Kollektivschuld und Kollektivstrafe im jüdischen Recht

"Keine Gesellschaft und kein Staat ist vor einem Rückfall in ein Unrechtsregime gefeit, auch wenn seine Gesellschaftsordnung noch so modern erscheint."

Kollektivschuld und Kollektivstrafe im jüdischen Recht

Der Wunsch nach Rache ist bei jedem Menschen als Urgefühl vorhanden. Kinder kann man beruhigen, wenn man einen Gegenstand, der ihnen weh tat, bestraft. Die Bestrafung von Sachen ist nicht nur bei Kindern zu beobachten.1 Durch die Vergeltung ist das moralische Gleichgewicht wieder hergestellt worden. Auch in unserer Zeit ist die Vergeltung aus der rechtlichen Bestrafung nicht wegzudenken.

Die Art der Vergeltung ist je nach der Rechtsverletzung verschieden. Der alte Satz des mosaischen Gesetzes: „Wer Menschenblut vergießt, dessen Blut soll durch Menschenhand vergossen werden“ (1. Mos 9,6)2, wird vermutlich bestehen, solange Menschen auf Erden sein werden, gleichviel ob er in Form von Blutrache oder der Talion3 oder durch das öffentliche Recht ausgeführt wird. Diese Art von Gerechtigkeitsempfinden nimmt auch keine Rücksicht auf die Nützlichkeit solcher Bestrafung.4

Wir empfinden jedoch die Talion als eine primitive, dem Sinn des Strafrechts nicht angemessene Norm. Wenn wir die Formulierung „Auge um Auge“ (2. Mos 21,23) hören, denken wir an eine abscheuliche Art der Vergeltung, und für Juden ist es geradezu beleidigend, wenn man erwähnt, dass dieser Satz so wörtlich im mosaischen Gesetz, in der Bibel, steht.

Dies durch Aufhellung des geschichtlichen Hintergrundes in die richtige Relation zu stellen soll unsere Aufgabe sein.

Geschlechterrecht

Jede menschliche Gemeinschaft verfügt über ein System von Rechtsnormen, welches das Zusammenleben der Individuen in der Gemeinschaft ermöglicht. Das älteste uns bekannte Recht ist das Geschlechterrecht, ungeschriebene Gesetze, die das Leben der Gemeinschaft (z.B. des semitischen Stammes oder der germanischen Sippe) ordneten. Sie stimmen darin überein, dass es sich um die ältesten Gemeinschaften handelt, die auf gleicher Abstammung beruhten. Das besondere Charakteristikum solcher Gemeinschaft war, dass das Individuum nicht als solches zählte, es war ein Glied der Gemeinschaft und ging in ihr auf. Als Schutzgemeinschaft gewährte sie dem Einzelnen Sicherheit. Wurde ein Mitglied angegriffen, so wurde ein Glied des Körpers angegriffen, und das Heil oder der Frieden des ganzen Stammes (oder der Sippe) wurden gestört, sie mussten wiederhergestellt werden durch Rache, Blutrache, die sich gegen die gesamte Tätergemeinschaft richtete.

Bei den meisten jugendlichen Völkern war die Rache zur sakralen Pflicht, zum Rachekult gesteigert, sie zielte auf Vernichtung des Gegners ab. Träger des Rachekults ist der Stamm, die Sippe. Für den Toten muss Rache an dem gesamten Täterstamm geübt werden.

Innerhalb des Stammes oder der Sippe übte das Familienoberhaupt ebenfalls eine Art „Strafrecht“ aus, da genau wie der Stamm auch das Haus und die Gefolgschaft autonome Selbstverwaltungskörperschaften waren.

