Zur jüdischen Erklärung "Dabru Emet". Eine jüdische Stellungnahme zu Christen und Christentum

Heinz legt mit vorliegendem Beitrag eine umfangreiche Analyse und Bewertung von "Dabru Emet" vor. Insbesondere behandelt er die Präsentation sowie die christliche und jüdische Rezeption von Dabru Emet, ordnet sie in die christlich-jüdischen Beziehungen in den USA ein und zieht ein Fazit mit Blick die neuen Aufgaben des religiösen Dialogs und der theologischen Forschung.

Ertrag eines Forschungsaufenthalts in den USA

Zur jüdischen Erklärung „Dabru Emet“.

Eine jüdische Stellungnahme zu Christen und Christentum

Der 10. September 2000 ist ein wichtiges Datum im jüdisch-christlichen Dialog, obwohl er in der Öffentlichkeit bisher kaum wahrgenommen wurde. An diesem Tag, dem Vorabend des Jom Kippur, erschien ganzseitig in der New York Times Dabru Emet, ein Dokument, das eine neue Phase des jüdisch-christlichen Dialogs einleiten will. Mitveröffentlicht sind die Namen der vier Autoren und von 170 Mitunterzeichnern, unter ihnen auch einige aus Kanada, Großbritannien und Israel. Zugleich wurde der Text im Internet veröffentlicht.1Das Statement mit dem hebräischen Titel Dabru Emet, auf deutsch „Sprich Wahrheit“, wurde vom Institute for Christian and Jewish Studies in Baltimore als „Nationalprojekt jüdischer Gelehrter“ herausgegeben und gesponsert.

Dabru Emet ist eine jüdische Reaktion auf die positive Entwicklung, die das christlich-jüdische Verhältnis - trotz aller Rückschritte, die immer wieder zu beklagen sind - nach der Schoa genommen hat. Die jüdischen Verfasser fordern ihre Gemeinschaft auf, die Wahrheit zu sagen und ihre Furcht und ihr Misstrauen gegenüber dem Christentum aufzugeben. Die Anstrengungen der Kirchen zur Verbesserung ihres Verhältnisses zum jüdischen Volk und zum Judentum sollten endlich anerkannt werden. Das Dokument selbst löste für sich ein, was es von Anderen fordert. Wie kaum ein anderer jüdischer Text ist es ein Beweis für den unerhörten Wandel, der im Verhältnis von Juden und Christen stattgefunden hat.“2

Beeindruckt von dem Faktum, dass nach einer Fülle christlicher Stellungnahmen aus allen Kirchen über ein neues Verhältnis zu Juden und Judentum erstmals eine Gruppe jüdischer Gelehrter für ein neues Verhältnis zu Christen und Christentum plädierte, und beeindruckt von dem Gewicht der Argumente, reiste ich vom 28. Oktober bis 14. Dezember 2001 in die USA, um vor Ort Entstehung und Rezeption von Dabru Emet sowohl in jüdischen als auch in christlichen Kreisen zu erforschen. Darüber hinaus wollte ich die christlich-jüdischen Beziehungen in den USA, wo weit mehr Juden als in Israel wohnen, besser kennen lernen und Möglichkeiten einer wissenschaftlichen Kooperation sondieren, nicht zuletzt weil der christlich-jüdische Dialog in Deutschland ohne internationale Beziehungen keine Zukunft hat. Auf dem Hintergrund meiner Erfahrungen im Gesprächskreis „Juden und Christen“ beim Zentralkomitee der deutschen Katholiken, den ich seit 1974 leite,3 und meiner langjährigen Freundschaft und Zusammenarbeit mit jüdischen Kollegen aus den Staaten (vor allem mit Jakob J. Petuchowski und Michael Signer) interessierten mich Gemeinsamkeiten und Unterschiede im christlich-jüdischen Verhältnis beider Länder und Chancen wechselseitiger Bereicherung.

Die entscheidende Hilfe für mein Forschungsvorhaben verdanke ich Michael Signer, Professor of Jewish Thought and Culture an der University of Notre Dame/Indiana. An dieser katholischen Hochschule übt er seit zehn Jahren im Theological Department seine Lehrtätigkeit aus. Er ist der Initiator und einer der Autoren von Dabru Emet, ist seit seiner Ausbildungszeit bestens mit christlicher Theologie und der katholischen Kirche vertraut und als Pionier des christlich-jüdischen Dialogs in den USA, Israel, Deutschland und Polen bekannt. Er stellte mir seine Akten und seine Privatbibliothek zur Verfügung, vermittelte mir den Status eines Visiting Scholars in Notre Dame und öffnete mir vor allem die Türen zu seinen wichtigsten jüdischen und christlichen Gesprächspartnern in Chicago, New York, Boston, Baltimore, Washington DC und Los Angeles. Ihm verdanke ich auch die Beziehung zu John T. Pawlikowski, mit dem ich auf christlicher Seite am intensivsten ins Gespräch kam und in dessen Ordenskommunität ich zehn Tage zu Gast war. Er ist Professor für Ethik an der Catholic Theological Union in Chicago und gilt seit Jahren als der bekannteste christliche Experte im christlich-jüdischen Dialog im Land.4 Ferner boten mir meine Partner die Gelegenheit zu Vorträgen,5 luden mich ein zum Gespräch mit engagierten Gruppen6 und vor allem zu zwei wichtigen Konferenzen: am ersten Tag meines Aufenthalts zum ersten Treffen der Centers for Jewish-Christian Relations in New York und später zu einer Konferenz der Christian Scholars Group on Jews and Judaism in Baltimore, die an einer christlichen Antwort auf Dabru Emet arbeitet. So bot sich mir die einzigartige Chance, ausführlich und offen Insidergespräche mit herausragenden Experten zu führen und weit mehr zu erfahren, als ein einsamer Forscher aus dem Ausland in Bibliotheken und Archiven hätte entdecken können.

Im Folgenden will ich zunächst mein spezielles Projekt Dabru Emet präsentieren, sodann mein generelles Forschungsziel darstellen: die christlich-jüdischen Beziehungen in den USA im Vergleich zu den europäischen Verhältnissen untersuchen, und abschließend Prioritäten für die theologische Forschung des christlich-jüdischen Verhältnisses benennen.

1. Präsentation von Dabru Emet

Die Veröffentlichung von Dabru Emet am 10. September 2000 war überschattet von zwei römischen Ereignissen. Acht Tage zuvor hatte Johannes Paul II. zwei Vorgänger im Amt seliggesprochen: Johannes XXIII., einen Freund der Juden und Brückenbauer zwischen unseren Religionen, und Pius IX., der sich in Wort und Tat gegen die „Verjudung der Gesellschaft“ einsetzte und viele Brücken zu den Juden abbrach. Zwei Tage später stellte der Präfekt der Glaubenskongregation, Kardinal Joseph Ratzinger, die Erklärung „Dominus Iesus. Über die Einzigkeit und Heilsuniversalität Jesu Christi und der Kirche“, die bereits im Juni vom Papst bestätigt worden war, der Öffentlichkeit vor. Die Erklärung, die eine exklusive Heilsuniversalität des Erlösungswirkens Jesu Christi und der römisch-katholischen Kirche behauptet und deshalb anderen christlichen Kirchen den Titel „Kirche im eigentlichen Sinn“ abspricht, wurde auch als Desavouierung des Judentums als göttlicher Heilsweg verstanden, obwohl die Juden nicht ausdrücklich erwähnt sind. Diese Ereignisse wurden als Widerspruch gesehen zu der seit dem Konzil gerade durch den Papst oft bekräftigten Würdigung des von Gott nie gekündigten Bundes mit dem Volk Israel und als Kontrast zu den die Weltöffentlichkeit einige Monate zuvor bewegenden Symbolhandlungen des Papstes: seinem öffentlichen Bekenntnis der geschichtlichen Schuld der katholischen Kirche im Petersdom und seiner Pilgerreise nach Jerusalem. Diese zufällige Konstellation zeigt deutlich die Ungleichzeitigkeit und Widersprüchlichkeit im Versöhnungsprozess zwischen Juden und Christen, deren Vorkämpfer wie kein anderer Johannes Paul II. ist.

1.1 Entstehung

Aber Dabru Emet ist nicht eine Stellungnahme zu aktuellen Ereignissen. Ihre Entstehung reicht sechs Jahre zurück. 1994 bildete sich The Jewish Scholars Study Group on Christianity, die vom Institute for Christian and Jewish Studies in Baltimore gesponsert wurde. Nach einer anfänglichen Diskussionsphase über akademische Vorlagen fand ein Klärungsprozess zum Selbstverständnis statt: In der Gruppe blieben nur solche, die aus religiöser Überzeugung und mit existentiellem Engagement an einer Neubestimmung (re-definition) der jüdischen Identität und an einer Öffnung zum Christentum interessiert waren, die ihren akademischen Beruf als Berufung verstanden. Andere schieden später wegen eines grundlegenden sachlichen Dissenses über das Projekt aus. Die Mehrheit in der Gruppe glaubte (noch) nicht an einen grundlegenden Wandel der Kirchen gegenüber dem Judentum. Schließlich blieben von den 30 Mitgliedern nur die vier Autoren von Dabru Emet übrig, die als Moderator und Koordinator Rabbi David Sandmel vom Institute for Christian and Jewish Studies kooptierten. Fast zwei Jahre benötigte die Gruppe zur Realisierung der Idee, die von Signer ausgegangen war: die Ausarbeitung des Statements Dabru Emet, und zur Herausgabe eines wissenschaftlichen Kommentars: Christianity in Jewish Terms.7

Vor der Veröffentlichung sandten die Autoren, die selbst unterschiedlichen Richtungen des Judentums angehören, ihre Erklärung an Rabbiner und Gelehrte mit der Einladung zur Unterschrift - aber ohne die Möglichkeit, den Text zu modifizieren. Zu ihrer eigenen Überraschung erhielten sie etwa 170 zustimmende Antworten von Vertretern aller Richtungen des amerikanischen Judentums, unter ihnen auch zwanzig Orthodoxe Juden. Die dreißig ablehnenden Voten bezogen sich vor allem auf die These zum Holocaust: In dieser Passage würden die Kirchen zu früh und zu leicht aus ihrer Verantwortung entlassen. Via Internet stimmten innerhalb kurzer Zeit weitere Persönlichkeiten aus den USA, Europa und Israel dem Dokument zu. Die Zustimmung gilt daher dem Text als Ganzem, obwohl etliche Unterzeichner einzelnen Aussagen oder Formulierungen widersprachen. Überdies zeigen etliche Formulierungen den Kompromisscharakter des Textes, weil auch die Autoren nicht in allem derselben Meinung waren. Die innerjüdischen Kontroversen zwischen ihnen waren oft stärker als die jüdisch-christlichen Kontroversen. Nach der Veröffentlichung von Dabru Emet und Christianity in Jewish Terms hat sich die Gruppe aufgelöst.

1.2 Intention und Inhalt

Nach der Schilderung der Genese wollen wir Intention, Charakter und Inhalt des Dokumentes vorstellen. „In den vergangenen Jahren hat sich ein dramatischer und unvorhersehbarer Wandel in den christlich-jüdischen Beziehungen vollzogen ... In den Jahrzehnten nach dem Holocaust hat sich die Christenheit ... dramatisch verändert. ... Wir sind davon überzeugt, dass diese Veränderungen eine wohl bedachte jüdische Antwort verdienen. Als eine Gruppe jüdischer Gelehrter unterschiedlicher Strömungen - die nur für sich selbst spricht - ist es unsere Überzeugung, dass es für Juden an der Zeit ist, die christlichen Bemühungen um eine Würdigung des Judentums zur Kenntnis zu nehmen. Wir meinen, es ist für Juden an der Zeit, über das nachzudenken, was das Judentum heute zum Christentum zu sagen hat. Als einen ersten Schritt wollen wir in acht kurzen Punkten (statements) erläutern, auf welche Weise Juden und Christen miteinander in Beziehung stehen könnten.“8 Diese einleitende Passage von Dabru Emet lässt in mehrfacher Hinsicht aufhorchen:

  • Der grundlegende Erneuerungsprozess in den christlichen Kirchen seit der Schoa ist nach Auffassung der Autoren und Unterzeichner ein hinreichender Grund für Juden, das Jahrhunderte alte Misstrauen gegenüber dem Christentum und die Angst vor dessen Bedrohung zu beenden, Vertrauen in die Umkehr des Christentums zu setzen und sich für das Christentum zu öffnen.
  • Der erste Adressat des Dokuments ist das Judentum, das zu einer neuen Würdigung des Christentums eingeladen wird. Sodann sind auch Kirchen und Christen angesprochen, an einer neuen Phase der Beziehungen mitzuwirken.
  • Die Autoren und Mitunterzeichner sprechen in ihrem eigenen Namen, nicht mit der Autorität eines der großen religiösen Verbände oder anderer jüdischer Organisationen.
  • Dabru Emet versteht sich als ein „erster Schritt“ in einem Prozess, nicht als abschließende Antwort. Ein erster Schritt ist dieses Dokument auch deshalb, weil es bisher nichts dergleichen gibt. Nur dreimal hatten sich zuvor jüdische Organisationen zum christlich-jüdischen Verhältnis geäußert, wie die Dokumentation Die Kirchen und das Judentum belegt.9 Doch diese Äußerungen nehmen jeweils zu christlichen Erklärungen anerkennend und kritisch Stellung, formulieren aber nicht einen eigenen Standpunkt zum jüdischen Selbstverständnis im Hinblick auf das Christentum.
  • Dabru Emet will eine kontroverse Diskussion eröffnen. Pauschale Zustimmung oder Ablehnung des Textes oder einzelner Thesen werden ihm nicht gerecht. Die acht Statements liefern nicht Antworten, so sei es und nicht anders. Vielmehr sind sie - so Signer - im Sinne der großen scholastischen Tradition als „Quaestiones disputatae“ gemeint, das heißt als Fragen, die mitsamt Argumenten und Gegenargumenten zur Diskussion gestellt werden.
  • Die Erklärung hebt die positiven Argumente hervor, die eine neue Beziehung zwischen Juden und Christen eröffnen und tragen können, anstatt eine negative Bilanz zu präsentieren, die die Fortsetzung des Misstrauens und eine Beschränkung auf den eigenen Bereich rechtfertigen könnte. Der Text macht deutlich, dass die Last der Geschichte nicht vergessen werden darf und bleibende Unterschiede um der Wahrung der Identität und der Ehrlichkeit des Dialogs willen zu bejahen sind. Aber beides darf nach Auffassung der Autoren der Beziehung zueinander und der gemeinsamen Beziehung zur Gesellschaft nicht länger im Wege stehen.
  • Die Erklärung lädt zu einer religiösen Reflexion ein, ist nicht in politischer Absicht verfasst. Das belegt sowohl der Titel Dabru Emet - ein Zitat aus Sacharja 8,16: „Redet einer mit dem anderen Wahrheit“ - als auch die letzte Passage des Statements: eine Vision des Propheten Jesaja (Jes 2,2f), die die gemeinsame Hoffnung von Juden und Christen ausdrückt. Deshalb kommen als Dialogpartner nur solche in Frage, die „Gottes bleibenden Bund mit dem jüdischen Volk anerkennen“ (Einleitung).

