Problematisches am Osterlob

Das Exsultet ist ein Höhepunkt der Liturgie der Osternacht. Beim Text des Liedes aus dem 4. Jahrhundert handelt es sich aber um eine christliche Vereinnahmung jüdischer Identität.

Das zentrale Fest des Christentums, das Osterfest, ist aus dem jüdischen Pesachfest entstanden. Das jüdische Fest gedenkt der Befreiung des Volkes Israel aus dem Sklavenhaus Ägypten, das christliche Fest gedenkt des Todes und der Auferstehung Jesu, die als „Befreiung aus Sünde und Tod“ verstanden wird.

In der katholischen Osternachtsfeier wird vom Priester oder Diakon noch heute ein Lied gesungen, das im vierten Jahrhundert entstanden ist und seit mehr als einem Jahrtausend einen festen Platz in den Ostergottesdiensten hat. Das so genannte Exsultet ist der Lobpreis über die Osterkerze. Jedes Jahr wird an Ostern die neue Osterkerze geweiht. Auch dieser Brauch, Altes wegzuwerfen und Dinge zu erneuern, hat in jüdischen Ritualen seinen Ursprung.

Mit dem Pesachfest ist das Fest der „ungesäuerten Brote“ untrennbar verbunden. Über sieben Tage darf sich nichts Gesäuertes im Haus finden, in der Vorbereitung auf das Fest wird der Haushalt von allem Gesäuerten gereinigt. Dieses Fest der ungesäuerten Brote beziehungsweise die jüdische Tradition, im Anschluss an das Pesachfest für eine Woche nur ungesäuerte Brote zu essen, dürfte auch der Grund dafür sein, dass in der katholischen Liturgie das Abendmahl mit ungesäuertem Brot, also mit Oblaten, gefeiert wird.

In die Schar der Leviten“

Im Lied auf die Osterkerze kommt eine christliche Theologie zum Ausdruck, die wohl überdacht werden sollte. So singt der Geistliche relativ am Anfang des langen Liedes: „Ruft mit mir zum allmächtigen Vater um sein Erbarmen und seine Hilfe, dass er, der mich ohne mein Verdienst, aus reiner Gnade, in die Schar der Leviten berufen hat, mich erleuchte mit dem Glanz seines Lichtes.“

Was hier stattfindet, ist die christliche Vereinnahmung einer jüdischen Identität. Während nach jüdischem Verständnis die Leviten zum Stamm Levi gehören, wird hier ein Amtsträger einer christlichen Kirche in die „Schar der Leviten“ berufen. Mit dieser Berufung unter die „Leviten“ treten die Geistlichen an die Stelle der jüdischen Priester. Die Leviten taten ihren Dienst im Jerusalemer Tempel, wie dies im Lukasevangelium auch von Zacharias, dem Vater des Täufers Johannes, berichtet wird. Mit der römischen Eroberung und der Zerstörung des jüdischen Gotteshauses im Jahr 70 hat dieser Tempeldienst ein gewaltsames Ende gefunden.

Gerade in einer Zeit, wo man mit Schrecken an die vielen Raketen denkt, die in den vergangen Monaten im Kontext einer immer weiter eskalierenden Gewalt im Nahen Osten in Richtung Jerusalem geflogen sind, ist diese siegreiche Übernahme der „levitischen“ Aufgabe durch den christlichen Amtsträger eine befremdliche Vorstellung. Sie war in dieser Form nur aufgrund der Tempelzerstörung möglich.

Hier kommt eine der theologischen Grundlagen eines christlichen Überlegenheitsgefühls gegenüber dem Judentum zum Vorschein, das in den vergangenen Jahrhunderten auch zu religiös motivierter Gewalt gegen Juden beigetragen hat. Gerade deshalb muss bezweifelt werden, ob dies noch heute so zentral zur christlichen Identität gehört, dass es in dieser Form im Rahmen des christlichen Osterfestes gesungen werden muss.

