Sehr geehrte Frau Präses, sehr geehrter Herr Ratsvorsitzender, hohe Synode, meine Damen und Herren!
Ich bin Ihrer Einladung sehr gern gefolgt und freue mich, dass es trotz vorher vermeintlicher Widrigkeiten geklappt hat, dass ich heute bei Ihnen hier in Bremen zu Gast sein darf. Die Widrigkeiten hatten nicht mit der Synode zu tun.
In diesem Jahr gab es wie bereits in den Jahren zuvor zahlreiche Berührungspunkte zwischen der evangelischen Kirche und der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland. Das Reformationsjubiläum steht dabei sicher im Zentrum Ihrer Aufmerksamkeit. Dazu haben wir – das war eine Premiere – erstmals gemeinsam, nämlich die Evangelische Akademie und die Bildungsabteilung des Zentralrats, eine Tagung in Berlin veranstaltet. Aufmerksamkeit bei den Medien hat aber auch schon die schlichte Tatsache erzeugt, dass die obersten Repräsentanten der beiden christlichen Kirchen und ich als Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland nunmehr alle ihren Sitz im gleichen Bundesland haben, im, so kann man schon sagen, schönen Bayern.
Ich denke sehr gern an einen Termin in München im Amtssitz von Ihnen, Landesbischof Professor Bedford-Strohm, zurück, als wir gemeinsam Redakteuren des "Spiegel" Rede und Antwort standen. Die beiden Journalisten hätten sich vielleicht mehr Konfrontation gewünscht, staunten dann aber über unsere Einigkeit in vielen Fragen. Jetzt, in der zweiten Jahreshälfte, stellt die aktuelle Lage, nämlich die Flüchtlingskrise, Christen und Juden vor das gleiche Dilemma. Die Hilfe für bedürftige Menschen ist ein Gebot unserer Religionen. Zugleich haben aber auch Religionsgemeinschaften ganz menschliche Grenzen und Kapazitäten.
Wie schaffen wir nun diesen Spagat, Hilfe leisten zu wollen, sie aber nicht immer in ausreichendem Maße leisten zu können? Für uns, die jüdische Gemeinschaft, kommt noch ein Aspekt hinzu, den ich doch kurz erwähnen möchte. Eine große Zahl der Flüchtlinge kommt aus Ländern wie Syrien oder dem Irak, in denen eine feindliche Einstellung zu Israel als normal gilt. Diese Israel-Feindlichkeit schlägt leider nicht selten in eine generelle Ablehnung von Juden um. So können wir etwa in unserem Nachbarland Frankreich sehr gut beobachten, wohin der muslimische Antisemitismus der Einwanderer führen kann. Wir beobachten sehr genau, wohin sowohl die Sorge seitens des Antisemitismus von Zuwanderern als auch politische Entwicklungen in unserem Land – ich verweise auf die aktuellen Deutschland-Trends mit einem Anwachsen rechtslastiger Parteien – führen können. In unseren jüdischen Gemeinden fragen sich viele besorgt, ob wir in Deutschland ähnliche Zustände wie in Frankreich bekommen könnten.
Liebe Synodale, wenn in Deutschland der Antisemitismus zunimmt, ist dies nicht nur ein Problem für die jüdische Gemeinschaft, es ist – so sehe ich es – ein Problem für die gesamte deutsche Gesellschaft.
Es muss daher auch ein Anliegen der Kirchen sein, diesem Antisemitismus und auch einer Feindlichkeit Minderheiten gegenüber in aller Form entschieden entgegenzutreten. Es ist die zwingende Notwendigkeit – Sie haben es angesprochen, Frau Präses – die Flüchtlinge in unser Wertesystem einzubinden. Gerade für diese Herausforderung, vor der wir gemeinsam stehen, ist auch der interreligiöse Dialog so wichtig, und ich bin sehr dankbar, dass er in Deutschland mit der EKD und auch mit der katholischen Kirche gut funktioniert.