Jedes Volk durchläuft in der Regel die geschlechterrechtliche Periode. Wenn es dann zur staatlichen oder Volksorganisation kommt, wird meistens die Talion die Grundlage des Rechts, der Beginn einer sozialen Ordnung. Die Zentralmacht übernimmt die Kontrolle, das Monopol über das Strafrecht, und anstelle der Blutrache, der Sippenfehde, die sie sich nicht leisten kann, da sich sonst die Gemeinschaft nach und nach selbst ausrottet, tritt die Talion hervor. Die Talion bedeutet einen großen Sieg der menschlichen Selbstbeherrschung.

Das Prinzip des altsemitischen Rechts wurde in dem mosaischen Gesetz formuliert: „Seele für Seele, Auge für Auge, Zahn für Zahn, Hand für Hand, Fuß für Fuß“. Das Gesetz soll nicht rächen, sondern das aufgehobene moralische und ethische Gleichgewicht wiederherstellen. Die Regel lautet „Auge für Auge“, nicht mehr! Hier setzte eine Gegenleistung ein. Die Talion war also weit entfernt davon, eine grausame Neuerung zu sein, sie bedeutete vielmehr eine Einschränkung der alten grausamen und blutigen Übung, die immer wieder dort hervortritt, wo die Macht des Gesetzes nicht hinreicht.

Bei der Betrachtung des altsemitischen Strafrechts fällt auf, dass im Gesetz Hammurabis öfter der Sohn oder die Tochter für den Vater getötet werden sollen. Dies ist der Fall, wenn die Schuld des Urhebers gering ist, es tritt dann eine Milderung ein, so dass nicht der Urheber selbst, sondern dessen Sohn oder Tochter, die also als minderwertig angesehen werden, getötet werden. Dies ist ein Überbleibsel der geschlechtsrechtlichen Periode. Hier hat das mosaische Gesetz mit diesem Überrest der geschlechtsrechtlichen Periode aufgeräumt. „Es sollen nicht Väter wegen Kindern und nicht Kinder wegen Vätern getötet werden; ein jeder soll nur für sein Vergehen getötet werden“ (5. Mos 24,16). Hier setzte sich auch die Erkenntnis von der moralischen Verantwortung des Individuums durch. Dieser von Moses proklamierte Satz stand in klarem Gegensatz zu dem Dekalog, wo Gott „die Verschuldung der Väter an den Kindern, Enkeln und Urenkeln“ ahndet (2. Mos 20,6-7).

Diesen Gegensatz versuchten die Talmudgelehrten durch zwei Interpretationen aufzulösen.

Erstens verwiesen sie darauf, dass im Dekalog die Bestrafung der Kinder für die Taten der Väter im Zusammenhang mit dem Vergehen gegen Gott selbst durch den Dienst an anderen Göttern gesehen werden muss. Es handle sich hier um ein ius sacrum oder ius divinum. Ferner heiße es am Ende dieser Androhung: „die mich hassen“, die Bestrafung der Kinder bis ins dritte und vierte Glied gelte also lediglich dann, wenn diese Nachkommen Gott untreu geblieben sind, wobei jedoch diese letztere, von der Orthodoxie hervorgehobene Interpretation einer kritischen Prüfung nicht standhält (da ohnehin jeder für sein eigenes Verschulden bestraft wird, wozu dann die Bestrafung). Dagegen wird die Bestimmung „ein jeder soll für sein Vergehen getötet werden“ (5. Mos 24,16) im Kontext von zivil- und strafrechtlichen (auch gesetzlichen und ethischen) Normen gesehen. Es ist sicherlich von Moses auch so gedacht worden. Die humane Einstellung des mosaischen Rechts enthält manche Regel, die auch noch für unsere Zeit wegweisend sein kann, und es lässt sich folgern, dass diese beiden Bestimmungen nebeneinander galten und sich nicht gegenseitig aufhoben. Allerdings war der Genius Moses seiner Zeit um viele Generationen voraus. Das Volk war noch in vieler Hinsicht in der Vorstellung der Kollektivschuld verhaftet. Die Sippenhaft war nicht nur ein Teil der frühen Tradition aus der Zeit der Väter (Ruben sagt zu Jakob: „Wenn ich ihn dir nicht wiederbringe, so töte meine zwei Söhne“ – 1. Mos 42,37 ), sie kam auch nach der Verkündung des mosaischen Rechts vor (Josua verurteilte Achan und seine Familie zum Tode wegen eines Vorgehens des Achan – Josua 7,15 und 25; König David lieferte sieben Söhne seines Vorgängers Saul der Hinrichtung aus, weil die Gibeoniter sich an Saul rächen wollten – 2. Samuel 21, 2 ff.).

