„Verwirrung der Geister“ – eine Fortsetzung.

R. Firestones Stellungnahme zu meinem Artikel vom 1.Februar in JCRelations.net[1] illustriert anschaulich das Ausmaß der gegenwärtigen Verwirrung im Zusammenhang mit dem Begriff der Islamophobie. Ich habe eine akademische Auseinandersetzung zu diesem Thema erwartet, aber statt Argumenten nur eine plumpe Polemik als Antwort erhalten.

I.

Aus der Psychologie kennen wir das Phänomen des „blinden Flecks“: diejenigen Realitäten werden aus der Wahrnehmung ausgeblendet, die mit den eigenen Interessen und normativen Erwartungen, wie die Wirklichkeit idealer Weise sein sollte, nicht übereinstimmen. Die westlichen Apologeten des Islamophobie-Konzepts leiden unter solchen Wahrnehmungsstörungen. Sie blenden systematisch den Umstand aus, dass der antisemitische Vernichtungswahn der Islamisten und der islamistische Terror gegen Israel und den Westen ihre ideologischen Wurzeln – wie die Jihadisten selbst nicht müde werden zu betonen - im Islam selbst haben und nicht in der ungelösten Palästinenserfrage oder der umstrittenen israelischen Siedlungspolitik. Um den Preis der Verdrängung und Verleugnung dieses entscheidenden Zusammenhangs zwischen dem islamistischen Terrorkrieg und seinen ideologischen und religiösen oder pseudoreligiösen Wurzeln werden laufend Islamophobie-Konferenzen abgehalten und jüdisch-muslimisch-christliche Trialoge geführt. Damit wird mehr zur Verschleierung des Problems beigetragen als zu seiner Lösung. Das Ergebnis solcher Verschleierungsstrategien besteht etwa darin, Islamophobie und Antisemitismus gleichzusetzen.

II.

Diese Gleichsetzung, so argumentierte ich in meinem ersten Artikel, ist historisch, politisch und moralisch falsch und daher irreführend. Islamophobie hat genauso wenig mit Antisemitismus zu tun wie Antisemitismus auf Xenophobie zu reduzieren ist – auch wenn es sich oberflächlich und rein äußerlich besehen um ähnliche Phänomenen sozialer Ablehnung oder Ausgrenzung handelt. 

Wer Antisemitismus und Islamophobie gleichsetzt, hat nichts vom Antisemitismus verstanden. Um es nochmals klar zu sagen: Antisemitismus ist Gewalt gegen Juden in Wort und Tat, er ist – wie Hannah Arandt sagt – „eine tödliche Gefahr für Juden und sonst nichts“. Antisemitismus ist eine irrationale Obsession des Judenhasses.  Die lange, leidvolle Geschichte von Judenfeindschaft und Judenverfolgung zeigt, dass der Antisemitismus keine  empirischen Gründe braucht. Vielmehr ist der Antisemitismus selbst der Grund, der sich die Tatsachen sucht, mit denen er operiert. Keine mit der Geschichte und Sozialpathologie des Antisemitismus nur annähernd vergleichbaren Erfahrungen können die Propagandisten des „Islamophobie“-Konzepts zur Legitimation dieses Begriffs ins Treffen führen. Um es auf den Punkt zu bringen: Für Antisemitismus und Judenhass gibt es keine rationalen Gründe, für die Furcht und Sorge vor den Machtambitionen eines gewaltbereiten und dem Westen feindlich gegenüber eingestellten Islamismus hingegen jede Menge. Gerade von  diesem Umstand abzulenken ist der strategische Sinn des „Islamophobie“-Konzepts und der wachsenden  Islamophobie-Hysterie unter westlichen Intellektuellen.

III.