Der religiösen Intention des Dokuments entsprechen Inhalt und Reihenfolge der acht Thesen. Als Fundament für ein erneuertes Verhältnis des Judentums zum Christentums werden benannt: der Glaube an denselben Gott (These 1), die gemeinsame Berufung auf die Hebräische Bibel (These 2), die gemeinsame Anerkennung der ethischen Grundsätze der Tora (These 4) und der gemeinsame Weltauftrag für Gerechtigkeit und Frieden (These 8). Für die Autoren war die theozentrische Grundlegung ausschlaggebend: Die Anerkennung und Anbetung des einen Gottes (These 1) ist der Ausgangspunkt für alle weiteren theologischen, historischen und ethischen Fragestellungen. Auch „heiße Eisen“ werden angepackt, zum Beispiel die unaufhebbaren Unterschiede zwischen Juden und Christen im Gottes-, Bibel- und Erlösungsverständnis oder das Verhältnis der Kirchen zum Nationalsozialismus (These 5). Der Text sagt deutlich, was Juden von Christen heute erwarten: vor allem den Verzicht auf die Judenmission, die Anerkennung ihrer religiösen Eigenständigkeit (These 6 und 7) und den Respekt vor dem Anspruch des jüdischen Volkes auf das Land Israel (These 3). Hiermit sind manche Themen angesprochen, die in „Nostra aetate“ nicht vorkommen, aber aus einem Dialog, der das Selbstverständnis des jüdischen Partners ernst nimmt, nicht ausgeklammert werden dürfen. Das Konzil hatte nichts über den Wert des Judentums als Ausdruck der Liebe Gottes gesagt. Das Konzil hatte zwar den Antisemitismus streng verurteilt, aber nichts darüber gesagt, dass die Kirche mit verantwortlich war für die Verbreitung von Verachtung und Hass und so der Vernichtung der Juden durch die Nazis Vorschub geleistet hatte. Das Konzil hatte ebenfalls nichts über den Staat Israel gesagt, dessen Existenz damals in keiner Weise sicher war.10

Abschließend sei nochmals Werner Trutwin, ein katholisches Mitglied unseres Gesprächskreises zitiert: „So ist ein konzentrierter Text entstanden, der ein solides Fundament für die Weiterentwicklung des jüdisch-christlichen Verhältnisses bilden kann. Der Text ist auch zur Weiterarbeit in Pfarrgemeinden oder im Religionsunterricht bestens geeignet. ... Christen sollten ... Dabru Emet als einen wichtigen Beitrag im interreligiösen Gespräch aufnehmen. ... Der fairen jüdischen Verhältnisbestimmung können auch Christen zustimmen. Sie sollten die ausgestreckte Hand beherzt ergreifen und alles tun, um die gemeinsame Sache weiterzubringen.“11

1.3 Begleitende Publikationen

Dabru Emet wendet sich, wie die Veröffentlichung in der New York Times (the real contemporary Bible) anzeigt, an die breite Öffentlichkeit. Wie schon erwähnt, konzipierten die vier Autoren von Dabru Emet zusammen mit ihrem Moderator David Sandmel, ein umfangreiches Buch (438 Seiten): Christianity in Jewish Terms, das unter ihrer Herausgeberschaft im Herbst 2000 erschien. Der Band ist ein wissenschaftlicher Kommentar zu Dabru Emet und wendet sich an die Scientific Community, zunächst an jüdische, dann aber auch an christliche Historiker und Theologen. Die 32 Autoren verzichten weitgehend auf eine Fachsprache, so dass ihre Beiträge auch interessierten Akademikern anderer Disziplinen verständlich sind. In jedem Kapitel, das jeweils einem Thema von Dabru Emet gewidmet ist, erläutert zunächst ein jüdischer Autor bzw. eine Autorin, wie sich von der jüdischen Tradition her ein Zugang zum christlichen Verständnis erschließen lässt und welche Fragen vertiefter Forschung bedürfen. Ein zweiter Beitrag liefert, meist von einem speziellen Zugang her, ein Korreferat. Der dritte Beitrag eines christlichen Kollegen bzw. einer Kollegin arbeitet sodann heraus, in wieweit sich christliche Theologie in der jüdischen Darstellung recht verstanden sieht, und ergänzt beziehungsweise korrigiert die Ausführungen seiner Kollegen. Es fällt auf, dass sich die jüdischen Autoren intensiv mit den christlichen Glaubensquellen befassen, während die christlichen Autoren sich nur selten auf die rabbinischen Texte beziehen.

Der Titel Christianity in Jewish Terms charakterisiert treffend das leitende Interesse dieses völlig neuen Unterfangens.12 Denn bisher wurde Juden das Christentum nur in christlich-metaphysischer und in der Neuzeit in säkularer Terminologie gegenübergestellt, was ihnen einen Zugang zum Verständnis (nicht zur Zustimmung!) von vornherein verbaute. Christliche Formeln wie Inkarnation, Trinität, Erbsünde waren für Juden Signale aus einer fremden Welt, ebenso die Kategorien des Deutschen Idealismus wie Gott als das Absolute oder die Gegenüberstellung von partikularistischer jüdischer und universaler christlicher Religion. Deshalb unternahmen die Herausgeber und Autoren von Christianity in Jewish Terms den Versuch, in ihrer eigenen Tradition nach Entsprechungen, Analogien zu christlichen Glaubensaussagen zu forschen, um mit Christen über deren Selbstverständnis in ein konstruktives Gespräch zu kommen: „Wir glauben, es ist Zeit für Juden, das Christentum in jüdischen Begriffen kennen zu lernen: die Grundkategorien des Rabbinischen Judentums neu zu entdecken und wahrzunehmen, wie die Grundkategorien des christlichen Glaubens klingen, wenn sie in der Begrifflichkeit des Rabbinischen Judentums gelehrt werden. Das Christentum in unserer Begrifflichkeit zu hören heißt, es wirklich zu verstehen, vielleicht zum ersten Mal.“13

Es macht neugierig, dass die Herausgeber von Christianity in Jewish Terms von sich sagen, die Arbeit in der Jewish Scholars Group sei für sie zur Herausforderung geworden, neu und tiefer über ihren eigenen Glauben nachzudenken. So geben sie als erstes Ziel ihres Buches an: „Wie kann das Selbstverständnis des heutigen Judentums aus den heiligen Texten erneuert werden?“14 Vom vertieften Selbstverständnis wagen sie sich bis zu der Frage vor: Findet sich in der jüdischen Tradition eine Berechtigung, den christlichen Anspruch anzuerkennen, im Bund mit dem Gott Israels zu stehen?15 Eine Nebenfrage: Gilt das in gleicher Weise auch für beider Beziehungen zum Islam?

Eine weitere Publikation wurde bereits im Vorwort zu Christianity in Jewish Terms angekündigt: Irreconcilable Differences,16ein Lehrbuch für Schule und Katechese. Die drei Herausgeber, die dem Institute for Christian and Jewish Studies in Baltimore angehören, gründeten im Mai 2000 eine Gruppe von Dozenten, die in monatelanger intensiver Zusammenarbeit diesen Band erstellten und im Sommer 2001 veröffentlichten. Die meisten Themen von Dabru Emet und Christianity in Jewish Terms sind auch hier erörtert und in ihrer Bedeutung für das religiöse Selbstverständnis, den christlich-jüdischen Dialog und die persönlichen und gesellschaftlichen Lebensfragen erschlossen. Wichtige Anregungen verdankt die Gruppe der Christian and Jewish Educators Study Group, die ebenfalls an diesem Institut ihren Sitz hat.

1.4 Einladung zur Diskussion

Im Interesse einer fruchtbaren Auseinandersetzung mit Dabru Emet seien einige generelle Fragen aufgelistet, zu deren Diskussion die beiden begleitenden Bücher beitragen:

  • Ist der Wandel (t’shuwa) des Christentums in Lehre und Praxis radikal genug und verdient er trotz mancher Rückschläge so viel Vertrauen, dass die Zeit für eine jüdische Antwort jetzt reif ist?
  • Sind die acht Thesen, die teils die Lehre betreffen und biblisch-systematisch argumentieren, teils die religiöse Praxis betreffen und sich auf historische und lebenspraktische Argumente stützen, wirklich die entscheidenden Fragen für ein neues Verhältnis von Juden zum Christentum?
  • Verbieten die unvereinbaren Gegensätze zwischen Judentum und Christentum ein versöhntes Miteinander und ein gemeinsames Handeln in der Welt?
  • Die unterschiedlichen Adressaten von Dabru Emet,Christianity in Jewish Terms und Irreconcilable Differences werfen die Frage auf: Womit müssen sich Wissenschaftler, womit andere in Familie und Schule, in Beruf und Öffentlichkeit unbedingt befassen, um der Verantwortung für ihre religiöse Identität und für ein konstruktives Verhältnis zu Andersgläubigen gerecht zu werden? Gelten solche Anforderungen auch in einem Land, in denen keine oder nur wenige Juden (oder wie in Israel nur wenige Christen) leben, da es sich um grundlegende, nicht situationsabhängige Fragen handelt?
  • Dass Juden den Christen Wesentliches für ihren Glauben zu sagen haben, was nur sie ihnen sagen können, ist inzwischen zur Erfahrung geworden.17 Aber trifft diese Feststellung auch umgekehrt zu, obwohl das Verhältnis der beiden Religion asymmetrischer Natur ist: Das Christentum ist und bleibt im Judentum verwurzelt, sonst verliert es seine Identität, während das Judentum seine Identität nicht der Beziehung zum Christentum verdankt?

2. Rezeption von Dabru Emet

Die für die Initiatoren von Dabru Emet überraschend große Zahl der Mitunterzeichner war ein erstes hoffnungsvolles Signal. Positiv war auch die breite Berichterstattung in der jüdischen, christlichen und säkularen Presse in den USA. Begeisterte Zustimmung sprach aus fast allen christlichen Äußerungen, während einige jüdische Stellungnahmen heftigen Protest erhoben. Doch während meiner Reise, mehr als ein Jahr nach der Veröffentlichung, musste ich zur Kenntnis nehmen, dass Dabru Emet weder in christlichen noch in jüdischen Kreisen wirklich „angekommen“ war, nachhaltige Aufmerksamkeit erregt hatte. Im Vordergrund der jüdisch-christlichen Beziehungen standen auf beiden Seiten andere brisante und aktuelle Ereignisse: die Seligsprechung Pius IX., die Erklärung der römischen Glaubenskongregation „Dominus Iesus“ und das Scheitern der jüdisch-katholischen Historikerkommission zum Studium der Rolle des Vatikans während des Zweiten Weltkriegs. Seit dem vergangenen Jahr kamen die politischen Ereignisse hinzu: die Verschärfung des Nahost-Konflikts und der 11. September 2001.

2.1 Jüdische Rezeption

Eine ausführliche, positive Würdigung von Dabru Emet gab Rabbi David Rosen, Vertreter der modernen Orthodoxie und Präsident des International Council of Christians and Jews (ICCJ) in einem Vortrag am 6. November 2001 in Dänemark.18 Er ist einer der wenigen Nichtamerikaner, der Dabru Emet unterzeichnet hat. Im Gegensatz zu Joseph Soloveitchik, ebenfalls Rabbiner der modernen Orthodoxie, der schon vor Jahrzehnten dem religiösen Dialog zwischen Juden und Christen eine entschiedene Absage erteilt hatte, spricht er sich für ein komplementäres Zeugnis von Juden und Christen in der Welt aus und zitiert Papst Johannes Paul II.: „Juden und Christen sind (als Kinder Abrahams) berufen, ein Segen für die Menschheit zu sein. Um das sein zu können, müssen wir zuerst ein Segen füreinander werden.“

Keine der Vereinigungen der Rabbinen und Synagogen der verschiedenen Zweige des amerikanischen Judentums und keine der gesellschaftspolitisch ausgerichteten großen Organisationen wie das American Jewish Committee und die Anti-Defamation League gab eine Stellungnahme ab. Auch die Mitunterzeichner ergriffen kaum Initiative, um Dabru Emet in ihrem Bereich zum Thema zu machen und in Bildungsprogramme umzusetzen. Im europäischen Raum wurde Dabru Emet zwar in verschiedenen Sprachen veröffentlicht, aber nicht diskutiert.19 Auf dem großen katholisch-jüdischen Kongress mit höchster Besetzung in Paris im Januar 2002 wurde es lediglich in einer Randbemerkung erwähnt. In Gesprächen am Rande des Kongresses wurde mir bestätigt, dass Dabru Emet bisher weder im französischen noch im deutschen Sprachraum bekannt sei.

Dabru Emet ist im amerikanischen Judentum öfters auch auf heftige Ablehnung gestoßen. Die Kritik bezieht sich vor allem auf die erste These „Juden und Christen beten denselben Gott an“, weil das trinitarische Gottesverständnis mit dem jüdischen Monotheismus nicht vereinbar sei. Aber sie wendet sich noch entschiedener gegen die fünfte These „Der Nazismus war kein christliches Phänomen“. Diese (verkürzte) Formulierung, aber auch die differenziertere Erläuterung der These verharmlose, sagt man, die Verantwortung der Kirche vor und in der Nazizeit.20

Am schärfsten war die sarkastische Kritik von Jon D. Levenson, Albert A. List professor of Jewish studies an der Harvard Divinity School. Unter dem Titel „How Not to Conduct Jewish-Christian Dialogue“ erschien der Beitrag im Dezember 2001 im Commentary, einer Zeitschrift, die für die Ablehnung des christlich-jüdischen Dialogs bekannt ist. Der Autor bezeichnet Dabru Emet als „Gefahr für die jüdische Praxis und Identität“ und als „Pfeifen im Dunkeln“.21 Er hat sich gar nicht darauf eingelassen, dass Dabru Emet einen radikalen Wandel des Christentums gegenüber dem Judentum in den letzten Jahrzehnten feststellt und beruft sich stattdessen auf antijüdische Äußerungen der Kirche aus früheren Zeiten. Am schärfsten formuliert Levenson seine Ablehnung des christlich-jüdischen Dialogs in der Auseinandersetzung mit der siebten These „Ein neues Verhältnis von Juden und Christen wird die jüdische Praxis nicht schwächen“. Weil die traditionelle „instinctive repugnance” zwischen Juden und Christen durch den Dialog geschwächt sei und durch Dabru Emet weiter geschwächt werde, die unüberbrückbaren Gegensätze zwischen beiden Religionen nivelliert würden, verlöre die jüdische Minderheit immer mehr Anhänger durch Mischehen mit Nichtjuden und durch Assimilation an die christlich geprägte Gesellschaft. Für Levenson lautet die Konsequenz: Rückzug auf die eigene Gemeinschaft und Absage an einen Dialog über Glaubensfragen. Levensons Beitrag hat einige Irritationen erregt, aber trotz oder wegen seiner Einseitigkeit die Auseinandersetzung um Dabru Emet gefördert.

Hinter den Kulissen konnte ich während meiner Reise jedoch auch einige hoffnungsvolle Signale für die Rezeption von Dabru Emet und Christianity in Jewish Terms vernehmen. In Chicago und Los Angeles wurde ich vom American Jewish Committee zu einem Treffen mit Rabbinern und anderen jüdischen Persönlichkeiten eingeladen, um die theologische Arbeit unseres Gesprächskreises vorzustellen und uns über Ziele und Themen des jüdisch-christlichen Dialogs in den USA auszutauschen. Bei beiden Gelegenheiten stand der religiöse bzw. theologische Gedankenaustausch im Vordergrund. Der Maxime unseres Gesprächskreises „Um Gottes willen miteinander verbunden“ stimmten die jüdischen Gesprächspartner einhellig zu. Für das Selbstverständnis der amerikanischen Juden, für das christlich-jüdische Verhältnis und für das gemeinsame Engagement in ihrem Land, so erfuhr ich dort, werde die Reflexion auf die religiöse Tradition und deren Vertiefung zunehmend wichtiger, während in der Vergangenheit vor allem gesellschaftspolitische Themen im Vordergrund standen wie der Bezug zur Schoa und zum Staat Israel. Besonders für die Profilierung der jüdischen Identität in der jungen Generation müsse die religiöse Dimension in Zukunft mehr betont und vertieft werden. Dafür sei Dabru Emet ein wegweisendes Signal und die Erfahrung des deutschen Gesprächskreises eine Bestätigung.

Meine Begegnung mit Dr. Eugene Korn am Sitz der Anti-Defamation League in New York hatte denselben Tenor. Im November fand die Jahresversammlung der Association of Rabbis and Synagogues des liberalen Zweiges statt. Ein ganzer Tag war Dabru Emet gewidmet. Der Hauptredner war Michael Signer, selbst Rabbiner und Theologe der liberalen Richtung. Seine Schlussthese fand breite Resonanz: „Wenn wir Juden das Christentum ernst nehmen, wird sich das daran erweisen, dass wir es studieren; denn für uns Juden sind Lernen und Gebet die zentralen religiösen Vollzüge.“ Dies waren für mich erste Anzeichen, dass sich auch Vertreter der großen jüdischen Organisationen in Zukunft auf Dabru Emet einlassen wollen.

2.2 Christliche Rezeption

Im Unterschied zum verhaltenen Echo im amerikanischen Judentum, dem Erstadressaten von Dabru Emet, erfolgte ein begeistertes Echo von hohen kirchlichen Autoritäten. Offenbar hatten die Kirchen nach ihren vielen Erklärungen schon seit längerer Zeit auf eine jüdische Antwort gewartet. Sie werteten Dabru Emet nicht nur als ein historisches Dokument, sondern als Eröffnung einer neuen Phase des jüdisch-christlichen Dialogs.

Bereits am 1. November 2000 sandte The Bishops’ Committee for Ecumenical and Interreligious Affairs der National Conference of Catholic Bishops unter dem Vorsitz von Kardinal William Keeler, Erzbischof von Baltimore, eine Botschaft an die Autoren. Die Bischöfe verglichen Dabru Emet mit den Seelisberger Thesen,22 in denen eine internationale Gruppe von Christen und Juden im Jahr 1947 ein prophetisches Wort für ein neues Verhältnis der Kirchen zum Judentum formuliert hatte. Diese Thesen aus der Schweiz hätten trotz anfänglichen Widerspruchs langfristig sogar Auswirkungen auf Erklärungen des Weltkirchenrats und auf „Nostra aetate“ gehabt. Eine ähnliche Wirkung erhofft die Kommission auch jetzt: „Dabru Emet wird gewiss und zurecht als erster Punkt auf der Tagesordnung vieler Dialoge in den nächsten Jahren stehen. Es steht zum Beispiel schon jetzt auf der Tagesordnung des ständigen Dialogs zwischen unserem Komitee und dem Nationalrat der Synagogen.“23 Kardinal Keeler lud zwar einige Monate später Michael Signer und Eugene Fisher, den Geschäftsführer der Kommission, zu einer Sitzung ein, aber für die Präsentation von Dabru Emet war nur eine halbe Stunde vorgesehen.