Verantwortung des Einzelnen

In späterer Zeit passte diese Tradition wohl nicht mehr in das Weltbild der Talmudgelehrten, und sie taten sich schwer, diese Stellen zu erklären. Allerdings wurde in der Zeit der Könige nicht durchgehend so verfahren. Von König Amazia, dem Ur-Ur-Urenkel Davids, wird berichtet, dass er nur die Mörder seines Vaters hinrichten ließ, nicht jedoch ihre Söhne (2. Chronik 25, 4); es wird auch explizit darauf hingewiesen, dass er nach dem mosaischen Gesetz handelte, welches die Tötung der Kinder wegen Vergehen der Väter verbietet.

Als im Verlaufe der Geschichte durch Fehler und Verschuldung der Regierenden und der Regierten Unheil über Land und Volk hereinbrach, Jerusalem und der Tempel zerstört und das Volk nach Babylonien verschleppt wurden, bemächtigte sich des Volkes eine lähmende Verzweiflung, die sich in dem Sprichwort äußerte: „Die Väter aßen saure Trauben und die Zähne der Kinder sind stumpf“.

Zwei zeitgenössische Profeten, die im Zusammenbruch des Reiches noch retten wollten, was zu retten war, proklamierten die individuelle moralische Verantwortung (Jer 31,28; Ez 18,3-4).

Jeremia, obschon bemüht, das Volk zu trösten, befindet sich noch in der Tradition des Glaubens an die kollektive Verantwortung. Er sagt zwar (31,28): „Zu derselben Zeit wird man nicht mehr sagen, die Väter haben saure Trauben gegessen und den Kindern sind die Zähne stumpf geworden, sondern ein jeder wird um seiner Schuld willen sterben“, verkündet dies aber als eine Zukunftsvision. Im darauffolgenden Kapitel (32,18) heißt es ausdrücklich, „(Gott) lässt die Schuld der Väter auf das Haupt der Kinder kommen“. Hier befindet er sich in der Tradition der Profeten vor ihm – auch Jesajas. Dies war ein ethischer Grundstein im Glauben der Profeten, der in den Büchern des Alten Testaments immer wieder zum Vorschein kommt.

Erst Ezekiel, der Profet der Diaspora, der die Verzweiflung der Vertriebenen und die Gefahr der Assimilation erkannte, proklamierte eine neue Lehre, die im Gegensatz zur alten Moral stand. Er entlässt den Einzelnen aus der unbedingten Bindung an die Gemeinschaft. Das Recht der archaischen Zeit, das Geschlechterrecht, das die Gemeinschaft als Rechtssubjekt sieht, wird zugunsten des Individuums aufgehoben. Solch ein Einbruch im traditionellen Glauben war eine Revolution, die nur von einer großen und anerkannten Persönlichkeit durchgeführt werden konnte. Er verkehrte eine mosaische Bestimmung, ein mosaisches Gesetz, in sein Gegenteil. Dies haben die Gelehrten des Talmud auch richtig erkannt, indem sie sagten (Makot 24 a): „Moses sagte: er ahndet der Väter Schuld an den Kindern etc., hierauf kam Ezekiel und hob dies auf, denn es heißt: die Seele, die sündigt, die soll sterben (Ez 18,20, wo es ferner heißt: „der Sohn soll nicht die Schuld des Vaters tragen und der Vater soll nicht die Schuld des Sohnes tragen“).

