„Nicht weniger, sondern mehr Dialog“

Statement von Bischof Dr. Georg Bätzing, Vorsitzender der Unterkommission für den Interreligiösen Dialog der Deutschen Bischofskonferenz, im Pressegespräch zum Thema „Chancen und Grenzen des Dialogs: Zur Diskussion zwischen Kirche und Islam“ am 26. September 2017 in Fulda zur Herbst-Vollversammlung der DBK.

Der interreligiöse Dialog der katholischen Kirche mit dem Islam steht heute unter wachsendem Rechtfertigungsdruck. Beweist nicht jeder neue Terroranschlag unter Berufung auf Allah, Mohammed oder den Koran – sei es in Kundus, Bagdad, Paris, Brüssel, London oder Berlin –, dass die katholische Kirche falsch gelegen haben könnte, als sie mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil eine geradezu kopernikanische Wende in ihrem Verhältnis zum Islam vollzog? War die Kirche naiv, als sie in Nostra aetate die verbindenden Glaubensinhalte von Islam und Christentum herausstellte und sich zum Dialog bekannte?

Seien Sie gewiss: Die Kirche wird sich von solchen Fragen und dem dahinter stehenden Meinungsklima nicht von ihrem Weg abbringen lassen. Aber ich möchte auch nicht verhehlen, wie schmerzhaft es für uns ist, die dem Christentum so sehr verwandte Weltreligion Islam dadurch pervertiert zu sehen, dass sich kriminelle Extremisten zur Legitimierung ihrer Verbrechen auf sie berufen. Es muss in der Begegnung mit Muslimen eine unserer Aufgaben sein, diesen Schmerz zu thematisieren, und dann auch zu fragen, wie sehr sie selbst darunter leiden.

Es ist nicht sinnvoll, eine bestimmte Religion als ihrem Wesen nach gewaltaffin zu betrachten. Die Neigung zu Gewalt ist wohl eher in der anthropologischen als in der religiösen Dimension zu verorten. Bekanntlich haben auch die Christen ihre Gewaltgeschichte – und, wie wir gerade am Beispiel von Myanmar sehen, selbst der oft als besonders friedlich beschriebene Buddhismus. Diese allgemeine Feststellung darf aber nicht übersehen lassen, dass wir auch heute in vielen Teilen der Welt auf Konflikte stoßen, die ihre Gefährlichkeit nicht allein aus dem Kampf um Selbstbehauptung, um Macht und Lebensressourcen, sondern auch aus ihrer Aufladung mit religiösen Inhalten und religiösen Gegensätzen beziehen. Religion kann benutzt werden und sie wird benutzt, um unterschiedliche Identitäten zu markieren. Sie kann missbraucht werden und sie wird missbraucht, um Menschen aufzuhetzen und das Töten zu legitimieren. Und ehrlicherweise muss man festzustellen: Unter den heute konkret gegebenen politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umständen steht ein Teil der Anhängerschaft des Islam in besonderem Maße in der Versuchung, Gewalt religiös zu begründen. Darüber haben wir in den vergangenen Jahren mit Vertretern der Muslime diskutiert und wir werden es auch in Zukunft tun. Uns leitet dabei auch das Bemühen, mit den muslimischen Partnern darüber ins Gespräch zu kommen, wie tatsächliche oder vermeintliche Anknüpfungspunkte für Gewalt in ihren als heilig geglaubten religiösen Überlieferungen durch angemessene hermeneutische Methoden entschärft oder überwunden werden können. Letztlich ist dies natürlich eine Aufgabe, die nur die Muslime selbst leisten können. Aber das Gespräch kann dafür sensibilisieren und beiden Seiten neue Einsichten eröffnen.

Eindeutig möchte ich festhalten: Gerade angesichts der heutigen Spannungen brauchen wir nicht weniger, sondern mehr Dialog. Nur so nämlich kann erreicht werden, dass beide Religionen nicht Teil der internationalen Probleme sind, sondern Teil von deren Lösung. „Gemeinsam einzutreten für Schutz und Förderung der sozialen Gerechtigkeit, der sittlichen Güter und nicht zuletzt des Friedens und der Freiheit für alle Menschen“ – dieser Programmsatz, den die Konzilserklärung Nostra aetate Christen und Muslimen ins Stammbuch geschrieben hat, hat nichts von seiner Bedeutung verloren. Es hat nur an Dringlichkeit gewonnen.