The Interface Relations Commission of the National Council of Churches of Christ verfasste am 24. Februar 2001 in Houston/Texas eine ökumenische Antwort auf Dabru Emet. Die Kommission sprach die Empfehlung an alle Christen aus, diesen Text sorgfältig zu studieren und die Einladung zum weiteren Dialog anzunehmen. Dabru Emet biete eine sehr geeignete Grundlage für den weiteren jüdisch-christlichen Dialog und solle auf allen Ebenen des interreligiösen Dialogs auf die Tagesordnung gesetzt werden.

Am 25. April 2001 würdigte der anglikanische Erzbischof von Canterbury, George L. Carrey, im Predigerkolleg der Episcopal Church in Washington Dabru Emet als eine „außerordentlich ermutigende und hoffnungsvolle Initiative aus der jüdischen Gemeinschaft“24 und ging in seiner Vorlesung auf die zentralen Aussagen des Statements ein.

Im November 2001 hielt Kardinal Walter Kasper im Israel-Museum in Israel eine programmatische Rede über den jüdisch-christlichen Dialog, in der er als einzige nichtrömische Quelle vier Abschnitte von Dabru Emet in vollem Wortlaut zitierte (über denselben Gott, die gemeinsame Autorität der Hebräischen Bibel und der Tora sowie die Zusammenarbeit für Gerechtigkeit und Frieden).

Die gründlichste Auseinandersetzung mit Dabru Emet und Christianity in Jewish Terms erlebte ich im November 2001 auf einer Klausurtagung der Christian Scholars Group on Jews and Judaism in Baltimore. Seit 1978 ist das Institute for Christians and Jewish Studies der Ort und Sponsor dieser Gruppe, deren Mitglieder mutige Schritte zu einem Wandel der christlichen Theologie in Folge einer erneuerten und positiven Sicht des Judentums gewagt haben. Der wichtigste Beratungsgegenstand der Klausurtagung war die zweite Lesung einer christlichen Antwort auf Dabru Emet, ein Projekt, das bald vollendet sein dürfte. Als korrespondierendes Mitglied wurde ich zur weiteren Arbeit eingeladen. Der Entwurf lässt eine positive Beurteilung von Dabru Emet erwarten. Mehrere Mitglieder des Kreises sind Leiter von akademischen Zentren für christlich-jüdische Studien, viele seit Jahren Gesprächspartner der Autoren von Dabru Emet, zum Beispiel John Pawlikowski ausChicago,25Mary Boys ausNew York sowie Philip Cunningham aus Boston. Diese Tatsache erklärt auch, dass bei der ersten informellen Zusammenkunft der etwa zwanzig Zentren für christlich-jüdische Studien Dabru Emet als eine neue Phase für das christlich-jüdische Verhältnis gewertet wurde. Dieses Treffen in New York am 28./29. Oktober 2001 war das erste Erlebnis meines Forschungsaufenthaltes. In den folgenden Wochen konnte ich mich mit etlichen Teilnehmern dieser Konferenz von der Ernsthaftigkeit ihrer Zustimmung überzeugen.

2.3 Perspektiven für die Zukunft

Seit Anfang dieses Jahres sind auch im Ausland einige mehrtägige Fachtagungen zu Dabru Emet in Vorbereitung: im November 2002 in Aachen eine Tagung der katholischen Bischöflichen Akademie unter Leitung von Dr. Hans Hermann Henrix, zu der Autoren von Dabru Emet eingeladen sind, ebenso mit Autoren von Dabru Emet eine Tagung im Frühjahr 2003 in München, die in Zusammenarbeit zwischen dem Gesprächskreis „Juden und Christen“ und der Akademie in Bayern veranstaltet wird. In Krakau findet Anfang Juni 2002 ein Expertengespräch von polnischen, amerikanischen und deutschen Professoren auf Einladung des Prorektors der Päpstlichen Akademie von Krakau, Prof. Lukasz Kamikowski, statt. Zur selben Zeit hat Dr. Ron Kronish in Zusammenarbeit zwischen dem International Council of Christians and Jews und dem Hebrew Union College in Cincinnati zu einer internationalen Tagung über Dabru Emet nach Jerusalem eingeladen.

Ob wohl nach einer längeren Inkubationszeit die Saat von Dabru Emet in den Vereinigten Staaten, Europa und Israel aufgehen wird?

3. Christlich-jüdische Beziehungen in den USA - im Vergleich

Nach dem Blick auf mein spezielles Forschungsprojekt Dabru Emet soll jetzt die Perspektive auf mein größeres Forschungsinteresse erweitert werden, die christlich-jüdischen Beziehungen in den Vereinigten Staaten. Meine Reise hat mich zur Einsicht geführt, dass Dabru Emet nur in den USA zustande kommen konnte. Zur Begründung dieser These müssen wir die Vorzüge des nordamerikanischen Judentums und die Entfaltung des dortigen jüdisch-christlichen Dialogs näher betrachten. Dann werden wir - am Ende dieses Abschnitts - das Wagnis von Dabru Emet und die Widerstände seiner Rezeption besser einschätzen können.

3.1 Die Neuheit von Dabru Emet

Die Beobachtung, dass Dabru Emet in der jüdischen Gemeinschaft bisher nicht mehr Resonanz findet, ist ein Indiz, wie mutig und neu die Initiative ist, auch wenn sie viele Mitunterzeichner gefunden hat.

Neu ist das Thema: eine jüdische Stellungnahme zu Christen und Christentum. Dazu sahen Juden in der Vergangenheit und sehen die meisten bis heute keine Veranlassung. Nach der Schoa haben die Kirchen in einem mühsamen Prozess gelernt, dass sich die Kirche bei der Besinnung auf ihr Mysterium, bei der Entfaltung ihrer Identität und ihrer Sendung und beim Vollzug ihrer Liturgie stets auf ihre jüdische Wurzel besinnen muss. Sie sind zur Einsicht gekommen, dass die bleibende Verbindung zum Judentum, nicht nur zum Alten Testament, für sie unverzichtbar ist. Eine antijüdische oder ajüdische Kirche wäre ein Widerspruch in sich. Bei der Entdeckung und Bearbeitung der antijüdischen Wurzeln und Tendenzen im Christentum haben Juden christlichen Theologen und Kirchen entscheidend Hilfe geleistet. Eine entsprechende Notwendigkeit besteht auf jüdischer Seite nicht. Für das Judentum ist die Beziehung zum Christentum nicht ein konstitutives Thema der Selbstreflexion. Zwi Werblowski hat für diesen Sachverhalt den Titel „Asymmetrie“ des christlich-jüdischen Verhältnisses geprägt. Dem Christentum begegnet das Judentum nicht beim Studium der eigenen Tradition, sondern nur als Teil seiner in der Geschichte meist feindlich erlebten „Umwelt“. Deshalb liegt das elementare Interesse der Juden am Christentum nicht im religiösen Dialog zur Bereicherung ihres Glaubens, sondern zuerst und vor allem in einer friedlichen Existenz nach der Schoa. Sie brauchen die Gewissheit, dass ein lebensbedrohender Angriff seitens der christlichen Zivilisation, dem sie wiederum machtlos und hilflos ausgeliefert wären, in Zukunft nicht mehr möglich sein wird, weil die Wurzel des Übels beseitigt ist.

Neu ist die Intention von Dabru Emet: Die Verfasser gehen über die defensive Absicht „Nie wieder Auschwitz!“ hinaus. Sie suchen ein neues Verhältnis zu einem Christentum, das seinen Umkehrwillen in den vergangenen Jahrzehnten bewiesen hat, wenngleich in der pluralistischen Christenheit nicht von einer allgemeinen Bekehrung die Rede sein kann.26 Sie wagen diesen Schritt, obwohl die Beschlüsse der Kirchenleitungen noch längst nicht überall in den Gemeinden, selbst bei den Theologieprofessoren und Geistlichen angekommen sind. Die Autoren von Dabru Emet haben bei der Erarbeitung ihrer Erklärung und schon Jahre zuvor im Dialog mit den christlichen Partnern ermutigende Erfahrungen gemacht, die sie als Einladung an die jüdische Gemeinschaft weitergeben wollen. Sie haben gelernt, dass die theologische Beschäftigung mit dem Christentum ihren eigenen Glauben und ihr Glaubensverständnis bereichert, weil der Gott Israels offenbar auch im Christentum wirksam ist und dort manche Frucht hat reifen lassen, die auch Juden zum Geschenk werden kann.

Neu ist die Gruppe, die sich mit Dabru Emet und Christianity in Jewish Terms zu Wort gemeldet hat. Die vier Verfasser von Dabru Emet charakterisieren sich selbst „als eine - unterschiedliche religiöse Richtungen umfassende - Gruppe jüdischer Wissenschaftler, die nur für sich sprechen“.27 Frau Prof. Tikva Frymer-Kensky aus Chicago gehört dem konservativen Judentum an. Prof. Peter Ochs aus Virginia, Schüler des orthodoxen Gelehrten Michael Wyschogrod, rechnet sich keiner Denomination zu. Prof. David Novak aus Toronto ist Rabbiner und gehört zur Leitung der Union for Traditional Judaism. Prof. Michael Signer ist Rabbiner und gehört der liberalen Bewegung an. David Fox Sandmel ist Rabbiner der Reformbewegung. Als Akademiker, die alle an nicht-jüdischen Institutionen tätig sind, können sie sich eigenständig äußern. Übrigens zeigt ihre Anstellung an christlichen Universitäten, wie sehr sich die Einstellung des Christentums gegenüber dem Judentum in den USA gewandelt hat. Die Jewish Scholars Study Group on Christianity wollte unabhängig sein von repräsentativen jüdischen Organisationen, nicht gebunden an irgendwelche obrigkeitliche Weisungen oder Kompromissen einer Institution ausgeliefert. Aber die Mitglieder haben sich selbst Bindungen auferlegt und als eine formale Gruppe konstituiert. Außer der Qualifikation für jüdische Studien und einem wissenschaftlichen Forschungsinteresse erwarteten sie voneinander ein religiöses, existentielles Interesse sowohl am Judentum als auch am Christentum. Die jahrelange Zusammenarbeit, die gemeinsame religiöse Leidenschaft und der intensive Dialog mit christlichen (zum Teil auch muslimischen) Gelehrten prägte die einzelnen und die Gruppe. Darin liegt ihre Besonderheit gegenüber einzelnen jüdischen Wissenschaftlern, die Forschungen zum Verhältnis der Juden zum Christentum und Grundlinien einer jüdischen Theologie des Christentums veröffentlicht haben wie etwa Jakob J. Petuchowski, David Flusser, Irving Greenberg oder Michael S. Kogan.28 Das unterscheidet sie ebenfalls von Fachtagungen, bei denen sich Gelehrte für einige Tage zusammensetzen, um eine theologische Stellungnahme zu erarbeiten.

Viele Sachargumente und Thesen von Dabru Emet und Christianity in Jewish Terms sind nicht völlig neu, einzelne jüdische Gelehrte und jüdisch-christliche Gruppen haben etliche Aussagen schon früher gemacht.29 Aber eine jüdische formale Gruppe, die eine Erklärung über das Verhältnis des Judentums zum Christentum erarbeitete, gab es bisher nicht. Hinzu kommt die Besonderheit einer interdenominational group, die die Zustimmung von so vielen Mitunterzeichnern aus dem ganzen Spektrum des Judentums und über die Landesgrenzen hinaus ermöglichte. Warum diese Initiative gerade in den Vereinigten Staaten zustande kam, nur dort und erst jetzt überhaupt möglich war, liegt nicht nur an den Autoren, sondern auch an der einzigartigen Verfassung des nordamerikanischen Judentums und des dortigen christlich-jüdischen Verhältnisses.

3.2 Stärke, Lebendigkeit und Vielfalt des amerikanischen Judentums

Wer das Judentum in unserer Zeit in seiner breiten Vielfalt und in seiner selbstbewussten Lebendigkeit kennen lernen will, muss in den USA leben oder dorthin fahren. Das hat mir nach den Reisen mit unserem Gesprächskreis nach Israel, den USA, Polen, Ungarn und Frankreich mein Forschungsaufenthalt eindrucksvoll bestätigt. Wenn Christen der Weisung von Johannes Paul II. in Mainz von 1980 Folge leisten, den Dialog nicht nur mit den Schriften der Hebräischen Bibel, sondern vor allem mit dem heute lebendigen Judentum zu suchen,30 dann können sie das nur teilweise in Europa und Israel realisieren.

Die Vernichtung von zwei Dritteln der europäischen Juden führte zum Ende der langen „europäischen Epoche“ der jüdischen Geschichte, für die Deutschland eine herausragende Bedeutung hatte. Seit den 1840-er Jahren entstanden in Deutschland die drei modernen jüdisch-religiösen Strömungen und erreichten dort ihre Blüte: das Reformjudentum, das konservative Judentum und das modern-orthodoxe Judentum. Deutschland war im 19. Jahrhundert bis ins 20. Jahrhundert hinein das Zentrum wissenschaftlicher Beschäftigung mit dem Judentum und moderner Rabbinerausbildung. Die Anfänge des christlich-jüdischen Dialogs gehen wesentlich auf Leo Baeck zurück, der vor allem in Berlin wirkte. Das deutsche Judentum, in dem die Wiege des modernen Judentums stand, ist durch die Schoa ausgerottet und besteht nicht mehr. Heute leben zwar wieder 100.000 Juden in Deutschland, aber drei Viertel von ihnen sind Zuwanderer aus Russland, die von ihrem jüdischen Ursprung entwurzelt sind und am religiösen Leben kaum Interesse zeigen. Sie stellen die Gemeinden vor ungeheure Integrationsprobleme und absorbieren zur Zeit fast alle Kräfte. Deshalb gibt es nur wenige und immer weniger Partner für den jüdisch-christlichen Dialog in Deutschland.

In Frankreich, dem europäischen Land mit den meisten Juden, konzentriert sich der jüdische Bevölkerungsanteil auf Paris. Das Reformjudentum gewinnt zwar durch die Zuwanderung aus nordafrikanischen Ländern an Bedeutung, ist aber bei weitem nicht so gefestigt wie in den USA. Die Zuwendung zu liberalen Gemeinden ist wahrscheinlich auf die Identitätssuche frankophoner Juden zurückzuführen, die schon vor einer Generation zugewandert sind und mit dem rigorosen Fundamentalismus des Lubawitzer Chassidismus nicht zurecht kommen. In Großbritannien kostet das Ringen zwischen der modernen Orthodoxie und dem Reformjudentum viele Reibungsverluste. In den mittel- und osteuropäischen Ländern hat der Kommunismus die Juden von internationalen Entwicklungen abgeschnitten und sie zudem in die Situation einer bedrängten und unterdrückten Minderheit gezwungen, weil die Regime Judentum mit Zionismus und Zionismus mit Kapitalismus gleichsetzte und ächtete. In diesen Ländern muss der jüdische Bevölkerungsanteil seine Identität und sein Selbstvertrauen erst wieder suchen. Die Sprachbarrieren erschweren in Europa den lebendigen Austausch und die Länder überschreitende Begegnung, so dass die christlich-jüdischen Beziehungen großenteils auf den eigenen Sprachraum begrenzt sind.

In Israel, in dem das Judentum zu einer neuen Blüte gelangt ist, sind die meisten Kräfte durch die Integration der vielen Einwanderer aus allen Ländern und durch den politischen Dauerkonflikt absorbiert, so dass für religiöse Neuansätze wie in den USA kaum Raum blieb. Auch gibt es dort nur eine stets kleiner werdende Minderheit von (meist arabisch sprechenden) Christen. Dennoch ist Jerusalem für den christlich-jüdischen Dialog bedeutsam. Gerade aus dem deutschen Sprachraum nehmen seit Jahrzehnten viele hoch motivierte und engagierte junge Leute die Bildungs- und Studienprogramme (z. B. „Studium in Israel“) in Anspruch. Sie suchen den Dialog, lernen das Judentum kennen und setzen ihre Kenntnisse als Multiplikatoren vor allem im Bildungswesen um.

Trotz dieser strukturellen Schwierigkeiten hat sich in Europa eine starke christlich-jüdische Bewegung entwickelt. Antijüdische Ausschreitungen, die es immer noch gibt, werden seltener und werden vor allem, anders als früher, von staatlichen und kirchlichen Autoritäten verurteilt. Die antijüdischen Vorurteile sind zwar noch vorhanden, aber sie finden immer weniger Resonanz in der Bevölkerung. Allerdings wird in jüngster Zeit die positive Einstellung gegenüber den Juden durch den Nahostkonflikt erheblich beeinträchtigt. Vor allem in Frankreich ist seit zwei Jahren eine wachsende Aggressivität von Muslimen gegen Juden zu festzustellen. Welche Entwicklungen das erstarkte und in seiner Vielfalt und Lebendigkeit gewachsene Judentum in einer oder zwei Generationen in Europa nehmen wird, lässt sich zur Zeit nicht voraussehen. Die Tatsache, dass die jüdische Minderheit in allen europäischen Ländern integriert und nicht mehr verfolgt oder verachtet wird, und die andere Tatsache, dass sich jedes europäische Land auf seine Weise mit der Last seiner Vergangenheit durch die Verstrickung in die Schoa auseinandersetzt, sind hoffnungsvolle Zeichen für die Zukunft. Vor allem ist in der jetzigen Erwachsenengeneration und in der jungen Generation eine aufgeschlossene Haltung gewachsen, die immer mehr von Unbefangenheit und Achtung gegenüber den jüdischen Mitbürgern und von Interesse an ihrer Religion und Kultur geprägt ist. Die vielen Reisen nach Israel, vor allem aus Deutschland, bestätigen das seit Jahrzehnten. Auch amerikanische Juden, die nach Deutschland und in andere europäische Länder reisen, nehmen den grundlegenden Mentalitätswandel wahr.