Ezekiel begründet eine neue Moral: Die Verantwortung der ganzen Gemeinschaft wird zugunsten der Verantwortung des Individuums allein für seine eigenen Taten abgelöst; die Kollektivverantwortung und die Kollektivschuld sind aufgehoben.

Totalitäre Gesellschaften sehen in dem Individuum und in der Möglichkeit seiner Entfaltung eine Gefahr, einen Störfaktor, weshalb sie die Gemeinschaft als das Ziel der menschlichen Entwicklung anpreisen. Vorstellungen von der Urgemeinschaft, vom Gemeinschaftsgefühl der Sippe oder des Volkes werden verherrlicht. Das Individuum soll sich der Gemeinschaft unterordnen und seine Bedürfnisse ihr unterstellen. Hat sich ein Individuum der Gemeinschaft gegenüber etwas zuschulden kommen lassen oder schert es aus der Gemeinschaft aus, gefährdet es diese und muss ausgemerzt werden, wie ein kranker Körperteil entfernt werden muss, da er die Gesundheit des ganzen Körpers zu zerstören droht (so auch die Sprachregelung der Machthaber des Iranischen Revolutionsregimes).

Abschreckende Wirkung?

Sippenhaft und Kollektivschuld, die in vielen Jahrhunderten aufgeklärter christlich-humanistischer Gesellschaften für überwunden galten, treten in Krisensituationen auch in neuerer Zeit auf (nicht nur in der jüngsten deutschen Vergangenheit).

Dieser Ausflug in Betrachtungen neuzeitlicher Erscheinungen soll uns vor Augen halten, dass keine Gesellschaft und kein Staat vor einem Rückfall in ein Unrechtsregime gefeit ist, auch wenn seine Gesellschaftsordnung noch so modern erscheint.

Der Staat Israel ist ein demokratischer Rechtsstaat. Er verfügt über ein modernes Zivil- und Strafrecht. Das jüdische oder mosaische Recht haben nur begrenzte Gültigkeit in Familienangelegenheiten. Wenn auch die Bestimmungen des jüdischen Rechts keine Rechtsnormen sind, so haben die durch Jahrhunderte entwickelten humanen Gedanken und ethischen Normen der jüdischen Rechtsschulen – die auch die abendländische Kultur mitprägten – doch Einfluss auf das Rechtsdenken der israelischen Juristen, wie auch auf das vieler Nicht-Juristen. Die ethischen und rechtlichen Normen, die in den Sprüchen der Väter als kleiner repräsentativer Sammlung des humanistischen Judentums zusammengefasst sind, können fast von jedem zitiert werden.

Israel ist seit fünfzig Jahren in Kriege (echte und vermeintliche) mit seinen Nachbarn verstrickt. Unter solchen Bedingungen kann manchmal auch die Rechtspflege leiden. Ein Staat, der sich stets bedroht fühlt, greift in seinem Eifer seine Bürger zu beschützen, zu extremen Mitteln, die der humanistischen Tradition seiner Bevölkerung widersprechen.

Seit vielen Jahren herrscht in Israel die Praxis, dass das Militär Häuser und Wohnungen zerstört, in denen palästinensische Terroristen gewohnt haben. Der Grund hierfür ist in dem Ziel der Abschreckung und der Prävention zu sehen, das eines der wichtigsten Elemente des Strafzwecks und der Strafzumessung ist. Die Spezialprävention dient der Abschreckung des einzelnen Täters, die Generalprävention bezweckt, andere von der Begehung gleichartiger Straftaten abzuschrecken.