Der beiden Religionen gemeinsame Glaube an den barmherzigen Schöpfergott birgt nach Überzeugung der Kirche ein großes Friedenspotential, das im interreligiösen Dialog aktiviert werden muss. „Der interreligiöse und interkulturelle Dialog zwischen Christen und Muslimen“, betonte Papst Benedikt XVI. bei seiner Begegnung mit Muslimen am 20. August 2005 in Köln, „darf nicht auf eine Saisonentscheidung reduziert werden. Tatsächlich ist er eine vitale Notwendigkeit, von der zum großen Teil unsere Zukunft abhängt.“ Im gleichen Sinne erklärte Papst Franziskus bei der Verleihung des Karlspreises: „Wenn es ein Wort gibt, das wir bis zur Erschöpfung wiederholen müssen, dann lautet es Dialog.“

Die Unterkommission für den Interreligiösen Dialog der Deutschen Bischofskonferenz arbeitet seit jetzt 16 Jahren. Ihr Gründungsvorsitzender war Bischof Walter Kasper. Vor einem Jahr hat mich die Bischofskonferenz zum Vorsitzenden berufen. Der Unterkommission sind von Beginn an drei Aufgaben gestellt:

  • die Verbesserung der Rahmenbedingungen für den christlich-islamischen Dialog,   
  • die Klärung kirchlicher Positionen im Dreiecksverhältnis Kirche-Staat-Islam,
  • die Gestaltung des Dialoggeschehens auf bischöflicher Ebene.

Ich erwähne diese dreifache Aufgabenstellung, weil sie zugleich auch eine Selbstverpflichtung der Deutschen Bischofskonferenz darstellt, die bis heute aktuell und gültig ist.

Der Dialog mit den Muslimen ist natürlich nicht nur eine Aufgabe der Bischofskonferenz. Diese will vielmehr das Gespräch überall im Land anregen und inhaltlich orientieren. Heute können wir bilanzieren: Viele deutsche Diözesen, Dekanate und Pfarreien sind inzwischen in Islamfragen kundig und im Dialog mit dem Islam handlungsfähig. Die meisten Bistümer haben eigene Islambeauftragte. Die katholischen Akademien bieten regelmäßig islamrelevante Bildungsinhalte an. Die Bischöfe legen Wert darauf, dass in der Priesterausbildung Grundkenntnisse über den Islam vermittelt werden. Last but not least: Die von den Weißen Vätern vor fast vier Jahrzehnten gegründete Christlich-Islamische Begegnungs- und Dokumentationsstelle (CIBEDO) in Frankfurt wurde zu einer in ganz Deutschland aktiven Arbeitsstelle der Deutschen Bischofskonferenz für den Dialog mit dem Islam ausgebaut.

Im Rahmen ihrer inhaltlichen Arbeit befasst sich die Unterkommission im Auftrag der Bischofskonferenz regelmäßig mit aktuell wichtigen Themenfeldern im Dreiecksverhältnis Kirche, Islam und Staat bzw. Gesellschaft. Wir nehmen die Herausforderungen in den Blick, die sich aus der wachsenden Präsenz des Islam in Deutschland ergeben, und bemühen uns um verantwortbare kirchliche Positionen. Hier ist beispielsweise hervorzuheben, dass die Deutsche Bischofskonferenz die Einführung von islamischem Religionsunterricht an öffentlichen Schulen unterstützt, die religiöse Betreuung von Muslimen in deutschen Gefängnissen für sinnvoll und notwendig hält und die Einrichtung muslimischer Grabfelder auf öffentlichen Friedhöfen befürwortet. Intensive fachliche Diskussionen gingen solchen Festlegungen voraus. Und, was die Wirksamkeit solcher kirchlichen Stellungnahmen betrifft, wird man sicher sagen dürfen, dass die Orientierungshilfe der deutschen Bischöfe zum Moscheebau in Deutschland sehr dazu beigetragen hat, die Kontroversen um den Bau von Moscheen in unserem Lande zu versachlichen und zu beruhigen. Die Handreichung zur Begleitung von Taufbewerbern mit muslimischem Hintergrund bewährt sich gerade heute im Umgang mit Flüchtlingen, die sich offen für das Christentum zeigen.

Mit großem Engagement widmet sich die Deutsche Bischofskonferenz der konkreten Dialogarbeit. In ihrem Mittelpunkt stehen Gespräche mit den führenden islamischen Verbänden und Bewegungen in Deutschland sowie – seit dem Aufbau islamtheologischer Lehrstühle an staatlichen Universitäten – auch mit islamischen Theologen und Vertretern aus Forschung und Lehre. Vieles ist hier unspektakulär. Und so soll es auch sein. Denn es geht uns nicht um Knalleffekte, sondern um gemeinsames Lernen und sorgfältiges Ringen um die Sache.

Im Dialog kommen regelmäßig praktische Fragen und auch die religionspolitischen Anliegen der Muslime zur Sprache. Immer wieder aber greifen wir auch grundsätzliche Fragen wie das bereits genannte Thema der Gewalt und die Religionsfreiheit als unteilbares Menschenrecht auf.

Die Unterkommission ist auch zu einem Gesprächspartner für die Vertreter des Islam auf der internationalen Ebene geworden. Marksteine im christlich-islamischen Dialog waren die Begegnungen mit der Islamischen Weltliga in Berlin (2002), mit dem Großmufti von Ägypten in Bonn (2003) und mit dem Großimam und Scheich der ehrwürdigen al-Azhar-Universität in Kairo, Dr. Ahmad al-Tayyip, im März 2016. Auch die Bedeutung dieser internationalen Gespräche für die Islam-Arbeit unserer Bischofskonferenz dürfte in Zukunft weiter zunehmen.

 

Editorische Anmerkungen

Quelle: Deutsche Bischofskonferenz.