Wer von Europa in die USA reist, um dort das Judentum und die christlich-jüdischen Beziehungen zu studieren, trifft auf eine ganz andere Realität. Auch dort sind die Juden eine Minderheit, aber seit der Schoa eine geachtete und einflussreiche Bevölkerungsgruppe, die in allen Bereichen der Wirtschaft, der Politik und der Kultur eine Rolle spielt. Fast die Hälfte der 14 Millionen Juden lebt in diesem Land, konzentriert in New York, Los Angeles und anderen Metropolen. „Neueste demografische Untersuchungen in den USA vermitteln das Bild eines Verdichtungsprozesses: eine ‚Kern’-Bevölkerung setzt sich vermehrt für das Judentum ein. Teile der Peripherie verlieren sich in der Mehrheitsgesellschaft ... Mit zusammen 78 % bilden 1990 die liberal-religiösen und konservativen Juden in den USA mit Abstand die größte Gruppe. 6 % bezeichnen sich als orthodox. Nur 41 % aller Juden in den USA sind überhaupt Mitglied einer Synagogengemeinde. Die anderen wirken allenfalls in philanthropischen Organisationen mit.“31 Das neue Selbstbewusstsein der amerikanischen Juden, dessen Hauptmerkmale das positive Interesse an Israel und das Gedenken der Schoa sind, hat auch Auswirkungen auf das religiöse Leben: eine verstärkte Rückbesinnung auf die Tradition (z. B. hebräische Sprache in der Liturgie). Gleichzeitig führt die stärkere Integration in die Gesellschaft auch in den USA zu Assimilationstendenzen.

In keinem anderen Land ist das Judentum in seinen unterschiedlichen und gegensätzlichen Zweigen so stark, vielfältig und lebendig entwickelt wie dort: die Orthodox, Conservatives, Reform and Reconstructionist Jews. Für das Liberale bzw. Reformjudentum und den traditionelleren Zweig des Konservativen Judentums ist die Öffnung zur modernen westeuropäischen Kultur charakteristisch, wozu auch der christlich-jüdische Dialog gehört. Das moderne Orthodoxe Judentum bildete sich unter den Verteidigern der vom Reformjudentum angefochtenen Traditionen und erhebt den Anspruch, mit der jüdischen Tradition der Jahrtausende identisch zu sein; Spannungen und Spaltungen sind besonders in dieser Bewegung festzustellen. „Das gilt auch für die Beziehungen zum Christentum. Während die jüdisch-christliche Zusammenarbeit auf sozialem Gebiet befürwortet wird, haben sich die größten, von der Orthodoxie anerkannten modernen Autoritäten wiederholt gegen das theologische Gespräch von Juden und Christen ausgesprochen. Aber einzelne orthodoxe Juden nehmen an theologischen Gesprächen zwischen Juden und Christen teil.“32 Der Rekonstruktionismus ist eine Intellektuellen-Bewegung im amerikanischen Judentum, die in den 1920-er Jahren vom Rabbiner Mordechai Kaplan ausging und heute mehr unter Rabbinern als in Gemeinden verbreitet ist. Der Gründer sah das Judentum nicht als festgefügte Lehre und festes Gesetz an, wichtig war ihm vielmehr, die Rekonstruktion jüdischen Lebens gemäß den Wesenselementen des Judentums in allen Bereichen der Kultur.33

3.3 Die Partner des christlich-jüdischen Dialogs

Im Gegensatz zu den mittelalterlichen Disputationen, durch die die Juden zum Christentum bekehrt und das Judentum als minderwertige Religion disqualifiziert werden sollten, spricht man heute vom Dialog und meint damit ein ebenbürtiges Miteinander, das auf missionarischen Eifer verzichtet und eine versöhnte Verschiedenheit zum Ziel hat. „Die kirchliche Umkehr zu einem antisemitismusfreien und geschwisterlichen Verhältnis zum jüdischen Volk geschieht durch theologische und historische Grundlagenforschung, offizielle Erklärungen und praktische Zusammenarbeit. ... In Europa und Nordamerika kann heute von einer religiös und sozial einflussreichen jüdisch-christlichen Bewegung aus allen christlichen Konfessionen gesprochen werden. Jeder Dialogansatz, der die Schoa ausklammert, wird als Rückfall in traditionell - antijüdisches Denken gewertet.“34 In diesem Prozess kommt dem amerikanischen Judentum und der katholischen Kirche eine besondere Rolle zu.35

Wegen seiner Größe und Vitalität sowie der Stärke nationaler Dachorganisationen versteht sich das amerikanische Judentum als Hauptanwalt jüdischer Interessen in der Welt, hat das größte Gewicht in internationalen religiösen, wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Institutionen und ist der wichtigste Dialogpartner für die Kirchen. Auf Nationalebene ist Zusammenarbeit am stärksten in den USA entwickelt; der Nationale Rat der Synagogen und das Komitee für Ökumene und interreligiöse Angelegenheiten der Nationalen Konferenz der Katholischen Bischöfe versammeln sich zweimal jährlich zu jüdisch-christlichen Konsultationen und nehmen gemeinsam Stellung vor allem zu ethischen und gesellschaftlichen Fragen.36 Zum Dialog auf institutioneller Ebene merkt Clemens Thoma kritisch an: „Der Dialog spielt sich einseitig stark zwischen kirchlichen Zentralbehörden (Vatikan, Sekretariat des Weltrats der Kirchen) und internationalen jüdischen Organisationen ab. Dadurch wird er eher zur - nur in beschränktem Maß legitimen - Religionspolitik statt zum Dialog.“37 Das religionspolitische Interesse der jüdischen Organisationen auf internationaler wie US-amerikanischer Ebene spiegelt sich in der Agenda von Verhandlungen, in Stellungnahmen und medienwirksamen Aktionen. Die (zum Teil erledigte) Themenliste ist bekannt: Oberammergauer Passionsspiele, Karmel und Kreuz in Auschwitz, Anerkennung des Staates Israel durch den Vatikan, antisemitische Äußerungen kirchlicher Repräsentanten, umstrittene Selig- und Heiligsprechungen, Mitschuld der Kirche an der Schoa, Judenmission, Öffnung der Vatikanischen Archive. Hauptadressat jüdischer Erwartungen und Kritik ist Rom. Vatikanschelte und Anerkennung, insbesondere des Papstes, wechseln einander ab. Die oft tief greifenden Irritationen, bis zum Gesprächsabbruch, sind Indiz für das immer noch labile Vertrauensverhältnis zu den Kirchen. Bei aktuellen Krisen wird nicht selten die Vertrauensfrage laut: Hat die Kirche wirklich seit der Schoa eine Kehrtwendung vollzogen oder ist in Wahrheit nicht doch alles beim Alten geblieben?

Damit ist auch der andere Partner im jüdisch-christlichen Verhältnis genannt, dem in den Vereinigten Staaten eine herausragende Bedeutung zukommt: die katholische Kirche. Das verdankt sie zum einen der Konzilserklärung „Nostra aetate“, die eine unumkehrbare Wende im christlich-jüdischen Verhältnis markiert, zusammen mit dem Wirken von Johannes XXIII. und Johannes Paul II., der sich mehr als alle Päpste der Geschichte den Juden zuwendet. Zum anderen kommt der katholischen Kirche ihre hierarchische Struktur zugute. Obwohl der Katholizismus schon lange kein monolithischer Block mehr ist, haben Papst und Vatikan sowie Kardinäle und Bischöfe eine weit höhere Autorität als protestantische Kirchenleitungen. Das hat zur Folge, dass der katholischen Kirche, die in den USA die stärkste christliche Kirche ist, im christlich-jüdischen Verhältnis die Führungsrolle zugewachsen ist. Wenn eine Persönlichkeit wie Kardinal Joseph Berhardin von Chicago (gestorben 1996) sich tatkräftig und in ökumenischer Aufgeschlossenheit für die christlich-jüdischen Beziehungen einsetzte, hatte das nicht nur die „Landschaft“ der eigenen Diözese maßgeblich geprägt, sondern wurde im ganzen Land wahrgenommen. Aber die Kehrseite gibt ebenso zu denken: Wenn ein Bischof andere Prioritäten setzt, eine schwache Persönlichkeit ist oder sich auf offizielle Begegnungen (mit Fototermin) zurückzieht, entsteht kein neues „Haus“ oder verfällt bald das alte. So galt Los Angeles, nach New York die Metropole mit dem stärksten jüdischen Bevölkerungsanteil (600.000 Juden), zwei Jahrzehnte lang als Modell der christlich-jüdischen und interreligiösen Beziehungen in den USA, bis 1991 ein neuer Kardinal an die Spitze der Erzdiözese trat. In der katholischen Kirche hängt die „Politik“ entscheidend von den Führungspersönlichkeiten ab, an ihren geistlich-menschlichen Kräften, ihren Prioritäten und ihrer Förderung wegweisender Initiativen. Deshalb nimmt es nicht wunder, dass alle katholischen Bischöfe in den USA, auch die konservativsten, unter dem jetzigen Papst den christlich-jüdischen Dialog befürworten. Aber unter einem neuen Papst mit anderer Wegweisung könnte es sein, dass viele Bischöfe in ihrer fraglosen Romtreue ebenfalls einen anderen Weg einschlagen würden.

3.4 Institute für christlich-jüdische Studien

Die christlich-jüdischen Beziehungen entfalten sich in den USA wie in Europa auf zwei Ebenen. Auf der institutionellen Ebene sind es Erklärungen und Abmachungen sowie offizielle Begegnungen, beispielsweise 1986 der erste Besuch eines Papstes in der Großen Synagoge von Rom und im Jahr 2000 die Pilgerreise Johannes Pauls II. ins Heilige Land. Auch die Errichtung von Gedenkstätten und Einführung von Gedenktagen ist hier zu nennen.

Vor Ort, auf der unteren Ebene, findet die praktische Zusammenarbeit zur Vertiefung der christlich-jüdischen Beziehungen statt, etwa zur Abwehr von Rassismus und rechtsradikalen Ideologien. Der Dialog und die Begegnung zwischen Juden und Christen werden in keinem anderen Land so intensiv an der Basis gepflegt wie in den USA. Auch Reformen des schulischen Religions- und Geschichtsunterrichts und Programme für die Fortbildung der Lehrer sind zu erwähnen, ferner zahlreiche Veranstaltungen in der Woche der Brüderlichkeit sowie die großen Versammlungen der Evangelischen Kirchentage und der Katholikentage, die seit Jahrzehnten einen breiten jüdisch-christlichen Programmteil bieten.

Eine dritte, „mittlere“ Ebene ist der Bereich der wissenschaftlichen Forschung, insbesondere in den theologischen, philosophischen und historischen Disziplinen. Herausragende jüdische Denker wie Martin Buber und Franz Rosenzweig vor der Schoa und Emmanuel Levinas nach der Schoa erfreuen sich einer breiten Rezeption. Unter den Theologen sind es vor allem Bibelwissenschaftler, die nicht nur jüdische Literatur studieren, sondern auch zu Forschungsaufenthalten nach Israel, in die USA und andere Länder reisen und oft in fachlichem und freundschaftlichem Austausch mit jüdischen Kollegen stehen. Aber diese Kooperation ist im deutschen Sprachraum nicht institutionell verfasst. Einzig an der Universität Luzern ist ein Institut für jüdisch-christliche Forschung eingerichtet. In Berlin leitet Prof. Peter von der Osten-Sacken das Institut für Geschichte des Judentums, das seit acht Jahren eine „jüdische Sommeruniversität“ veranstaltet. Beim Zentralkomitee der deutschen Katholiken ist der Gesprächskreis „Juden und Christen“ angesiedelt, in dem Juden und Katholiken gemeinsame theologische Erklärungen erarbeiten. Die theologischen Fakultäten der Universitäten sind konfessionell verfasst, deshalb zählen zu ihrem Lehrkörper weder Professoren einer anderen christlichen Konfession noch jüdische Wissenschaftler.

Ganz anders ist die akademische Landschaft in den USA verfasst. Dort ist die konfessions- und religionsübergreifende Forschung institutionell verankert. So gehören zum Lehrkörper von Theological Departments neben Professoren und Professorinnen anderer christlicher Denominationen auch jüdische Forscher, beispielsweise die Autoren von Dabru Emet. Ferner gibt es landesweit über zwanzig Centers bzw. Institutes of Jewish-Christian Studies, die meisten in katholischer Trägerschaft. Die älteste (zwanzig Jahre lang die einzige) Einrichtung dieser Art ist das 1953 an der Seton Hall University bei New York gegründete Institute of Judeo-Christian Studies. Sein Gründer ist der gebürtige Jude, John Oesterreicher (1904-1993), der 1927 zum katholischen Priester geweiht wurde und 1940 in die USA emigrierte. Zusammen mit Kardinal Augustin Bea ist er der Autor der Konzilserklärung „Nostra aetate“. An diesen Instituten wird seit Jahrzehnten theologische Forschung betrieben. Sie sind wichtige Träger der theologischen Fortbildung für Priester, Rabbiner und Lehrer, für hauptberufliche und ehrenamtliche kirchliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Auch die regionale Bildungsarbeit wird von ihnen theologisch fundiert und begleitet, so zum Beispiel seit Jahren ein Schulprojekt in Chicago, das einen regelmäßigen Austausch von christlichen und jüdischen Religionslehrern initiiert hat. Beispielsweise wurde das 1987 gegründete Institute for Christian and Jewish Studies in Baltimore zum Sitz der 1969 entstandenen Christian Scholars Group on Jews and Judaism, der Jewish Scholars Group on Christianity und der Christian and Jewish Educators Study Group. Seit einem halben Jahr ist eine Vernetzung dieser Institute im Gange, die bald zum Abschluss kommen dürfte. Dieser mittleren Ebene kommt für die Zukunft des christlich-jüdischen Dialogs eine große Bedeutung zu. Denn sowohl der institutionelle Dialog als auch die praktische Zusammenarbeit vor Ort sind auf theologische Grundlagenforschung und theologisch fundierte Fortbildung von Geistlichen und Lehrern unbedingt angewiesen. Auch sind diese Institute und Centers weniger christlichen und jüdischen Institutionen ausgeliefert, die auf sie Druck ausüben.

3.5 Hindernisse für den jüdisch-christlichen Dialog

Das imponierende Dialognetz zwischen Juden und Christen könnte zu der Ansicht verleiten, dass wir heute, zumal in den USA, geradezu in einem jüdisch-christlichen Dialogzeitalter leben, das sich wie ein strahlender Tag von der gesprächslosen Nacht früherer Zeitalter abhebt. Deshalb könnte man meinen, Dabru Emet müsste in der jüdischen Gemeinschaft und in den christlichen Kirchen mit offenen Armen Aufnahme finden - zumindest nach einer gewissen Inkubationszeit.38 In manchen christlichen Kreisen macht das Reizwort des „theologischen Besitzverzichts“ die Runde und lässt den Vorwurf laut werden, zur Kompensation eines Schuldkomplexes würden nur die Gemeinsamkeiten im jüdischen und christlichen Glauben hervorgehoben und die christliche Wahrheit aufgegeben. Im Austausch mit meinen Gesprächspartnern wurde ich über starke Vorbehalte und Ängste insbesondere auf jüdischer Seite informiert. Es gibt gute Gründe, warum Juden sich weigern, manchmal sich weigern müssen, sich auf Glaubensgespräche mit Christen einzulassen. Schematisch gesprochen sind es ein theoretisches, ein praktisches und ein emotionales Argumentationsmuster.