Das israelische Militär vertritt die Meinung, dass die Zerstörung eines Hauses, in dem ein palästinensischer Terrorist gelebt hat, durch das Elend, das über seine Familie (Eltern und Geschwister oder Ehefrau und Kinder) hereinbricht, potenzielle Täter vor ähnlichen Akten abschreckt. Appelle der Betroffenen vor dem Hohen Gerichtshof für Gerechtigkeit (entspricht dem Bundesverfassungsgericht) gegen diese Praxis hatten bislang keinen Erfolg; es akzeptierte stets die Argumentation der Behörden und lehnte solche Appellationen ab.5

Im März 1997 sprengte ein Palästinenser aus dem Dorf Zurif bei Jerusalem sich und mehrere Israeli im Cafè Apropo in Tel Aviv in die Luft. Als das Militär die Wohnung des Attentäters zerstören wollte, appellierte seine Witwe beim Hohen Gerichtshof für Gerechtigkeit gegen diese Maßnahme. Zum erstenmal bei Verhandlungen dieser Art war sich das Gericht nicht einig. Die Mehrheit, die Richter Barak und Goldberg, wiesen den Antrag der Witwe zurück. Richter Barak erklärte u.a.: „Im Rahmen der begrenzten Möglichkeiten des Staates Israel, sich gegen lebende Bomben zu wehren, sollte man diese Möglichkeit nicht außer Acht lassen“ (Haaretz, 31.03.97). Richter Cheschin (der nebenbei bemerkt ein religiöser Jude ist) meinte in seiner gegenteiligen Begründung, dass die Wohnung nicht zerstört werden dürfe, da dies die Witwe und die vier Waisenkinder treffen würde, die ja mit der Tat nichts zu tun hatten. Wörtlich sagte er: „Ein jeder soll für sein Vergehen getötet werden“, und ergänzte, dass man andere nicht wegen der Tat eines Mitmenschen bestrafen dürfe. Er zitierte hiermit das mosaische Gesetz und berief sich auf diese humane Bestimmung, die bereits im 13. Jhdt. vor der Zeitrechnung die Kollektivstrafe und die Sippenhaft abschaffen wollte. Er folgte hiermit dem Antrag des Vertreters der Menschenrechtsorganisation, der gegen die Zerstörung der Wohnung appellierte, da dies eine Kollektivstrafe sei, die Unschuldige beträfe, deren einziges „Vergehen“ die Verwandtschaft zum Attentäter sei.6 Richter Cheschin äußerte sich nicht zur Zweckmäßigkeit solcher Bestrafung. Ob Kollektivstrafen andere Straftäter überhaupt abschrecken und somit als Präventivmaßnahme gelten können, wurde nicht erörtert und von der Militärbehörde auch nie nachgewiesen. Aufgrund von Erfahrungen aus der jüngsten terroristischen Geschichte in Israel und in anderen Ländern kann man davon ausgehen, dass Überzeugungstäter, insbesondere wenn es sich um fanatische Fundamentalisten oder schlicht um verzweifelte Menschen handelt, sich von ihrem Vorhaben durch das drohende Leid für Angehörige nicht abhalten lassen.