Unser Vertrauensverhältnis wirkt sich auch positiv auf den Umgang mit dem Reformationsjubiläum aus. Schon früh wurde auf Ihrer Seite das problematische Verhältnis des Reformators zu den Juden thematisiert. Sie haben diese unangenehme Seite Luthers nicht ausgeblendet, obwohl sie unbequeme Fragen aufwirft. Sicherlich wäre es wünschenswert gewesen, wenn die EKD dieses Thema vielleicht schon etwas früher aufgegriffen und selbstkritisch reflektiert hätte. Doch manchmal braucht es eben einen historischen Anlass und genügend Abstand zum Geschehen, denn im Zuge der Auseinandersetzung mit den antisemitischen Schriften des späten Luther stellt sich stets die Frage nach dem Verhalten der evangelischen Kirche im Nationalsozialismus. Ebenso wirft die Beschäftigung mit Luther die Frage auf, ob es eine direkte Linie von seiner Judenfeindlichkeit zur Schoah gibt.
Meine Damen und Herren, ich bin weder Theologe noch Kirchenhistoriker und möchte deshalb nur so viel dazu sagen: Sicherlich haben die Nazis die antijüdischen Ressentiments, die die Kirchen über Jahrhunderte geschürt haben, für ihre Zwecke genutzt. Oder, wie Sie es im Entwurf einer Synodenerklärung treffend formulieren: "Luther konnte für den theologischen und kirchlichen, aber auch für den politischen Antisemitismus als Kronzeuge in Anspruch genommen werden."
Auch wenn wir keine direkte Linie von Luther zur Schoah ziehen, ist es für den christlich-jüdischen Dialog wichtig, dass sich die evangelische Kirche klar von der antisemitischen Seite Luthers distanziert.
Bei der bereits von mir erwähnten gemeinsamen Luthertagung im Juni in Berlin habe ich gesagt, dass ich mir im Rahmen des Reformationsjubiläums ein entsprechendes Zeichen der EKD wünsche. Ich freue mich, dass Sie planen, mit der vorliegenden Erklärung dieser Synode ein solches Zeichen setzen zu wollen. Sie sprechen darin von der „Schuldverstrickung der Reformatoren und der reformatorischen Kirche“ und von einem „schuldhaften Versagen gegenüber dem Judentum“ in der Zeit des Nationalsozialismus. Das sind deutliche Worte.
Ebenso wird in der Erklärung die Verantwortung betont, die die evangelische Kirche bis heute trägt: die Verantwortung, jeder Form von Judenfeindschaft und -verachtung zu widerstehen und ihr entgegenzutreten. In dieser Hinsicht ist die Erklärung ein bedeutsamer Schritt, der unser Vertrauen in die evangelische Kirche weiter stärken wird. Ein beherztes Engagement gegen jegliche Form von Antisemitismus und Israelfeindlichkeit heute wäre für mich so etwas wie die praktische Umsetzung dieser Erklärung.
Was wir allerdings in dem Textentwurf vermissen, ist eine ebenso deutliche Distanzierung von der Judenmission. In diesem Punkt bleibt der Erklärungsentwurf leider sehr vage, aber gerade auch dieses Thema ist für uns sehr wichtig. Ihr Urteil, dass Luther die biblischen Aussagen zu Gottes Bundestreue gegenüber seinem Volk und zur bleibenden Erwählung Israels verkannt habe, wird nur dann glaubwürdig, wenn Sie jeder Form von Judenmission eine klare Absage erteilen.
Ich weiß, dass in diesem Punkt in Ihren Reihen zum weitaus größten Teil Konsens besteht. Daher bin ich zuversichtlich, dass Sie bis 2017 – da ist noch ein wenig Zeit; es gibt zumindest noch eine Synode davor, habe ich gehört – hier noch nachbessern werden.
Manchmal werde ich gefragt, ob es überhaupt angemessen sei, 500 Jahre Reformation zu feiern. Mal abgesehen davon, dass ich als Außenstehender Ihnen nicht zu sagen habe, was Sie feiern sollen oder was nicht, möchte ich festhalten: Martin Luther hat die Reformation angestoßen, die letztlich kirchenstiftend gewesen ist. Damit hat das Jubiläum für die evangelischen Christen weltweit eine große Bedeutung.
So, wie Sie das Reformationsjubiläum angehen, bietet es eine große Chance, verbindend zu wirken – in der Ökumene und im Verhältnis zu den Juden in Deutschland. Ich blicke daher in ganz positivem Sinne mit gespannter Erwartung auf das Jubiläumsjahr 2017 und wünsche Ihnen für Ihren Weg bis dahin, für Ihre Vorbereitungen und Beschlussfassungen eine glückliche Hand, viel Erfolg und den Segen unseres gemeinsamen Herrn im Himmel.