Das theoretische Argumentationsmuster gründet in einer grundlegenden Skepsis gegenüber Theologie, genauer: gegenüber traditionellen Formen christlicher Theologie.39 Theologie steht im Judentum oft unter dem Verdacht, eine überflüssige, unjüdische und suspekte Beschäftigung zu sein. Überflüssig, weil sie ein theoretischer Überbau über den heiligen Schriften und über dem Leben sei; überflüssig sodann, weil Juden ihr Selbstverständnis nicht in Anknüpfung und Abhebung gegenüber dem Christentum definieren müssen, was umgekehrt Christen nicht möglich ist. Unjüdisch, weil Theologie im Grunde dogmatische Prinzipienlehre eines autoritären Lehramtes sei, das es im Judentum nicht gibt. Suspekt, weil auch moderne Theologie in freundlich-dialogischem Gewand in Wahrheit nichts anderes sei als die klassische Kontroverstheologie mit ihrer apologetischen Argumentation oder weil Glaubensgespräche mit Andersgläubigen entweder zur Verschärfung der Glaubensunterschiede und zu Feindseligkeiten führen oder zur Aufweichung der eigenen Überzeugung (so der rechte Flügel des Orthodoxen Judentums). Meine jüdischen Gesprächspartner jedoch werten diese verbreitete Abneigung gegenüber theologischer Reflexion nicht als Resultat vertiefter Studien, sondern im Gegenteil als Schutzbehauptung für den Mangel ernsthafter intellektueller Anstrengung, so dass sich die Fortdauer stereotyper Vorstellungen vom Christentum mit einer geringen Kenntnis des Christentums verbindet: „Amerikanische Juden, die stolz sind auf ihre Kenntnis auf vielen Gebieten, wissen relativ wenig über den aktuellen Stand christlicher Theologie. ... Amerikanische Juden wissen ebenso oft relativ wenig über theologische Interpretationen des Judentums!“40 Solcher Abneigung gegen theologische Reflexion, die weder die Hochform der jüdischen noch der christlichen Theologie zur Kenntnis nimmt, setzen die Autoren von Christianity in Jewish Terms eine reflektierte Theologie entgegen, die Glauben und Denken nicht als Gegensätze, sondern als spannungsvolle Einheit betrachtet. Nur ein durchdachter Glaube könne sich in der heutigen pluralistischen Gesellschaft behaupten und sich auf die notwendige kritische Auseinandersetzung über die Lebensfragen unserer Zeit einlassen.41

Die praktischen Einwände betreffen die Gefährdung der jüdischen Gemeinschaft durch Judenmission und durch Mischehen. Schlechte Erfahrungen mit dem Christentum wie auch mit dem aufgeklärten Humanismus der Neuzeit, der zur Juden-Assimilation, zur Aufgabe der Religion zu Gunsten einer humanistischen Ethik, verleitete, sind nicht vergessen. Dazu kommt heute die Befürchtung, die starke Hinwendung christlicher Theologen zu den jüdischen Wurzeln ihres Glaubens könnte zu einer „Enteignung“ der jüdischen Quellen durch die Kirche führen. Auch Dabru Emet nimmt diese Bedenken ernst: In den Erläuterungen zur 7. These werden als Gefährdungen genannt: kulturelle und religiöse Assimilation, Verfälschung traditioneller Gebetsformen, Mischehen und Konversion zum Christentum. Aber die Autoren vertreten die Auffassung, man dürfe diesen Gefahren nicht ausweichen und müsse ihnen nicht erliegen. Darum lautet ihre These: „Ein neues Verhältnis zwischen Juden und Christen wird die jüdische Praxis nicht schwächen“.42

Für einen Dialog, der sich der eigenen Überzeugung verpflichtet weiß und deshalb ohne Angst den Austausch mit Menschen anderer religiöser Überzeugung wagt, hat David Novak einen Kriterienkatolog entwickelt, der folgende Fehlformen ausschließt: Disputation, Proselytization, Syncretism, Relativism and Triumphalism.43 Die Fehlform der Disputation geht von der Konfrontation aus: Was der Andere vertritt, kann nur falsch sein und ist daher immer abzulehnen. Der Proselytismus missbraucht den Dialog als Mittel zur Bekehrung, achtet ihn nicht als Wert in sich selbst. Der Synkretismus nimmt weder das Judentum noch das Christentum als Offenbarungsreligion ernst, sondern ersetzt beide durch das Konstrukt einer neuen Religion und verführt daher zur Idolatrie. Der Relativismus verharmlost den Glauben zu einer privaten Ansichtssache; deshalb sei ein ernsthaftes Glaubenszeugnis, das auch bereit ist, als Märtyrer das Leben einzusetzen, die größte Dummheit. „Man kann nicht gleichzeitig als Jude und Christ leben. Man könnte zu Recht sagen, die größte Versuchung für einen Juden ist das Christentum und die größte Versuchung für einen Christen ist das Judentum. Weil das so ist, erklärt sich, warum Juden und Christen so viel miteinander sprechen müssen und ebenso, warum die Hindernisse in den jüdisch-christlichen Beziehungen so hoch sind.“44 Die Fehlform des Triumphalismus schließlich verwechselt die Überzeugung, die eigene Religion sei die höchste Wahrheit, mit dem Anspruch, schon jetzt und allein im vollen Besitz der Wahrheit zu sein und deshalb die Vollendung der Geschichte durch Gott vorweg nehmen zu dürfen.

Die dritte Barriere, die eine angstfreie, offene Begegnung der Juden mit Christen und Kirchen versperrt, ist emotioneller Art: Können wir euch trauen, und können wir euch schon jetzt trauen? Reichen wenige Jahrzehnte kirchlicher Worte und Taten, so ehrlich sie gemeint sind, für eine glaubhafte, verlässliche Gewissheit, dass sich das Christentum von seiner fast 2000-jährigen Feindschaft und Verachtung des Judentums bekehrt hat, die Anstrengungen der t’shuvah geleistet hat? Robert Chazan schließt seinen ausgewogenen Überblick über die wechselvolle, meist dunkle Geschichte zwischen Christen und Juden mit der Darstellung des Neuanfangs nach der Schoa und der vorsichtigen Hoffnung: Ob diese positiven Anzeichen einer neuen Zusammenarbeit und eines neuen gegenseitigen Respekts von Dauer sind, wird sich erst im Laufe der Zeit erweisen. „Aber es zeichnen sich anscheinend reale Möglichkeiten ab, dass die negativen Beziehungen der Vergangenheit ... den Weg zu positiveren Beziehungen zwischen zwei Glaubensgemeinschaften eröffnen, die dem selben Ursprung entstammen.“45 Dieser vorsichtigen Hoffnung widerspricht in Christianity in Jewish Terms am schärfsten David R. Blumenthal: Die 2000 Jahre alte blutige Geschichte der jüdisch-christlichen Beziehungen erlaube traditionellen Juden nicht, sich mit manchen christlichen Glaubenslehren zu identifizieren, auch wenn sich in jüngster Zeit bei einigen Christen eine andere Einstellung zeige. Daraus folgert er: „Gute Zäune garantieren eine gute Nachbarschaft.“46 Vertrauenseinbrüche, wenn plötzliche Störungen das gute Klima beeinträchtigen, zeigen, wie schnell vernarbte Wunden wieder aufbrechen, wie schwankend die Brücke ist, auf der wir uns bewegen. Auch engagierte Katholiken tun sich oft schwer mit der Erkenntnis, dass der Weg der Kirche nicht gradlinig und unser Verhalten oft widersprüchlich ist, setzen aber dennoch den Weg der Verständigung fort. Der durch die Last der Geschichte bedingte Mangel an Vertrauen in den christlichen Partner ist zweifellos das größte Hindernis, das es auf dem Weg zueinander und miteinander in die Gesellschaft zu überwinden gilt. Im 30-jährigen Gesprächsprozess unseres Kreises „Juden und Christen“ blieben auch uns solche Vertrauenskrisen nicht erspart. Wir haben gelernt, nicht mit starken Argumenten, auch nicht mit einem leisen Erwartungsdruck das Vertrauen der Partner einzufordern. Wir haben uns vorgenommen, ohne Groll und Vorwürfe die Ungleichzeitigkeit zu akzeptieren, so dass die eine früher, der andere später oder vielleicht gar nicht den Weg des Vertrauens wagt.47

Angesichts solcher Schwierigkeiten ist die Initiative von Dabru Emet ein mutiger, Richtung weisender Vorstoß einer kleinen jüdischen Elite, der verständlicherweise von der großen Mehrheit der jüdischen Gelehrten und Gemeinden nicht sofort und nicht vorbehaltlos mitvollzogen wird. Doch Dabru Emet und Christianity in Jewish Terms verdienen einen Prozess des Nachdenkens und der kritischen Prüfung. Denn die Autoren setzen sich mit drei unübersehbaren Gegebenheiten auseinander. Erstens nehmen sie zur Kenntnis, dass die säkulare, pluralistische Gesellschaft eine Situation eröffnet, in der die Juden - nicht zuletzt wegen der Staatsgründung von Israel - nicht mehr eine wehrlose Minderheit darstellen und in der Religion einerseits erheblich an Einfluss verloren hat, anderseits durch die Lebensfragen der Gesellschaft herausgefordert ist.48 Sie stellen die Frage, welche Aufgabe dem Judentum von Gott her in der säkularen Welt und unter den Weltreligionen zukommt. Zweitens nehmen sie zur Kenntnis, dass sich die Kirchen seit der Schoa sichtlich verändert haben, und sie berichten von ihrer Erfahrung, das Studium des christlichen Glaubens habe ihren Glauben und ihr Denken bereichert. Sie ermutigen andere, dieselbe Erfahrung zu machen. Drittens nehmen sie zur Kenntnis: „Die meisten Juden haben die tiefen sozialen Konsequenzen dieses Wandels im christlichen Glauben erfahren, aber wenige Juden nehmen die religiösen Quellen dieses Wandels wahr und noch weniger versuchen die Auswirkungen einzuschätzen, die sich heute und in Zukunft für das jüdische Leben stellen.“49 Deshalb plädieren sie dafür, die religiös-theologischen Fragen mit Priorität auf die Agenda des christlich-jüdischen Dialogs zu setzen. All das ist nicht Wiederholung des schon immer Gewussten, sondern Aufbruch in theologisches Neuland.

4. Religiöser Dialog und theologische Forschung vor neuen Aufgaben

Das christlich-jüdische Verhältnis entwickelt sich in Begegnungen, durch die sich Fremde menschlich näher kommen, Vorurteile abbauen und Interesse aneinander finden. Es wird gefestigt durch gegenseitige Unterstützung und durch gemeinsame Initiativen für soziale und gesellschaftliche Belange. Es erhält Orientierung durch offizielle Dokumente und symbolträchtige Ereignisse auf institutioneller Ebene. Dies alles ist nach wie vor unbedingt notwendig. Aber - darauf hebt Dabru Emet ab - ohne die religiöse Dimension des Dialogs, kommen diese Bemühungen an ihre Grenze, denn sie reichen nicht an die Wurzel der jüdischen und der christlichen Identität.

Christianity in Jewish Terms geht noch einen Schritt weiter: Eine freundschaftliche Beziehung zwischen Juden und Christen, die die traditionelle Judenfeindschaft der Christen und die Angst der Juden vor dem Christentum von der Wurzel her überwindet, kann nicht ohne Theologie, ohne einen reflektierten Glauben, gelingen. Deshalb forderte schon 1971 John M. Oesterreicher eine „christliche Theologie des Judentums“ und eine „jüdische Theologie des Christentums“.50 Aus demselben Grund betonte 1979 der Gesprächskreis „Juden und Christen“: Für die „Weggemeinschaft von Juden und Christen“ genügen nicht „taktische Erwägungen“, auch nicht „Gründe humaner Toleranz sowie die Achtung der Religionsfreiheit“. „Der tiefste Grund liegt vielmehr darin, dass es derselbe Gott ist, von dem Juden und Christen sich berufen wissen.“ „Um Gottes willen“, „um des Himmelreiches willen“, sind sie aneinander gebunden.51 In den letzten Jahrzehnten entstanden viele kirchliche Dokumente und theologische Ansätze zu einer Neubewertung des Judentums, aber „jüdische Ansätze zur Neubewertung Jesu und des Christentums zeichnen sich [nur] sporadisch ab,“52 so Clemens Thoma 1995. Hier haben Dabru Emet und Christianity in Jewish Terms einen großen Schritt nach vorne gewagt und damit eine neue Phase für den religiösen Dialog und die theologische Forschung eröffnet. Lassen Juden und Christen sich auf diese Einladung ein, stellen sich drei grundsätzliche Aufgaben, die wir gemeinsam zu bearbeiten haben, in Zukunft noch mehr als bisher:

  • Welche gegenseitige Bereicherung ist vom transatlantischen Dialog für die christlich-jüdischen Beziehungen zu erwarten?
  • Wie kann die Phase der Kontroverstheologie, die Bekenntnis gegen Bekenntnis setzt, durch eine Theologie abgelöst werden, die die Geschichtlichkeit des Glaubens ernst nimmt?
  • Welche Konsequenzen verlangt die Lehre von Gottes nicht gekündigtem Bund mit Israel, die im Zentrum der christlichen Theologie des Judentums stehen muss?

4.1 Struktureller und personaler Dialog

Der Dialog ist eine der wertvollsten Errungenschaften der Moderne. In früheren Zeiten wurden Konflikte meist durch Anwendung von Gewalt entschieden, durch den Sieg des Stärkeren, oder durch Verhandlungen, deren Ergebnis ein Interessenausgleich war. Der Dialog eröffnet eine dritte Möglichkeit der Auseinandersetzung zwischen Menschen und zwischen „Welten“, die einander fremd gegenüberstehen. Er hat zur Voraussetzung, dass die Partner einander verstehen und sich gegenseitig verständlich machen wollen, und er hat eine versöhnte Verschiedenheit zum Ziel.53

Wir müssen den strukturellen Dialog zwischen Institutionen und Organisationen, beispielsweise zwischen Kirche und Kunst oder zwischen Religion und Gesellschaft, unterscheiden vom personalen Dialog, der sich in der interpersonalen Begegnung ereignet. Im institutionellen Dialog steht das Ernstnehmen der Sache, der Anliegen des Partners, im Vordergrund. Repräsentanten verschiedener Institutionen oder Organisationen begegnen einander in der Bereitschaft, voneinander zu lernen und dabei gegebenenfalls die Voraussetzungen des eigenen Handelns zu verändern. Ein wichtiger Ort des institutionellen Dialogs sind Konferenzen, wie sie etwa auf verschiedenen Ebenen zwischen Repräsentanten des Judentums und der Kirchen stattfinden. Im personalen Dialog hingegen steht nicht der Gesprächsinhalt im Vordergrund, sondern die Beziehung zwischen Personen, die einander vertrauen, einander ernst nehmen wollen und bereit sind, ihre eigenen Ansichten im Gespräch mit dem Anderen aufs Spiel zu setzen. Im Unterschied zum strukturellen Dialog zwischen Repräsentanten von Systemen können im personalen Dialog die Partner nicht ausgewechselt werden, weil das Vertrauensverhältnis nicht übertragbar ist. Dennoch ist nicht zu übersehen, dass dialogische Beziehungen im Systemgrenzen überwindenden Sinn umso eher gelingen, je mehr die Vertreter der einzelnen Systeme sich gegenseitig als Personen wahrnehmen und achten. Man denke beispielsweise an berühmte konfliktüberwindende Politikerbeziehungen, wie zwischen De Gaulle und Adenauer, Reagan und Gorbatschow.

Für die Zukunft des christlich-jüdischen Verhältnisses ist die Fortführung des institutionellen Dialogs zwischen Repräsentanten beider Religionen notwendig, aber ebenso der institutionelle Dialog mit der Gesellschaft über Gerechtigkeit und Frieden.54 Aber beide Richtungen des institutionellen Dialogs müssen ergänzt und unterstützt werden durch den personalen Dialog von einzelnen Juden und Christen (auch Muslimen) mit Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik. Doch der institutionelle und der personale Dialog zwischen Juden und Christen sind nicht überall und jederzeit in gleicher Weise möglich. Hierzu einige Hinweise auf Zukunftsaufgaben, die bisher kaum in Angriff genommen sind:

  • Dabru Emet will eine neue Phase des jüdisch-christlichen Dialogs einleiten. Dass diese Initiative von den USA ausgeht, liegt, wie gezeigt, an der besonderen Situation des dortigen Judentums. Deshalb gebührt dem nordamerikanischen Beitrag zum strukturellen Dialog zwischen den „Welten“ des Judentums und des Christentums eine einzigartige Bedeutung. Da der strukturelle Dialog aber wesentlich von der Kraft des personalen Dialogs getragen und gefördert wird, genügt es nicht, dass einzelne christliche Forscher mit dem einen oder anderen jüdischen Kollegen in kontinuierlichem Austausch stehen. Der Dialog muss breiter angelegt sein. Dafür sind die Wege gemeinsamen Forschens zwischen Nordamerika, Europa und Israel konsequent auszubauen. Ohne stärkere Einbeziehung Nordamerikas würde der christlich-jüdische Dialog in Europa und Israel provinziell bleiben.
  • Auch zwei andere Regionen sind für das christlich-jüdische Verhältnis von einzigartiger Bedeutung: Deutschland und Israel. Israel, weil dort das Judentum in seiner Einheit des Gottes Israels, des Volkes Israel und des Landes Israel wiedererstanden ist und seinen Weg sucht. Deutschland, weil von diesem Land die Schoa ausging und durchgeführt wurde. Wie tief die Schoa das Christentum in seinem Selbstbewusstsein und seiner Glaubwürdigkeit erschüttert hat, bleibt als geschichtliche Erfahrung und Verantwortung mit diesem Land und dieser Nation verbunden. Der Umkehrprozess des Christentums muss sich gerade hier erweisen. Wo der Ort der Schuld ist, ist auch der Ort der Gnade. Das christlich-jüdische Verhältnis kann ohne den christlichen Partner in Deutschland keine Zukunft haben. Deshalb sind die Brennpunkte des christlich-jüdischen Dialogs die drei Länder USA, Israel und Deutschland.
  • Man könnte einwenden, der Beitrag der theologischen Forschung zum christlich-jüdischen Dialog sei großenteils von der internationalen biblischen, historischen und systematischen Forschung rezipiert. Deshalb könne die theologische Forschung in jedem Land auch ohne direkte Beteiligung der jüdischen Partner von christlichen Theologen weitergeführt werden. Aber die Erfahrung lehrt, dass der ungeschützte Austausch in einem Klima des Vertrauens weit fruchtbarer und anregender ist als die Konsultation schriftlicher Quellen, da die Begegnung von Angesicht zu Angesicht mehr sichtbar macht und vor allem verborgene und vorsichtige Bedenken besser erahnen lässt als die abgesicherte Kommunikation in publizierten Beiträgen. Der personale Austausch bleibt daher von unschätzbarem und unentbehrlichem Rang.
  • Der strukturelle Dialog zwischen den auseinanderdriftenden „Welten“ der westlichen Gesellschaft und der Religion ist zu Recht den Autoren von Dabru Emet ebenso wichtig wie der interreligiöse Dialog. Denn der Optimismus, der den säkularen Humanismus seit der Aufklärung prägte, ist nach den schrecklichen Erfahrungen des vorigen Jahrhunderts mit seinen totalitären Ideologien, gründlich entzaubert. Deshalb halten es die Autoren von Dabru Emet für unabdingbar, mit einem neuen Selbstbewusstsein die religiösen Traditionen von Judentum und Christentum für eine ethische, gesellschaftliche und politische Erneuerung der westlichen Zivilisation auf allen Feldern des wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens um des Überlebens der Menschheit und der menschenwürdigen Gestaltung der Gesellschaft willen in den gesellschaftlichen Diskurs einzubringen.55 Für das weite Gebiet der Sozialethik ist Deutschland von seiner Tradition her wie kein anderes Land der wichtigste Partner. Dieser Aufgabe kommt eine dem interreligiösen Dialog ebenbürtige Bedeutung zu. Die Herausforderung durch die Lebensfragen der Gesellschaft - Gerechtigkeit, Frieden und Schutz der natürlichen Umwelt - kann nicht ohne eine Vertiefung und Weiterentwicklung der religiösen Traditionen gelingen. Auf dem Gebiet der Sozialethik liegt die meiste Arbeit noch vor uns.

