Bahnbrechende Erklärung orthodoxer Rabbiner zum Christentum

Eine Gruppe führender orthodoxer Rabbiner hat am 3. Dezember 2015 eine bahnbrechende Erklärung zum gegenseitigen Verhältnis von Christentum und Judentum veröffentlicht, in der eine enge Partnerschaft mit mit Christen befürwortet, ein besseres gegenseitiges Verständnis gewünscht und zu einer gemeinsamen Arbeit für eine Verbesserung der Welt angestrebt wird.

Die Erklärung, die von orthodoxen Rabbinern aus Israel, den USA und Europa verfasst wurde, trägt den Titel "To Do the Will of Our Father in Heaven: Toward a Partnership between Jews and Christians" ("Den Willen unseres Vaters im Himmel tun: Hin zu einer Partnerschaft zwischen Juden und Christen").

Die Erklärung will nicht nur eine Antwort anlässlich des 50-Jahre-Jubiläums der Konzilserklärung Nostra Aetate und der damit einhergegangenen fundamentalen Verbesserung der Beziehung zwischen Christen und Juden sein, sondern dokumentiert auch eine klare Absage zu den anti-christlichen Vorfällen in jüngster Zeit in Israel.

Bei der Erklärung handelt es sich um einen Quantensprung, speziell wenn man bedenkt, dass sie von orthodox-jüdischer Seite kommt. Bisher haben sich eher nichtorthodoxe Rabbiner im Dialog engagiert und geäußert, wie beispielsweise mit der Erklärung “Dabru Emet” (September 2000), die kaum von orthodoxer Seite unterstützt wurde, aber viel Kritik erntete. Die jetzige Erklärung geht in mancherlei Hinsicht sogar noch weiter als “Dabru Emet”, etwa wenn theologisch begründet festgestellt wird, dass das Christentum „kein Unfall und kein Zufall“ war, sondern von Gott so gewünscht.

Auch teilen die unterzeichnenden Rabbiner nicht die Ansicht, dass das Christentum "Avoda Sara" (hebr. „Fremder Kult“) ist, sondern betonen hingegen, dass Jesus und mithin das Christentum dazu beigetragen habe, den Glauben an den Gott Israels zu verbreiten und Götzendienst zu überwinden.

Die Rabbiner fordern in ihrer Erklärung eine echte Partnerschaft zwischen Christentum und Judentum auf Basis der vielen Gemeinsamkeiten, vor allem im ethisch-moralischen Bereich. Alleine könne weder Christentum noch Judentum die Herausforderungen unserer globalisierten und säkularisierten Welt bewältigen – dies sei nur gemeinsam zu bewerkstelligen. Der Düsseldorfer Rabbiner Jehoschua Ahrens, einer der Initiatoren der Erklärung, sagt dazu: „Damit verkennen wir nicht die vielen und klaren Unterschiede zwischen unseren Religionen, aber in beiden Glaubensgemeinschaften hat sich in den letzten Jahrzehnten enorm viel getan und in Hinblick auf den anderen zum Positiven verändert, was nun diese historisch einmalige Möglichkeit eröffnet. Ich glaube, dass beide Seiten erkannt haben, dass die Grenzen heute nicht mehr zwischen Christentum und Judentum verlaufen, sondern eher zwischen religiös und säkular, zwischen Individualismus ohne Grenzen und einem Zusammengehörigkeitsgefühl auf Grundlage klarer Werte.“

Für Ahrens ist die Erklärung ein Wendepunkt in der Beziehung zwischen Judentum und Christentum, aber „die Erklärung ist nur ein erster Schritt, und wir freuen uns auf die Konkretisierung der Partnerschaft in zukünftigen Schritten, die noch folgen müssen. Wir sind uns bewusst, dass dies für viele unserer Rabbiner-Kollegen neu ist, aber wir laden alle Rabbiner ein, diesen historischen Prozess mitzugestalten. Die Erklärung schließt also keine Diskussion ab, sondern eröffnet gerade eine solche Diskussion innerhalb des Judentums, speziell innerhalb der Orthodoxie.“

Die Erklärung kann in deutscher Übersetzung hier auf JCR gelesen werden.


Ebenfalls hier auf JCR ein Gespräch zwischen Oberkirchenrätin Barbara Rudolph, Rabbiner Ahrens und Dominikanerpater Elias H. Füllenbach.