In diesem Zusammenmhang ging es mir auch nicht, wie Firestone in seiner Polemik  insinuiert, um die lange Geschichte und religiöse Genese christlicher Islamfeindschaft, mir ging es schon gar nicht um Firestones Spezialgebiet, das Mittelalter – das ist nicht das Thema. Vielmehr ging es mir darum auf diese kommunikationsstrategische Bedeutung des Schlagworts „Islamophobie“ hier und heute im Prozess öffentlicher Meinungsbildung hinzuweisen. Ich versuchte deutlich zu machen, dass im permanenten Kampf um die Deutungshoheit des Geschehens in Nahen Osten, der Begriff  „Islamophobie“ zu einem strategischen Schlüsselbegriff geworden ist. Seine öffentliche Bedeutung liegt darin, dass man zuerst in unzulässiger Weise Islamophobie mit Rassismus gleichsetzt um dann mit der „Islamophobie-Keule“ jede Kritik am Islam, jede Kritik am islamischen Judenhass und am islamistischen Terror als Rassismus brandmarken und desavouieren zu können. Mit dem rassistisch aufgeladenen Vorwurf der Islamophopie soll, so mein kritischer Hinweis, darüber hinaus aber noch zweierlei bewirkt werden: zum einen soll als Gegengewicht zum jüdischen Opfernarrativ ein – in der arabischen Welt ohnehin vorherrschender - moslemischer Opfermythos bedient werden; zum anderen soll der Begriff „Islamophobie“ der Rationalisierung massiver und sich ausbreitender antijüdischer und antiwestlicher Obsessionen im Islam dienen.

Rationalisierung ist, vereinfacht gesagt, ein psychologischer Vorgang, der darin besteht, den eigenen Empfindungen, Verhaltensweisen und Handlungen einen nachträglichen rationalen Sinn zu verleihen. Darin liegt die psychologische und propagandistische Wirkung des Islamophobie-Konzepts in der islamischen Welt. Das Islamophobie-Konzept operiert mit der geläufigsten Form der Rationalisierung, nämlich mit dem Mechanismus die Täter-Opfer-Umkehr: Der religiös und politisch motivierte und angeheizte Hass auf die Juden, findet in der identitätsstiftenden Opferrolle seine politische Rechtfertigung und seine religiöse, wie auch pseudomoralische Sanktionierung und damit Rationalisierung. 

Um es nochmals zu wiederholen: Der Begriff „Islamophobie“ ist eine propagandistische Finte, die den Paten des Hasses und ihren Anhängern dazu dient, sich selbst als Opfer hochzustilisieren und von den eigenen Verbrechen abzulenken. Firestone und all jene, die nicht müde werden die Islamophobie-Hysterie in Universitäten und Medien anzuheizen machen sich – wissentlich oder unwissentlich - zu willfährigen Erfüllungsgehilfen dieses propagandistischen Konzepts.

IV.

Wie kommentieren kritische muslimische Stimmen die Islamophobie-Hysterie im Westen? Abdur-Rahan Muhammed, ehemaliges Mitglied des „International Institute for Islamic Thought“, meint dazu:  "Dieser abscheuliche Begriff [Islamophobie] ist nichts anderes als ein Klischee, das in den Eingeweiden muslimischer Think-Tanks erfunden wurde, um jede weitere Diskussion auszuschließen und Kritiker mundtot zu machen." (http://www.gatestoneinstitute.org/4214multiculturalism-responsibility)

Und die Journalistin, Autorin und Präsidentin von The Council for Muslims Facing Tomorrow, Raheel Raza, nimmt den merkwürdigen Umstand einer im April 2014 bereits zum 5. Mal an der University of California, Berkely in ununterbrochener Reihenfolge stattfindenden Islamophobie-Konferenz zum Anlaß, sich kritisch mit der westlichen Islamophobie-Fixierung auseinanderzusetzen:

"Werfen wir einen kurzen Blick auf Islamophobie. Laut einem 1997 erschienenen Bericht des britischen RunnymedeTrust existiert der Begriff etwa sein den 1980er Jahren und tauchte in gedruckter Form erstmals 1991 auf. Runnymeda definiert Islamophobie als "Angst vor dem Islam oder Hass auf den Islam – und demzufolge als Angst vor oder Abneigung gegen alle Muslime" unter Hinzufügung der Bemerkung, dass "innerhalb Englands der Begriff bedeutet, dass Muslime häufig vom ökonomischen, sozialen und öffentlichen Leben der Nation ausgeschlossen ... und häufig zu Opfern von Diskriminierung und Schikanierung werden". Wird die Mehrheit der Muslime in den USA und Kanada tatsächlich vom ökonomischen, sozialen und öffentlichen Leben ausgeschlossen? Es gibt keinerlei Statistik, die diese Ansicht stützt. Im Gegenteil, die meisten Muslime in Nordamerika leben in vollkommener Freiheit im Kontext ihrer sozialen Netzwerke, es sei denn, sie ghettoisieren sich freiweillig selbst – wie es viele tun. Viele Muslime im Westen benutzen den Begriff "Islamophobie" als eine rote Karte gegen die Meinungsfreiheit, sobald Muslime kritisiert werden. Diese reflexartige und rückschrittliche Reaktion erstickt den Dialog, die Debatte und die Diskussion – alles Zeichen einer gesunden, lebendigen Demokratie – die zunehmend das eigentliche Ziel zu sein scheint. Nordamerika ist eine Region, in der die freie Meinungsäußerung ein hoch geschätztes Gut darstellt. Das schließt die Freiheit zur Kritik an Anhängern eines Glaubens ein, wenn diese der Gewalt, Intoleranz oder Radikalisierung frönen."

Und Raheel Raza bietet für die “Islamophobie-Manie” gerade amerikanischer Akademiker folgende bedenkenswerte Erklärung:

"Wie kam es, dass das Konzept der Islamophobie so gängig und populär geworden ist? In Nordamerika gibt es bereits so etwas wie ein reales Schuldgefühl – 'weiße liberale Schuld'. Es ist eine Schuld, die Christen bereits in ihren Glauben integriert haben und die anderen Nordamerikanern bewußt wurde in Anbetracht ihres Umgangs mit den Ureinwohnern; die Kanadier tragen Schuld an den kriegsbedingten Internierungen der Japaner, und die Europäer sind schuldig geworden an der Mißhandlung von Völkern in ihren Kolonien wie auch an der Mittäterschaft mit den Nazis seitens ihrer Großeltern im Blick auf die Deportation der Juden und anderer in die Todeslager während des Dritten Reichs. Die Islamisten knüpfen bereitwillig und eifrig an diese Schuld an, wenn sie die "Opferkarte" ziehen und einigen Gelehrten folgen, die sich die Vorstellung zu eigen gemacht haben, eine hochprofitable Industrie vorgeblich Bedrückter zu schaffen, genannt "Islamophobie".

Die Strategie der Islamisten ist klar, wie Raheel Raza richtig beschreibt:

"Die Islamisten waren in der Erschaffung einer Islamophobie-Industrie erfolgreich: Diese lenkt die Aufmerksamkeit von Aktivitäten ab, welche die Islamisten lieber unbemerkt lassen wollen, wie unter anderem etwa die Etablierung der Scharia im Westen, den verborgenen Dschihad und die Implementierung eines globalen islamischen Kalifats. Jeder Nicht-Muslim, der den Plan der Islamisten, die Agenda der Muslim-Brüderschaft voranzutreiben, kritisiert, wird sofort mit einer Islamophobie-Fatwa belegt, um auf diese Weise wohlerzogene Bürger des Westens zum Schweigen zu bringen und in eine apologetische Haltung zu drängen. Das ist nicht nur rassistisch, sondern zumeist auch eine Form der emotionalen Erpressung, die darauf abzielt, von wohlmeinenden, aber leichtgläubigen Menschen spezielle Konzessionen zu erhalten. Islamophobie ist daher eine komfortable Pseudo-Ursache, mittels derer junge Anhänger aufgepeitscht werden: Ihnen wird vermittelt – ob dies nun wahr ist oder nicht -, dass sie in vielerlei Hinsicht Geschädigte sind und dass die einzige Lösung darin besteht, die freie Meinungsäußerung abzuschaffen, all jene zu dämonisieren, die eine andere Meinung vertreten oder "unbequeme" Fragen stellen und eine politische Bewegung ins Leben zu rufen, innerhalb derer sie sich als einen wertvollen Bestandteil betrachten können. Langfristig wird es vor allem den Geist und die Herzen junger, im Westen aufgewachsener Muslime betäuben und jeglichen Geist der freien Forschung und des unabhängigen Denkens zerstören – was immer mehr als eines ihrere weiteren Ziele deutlich wird." (http://www.gatestoneinstitute.org/4193/islamophobia-agenda)