Das Exsultet erinnert dann im weiteren Verlauf des Liedes mit folgenden Worten an die Heilsgeschichte: „Dies ist die Nacht, die unsere Väter, die Söhne Israels, aus Ägypten befreit und auf trockenem Pfad durch die Fluten des Roten Meeres geführt hat.“ Von den versammelten Gläubigen werden wohl nur wenige ihren eigenen Stammbaum auf jüdische Ahnen zurückführen können. Hier tritt die gesamte christliche Gemeinde an die Stelle des historischen Volkes Israel. Theologisch ist nicht mehr um die physische Abstammung von Israel wichtig, vielmehr tritt an ihre Stelle die „spirituelle“ Zugehörigkeit der christlichen Gemeinde.

Natürlich kann man einwenden, dass das so auch schon im Neuen Testament steht. Allerdings wird man dann auch auf das Alfred Loisy zugeschriebene Bonmot verweisen dürfen: Jesus verkündete das Reich Gottes, gekommen ist die Kirche.

Wenn man zum Beispiel den Apostel Paulus etwas genauer liest, dann würde dieser wohl ein gewisses Unbehagen mit dem Kirchenlied haben. Für Paulus werden die Nichtjuden „gegen die Natur“ als „wilde Triebe“ in die „kräftige Wurzel des edlen Ölbaums“ eingepflanzt (Röm 11,17). Jeder, der auch nur einen Funken Ahnung von Ackerbau und Viehzucht hat, versteht sofort, dass Paulus hier einen großen Unfug zu reden scheint. Ein Weinstock oder ein Ölbaum wird veredelt, indem ein edler Trieb in einen nicht veredelten Stock eingepfropft wird. Wenn also ein wilder Trieb in einen edlen Stamm eingepfropft wird, dann bleibt es trotzdem ein wilder Trieb. Paulus ist das auch bewusst. Deswegen sagt er ja, dass das „gegen die Natur“ sei.

Nichtjuden: Anteil an Israel

Aus der Antike ist die Aufnahme von Nichtjuden in das jüdische Volk durch die so genannte Proselytenbekehrung bekannt. Mit der Beschneidung verpflichtete sich der Proselyt, das ganze Gesetz zu halten. Nach einer wohl bereits zur Zeit Jesu weit verbreiteten jüdischen Auffassung durfte sich ein solcher „Bekehrungsjude“ selbst im privaten Gebet nicht mit den Worten „Herr unserer Väter“ an Gott wenden. Er hatte vielmehr zum „Herrn der Väter Israels“ zu beten. Im öffentlichen Gebet in der Synagoge, wo selbstverständlich neben dem Konvertiten auch zahlreiche Jüdinnen und Juden anwesend waren, lautete die zu betende Anrede: „Herr eurer Väter“. Wenn also zur Zeit des Apostels Paulus ein Nichtjude in das Volk und die Religion Israels eintrat, durfte er trotzdem die Vorfahren seiner neuen Glaubensgenossen nicht als seine eigenen Vorfahren in Anspruch nehmen.

Man könnte natürlich behaupten, dass sich das mit der Verkündigung Jesu vollständig geändert hat. Dieser Ansicht würde Paulus wohl widersprechen. Ihm geht es mit dem Bild vom Ölbaum darum, dass etwas geschieht, was eigentlich unmöglich ist: Nichtjuden erhalten Anteil an den Verheißungen, die an das Volk Israel ergangen sind.

Bereits das Zweite Vatikanische Konzil betonte das „gemeinsame Erbe“ von Juden und Christen. Seit diesem Konzil ist mehr als ein halbes Jahrhundert vergangen. Vielleicht wäre es an der Zeit, dies auch in der Liturgie der Osternacht deutlicher werden zu lassen. Das Exsultet erweckt noch immer den Eindruck, als ob die Christenheit an die Stelle Israels getreten wäre. Hier korrigierend in den Text einzugreifen, würde den Vorgaben des Konzils entsprechen. Gerade weil auch religiöse Identitäten im Konflikt im Nahen Osten eine Rolle spielen, wäre jetzt vielleicht die richtige Zeit, sich in den christlichen Kirchen intensiv mit theologischen Vorstellungen zu beschäftigen, die zur Gewalt gegen Juden beigetragen haben.

 

Editorische Anmerkungen

Hans Förster lehrt als Privatdozent an der Uni Wien und leitet ein Projekt des FWF (Fonds zur wissenschaftlichen Förderung in Österreich) an der Kirchlich Pädagogischen Hochschulie Wien/Krems.

Quelle: Die Furche, 28. März 2024.