4.2 Geschichtlichkeit der Offenbarung und des Glaubens

„In den vergangenen Jahren hat sich ein dramatischer und unvorhersehbarer Wandel in den christlich-jüdischen Beziehungen vollzogen. Während des fast zwei Jahrtausende andauernden jüdischen Exils haben Christen das Judentum zumeist als eine gescheiterte Religion oder bestenfalls als eine Vorläuferreligion charakterisiert, die dem Christentum den Weg bereitete und in ihm zur Erfüllung gekommen sei. ... [Die öffentlichen Erklärungen der Kirchen haben] verdeutlicht, wie christliche Lehre und Predigt reformiert werden können und müssen, um den unverändert gültigen Bund Gottes mit dem jüdischen Volk anzuerkennen und den Beitrag des Judentums zur Weltkultur und zum christlichen Glauben selbst zu würdigen.“56 Diese Situationseinschätzung steht am Anfang von Dabru Emet. Sie formuliert die Grundlage des Dokuments wie auch von Christianity in Jewish Terms als „ein Projekt zur Neubestimmung der Beziehung“57 zwischen Juden und Christen. Das schließt eine Neudefinition des jeweiligen Selbstverständnisses notwendig ein.

Eine erste, aber nicht hinreichende Erklärung für die Notwendigkeit, alle Traditionen stets kritisch zu überprüfen, liegt im neuzeitlichen Wissenschaftsverständnis. Es hat dem ungeschichtlichen Systemdenken im westlichen Kulturkreis ein Ende gesetzt. Hermeneutik und Geschichtlichkeit sind die beiden Einsichten, die der scheinbar zeitlosen Spekulation über „ewige Wahrheiten“ eine grundsätzliche Absage erteilt haben. Diese Einsicht liegt sowohl der Kirchenreform zugrunde, die sich das Zweite Vatikanische Konzil zur Aufgabe gemacht hat, als auch dem Reformjudentum, das den theologischen Fortschritt grundsätzlich bejaht.58 Reform bedeutet nicht Aufgabe der Tradition, was der Gründung einer neuen Religion gleich käme, wohl aber deren Vertiefung und Korrektur, auch das Aufgeben von bisher fraglos feststehenden Positionen, von scheinbar unveränderlichen Glaubenslehren. In diesem Sinne lautet die programmatische Aussage der Offenbarungskonstitution des Konzils: „Dei Verbum“: Die „apostolische Überlieferung kennt in der Kirche unter dem Beistand des Heiligen Geistes einen Fortschritt“ (Nr. 8). Fundamentalistische Richtungen im Judentum und Christentum - auch in anderen Religionen - widersetzen sich solchem Fortschrittsdenken, weil sie darin eine Verleugnung oder Verwässerung der religiösen Identität sehen.

Doch die Akzeptanz neuzeitlichen Denkens in der Theologie erklärt nicht hinreichend den radikalen Wandel. Ausschlaggebend für neue Glaubenseinsichten und theologische Reflexionen sind in der Regel einschneidende geschichtliche Ereignisse, die den traditionellen Rahmen sprengen. Die Schoa und das Zweite Vatikanische Konzil59 und für Juden die Gründung des Staates Israel waren solche historischen Wendepunkte. Normalerweise ordnen Menschen - auch Glaubensgemeinschaften - neue Erfahrungen in den Rahmen ihres Selbstverständnisses ein. Selbst Kontrasterfahrungen werden meist problemlos in das System eingebaut. Die jüdische wie die christliche Geschichte kennt aber auch Kontrasterfahrungen, die eine Erweiterung oder Sprengung des traditionellen Rahmens zur Folge hatten. Dazu einige Beispiele:

  • Die Begegnung der Konzilsväter mit den nichtkatholischen Beobachtern auf dem Zweiten Vatikanum hat dazu geführt, auch anderen christlichen Glaubensgemeinschaften den Ehrentitel Kirche zuzuerkennen und die nichtkatholischen Christen nicht länger als Häretiker, sondern als „getrennte Brüder und Schwestern“ zu bezeichnen.60
  • Nach dem Schock der Schoa kann die mittelalterliche Gegenüberstellung von Ecclesia und Synagoga von der Kirche nicht länger aufrecht erhalten werden: hier die siegreiche Königin Kirche, dort die blinde, entthronte Synagoge. Das Überlegenheitsgefühl der Christenheit gegenüber dem Judentum ist zutiefst erschüttert, der christliche Anspruch desavouiert, dem Reich Gottes näher zu sein.61
  • Dasselbe Phänomen lässt sich auch in der Geschichte des Judentums beobachten. „Das rabbinische Judentum erfuhr die konstantinische Wende, das heißt den Wechsel von heidnischer zur christlicher Herrschaft im 4. Jahrhundert nicht als Einschnitt zum Besseren, sondern als Verschärfung des antijüdischen Gehabens neuer römischer Machthaber. Daher rutschte die Kirche in der jüdischen Beurteilung unversehens in die vom heidnischen Rom besetzte Rolle ‚Edoms’, der ‚übelwollenden Regierung’ und des bedrohlichen ‚Weltvolkes’ hinein.“62
  • Aufgrund völlig neuer geschichtlicher Erfahrungen mit Christentum und Kirche plädiert Dabru Emet dafür, (den schändlichen Titel „Edom“ als Bezeichnung für die Christenheit aufzugeben und) ein freundschaftliches Verhältnis zwischen beiden Glaubensgemeinschaften aufzubauen. Dafür führt Dabru Emet theologische Gründe an: dass die Kirche den ungebrochenen Bund Gottes mit seinem Volk Israel anerkennt, den Gott Israels verehrt und sich klar zur Autorität der Hebräischen Bibel und den ethischen Geboten der Tora bekennt. Der jüdische Gelehrte Irving Greenberg spricht den einschneidenden geschichtlichen Ereignissen der jüngsten Vergangenheit sogar Offenbarungsqualität zu: „Als Offenbarungsereignisse (revelatory events) sind der Holocaust und die Wiedergeburt des Staates Israel der Schlüssel für eine neue Beziehung ... Nach dem Holocaust sollte es uns die (neue) Beziehung zwischen Judentum und Christentum möglich machen, den unverkürzten Glaubensanspruch des Partners zu akzeptieren, auch die tiefe, innere Verwandtschaft zwischen beiden Religionen zu akzeptieren, ferner anzuerkennen und zu begrüßen, dass sich beide Religionen viel näher sind, als jede von ihnen bisher gemeint hat.“63

Diese Beispiele belegen zum einen, dass geschichtliche Kontrasterfahrungen zu einer Neuinterpretation der Tradition herausfordern, zum anderen, dass eine theologische Interpretation geschichtlicher Prozesse im Licht der eigenen Tradition unverzichtbar ist, um solchen Ereignissen Offenbarungsqualität zuzuschreiben. So geht das Zweite Vatikanum davon aus, dass der sich offenbarende Gott auch heute innerhalb und außerhalb der Kirche gegenwärtig und wirksam ist und der Kirche durch die „Zeichen der Zeit“ (Mt 16,3; Lk 12,56) ihre Sendung in der Welt von heute zu erkennen gibt: „Zur Erfüllung ... ihres Auftrags obliegt der Kirche allseits die Pflicht, nach den Zeichen der Zeit zu forschen und sie im Licht des Evangeliums zu deuten.“64 Für das christlich-jüdische Verhältnis ergibt sich daraus die Aufgabe, den institutionellen und personalen Dialog zu intensivieren, um sich für neue Erfahrungen zu öffnen, diese Erfahrungen im Licht der eigenen Tradition zu deuten und das Selbstverständnis und die gegenseitige Beziehung neu zu definieren. In diesem Prozess stellen sich neue theologische Fragen, auf die die alten Antworten nicht mehr passen.

Die dramatischen geschichtlichen Ereignisse der letzten Jahrzehnte führen nicht nur zu einer Neuinterpretation mancher Glaubenslehren (belief), sie fordern uns auch zu einem radikalen Wandel des Glaubensaktes (faith) heraus, zu einer Dramatisierung des Glaubens. Im Verlauf der Geschichte haben unsere Glaubensgemeinschaften immer wieder Glaubenssätze und Glaubensbekenntnisse formuliert. Obwohl das Judentum keine systematisch-theologische Dogmatik kennt und vor allem kein hierarchisches Lehramt, das Dogmen verkündet, finden sich auch in der jüdischen Tradition viele Grundsätze des Glaubens, etwa die fünf Glaubensprinzipien des Philo von Alexandrien und die dreizehn Grundsätze des Glaubens von Maimonides.65 Doch die geschichtslose Gültigkeit eines Credo ist für Juden und Christen insbesondere durch die Schoa ins Wanken geraten. Irving Greenberg hat die Frage zugespitzt: „Der Holocaust konfrontiert uns mit unbeantwortbaren Fragen. Aber lasst uns einem Prinzip zustimmen: Kein theologisches oder anderes Statement sollte gemacht werden, das nicht glaubhaft wäre angesichts der brennenden Kinder ... Nach Auschwitz bedeutet Glaube, dass es Zeiten gibt, in denen ein Glaubensakt (faith) nicht mehr möglich ist. Seit Glaube eine Antwort auf die Gegenwart in Leben und Geschichte ist, gleicht diese Antwort den Gezeiten von Ebbe und Flut. Der Unterschied zwischen dem Skeptiker und dem Gläubigen ist die Häufigkeit von Glaubensakten, und nicht die Sicherheit einer festen Position. Die Fähigkeit damit zu leben, was ich als ‚Glauben im Augenblick’ (moment faith) nenne, ist die Fähigkeit, mit dem (religiösen) Pluralismus zu leben ...“66

Konkret gesprochen: Manche Glaubenssätze unserer Traditionen sind an einem Ort wie Auschwitz und seit der Schoa nicht mehr aufrechtzuerhalten. Sie bleiben uns im Hals stecken. Auf dem Gelände eines Vernichtungslagers kann „man“ nicht in formaler Glaubenstreue das Bekenntnis zu Gott als dem Allmächtigen, Allwissenden, Allgütigen öffentlich zitieren, ohne der Gotteslästerung angeklagt zu werden. Das Glaubensbekenntnis würde zur zynischen Formel verkehrt. Oder wer wagte die Angehörigen der in Auschwitz verbrannten Kinder mit dem Psalmvers zu trösten: „Nie sah ich einen Gerechten verlassen, noch seine Kinder betteln um Brot“ (Ps 37,25b)! Deshalb legt Greenberg Widerspruch ein gegen das Ideal einer stets gleichbleibenden, starren Glaubenshaltung, die weder Gott noch Opfern der Schoa gerecht wird. Seine Forderung, authentischer Glaube müsse immer ein „moment faith“ sein, ein Sprechen, Schweigen oder Verstummen, ein Lobpreis für die Errettung oder ein klagendes, auch Gott anklagendes Schreien angesichts des unmenschlichen Schreckens, verlangt nach einer Dramatisierung des Glaubens, um der Fremdheit Gottes und seinem oft unbegreiflichen Handeln bzw. Nichthandeln gerecht zu werden. Das ist nicht Glaubensschwäche, sondern wahrhaftiger, ringender Glaube, Suche nach einer neuen Gottesbeziehung angesichts einer radikal neuen geschichtlichen Erfahrung. Die Entdramatisierung des Glaubens zu einem geschichtslosen und fraglosen Sprechen und Beten hingegen ist in Wahrheit Unglaube, Ideologie. Dieses Postulat ist freilich nicht zu verwechseln mit der Leichtfertigkeit, mit der sich „moderne“ Zeitgenossen ihr individuelles Glaubensbekenntnis aus allen möglichen Bausteinen unserer pluralistischen Welt zusammenbasteln. Jakob, der mit Gott am Jabbok ringt (Gen 32) und deshalb den Namen „Israel/Gotteskämpfer“ erhält, ist das Gegenteil eines dilettantischen Bastlers in Sachen Religion.

Die Schoa fordert von Juden und Christen, mit offenen Fragen zu leben. Die Redseligkeit von Theologen und religiösen Autoritäten, die stets ihre Antworten bereit haben, wird zunehmend verdächtig, weil uns bewusst wird, wie unendlich begrenzt unser Wissen über Gott ist. Glaube wird existentiell und theologisch wieder zum Wagnis. Das fragende Suchen christlicher Theologen, zu den Wurzeln ihres Glaubens vorzustoßen, dabei das Judentum neu und anders zu entdecken sowie die christliche Identität neu und anders zu erforschen, ist der apologetischen Ablehnung des Judentums gewichen. Das fragende Suchen jüdischer Denker, von ihrer eigenen Glaubenstradition her einen jüdischen Zugang zum Christentum zu bahnen, ist zugleich eine Einladung an das Judentum, den christlichen Glauben zu verstehen, was nicht heißt, ihn für sich zu akzeptieren. An die Stelle des unverbundenen Nebeneinander ist ein spannungsvolles und spannendes Miteinander getreten, dessen Ziel nicht die „ökumenische“ Vereinigung beider Religionen sein kann: „Der nach menschlichem Ermessen unüberwindbare Unterschied zwischen Juden und Christen wird nicht eher überwunden werden, bis Gott die ganze Welt erlösen wird, wie die Schriften prophezeien.“67 Judentum und Christentum sind Religionen, die sich gegenseitig ausschließen. Hier steht Glaube gegen Glaube, jüdischer Glaube gegen christlichen Glauben - nicht Wissen gegen Unwissen oder Wahrheit gegen Unwahrheit. Ist mit dieser Aussage ein Denkverbot ausgesprochen, der Dialog am Ende? Im Gegenteil: Der Glaube der Anderen muss in eine heilsame Unruhe versetzen, weil er ernsthafte Fragen an den eigenen Glauben stellt. Diese Fragen dürfen wir nicht auf sich beruhen lassen, wir müssen sie uns selbst und dem Dialogpartner stellen. Aber wir brauchen nicht unbedingt eine Antwort auf jede Aporie, sondern können und müssen manche Fragen, vielleicht die wichtigsten, Gott selber überlassen, weil sie nicht in unsere Zuständigkeit fallen. Zwei Zitate mögen das Gemeinte illustrieren, zunächst der Dichter Elazar Benyoëtz: „Die Antworten des Glaubens sind nicht gefragt; das Verlangen nach ihnen verdirbt das Denken. Hiob lebte im Glauben und hatte darum gute Fragen. Das war sein Gewinn und ist unser Kapital bis heute geblieben.“68 Von Martin Buber ist überliefert: „Meine Damen und Herren, wir haben in der Tat viele Gemeinsamkeiten. Wir warten alle auf den Messias. Sie glauben, er ist bereits gekommen, ist wieder gegangen und wird einst wiederkommen. Ich glaube, dass er bisher noch nicht gekommen ist, aber dass er irgendwann kommen wird. Deshalb mache ich Ihnen einen Vorschlag: Lassen Sie uns gemeinsam warten. Wenn er dann kommen wird, fragen wir ihn einfach: Warst Du schon einmal hier? Und dann hoffe ich, ganz nahe bei ihm zu stehen und ihm ins Ohr zu flüstern: ‚Antworte nicht!’“.69