Wer diese Zusammenhänge ignoriert – weil sie unbequem sind oder den eigenen normativen Erwartungen über die Wirklichkeit, wie sie sein sollte widersprechen - , der macht sich mitschuldig an dieser verhängnisvollen Entwicklung und spielt jenen in die Hände, die nichts mehr hassen als eben diesen Westen, den jüdischen Staat Israel und das demokratische Wertesystem, dem beide verpflichtet sind.

V.

Von jemandem wie R. Firestone darf man sich – auch wenn er wissenschaftlich dem Mittelalter verbunden ist -  ein Mindestmaß an realpolitischem Verständnis erwarten. Und man darf ein Minimum an intellektueller Redlichkeit in Inhalt und Form der Argumentation voraussetzen. Diese Voraussetzung lässt Firestone in seiner Polemik durchgehend vermissen. Er argumentiert nicht sachlich, sondern „ad personam“, indem er meiner begründeten Kritik am propagandistischen Gebrauch des Begriffs „Islamophobie“ selbst eine islamophobe Einstellung unterstellt. Auf diese Weise versucht er meine kritischen Einwände zu desavouieren. Das ist infam und unredlich, erschwert eine Auseinandersetzung auf akademischem Niveau und disqualifiziert Herrn Firestone letztlich auch für jeden interreligiösen Dialog.

Abschließend noch ein Wort zu der auch hinter den Kulissen von einem Teil des Vorstands des Internationalen Rates der Juden und Christen (ICCJ) auf beschämend niedrigem Niveau verbreiteten Empörung über meinen Artikel „Verwirrung der Geister“: Hängt die Zukunft des jüdisch-christlichen, jüdisch-muslimischen Dialogs oder Trialogs davon ab, dass man zu den Verbrechen des radikalen Islamismus und den propagandistischen Strategien ihrer Rechtfertigung schweigt? Hängt die Zukunft solcher interreligiöser Gespräche davon ab, dass man die in der gesamten arabischen Welt schon in den Schulbüchern angeheizte Dämonisierung der Juden, des Zionismus und des jüdischen Staates weiterhin ignoriert? Hängt die Zukunft dieser Gesprächsbeziehungen davon ab, dass man darauf verzichtet die ideologischen und religiösen Wurzeln des islamistischen Terrorkriegs gegen Israel und den Westen aufzudecken und dass man darauf verzichtet, die für die religiöse Lehre und Praxis Verantwortlichen innerhalb und außerhalb der arabischen Welt in die Pflicht zu nehmen? Wenn all dies Bedingung wäre, dann freilich wäre der moralische und politische Preis einer solchen Appeasement-Politik zu hoch und es wäre besser auf  „Dialoge“ solcher Art zu verzichten…

[1] Siehe: Reuven Firestone,

A Confusion of Minds? An Objection (engl.).

Editorische Anmerkungen

Maximilian Gottschlich ist Professor Emeritus für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien, Autor von mehr als zehn Büchern, sowie zahlreichen Studien und Aufsätzen zu Grundfragen der modernen Kommunikationsgesellschaft, der Medien-Ethik, des Verhältnisses von Religion, Medien und Gesellschaft, der medizinischen Kommunikation, der Vorurteils- und Antisemitismusforschung sowie zu interreligiösen Beziehungen zwischen Judentum und Christentum.

Zuletzt sind vom Autor folgende Bücher erschienen:
- Medizin und Mitgefühl. Die heilsame Kraft empathischer Kommunikation. Wien-Köln-Weimar 2007 (Böhlau)
- Versöhnung. Spiritualität zwischen Thora und Kreuz. Spurensuche eines Grenzgängers. Wien-Köln-Weimar 2008 (Böhlau)

- Die große Abneigung. Wie antisemitisch ist Österreich. Kritische Befunde zu einer sozialen Krankheit. Wien 2012 (Czernin)

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