wieder gestattet sein darf, eine solche Verneinung der Menschlichkeit oder der Würde irgendeines menschlichen Wesens unabhängig von Rasse, Religion oder Volkszugehörigkeit zuzulassen.

Die Besuche bei einer katholischen Sozialdienststelle und des POLIN Museums der Geschichte der polnischen Juden unterstrich die kritische Rolle der jüdischen und der katholischen Gemeinschaft im gegenwärtigen Leben Polens. Die Konferenz würdigte die Erfahrung ihrer polnischen Teilnehmer beim Übergang vom Kommunismus mit seinen Repressionen zur Freiheit beim Studium und beim Ausdruck des religiösen Glaubens in einer neuen Gesellschaft.

In Wahrung der Bedeutung des ILC, die es seit seiner Einrichtung vor 45 Jahren hat, bekräftigten seine Vertreter den anhaltenden Einsatz für einen offenen und konstruktiven Dialog als ein Modell interreligiöser und interkultureller Verständigung in dieser Welt – ganz besonders mit religiösen Führern der muslimischen Gemeinschaft. Ebenso bekräftigten sie die Verpflichtung zur Zusammenarbeit, wo auch immer es gilt, neu auftretende Bedürfnisse ihrer Gemeinschaften anzusprechen und ihre transzendente Botschaft an eine Welt zu übermitteln, die so sehr authentischer und fürsorgender Zusage bedarf, wie sie diese beiden religiösen Traditionen vertreten.

Editorische Anmerkungen

Quelle: Vatikan.