Christlich-jüdische Initiativen aus Mitteleuropa trafen einander in Eisenstadt

Auf Einladung des Koordinierungsausschusses für christlich-jüdische Zusammenarbeit trafen einander vom 13. bis 15. Juli zwanzig Personen im Eisenstädter "Haus der Begegnung"

Christlich-jüdische Initiativen aus Mitteleuropa trafen einander in Eisenstadt

Koordinierungsausschuss für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit

Ein starker Anfang

Auf Einladung des Koordinierungsausschusses für christlich-jüdische Zusammenarbeit trafen einander vom 13. bis 15. Juli zwanzig Personen im Eisenstädter "Haus der Begegnung": Vertreterinnen und Vertreter christlich-jüdischer Dialoginitiativen aus dem mitteleuropäischen Raum. Lucia Faltin, internationale Programmdirektorin des Centre for the Study of Jewish-Christian Relations, Cambridge, und Professor Stefan Schreiner als Vorstandsmitglied des Internationalen Rats der Christen und Juden nahmen als Beobachter an der Konferenz teil. Die Begegnung - die erste nach dem Fall des Eisernen Vorhangs - wurde ermöglicht durch großzügige Förderungen der Erste Bank, des Bundesministeriums für auswärtige Angelegenheiten und durch die Burgenländische Landesregierung.

Polen

Der polnische Rat der Christen und Juden besteht seit 1991. Über seine Arbeit berichtete der in Warschau und Stettin lehrende Professor für biblische und ökumenische Theologie, Michal Czajkowsky. Er ist in der nationalen Vorbereitungsarbeit zum "17. Januar - Tag des Judentums" involviert und organisiert ein jährliches Gebetstreffen auf den Spuren der Warschauer Getto-Denkmäler. Jedes Jahr zum Fest Simchat Tora, dem jüdischen Fest der Torafreude, wird zu einem christlich-jüdischen Gebet in eine Kirche geladen. Daneben werden ein Preis für Versöhnung an verdiente Persönlichkeiten im christlich-jüdischen Dialog verliehen und Publikationen herausgegeben, die sich vor allem an Katechetinnen und Katecheten richten. Der Rat der Christen und Juden ist ökumenisch getragen, seine Mitglieder setzen sich in ihrem eigenen Umfeld in den Kirchengemeinden, Universitäten und Schulen für christlich-jüdische Verständigung ein. Der Rat der Christen und Juden stellt sich der Frage des Antisemitismus, der nicht nur auf die nationalsozialistische Besatzungszeit reduziert werden kann: ?Unsere Aktivitäten sind notwendig, ja vorrangig notwendig, um unsere Landsleute daran zu erinnern, dass die ganze Schuld nicht nur von Deutschen oder Österreichern getragen wird?, betont Professor Czajkowsky.

Tschechien

Engagierte aus verschiedenen Regionen der tschechischen Republik hatten bei der Tagung die Gelegenheit, einander erstmals zu begegnen und Initiativen im eigenen Land aufeinander abzustimmen. Jaroslav Klenovsky ist Architekt der kleinen Israelitischen Kultusgemeinde Brünn. Seine Aufgabe besteht zunächst zwar in der Renovierung und Erhaltung von 11 Synagogen und etwa 50 Friedhöfen in Böhmen und Mähren, doch ist dies durch seine Führungen und Vermittlungstätigkeit auch ein Beitrag zum christlich-jüdischen Dialog. Immer wieder sind es Gruppen aus Österreich, die er betreut und die durch diese konkrete Begegnung einen Einblick in die vielfältige jüdische Geschichte in diesem Raum erhalten.

