Jüdische und christliche Symbolik unglücklich vermischt

Am 11. Oktober 2006, nach der Generalaudienz auf dem Petersplatz in Rom, weihte Papst Benedikt XVI. eine Statue von Edith Stein, die als Jüdin 1891 in Breslau geboren und am 9. August 1942 im Konzentrationslager Auschwitz ermordet wurde. Die Statue füllt eine der letzten freien Außennischen an der Westfassade des Petersdoms. Ihre Symbolik vermischt auf unglückliche Weise jüdische und christliche Elemente.

Jüdische und christliche Symbolik unglücklich vermischt

Die neue Edith-Stein-Statue am Petersdom

Heinz-Günther Schöttler

Am 11. Oktober 2006, nach der Generalaudienz auf dem Petersplatz in Rom, weihte Papst Benedikt XVI. eine Statue von Edith Stein, die als Jüdin 1891 in Breslau geboren und am 9. August 1942 im Konzentrationslager Auschwitz ermordet wurde. Die Statue füllt eine der letzten freien Außennischen an der Westfassade des Petersdoms. Edith Stein, mit „summa cum laude” bei dem Philosophen Edmund Husserl promoviert, konvertierte zum Christentum und empfing am 1. Januar 1922 die Taufe. Im Oktober 1933 trat sie als Karmelitin in das Kölner Kloster ein und erhielt den Namen Teresia Benedicta a Cruce („die vom Kreuz Gesegnete"); dieser Name steht auch auf dem Sockel der Statue. Zu verdanken ist die aus Carrara-Marmor geschlagene Statue der Initiative des Kölner Erzbischofs, Joachim Kardinal Meisner, geborener Breslauer wie Edith Stein.

Die persönliche Integrität Edith Steins und ihr Recht auf Konversion zum Christentum sind unbestritten, ihre Selig- (1987) und Heiligsprechung (1998) ist aber ein für Juden und Christen gleichermaßen höchst mißverständliches Zeichen — und für das Verhältnis zwischen Juden und Christen durchaus prekär. Edith Stein wurde ja nicht in Auschwitz ermordet, weil sie Christin war. Sie wurde vergast, weil sie Jüdin war, nicht wegen ihres Glaubens, „nicht wegen, sondern trotz ihrer Taufe” (vgl. Elias H. Füllenbach, Die Heiligsprechung Edith Steins, FrRu 6[1999]3-20, hier 15). Vor einer Vereinnahmung Edith Steins als christliche Märtyrerin ist angesichts ihrer Selig- und Heiligsprechung immer wieder nachdrücklich gewarnt worden. Die neue Statue leistet keinen Beitrag, diese Irritationen zu mindern oder gar abzubauen — im Gegenteil. Als die Statue enthüllt wird, ist der Schreck und das Unverständnis — nicht nur unter den jüdischen Anwesenden — groß, sieht man doch Edith Stein, wie sie mit beiden Händen eine Torarolle und — dahinter — ein Kreuz hält. Das Kreuz, dem als weiteres christliches Symbol die Dornenkrone beigefügt ist, überragt die Torarolle, auf der in hebräischen Buchstaben „Schema Jisrael” steht. Mit dieser Kombination von Tora und Kreuz entsteht eine — wie Rabbiner Homolka mit Recht kritisiert — „unerträgliche Vermischung” jüdischer und christlicher Symbolik, und der Vorwurf christlicher Vereinnahmung der Schoa liegt nahe.

Wie soll die Heilige „für Beides” stehen, wie der Künstler ausdrücklich betont: für Judentum und Christentum, in Torarolle und Kreuz symbolisiert, wo sie sich durch ihre Konversion zum Christentum doch bewußt vom jüdischen Glauben abgewandt hat! Dem jüdischen Betrachter zeigt sich Edith Stein als Figur christlicher Vereinnahmung des Judentums.

Die Kreuzesmystik und Sühnespiritualität der Karmelitin Edith Stein erheischen vor ihrem Lebenszeugnis größten Respekt; sie sind und bleiben aber nur binnenchristlich verständlich. Der millionenfache Tod in der Schoa bekommt dadurch keinen Sinn. Die theologische Frage, wo Gott angesichts von Auschwitz war, und die für Christen noch drängendere Frage, wo sie denn waren, wird durch die Statue verharmlost und sediert. Wird das Kreuz mit der Tora-Rolle kombiniert — und dann auch noch so, daß das Kreuz die Tora überragt —, erinnert dies fatal an die aus der christlichen Theologie, Kunst und Praxis bekannte Siegerpose der Ekklesia über die Synagoga und an den jahrhundertelang in der Kirche gepflegten Antijudaismus, ohne den „die nationalsozialistische Ideologie keinen Bestand hätte finden und nicht hätte verwirklicht werden können” (DABRU EMET, These 5). Nebenbei zu fragen ist, wer den Künstler in der Wahl der Symbolik so schlecht beraten hat?!

Edith Stein hätte diese Mißdeutung ihres Lebens und Werks nicht gebilligt, hat sie doch bereits im April 1933 Papst Pius XI. in einem Brief auf den „Judenhaß” und den begonnenen „Vernichtungskampf” gegen die Juden in Deutschland aufmerksam gemacht (vgl. FrRu 10[2003]162-175). Hat der Papst, haben die Christen auf ihre und andere warnende Stimmen gehört? Vergeblich hat Edith Stein eine päpstliche Enzyklika gegen den Judenhaß des Nationalsozialismus gefordert. Die Statue wird Edith Stein nicht gerecht. In ihrer mißglückten Symbolik wirft sie angesichts der Schoa unwillkürlich die Frage auf: Wie war es möglich, daß so viele Christen, für die das Kreuz das Zeichen ihres Glaubens ist, geschwiegen und die Vernichtung der Juden unterstützt haben? Was hat die Amtskirche getan, um die Vernichtung der Juden durch die Nationalsozialisten zu verhindern? Die in der Statue ausgedrückte Deutung der Person und des Lebenszeugnisses Edith Steins ist theologisch höchst mißverständlich und Grund für Kritik. Die Verletzung, die jüdischen Gästen durch das Protokoll dieser Zeremonie im Vatikan zugefügt worden ist, kann nur bedauert werden. Die Hoffnung bleibt, daß daraus keine nachhaltige Störung des Dialogs zwischen Juden und Katholiken erwächst.

 

Editorische Anmerkungen

Quelle: Freiburger Rundbrief Nr. 2, 2007