Kommission für die religiösen Beziehungen mit dem Judentum - Presse-Erklärung

Kardinal Kasper äussert sich zur Kontroverse um die Einstellung der gemeinsamen Forschungsarbeiten von jüdischen und katholischen Historikern.

Päpstlicher Rat zur Förderung der Einheit der Christen

Kommission für die religiösen Beziehungen mit dem Judentum

Presse-Erklärung

Die Beziehungen zwischen dem Judentum und der Katholischen Kirche haben seit der Erklärung des II. Vatikanischen Konzils "Nostra Aetate" (1965) eine erfreuliche Wende erfahren. Dialog hat die alten Disputationen abgelöst.

In diesem neuen Klima sind die beim Heiligen Stuhl bestehende Kommission für die religiösen Beziehungen mit dem Judentum und das International Jewish Committee on Interreligious Consultations im Oktober 1999 übereingekommen, eine Gruppe von je drei jüdischen und drei katholischen Historikern zu beauftragen, die 11 Bände der Actes et Documents du Saint Siège relatifs à la Seconde Guerre Mondiale, welche zwischen 1965 und 1981 von angesehenen Historikern herausgegeben wurden, zu untersuchen und relevante Fragen zu stellen. Das reiche Material in den genannten Bänden ist in der öffentlichen Diskussion um die Aktivitäten des Heiligen Stuhls im Zusammenhang des Holocaust bisher nur wenig beachtet worden.

Die Kommission für die religiösen Beziehungen mit dem Judentum nimmt mit Bedauern zur Kenntnis, dass diese Gruppe im Juli dieses Jahres ihre Arbeit suspendiert hat. Sie tut dies nicht ohne gleichzeitig deren Mitgliedern, besonders den katholischen Mitgliedern, für ihre Bereitschaft zur Mitarbeit und für die geleistete Arbeit ausdrücklich zu danken.

Es war von vorn herein klar, dass bei der beschränkten Aufgabenstellung Fragen offen bleiben würden, welche nur durch Einsicht in noch nicht veröffentlichte Quellen und durch die weitere Forschung beantwortet werden können. Es bestand aber die Erwartung, dass die möglichen Teilergebnisse die öffentliche Diskussion versachlichen und weiterführen können.

Die beteiligten Historiker haben dieser nicht leichten Aufgabe zugestimmt. Dabei wurde ihnen zu keinem Zeitpunkt in Aussicht gestellt, Zugang zu den bisher nicht zugänglichen Teilen des Vatikanischen Archivs nach 1922 zu erhalten.

Sie haben im Oktober 2000 einen Zwischenbericht mit 47 Fragen abgegeben, der inzwischen von anderen Historikern kontrovers diskutiert wird. Der weitere Fortgang der Arbeit wurde während der Tagung des International Liaison Committees vom 1. bis 4. Mai 2001 in New York ausführlich diskutiert. Aufgrund dieser positiv verlaufenen Gespräche konnte davon ausgegangen werden, dass auf allen Seiten der Wille besteht, die Arbeit weiterzuführen und einen Abschlussbericht vorzulegen.

Freilich stellte sich heraus, dass die Meinungsverschiedenheiten über Aufgabe und Ziel der Gruppe unüberbrückbar waren. Dazu kam ein Vertrauensverlust wegen Indiskretionen und polemischen Zeitungsberichten von jüdischer Seite. Dies machte die weitere gemeinsame Arbeit praktisch unmöglich.

Wissenschaftliche Team-Arbeit ist nur möglich auf der Basis von Fairness, gegenseitigem Respekt und Vertrauen. Diese Grundlage ist durch die nach der Suspendierung der Arbeit ausgelöste Polemik, verbunden mit beleidigenden Verdächtigungen, vollends zerstört worden. Die katholischen Mitglieder der Gruppe haben sich von polemischen Darstellungen und Bewertungen öffentlich distanziert. Eine weitere gemeinsame Arbeit scheint nach Lage der Dinge auf der bisherigen Grundlage kaum möglich zu sein.

Die Kommission für die religiösen Beziehungen mit dem Judentum möchte freilich keinen Zweifel daran lassen, dass der Weg der Verständigung zwischen Juden und Christen für sie unumkehrbar ist und im gemeinsamen Interesse fortgesetzt werden muß. Dieser Prozess wurde durch das II. Vatikanische Konzil begonnen und durch Papst Johannes Paul II. konsequent weitergeführt. Maßgebende jüdische Vertreter haben zu erkennen gegeben, dass sie die öffentliche Polemik nicht wollen, sondern den Dialog über religiöse Fragen fortführen und vertiefen wollen.

Die Verständigung zwischen Juden und Christen schließt die Aufarbeitung der Geschichte ein. Die Offenlegung aller historisch relevanten Quellen ist dafür eine selbstverständliche Voraussetzung. Der Wunsch vieler mit der Sache befasster Historiker nach einer Öffnung der vatikanischen Archive für die Zeit der Päpste Pius XI. (1922-39) und Pius XII. (1339-58) ist darum verständlich und berechtigt. Der Heilige Stuhl ist bereit, aus Respekt vor der Wahrheit, seine Archive uneingeschränkt der Forschung zugänglich zu machen, sobald das umfangreiche Material geordnet und registriert ist.

Die Kommission für die religiösen Beziehungen mit dem Judentum wird in den nächsten Monaten bemüht sein, nach geeigneten Wegen zu suchen, um in Zusammenarbeit mit jüdischen Partnern auf einer neuen Basis die in der Öffentlichkeit wie in der historischen Forschung aufgeworfenen Fragen einer möglichst gemeinsamen Klärung entgegenzuführen. Sie ist überzeugt, dass die Katholische Kirche die historische Wahrheit nicht zu fürchten hat.

24. August 2001


Kardinal Walter Kasper