Hildegonda Rijksenova ist reformierte Pfarrerin und leitet ein ökumenisches Dialog- und Begegnungszentrum in Olmütz. Einen Großteil ihrer Zeit verbringt sie in Begleitung der Anne-Frank-Ausstellung, die durch die Anne-Frank-Stiftung und die Regierung der Niederlande gestiftet wurde. Dazu ist sie jeweils über mehrere Wochen am Ausstellungsort und bietet für Schulklassen begleitende Intensivseminare zu Themen des Nationalsozialismus und zur christlich-jüdischen Verständigung an. In der Vorbereitung der Ausstellung und bei der Vernissage ist es ihr wichtig, möglichst viele Vertreterinnen und Vertreter des öffentlichen Lebens der Stadt und der religiösen Gemeinschaften darin einzubinden. Fast ohne Budget erreicht Rijksenova auf diese Art viele junge Menschen, allein getragen durch ihren persönlichen unermüdlichen profetischen Einsatz.

Die christlich-jüdische Gesellschaft Prag wurde von ihrem Vorsitzenden Robert Rehak, Universitätslektor für biblische Sprachen, vorgestellt. 1991 gegründet sieht sie ihre Aufgabe darin, die christliche Verantwortung für die Tragödie der Schoa aufzuarbeiten, was vor dem Fall des Kommunismus nicht möglich gewesen ist. Neben wechselseitiger Unterstützung in praktischen Fragen ist das Ziel auch, einander aus den Quellen des Glaubens zu stärken, inmitten einer Welt, die von Religionslosigkeit und Individualismus geprägt ist. Die christlich-jüdische Gesellschaft sieht es darüber hinaus als ihre Aufgabe an, die Verbreitung von Vorurteilen, Abwertung und Diskriminierung gegenüber jedweder Personengruppe einzuschränken. Vorträge, Tagungen, kulturelle Veranstaltungen, sowie die Herausgabe einer Zeitschrift sind die Mittel, um dies zu erreichen. Stanislav Tumis, Generalsekretär der Gesellschaft, stellte ein konkretes Projekt vor, das sich in der Planungsphase befindet: die Ausgrabung eines durch die Nationalsozialsten verschütteten jüdischen Friedhofs.

Slowakei

Die christlich-jüdische Gesellschaft der Slowakei, 1993 in Pressburg nach der Trennung von Tschechien gegründet, bemüht sich, ein Denkmal für Raoul Wallenberg zu errichten, dem Retter der ungarischen Juden, berichtete die Juristin Stefania Salisova. Nach mehrjähriger Standortsuche konnte nun ein passender Aufstellungsort auf dem Weg vom Stadtzentrum zur Burg gefunden werden. Es soll Brennpunkt weiterer Initiativen gegen Rassismus und religiöse Intoleranz werden.

Ungarn

Im Unterschied zu allen anderen beteiligten Ländern, lebt in Ungarn auch heute noch eine starke und große jüdische Gemeinschaft. Die jüdische Universität in Budapest ermöglicht es, hoch qualifizierte Gesprächsparterinnen und -partner von jüdischer Seite zu finden, berichteten die evangelische Professorin für Altes Testament, Jutta Hausmann, und der katholische Dozent für biblische Sprachen, Jozsef Szecsi. Szecsi gründete die christlich-jüdische Gesellschaft in Ungarn im Jahr 1992. Sie umfasst sowohl auf christlicher als auch auf jüdischer Seite ein breites Spektrum von Strömungen innerhalb der jeweiligen Bekenntnisse. Die Bildungsarbeit in Budapest und auch außerhalb geht stark von biblischen Themen aus, in der Hauptstadt selbst spielt auch der Dialog mit dem Islam eine stärker werdende Rolle. Geplant ist, einen dreisemestrigen universitären Lehrgang zu interreligiösen Beziehungen anzubieten. Daneben wird ein wissenschaftliches Jahrbuch zu christlich-jüdischen Themen publiziert.

Vergleich

Im Vergleich zur österreichschen Situation fällt auf, dass die Schwester-Initiativen alle bedeutend jünger sind, erst nach dem Fall des Eisernen Vorhangs entstanden. Doch wie in Österreich ab 1956 rund um das Büro von Professor Schubert, so bestehen auch die meisten Initiativen in den Nachbarländern im Umkreis universitärer Einrichtungen. Die Initiative der Sionsschwestern, in Österreich das Informationszentrum im Dienst der christlich-jüdischen Verständigung zu gründen, kann als Glücksfall gewertet werden. So wurde der Weg zur eigenständigen Bildungseinrichtung gelegt. Auch erst seit wenigen Jahren hat der Koordinierungsausschuss professionelles und systematisches Fundraising für seine Aktivitäten aufgebaut. Durch das Büro und eine kleine Stamm-Belegschaft können in Österreich heute kontinuierlich Initiativen gesetzt werden, als dies andernorts allein auf ehrenamtlicher Basis möglich wäre.