Anmerkungen
  1. Hinrichtungen von Tieren waren selbst im Mittelalter keine Seltenheit.
  2. Hegel (Grundlinien der Philosophie des Rechts, 1821) formuliert diese gleiche Idee, allerdings weniger anschaulich, wenn er sagt, dass das Verbrechen aufgehoben wird durch Wiedervergeltung, die „dem Begriffe nach Verletzung der Verletzung“ ist.
  3. Rechtswörterbuch: Talion (lat. talio) ist die Vergeltung einer strafbaren Rechtsgüterverletzung an dem Täter durch Zufügen eines gleichartigen Übels.
  4. Man könnte fast meinen, Kant war Fanatiker als er seine Strafrechtstheorie formulierte (Die Metaphysik der Sitten, I Teil Rechtslehre 1797, S. 229): „Selbst wenn sich die bürgerliche Gesellschaft mit allen Gliedern in Einstimmung auflöste (z.B. das eine Insel bewohnende Volk beschlösse, auseinander zu gehen und sich in aller Welt zu zerstreuen), müsste der letzte im Gefängnis befindliche Mörder vorher hingerichtet werden, damit Jedermann das widerfahre, was seine Taten wert sind, und die Blutschuld nicht auf dem Volke hafte, das auf die Bestrafung nicht gedrungen hat: weil es als Teilnehmer an dieser öffentlichen Verletzung der Gerechtigkeit betrachtet werden kann“.
  5. Zwar betrachtet das Gericht die Zerstörung von Häusern als eine „drastische Maßnahme“, hält sie trotzdem für legitim, wie im BGZ 698/85 zusammengefasst: „Die Beschwerde der Antragsteller, die Zerstörung von Häusern sei eine kollektive Strafe, ist unbegründet. Nach dieser Ansicht dürften nur Terroristen und Straftäter bestraft werden, während die Zerstörung von Häusern alle Familienangehörigen betrifft. Solch eine Interpretation der Verordnung ((Art. 119 (1) der Sicherheitsverordnung (Notstand) 1945)) würde den Sinn der Verordnung aushöhlen, da man demnach nur den Terroristen, der allein wohnt, bestrafen könnte. Die Absicht der Verordnung ist es „einen abschreckenden Effekt zu erreichen“, und dieser Effekt muss auch die Umgebung des Terroristen erreichen und auf alle Fälle seine Familienangehörigen, die zusammen mit ihm wohnen. Er muss wissen, dass seine verbrecherischen Taten nicht nur ihm angelastet werden, sondern dass sie geeignet sind, seiner Familie erhebliches Leid zuzufügen.“
    Art 119 (1): „Ein Militärbefehlshaber hat das Recht, ein Haus zu beschlagnahmen, wenn er Grund zur Annahme hat, dass aus diesem Haus geschossen wurde..., wenn die Bewohner eine Straftat unterstützten... Wurde ein Haus beschlagnahmt, kann der Militärbefehlshaber seine Zerstörung herbeiführen.“
  6. Haim H. Cohn, Richter am Hohen Gericht für Gerechtigkeit i.R., schreibt in seinem Buch „The Law“ 1991: „Wir sind Zeugen einer schlimmen Erscheinung, die im Rahmen von „Bestrafungen“ unter einem gesetzlichen Deckmantel stattfinden, die Benutzung der „Sicherheitsverordnung (Notstand) 1945“ zum Zwecke der Bestrafung und der Abschreckung. Selbst nach dieser drakonischen Verordnung ist das Recht zur „Bestrafung“ den Gerichten vorbehalten. Manche rechtfertigen Strafmaßnahmen als ein zweckmäßiges Mittel der Vorbeugung gegen die Gefährdung der öffentlichen Ordnung. Selbst wenn sie recht haben, ist damit kein Recht auf Bestrafung des Täters, und schon gar nicht seiner Familie oder seines Dorfes verliehen. Jede „kollektive“ Bestrafung ist naturgemäß eine ungerechtfertigte Abweichung vom Prinzip des Rechtsstaates. Es mag im Gefecht während Kriegszeiten eine andere Situation sein. Der Staat Israel war stolz darauf (mit Recht oder mit Unrecht), im Rahmen des Gesetzes zu handeln, selbst in seinen schwersten Zeiten, was ihn als Rechtsstaat von seinen Feinden unterschied. Kollektivstrafen waren in der Mandatszeit unter besonderen Umständen zugelassen. Kollektive Sanktionen, die wegen der Tat eines einzelnen über die Bewohner eines bestimmten Gebietes verhängt werden, verletzen unsere Gerechtigkeitsempfindungen und die Grundsätze der Rechtskultur unserer Zeit. Jede im Gesetz definierte Straftat bezieht sich auf den bestimmten Täter, nicht auf die Bestrafung von Unbeteiligten.