4.3 Der ungekündigte Bund

Im Dezember vergangenen Jahres sagte Kardinal Walter Kasper vor Juden und Christen in den USA, die Lehre vom Bund sei „das zentrale Thema des jüdisch-christlichen Dialogs“. Aber die Beziehung zwischen dem Alten Bund und dem Neuen Bund sei „so komplex, dass sie nicht auf eine prägnante Formel reduziert werden könne.“ Er lud Juden und Christen zum gemeinsamen Zeugnis ein; denn beide teilen den Glauben, dass Gott nicht ein abstraktes und fernes Wesen sei, sondern „der Gott des Bundes“. Er forderte Juden und Christen auf, „ihre Absolutheitsansprüche und das damit verbundene Überlegenheitsbewusstsein aufzugeben“ und regte „eine mögliche gemeinsame Theologie des Bundes“ an.70

Dass der Bund das zentrale Thema des christlich-jüdischen Dialogs sein muss, ist nicht nur aus theologischen, sondern auch aus historischen Gründen einsichtig, weil die christliche Rede von Gottes Bundestreue zu seinem Volk Israel dem Judenhass der Christenheit den Boden entzogen hat. Mit Berufung auf den Römerbrief (Kap. 9-11) hält das Zweite Vatikanische Konzil in seiner Erklärung „Nostra aetate“ an der bleibenden Erwählung Israels fest, obwohl „ein großer Teil der Juden das Evangelium nicht angenommen hat, ja nicht wenige sich seiner Ausbreitung widersetzt“ haben. Wenn die Ablehnung des Evangeliums, in dessen Zentrum das Christusbekenntnis steht, für Gott kein Grund zur Verwerfung der Juden ist, dann steht es den Christen nicht zu, wie in der Vergangenheit den Juden aus der Ablehnung des Evangeliums einen Vorwurf zu machen, dann können Juden offen vor Christen ihr Nein zu Jesus Christus begründen. Erst recht dürfen Christen den Juden nicht das Gericht Gottes androhen, geschweige denn sich anmaßen, eigenmächtig Gottes Gericht an den Juden zu vollstrecken. Hass und Verfolgung von Menschen stehen im krassen Widerspruch zur biblischen Botschaft von der Menschenfreundlichkeit Gottes und zum universalen Liebesgebot des Alten wie des Neuen Testaments. Antisemitismus ist Sünde gegen Gott und die Menschlichkeit!71 Gottes Bundestreue zum jüdischen Volk steht im Zentrum der Konzilserklärung und wird seitdem von Papst Johannes Paul II. immer aufs Neue bekräftigt. Sie ist seit langem eine gemeinsame Aussage aller christlichen Kirchen und wird vom breiten Konsens der Theologen getragen. Schon in den Seelisberger Thesen haben Juden und Christen gemeinsam der „gottlosen Meinung“ widersprochen, „wonach das jüdische Volk verworfen, verflucht und für ein ständiges Leiden bestimmt sei“.72 Warum bezeichnet Kardinal Kasper diese bekannte und anerkannte Lehre trotzdem als eine komplexe Frage, die noch intensiver Forschung bedarf? Ist etwa die Feststellung von Dabru Emet verfrüht, dass die Kirchen sich verpflichtet hätten, in Lehre und Predigt „Gottes fortdauernden Bund mit dem jüdischen Volk anzuerkennen“ (Einleitung)?

Die christliche Lehre vom ungebrochenen Bund ist zwar kaum mehr kontrovers, aber ihre ständige Wiederholung verdeckt ein Problem: dass ihre Konsequenzen keineswegs geklärt sind, ja meist nicht einmal danach gefragt wird. Die Rede vom ungebrochenen Bund hat die Frage nach dem christlichen Verhältnis zu den Juden nicht „erledigt“, sondern fordert zunächst die christliche Seite zu Rückfragen an ihr überkommenes Selbstverständnis heraus. Von der Antwort auf diese weiterführenden Fragen wird entscheidend abhängen, ob der jüdische Partner unsere Rede vom ungekündigten Bund als Grundlage für ein neues gegenseitiges Verhältnis werten kann. Dazu einige Hinweise:

  • Die Anerkennung des ungekündigten Bundes steht im Widerspruch zum Absolutheitsanspruch der „klassischen“ Christologie. Mit dem Münsteraner Theologen Tiemo Rainer Peters könnte man sagen: „Wir haben unser christologisches Credo mit einer derartigen 150-Prozentigkeit und Absolutheit formuliert, dass dabei für das Judentum überhaupt kein Platz mehr war ... Christus hat alles erfüllt, und wir brauchen im Grunde das Volk und den Bund Gottes mit Israel nicht mehr.“73 Daraus ist nicht ein Verzicht auf das Christusbekenntnis abzuleiten, wohl aber eine konsequente Absage an eine ajüdische Theologie, die ohne das Judentum auskommt, aber im Grunde eine antijüdische Theologie ist, weil sie für das Judentum keinen Platz lässt. Das Dokument der Päpstlichen Bibelkommission vom 24.5.2001 „Das jüdische Volk und seine Heilige Schrift in der christlichen Bibel“ (Verlautbarungen des Apostolischen Stuhl 152) wertet die rabbinische Tradition erstmals als ein Zeugnis der Wahrheit. Darf man das als eine kirchliche Anerkennung für das fortdauernde Offenbarungswirken Gottes im nachbiblischen Judentum deuten? Die zur Routine gewordene Rede von der jüdischen Wurzel des Christentums wird zum Problem, wenn sie folgenlos bleibt. Ein Beispiel dafür ist der Katechismus der Katholischen Kirche von 1993, der gewiss kein antijüdisches, wohl aber ein ajüdisches Dokument ist, weil er die meisten Themen des christlichen Glaubensbekenntnisses ohne Würdigung der Verwurzelung im Judentum behandelt.74 „Erst wenn sich die Kirche deutlicher nicht nur ins Neue Testament, sondern auch in die ganze (Glaubens-)Geschichte des Volkes Israel samt dessen Erwartungen einbetten lässt, und wenn sie ihre eigene spezielle Botschaft von dem in Christus geschehenen und sich weiter vollziehenden Heil aller Völker nicht über die Juden hinweg oder gar gegen sie verkündet ..., wird sie den biblischen Shalom über Israel und die Weltvölker mit verwirklichen können. ... Die Kirchen werden dann ganz Kirche sein, wenn sie mit Christus als Gottesfürchtige der Weltvölker den Ehrennamen Israel zurecht annehmen und tragen dürfen.“75
  • Seit Jahren arbeiten sich christliche und jüdische Theologen an der Frage ab: Können wir einem religiösen Pluralismus zwischen den beiden biblischen Religionen Judentum und Christentum zustimmen, und zwar nicht nur aus Gründen der Toleranz in der modernen Gesellschaft, die Religionskriege verbietet, sondern aus der Glaubensüberzeugung, dass Gott sowohl das Volk Israel wie auch die Kirche als Sein Volk erwählt hat und bis heute im Judentum und im Christentum mit seiner Gnade und seiner Offenbarung am Werk ist? Ob es sich dabei um zwei Heilswege, einen doppelten Bund oder einen einzigen Heilsweg bzw. Bund handelt, ist eine weitere Frage, aber sie ist von untergeordnetem Rang.76 Weit wichtiger ist die Anerkenntnis, dass derselbe Gott Israels Juden und Christen je eigene Gaben zuteil werden lässt. Dann aber müssen sich Christen fragen: Was wollen wir von Juden über ihre Bundeserfahrung hören, was wir Christen uns von unserer Bundeserfahrung her gar nicht selber sagen können?
  • Die paulinische Ölbaumallegorie (Röm 11,13-24) nimmt im jüdisch-christlichen Dialog eine zentrale Stellung ein. Meist wird sie so interpretiert, dass der Ölbaum Israel meint, seine Wurzel Abraham ist und die aufgepfropften Zweige die christusgläubigen Heiden sind. Daraus wird die Konsequenz gezogen, dass das Christentum ohne lebendige Verbindung mit dem Judentum seine Identität verlieren müsste. Aber diese Interpretation, die Israel mit dem Ölbaum samt der Wurzel gleichsetzt, wirft die Frage auf, welche „Funktion“ Jesus Christus für die christliche Identität zukommt, da das Sein „in Christus“ für die paulinischen Schriften grundlegend ist. Die Verwurzelung der Kirche im Judentum und in Jesus Christus muss noch gründlicher reflektiert werden.77
  • Die Anerkennung des ungekündigten Bundes Gottes mit Israel stellt Christen vor die Frage, welche Aufgabe den Juden für das Heil der Welt und der Geschichte zukommt. Denn die jüdische Tradition widersetzt sich einer partikularistischen Engführung, als wäre das Judentum nur an der eigenen Erlösung, nicht aber an der Erlösung der Welt interessiert. Müssen sich auch die Christen für die Besinnung der Juden auf ihren geschichtlichen Auftrag interessieren, haben sie selbst dazu etwas zu sagen? Oder sollen sie diese Frage - „in demütiger Selbstbeschränkung“ - getrost Gott überlassen? Aber kann eine christliche Theologie des Judentums wirklich auf eine Würdigung der Rolle Israels im Heilsplan Gottes verzichten und diese Frage als ein innerjüdisches Thema ausklammern?
  • Für die Autoren von Dabru Emet ist das christliche Bekenntnis zum ungebrochenen Bund mit der Absage an die Judenmission78 zu verbinden. Das ergibt sich aus dem Zusammenhang zwischen der sechsten und siebten These und der Einleitung. Dieser Verzicht wird normalerweise geschichtlich begründet, weil die Christenheit den Juden gegenüber ihre Glaubwürdigkeit zumal nach der Schoa verwirkt hat (vielleicht sogar für alle Zukunft). Aber ist er auch theologisch begründet, weil Gott in seinem Bund Israel nahe geblieben ist, vielleicht nicht weniger nahe als „in Christus“ der Kirche? Verzicht auf Judenmission schließt freilich das Zeugnis von Jesus Christus nicht aus, wenn Juden von uns Christen trotz allem, was vorgefallen ist, wissen wollen: Gebt Rechenschaft von eurer Hoffnung (vgl. 1 Petr 3,15). So gefragt, werden sich Christen mit der anstößigen Aussage des Johannesevangeliums auseinandersetzen müssen: „Niemand kommt zum Vater, außer durch mich“ (Joh 14,6). So führt die Bundestheologie unweigerlich weiter zur Gottesfrage, zur unterschiedlichen Gotteserfahrung von Juden und Christen. Hierzu Clemens Thoma: „In der speziellen Gottesfrage liegt das empfindliche Zentrum allen jüdisch-christlichen Dissenses. Wer leichtfertig darüber hinweg dialogisiert, treibt den jüdisch-christlichen Dialog dem Scheitern entgegen ... Die größte Gemeinsamkeit bei aller Differenz in der Gottesfrage leuchtet dann auf, wenn Juden ohne Christusbekenntnis und Christen in der Christusgemeinschaft jenem Tag entgegenbeten und entgegenarbeiten, da ‚Gott einer sein wird und da auch sein Name einer sein wird’ (Sach 14,9).“79