Alle Beteiligten können auf eine Zusammenarbeit mit befreundeten Organisationen in ihrer Stadt bzw. in ihrem Land bauen. Der Kontakt mit den Kirchen scheint in Polen, Österreich und Ungarn am engsten zu sein, wobei es immer wieder auf die jeweilige Kontaktperson, den Bischof, ankommt, wie tief greifend die christlich-jüdische Erneuerung in der jeweiligen Kirche angenommen wird. Diese Zusammenarbeit drückt sich meist auch in finanzieller Förderung von Seiten der Kirchen für die christlich-jüdischen Gesellschaften aus.

Zukunft

Es war ein starker Beginn und der Wille war groß, in Zukunft gemeinsame Projekte zu verfolgen. Relativ einfach scheint ein Austausch von Publikationen und wissenschaftlichen Beiträgen zu sein. Wie in Wien, so werden auch in Prag und Budapest regelmäßig Schriften zum christlich-jüdischen Dialog heraus gegeben. Die nötige Übersetzungsleistung vorausgesetzt, könnten Artikel in allen drei ändern veröffentlicht werden.

Bei der gemeinsamen Exkursion ins Jüdische Museum Eisenstadt und bei historischen Reflexionen zeigte sich, dass die Geschichte z.B. der jüdischen Gemeinde Eisenstadt nicht ohne die von Nikolsburg geschrieben werden kann, jene von Ödenburg nicht ohne die von Wiener Neustadt oder Pressburg. Gerade die Beschäftigung mit jüdischer Geschichte und die Erinnerung an dieses reiche kulturelle und religiöse Erbe kann im mitteleuropäischen Raum nicht an nationalen Grenzen Halt machen. So kann gerade die Auseinandersetzung mit dem vergangenen und lebendigen Judentum in diesem Raum ein Beitrag sein, eine Region wieder zusammen wachsen zu lassen und kulturelle Verbindungen her zu stellen, wie sie schon einmal Bestand hatten, ehe sie gezwungen auseinander gerissen wurden.

Denkmäler - Synagogen, Friedhöfe, jüdische Stadtviertel, aber auch Kirchen, die in Auseinandersetzung mit dem Judentum stehen -, Überreste dieser reichen Geschichte können Anknüpfungspunke für eine tiefere Beschäftigung mit dem Judentum sein. Als Lern- und Begegnungsorte müssen sie gemeinsam erfasst und als solche aufbereitet werden. Diese Zusammenschau, gemeinsame Vertiefung und Vermittlung könnte der Inhalt eines längerfristigen länderübergreifenden Projekts sein. Die Frage ist, wie die nötigen Ressourcen aufgebracht werden können, diese Vorhaben zunächst auch zu planen. Angesprochen wurde auch die Möglichkeit einer internationalen christlich-jüdischen Sommerwoche oder Sommeruniversität in diesem Raum. Brennpunkte für weitere Begegnungen können jedenfalls die internationale Tagung im Oktober 2005 zum 40-jährigen Jubiläum der Konzilserklärung Nostra Aetate im Kardinal König Haus in Wien sein, sowie die Jahreskonferenz 2006 des Internationalen Rats der Christen und Juden, die in Wien stattfinden wird. Bereits im Herbst 2004 sind einzelne Vertreterinnen und Vertreter aus den Nachbarländern ins Jüdische Institut für Erwachsenenbildung nach Wien geladen. Dort werden sie im Rahmen der Vortragsreihe "Krchen und Judentum" über christlich-jüdische Aktivitäten in ihrem Land berichten.

Markus Himmelbauer

12.07.2004