Anmerkungen

  1. www.jcrelations.net; ebd. deutsche Übersetzung, ebenfalls: Die Kirchen und das Judentum [Bd. 1: Dokumente von 1945-1985, hrsg. v. Rolf Rendtorff, Hans Hermann Henrix, Paderborn/München 1989]; Bd. 2: Dokumente von 1986-2000, hrsg. v. Hans Hermann Henrix, Wolfgang Kraus, Paderborn/Gütersloh 2001, 974-976.
  2. Werner Trutwin, Dabru Emet - Sprich Wahrheit: Christ in der Gegenwart 54 (2002) 85f, ebd. 85.
  3. Vgl. Hanspeter Heinz, Um Gottes willen miteinander verbunden. Erfahrungen im christlich-jüdischen Gespräch: Christina Kurth, Peter Schmid (Hg.), Das christlich-jüdische Gespräch. Standortbestimmungen, Stuttgart-Berlin-Köln 2000 (Judentum und Christentum, Bd. 3) 26-37. Die Liste der Veröffentlichungen des Gesprächskreises findet sich auf meiner website: www.kthf.uni-augsburg.de (Links: lehrstuehle/pastoral/JudenChristen Texte.htm)
  4. Meine anderen Gesprächspartner waren:
      • Rabbi Charles Adrian, Institute for Christian Jewish Studies, Baltimore
      • Ms. Lucky Altmann, The National Cenference for Community and Justice, Los Angeles
      • Rabbi Lewis Barth, Dean, Hebrew Union College - Jewish Institute of Religion, Los Angeles
      • Mary Boys SNJM, Skinner and McAlpin Professor of Practical Theology, Union Theological Seminary, New York
      • Dr. Rosann M. Catalano, Institute for Christian and Jewish Studies, Baltimore
      • Dr. Philip A. Cunningham, Executive Director, Center for Jewish-Christian Relationship, Boston College
      • Audrey Doetzel NDS, Director of Christian-Jewish Relation and Encounter, New York
      • Robert Ellenson, Director of Interreligious Affairs, American Jewish Committee, Los Angeles
      • Dr. Eugene J. Fisher, Associate Director, Secretariat for Ecumenical and Interreligious Relations, U.S. Conference of Catholic Bishops, Washington DC
      • Rev. Lawrence E. Frizzell, Director of the Institute of Judaeo-Christian Studies, Seton Hall University, South Orange, New Jersey
      • Dr. Eugene Korn, Director of Interfaith Affaires at the Anti-Defamation League, New York
      • Rev. Dr. Christopher M. Leighton, Director of the Institute for Christian Jewish Studies, Baltimore
      • Peter Ochs, Bronfman Professor of Modern Judaic Studies, University of Virginia
      • Rabbi Aaron Petuchowski, Senior Rabbi, Temple Shalom, Chicago
      • Rev. Royale Vadakin, Pastor, Former Ecumenical Officer, Archdiocese of Los Angeles
  5. Bernardin Center. Catholic-Jewish-Studies Program, Chicago: „The Postmodern Church: Perspectives from the German Experience“
      • Boston College: „My Thirty Years Experience of Christian-Jewish Dialogue in Germany“
      • Skirball Institute of American Values, Los Angeles: „Problems of the Beatification of Edith Stein and Pius IX.“
  6. American Jewish Committee in Los Angeles und Chicago, ferner in Chicago Catholic Jewish Scholars Dialogue und The Chicago German-Jewish Dialogue.
  7. Christianity in Jewish Terms, edited by Tikva Frymer-Kensky, David Novak, Peter Ochs, David Fox Sandmel, Michael A. Signer, Westview Press 2000. Vgl. Peter Ochs, David Sandmel, Christianity in Jewish Terms. A Project to Redefine the Relationship: CrossCurrents 50 (2000/2001) 448-457 (in Zukunft zitiert als Ochs/Sandmel).
  8. Dabru Emet (Introduction): In recent years, there has been a dramatic and unprecedented shift in Jewish and Christian relations. … In the decades since the Holocaust, … Christianity has changed dramatically. … We believe these changes merit a thoughtful Jewish response. Speaking only for ourselves - an interdenominational group of Jewish scholars - we believe it is time for Jews to learn about the efforts of Christians to honor Judaism. We believe it is time for Jews to reflect on what Judaism may now say about Christianity. As a first step, we offer eight brief statements about how Jews and Christians may relate to one another.”
  9. Vgl. Die Kirchen und das Judentum I. 634f; II. 958-965. 965f. Das Inhaltsverzeichnis des zweiten Bandes, der die Dokumente von 1986-2000 dokumentiert, zeigt, dass jüdische Stellungnahmen im christlich-jüdischen Gespräch selten sind. Über hundert evangelischen und zweihundert katholischen Verlautbarungen stehen in diesem Zeitraum nur acht jüdische Äußerungen gegenüber, hinzu kommen dreizehn Texte, an denen Juden und Christen gemeinsam gearbeitet haben.
  10. Der Grundlagenvertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Staat Israel wurde am 30. Dezember 1993 abgeschlossen. Vgl. Die Kirchen und das Judentum II. 80-85.
  11. Werner Trutwin, Dabru Emet - Sprich Wahrheit: Christ in der Gegenwart 54 (2002) 85f.
  12. Vgl. Ochs/Sandmel, 454-456.
  13. Christianity in Jewish Terms, XII: „We believe it is time for Jews to learn about Christianity in Jewish terms: to rediscover the basic categories of rabbinic Judaism and to hear what the basic categories of Christian belief sound like when they are taught in terms of this rabbinic Judaism. To hear Christianity in our terms is truly to understand it, perhaps for the first time.“
  14. Ochs/Sandmel 454. „How to renew our understanding of Judaism today from out the sacred texts?”
  15. Ochs/Sandmel, 457: „Does Jewish tradition contain a warrant for acknowledging Christian claims to be in covenant with the God of Israel?”
  16. Irreconcilable Differences? A Learning Resource for Jews and Christians, edited by David F. Sandmel, Rosann M. Catalano, Christopher Leighton, Westview Press 2001.
  17. Vgl. Ochs/Sandmel, 154: „Gottes Bund mit den Juden ... prägt und bereichert seinen Bund mit den Christen. God’s covenant with the Jewish people ... informs and enriches the Christian covenant.“
  18. www.bc.edu/bc_org/research/cjl/articles/rosen.htm.
  19. Dr. Edna Brocke, eine profilierte Persönlichkeit im christlich-jüdischen Dialog in Deutschland, hat in zwei Veranstaltungen im Sommer 2001 mehrere Thesen von Dabru Emet scharf kritisiert. Vermutlich wäre ihre Stellungnahme differenzierter ausgefallen, hätte sie Christianity in Jewish Terms bereits gekannt.
  20. Zum Beispiel Rabbi James Rudin, American Jewish Committee, New York: www.jcrelations.net.
  21. „Hazards to Jewish practice and identity - whistling in the dark.” Der Kritiker verkennt offensichtlich den Charakter von Dabru Emet, das als ein öffentliches Statement in einer Tageszeitung breite Aufmerksamkeit erregen und nur einen Minimalkonsens formulieren wollte und konnte. Wissenschaftliche Debatten hingegen haben ihren Ort in Christianity in Jewish Terms gefunden; dort werden die Argumente Levensons gründlich und kontrovers diskutiert. Auf diesen Kommentar hat dieser zwar hingewiesen, aber seinen Inhalt nicht zur Kenntnis genommen.
  22. Die Kirchen und das Judentum I. 646f. Aus dieser Konferenz ging das International Council of Christians and Jews (ICCJ) hervor.
  23. Dabru Emet will surely and quite rightly be the first item on the agenda of many a dialogue in the years ahead. It is already on the agenda, for example of the ongoing dialogue between our Bishops’ Committee for Ecumenical and Interreligious Affairs and the National Council of Synagogues.“
  24. „an immensely exciting and hopeful initiative from the Jewish community“.
  25. Vgl. John T. Pawlikowski, Christianity in Jewish Terms. Re-Envisioning our Self-Unterstanding: The Living Light 38 (2001) 66-71. Zwei andere ebenfalls wohlwollende kritische Rezensionen von christlichen Professoren zu Christianity in Jewish Terms sind zu nennen: Luke Timothy Johnson vom 20. April 2001 in Commonweal 32; Peter Heinegg, in CrossCurrents 50 (2001) 421-426, ebd. 423-426.
  26. Man denke vor allem an die aggressive Missionspolitik der südlichen Baptisten, die mit 20 Millionen Mitgliedern nach der katholischen Kirche die zweitgrößte christliche Denomination in den USA sind. Das Statement „Jewish Evangelism“ der Southern Baptist Convention von 1996 hat den Widerspruch der Bischöfe von New York herausgefordert (Episcopal, Lutheran and Roman Catholic Churches). The Alliance of Baptists hält hingegen am gemeinsamen Statement der Baptistischen Gemeinden vom 5. März 1995 fest, das sich klar zum Dialog mit den Juden bekennt. Auf ihrer website fügen sie deshalb eine Bemerkung hinzu, die mit dem Satz endet: „Leider wurde in den letzten Jahren diese Bemühung und der jüdisch-baptistiche Dialog auf eine Theologie der Bekehrung reduziert. Regrettably in recent years this effort at Jewish-Baptist dialogue has been reduced to a theology of conversion.“ Allianceofbaptists.org/christian-jewish.htm.
  27. „Speaking only for ourselves - an interdenominational group of Jewish scholars”.
  28. Vgl. Clemens Thoma, Art. Juden, Judentum. VII. 3. Jüdisch-christlicher Dialog: Lexikon für Theologie und Kirche, 3. Aufl., Bd. 5, 1046-1049, ebd. 1048f.
  29. Erinnert sei nochmals an die internationale jüdisch-christliche Gruppe, die 1947 die „Seelisberger Thesen“ verabschiedete: Die Kirchen und das Judentum I. 646f. Oder man denke an den Synodalbeschluss der Evangelischen Kirche im Rheinland „Zur Erneuerung des Verhältnisses von Juden und Christen“ vom 11. Januar 1980, bei dessen Erarbeitung auch Juden beteiligt waren: Die Kirchen und das Judentum I. 593-596. Vgl. ferner das Statement der Theologenkommission des Internationalen Rates der Christen und Juden (ICCJ) vom 1. März 1993 „Für eine bessere Welt. Empfehlungen“: Die Kirchen und das Judentum II 1004-1011.
  30. Vgl. Ansprache von Johannes Paul II. an den Zentralrat der Juden in Deutschland und die Rabbinerkonferenz am 17. November 1980 in Mainz: Die Kirchen und das Judentum I. 74-77; ebd. 76: „Eine zweite Dimension unseres Dialoges - die eigentliche und zentrale - ist die Begegnung zwischen den heutigen christlichen Kirchen und dem heutigen Volk des mit Mose geschlossenen Bundes.“
  31. Uri Kaufmann, Art. Juden, Judentum. VI. Gegenwart: Lexikon für Theologie und Kirche, 3. Aufl., Bd. 5, 1040-1043; ebd. 1042.
  32. Art. Orthodoxes Judentum (Petuchowski): Jakob J. Petuchowski, Clemens Thoma, Lexikon der jüdisch-christlichen Begegnung, Freiburg i. Br. 1989, 273-276, ebd. 275f.
  33. Vgl. R. Linuwitz, Mordechai M. Kaplan and The Development of Reconstructionism, Edwin Mellen Press New York 1983.
  34. Clemens Thoma, Art. Juden, Judentum. VII.3 Jüdisch-christlicher Dialog: Lexikon für Theologie und Kirche, 3. Aufl., Bd. 5, 1046-1049, 1047f.
  35. Vgl. Egal Feldman, Catholics and Jews in Twentieth-Century America, University of Illinois Press Urbana and Chicago 2001.
  36. Vgl. Die Kirchen und das Judentum II. 1000-1003. Am 18. September 2000 schrieb der Erzbischof von San Francisco, William J. Lavada, in einem Brief an seinen „alten Freund“ Michael Signer: Dabru Emet sei in seinen Augen ein hilfreiches Gegengewicht gegen das vorrangige Interesse an politischen Kampagnen und einem mangelnden Interesse an der theologischen Verständigung.
  37. Art. Dialog (Thoma): Lexikon der jüdisch-christlichen Begegnung, 69-76, ebd. 73f.
  38. Nostra aetate“ brauchte Jahre, um im Katholizismus und in der Weltökumene rezipiert zu werden.
  39. Vgl. Rosann M. Catalono, David Fox Sandmel, Introduction: Irreconcilable Differences? 1-11, bes. 5-7.
  40. Ochs/Sandmel, 454: „American Jews, proud of their knowledge of so many things, know relatively little about the actual theologies of Christianity. ... American Jews often know relatively little about the theologies of Judaism as well!“
  41. Vgl. Ochs/Sandmel, 453f.; Catalano, Sandmel (Anm. 42).
  42. „A new relationship between Jews and Christians will not weaken Jewish practice.“
  43. David Novak, Introduction: What to Seek and What to Avoid in Jewish-Christian Dialog: Christianity in Jewish Terms, 1-6.
  44. Ebd. 5: „One cannot live as a Jew and as a Christian simultaneously. One could well say that the greatest temptation for a Jew is Christianity and that the greatest temptation for a Christian is Judaism. That this is so explains why Jews and Christians have so much to talk about and, also, why the stakes in the Jewish-Christian relationship are so high.“
  45. Robert Chazan, Christian-Jewish Interactions over the Ages: Christianity in Jewish Terms, 7-24, ebd. 24 „There does seem to be a real possibility that some of the negative interactions of the past ... may give way to more positive relations between two faith communities that have sprung out of common ground.“
  46. David R. Blumenthal, Tselem: Toward an Anthropothatic Theology of Image: Christianity in Jewish Terms, 337-347, ebd. 347: „Good fences make good neighbors.“
  47. Vgl. Gesprächskreis „Juden und Christen“ beim Zentralkomitee der deutschen Katholiken „Nach 50 Jahren - wie reden von Schuld, Leid und Versöhnung?“ Erklärung 50 Jahre nach der Reichspogromnacht vom 19. Februar 1988: Die Kirchen und das Judentum II. 341-353, ebd. 343.
  48. Vgl. Ochs/Sandmel, 449f.
  49. Christianity in Jewish Terms, Preface XI: „Most Jews have experienced the profound social consequences of this change in Christian beliefs, but few Jews are aware of the religious sources of the change, and even fewer seek to assess its impact on Jewish life today and in the future.“
  50. John M. Oesterreicher, Die Wiederentdeckung des Judentums durch die Kirche, Freiburg i. Br. 1971, 17. Vgl. Edward Kessler, The mission we can share: The Tablet, 7. July 2001: „The call by the Jewish scholar Claude Montefiore more than 75 years ago for a Jewish theology of Christianity still waits to be answered. Der Ruf des jüdischen Gelehrten Claude Montefiore vor mehr als 75 Jahren nach einer jüdischen Theologie des Christentums wartet immer noch auf eine Antwort.” Vgl. auch Michael S. Kogan, Toward a Jewish Theology of Christianity: Journal of Ecumenical Studies 32 (1995) 85-106.
  51. Gesprächskreis „Juden und Christen“ beim Zentralkomitee der deutschen Katholiken, Arbeitspapier „Theologische Schwerpunkte des jüdisch-christlichen Gesprächs“ vom 8. Mai 1979: Die Kirchen und das Judentum I. 252-260, ebd. 256f.
  52. Clemens Thoma, Art. Juden, Judentum, VII.3 Jüdisch-christlicher Dialog: Lexikon für Theologie und Kirche, 3. Aufl., Bd. 5, 1046-1049, ebd. 1048.
  53. gl. Dialog statt Dialogverweigerung. Wie in der Kirche miteinander umgehen? Diskussionsbeitrag der Kommission 8 „Pastorale Grundfragen“ des Zentralkomitees der deutschen Katholiken vom 5. Oktober 1998: Annette Schavan (Hg.), Dialog statt Dialogverweigerung. Impulse für eine zukunftsfähige Kirche, Kevelaer 1994, 25-76, ebd. 40f.
  54. Vgl. 8. These von Dabru Emet: „Jews and Christians must work together for justice and peace. Juden und Christen müssen sich gemeinsam für Gerechtigkeit und Frieden einsetzen.“ Vgl. Ochs/Sandmel 450f; Christianity in Jewish Terms, 366-373 (abschließendes Statement der Herausgeber).
  55. Vgl. 8. These von Dabru Emet: „Jews and Christians must work together for justice and peace. Juden und Christen müssen sich gemeinsam für Gerechtigkeit und Frieden einsetzen.“ Vgl. Ochs/Sandmel 450f; Christianity in Jewish Terms, 366-373 (abschließendes Statement der Herausgeber).
  56. Dabru Emet (Introduction): „In recent years, there has been a dramatic and unprecedented shift in Jewish and Christian relations. Throughout the nearly two millennia of Jewish exile, Christians have tended to characterize Judaism as a failed religion or, at best, a religion that prepared the way for, and is completed in, Christianity. The public statements of the churches have declared, furthermore, that Christian teaching and preaching can and must be reformed so that they acknowledge God’s enduring covenant with the Jewish people and celebrate the contribution of Judaism to world civilization and to Christian faith itself.”
  57. Ochs/Sandmel, 448: „A Project to Redefine the Relationship“.
  58. Der Islam hat sich auf neuzeitliches Denken bisher kaum eingelassen.
  59. Wie der ökumenische Dialog beweist, hat die Konzilsreform auch die anderen Kirchen verändert, die ihrerseits zu diesem Wandel Wesentliches beigetragen haben.
  60. Vgl. das Ökumenismusdektret Unitatis redintegratio des II. Vatikanums. Dominus Iesus will diesen Schritt rückgängig machen durch die Aussage, die nichtkatholischen Kirchen und Gemeinschaften seien nicht „Kirche im eigentlichen Sinn“.
  61. Vgl. Mt 7,21: „Nicht jeder, der zu mir sagt ‚Herr! Herr!’, wird in das Himmelreich kommen, sondern nur, wer den Willen meines Vaters im Himmel erfüllt“. Vgl. auch Mt 25,31-46.
  62. Art. Kirche/Kirchen (Thoma): Lexikon der jüdisch-christlichen Begegnung, 206-211, ebd. 206f.
  63. Irving Greenberg, Judaism, Christianity, and Partnership after the Twentieth Century: Christianity in Jewish Terms, 25-36, ebd. 33: „The Holocaust and the rebirth of the State of Israel as revelatory events in Judaism are the key of a new relationship ... After the Holocaust, the relationship of Judaism and Christianity should enable one to affirm the fullness of the faith claims of the other, to affirm the profound inner relationship between the two, and to recognize and admit how much closer they are to each other than either has been able to say.” Greenberg ist orthodoxer Jude, Präsident des Jewish Life Network und einer der Unterzeichner von Dabru Emet.
  64. Pastoralkonstitution „Gaudium et spes“ des Zweiten Vatikanischen Konzils, Nr. 4. Vgl. ebd. Nr. 11.
  65. Vgl. Art. Dogma (Thoma): Lexikon der jüdisch-christlichen Begegnung, 83-88.
  66. Irving Greenberg, Judaism, Christianity and Partnership after the Twentieth Century: Christianity in Jewish Terms, 25-36, ebd. 27. „The Holocaust confronts us with unanswerable questions. But let us agree to one principle : no statement, theological or otherwise, should be made that would not be credible in the presence of the burning children ... After Auschwitz, faith means that there are times when faith is overcome. Since faith is a response to the presence in life and history, this response ebbs and flows. The difference between the skeptic and the believer is frequency of faith, and not certitude of position. The ability to live with what I call ‚moment faith’ is the ability to live with pluralism ...“
  67. Dabru Emet, 6. These: „The humanly irreconcilable difference between Jews and Christians will not be settled until God redeems the entire world as promised in Scripture.“
  68. Elazar Benyoëtz, Keineswegs (Der Herrlinger Drucke neue Folge 1), Herrlingen bei Ulm 1998, 1.
  69. Zitiert nach Elie Wiesel, Zum Geleit: Kultur allein genügt nicht: Reinhold Boschki, Dagmar Mensink (Hg.), Kultur allein ist nicht genug. Das Werk von Elie Wiesel - Herausforderung für Religion und Gesellschaft, Münster 1998, 38-42, ebd. 39 (Quelle nicht nachgewiesen).
  70. Catholic News Service vom 5.12.2001.
  71. Vgl. Schweizerische Jüdisch-Römisch-Katholische Gesprächskommission, Erklärung „Antisemitismus: Sünde gegen Gott und die Menschlichkeit“ vom 31. März 1992: Die Kirchen und das Judentum II. 1003f.
  72. Die Seelisberger Thesen: Die Kirchen und das Judentum I. 646f., ebd. 647 (9. These).
  73. Vgl. Wilhelm Breuning, Elemente einer nicht-antijüdischen Christologie: Hubert Frankemölle (Hg.), Christen und Juden gemeinsam ins dritte Jahrtausend: „das Geheimnis der Erlösung heißt Erinnerung“, Paderborn/Frankfurt a. M. 2001, 183-215.
  74. Vgl. Gesprächskreis „Juden und Christen“ beim Zentralkomitee der deutschen Katholiken, Diskussionspapier „Juden und Judentum im neuen Katechismus der Katholischen Kirche. Ein Zwischenruf“ vom 22. Januar 1996: Die Kirchen und das Judentum II. 387-391, ebd. 389: „Der Katechismus der Katholischen Kirche tut sich offensichtlich schwer, das nachbiblische Judentum als eigenständige heilsgeschichtliche Größe neben der Kirche und insbesondere als das Volk des von Gott nie gekündigten Bundes anzuerkennen. Das zeigt sich weniger dort, wo er ausdrücklich vom Judentum redet, als an den Stellen, wo er von der Kirche so spricht, als gäbe es das Judentum nicht, obwohl es von der Sache her geboten wäre.“
  75. Art. Kirche/Kirchen (Thoma): Lexikon der jüdisch-christlichen Begegnung, 206-211, ebd. 210.
  76. Vgl. John T. Pawlikowski, Ein Bund oder zwei Bünde? Zeitgenössische Perspektiven: Theologische Quartalsschrift 176 (1996) 325-340.
  77. Vgl. Maria Neubrand, Johannes Seidel, „Eingepfropft in den edlen Ölbaum“ (Röm 11,24): Der Ölbaum ist nicht Israel, in: Biblische Notizen Nr. 105 (2000) 61-66. Die Autoren kommen zu dem Schluss, der Ölbaum sei der Messias Israels.
  78. Auch Philosemitismus ist eine versteckte Spielart des Antisemitismus, weil schwärmerische Vereinnahmung.
  79. Art. Gott (Thoma): Lexikon der jüdisch-christlichen Begegnung, 134-138, ebd. 136f.